Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

so gingen sie lieber zu Leisring zurück, der nicht so "gefährlich" sei wie der Konsum,
der niemals genug verdienen könne. Und wirklich, nur um von der süßen Ge¬
wohnheit des Borgens nicht lassen zu müssen, nur um nicht Ordnung in seine
Finanzen bringen zu müssen, kehrte man zu Leisring zurück, der ja jetzt auch
billigere Preise bewilligte.

Auch der Geschäftserfolg war unbefriedigend. Das Inventar wollte nie
stimmen, und der errechnete Profit wollte sich nie zeigen. Nicht als ob "der alte
Kerl" unehrlich gewesen wäre, es zeigte sich eben nur, daß es ein Unterschied ist,
ob ein Geschäft auf fremde Rechnung, oder ob es auf eigne Rechnung geführt wird.

Als der Verein sichtlich zusammenschmolz und auch die Arbeiter Hübners zu
desertieren anfingen, erließ dieser den Ukas, er erwarte und verlange, daß seine
Arbeiter dem Konsum treu blieben. Er rate dies im eignen Nutzen der Arbeiter,
die ja dort ihre Waren billiger und besser erhielten als im offnen Laden. Darauf
hatte ein sozialistischer Hetzapostel nur gewartet, um nach bekannter Weise seinen
Sermon los zu lassen: Der Arbeiter sei kein Sklave, er sei auch kein Kind, sondern
mündig. Niemand dürfe ihm vorschreiben, was er thun und lassen wolle. Was
der Arbeiter verdiene, sei sein Eigentum, dessen Gebrauch niemand beschränke" dürfe;
es sei gesetzwidrig, ihn zwingen zu wollen, sein Geld im Konsum anzulegen. Hübner
aber wolle nur seine Arbeiter aussaugen, denn nur er habe den Vorteil vom Konsum.
Darauf wurde nach allen Regeln der Kunst ein Aufstand inszeniert, und Hübner,
der gerade dringende Lieferungen übernommen hatte, mußte nachgeben.

Der Konsumverein führte noch einige Zeit ein klägliches Dasein und mußte
zuletzt liquidieren. Die das Geld zu dem Unternehmen hergegeben hatten, be¬
sonders Meister Hübner, verloren manches tausend Mark. An dem Tage, wo der
Konsum geschlossen wurde, setzte Leisriug seine Preise in die Höhe, diesesmal aber
gründlich, denn er hatte viel nachzuholen. Allen Angriffen gegenüber steht er jetzt
siegreich da, und seine Frau hat sich ein neues Atlaskleid gekauft.

Aber das Kleid macht ihr offenbar keine Freude. Wie aus ihrer schmerzlichen
Miene und ihrem wehleidigem Tone zu merken ist, hat sie Sorgen. Was es ist,
verrät sie niemand, aber man flüstert sich schon heimlich zu, Leisring, der große
Leisring trinkt. Und das ist auch wahr. Die Schnäpse, die er sich in der schweren
Zeit des Kampfes mit dem Konsum angewöhnt hatte, lassen ihn nicht wieder los.
Er trinkt, ganz heimlich, aber so nachdrücklich, daß er schon "Nervenzufälle" be¬
kommen hat -- Drillirien nennen es die Leute. Es soll schauderhaft sein, wenn
er in seiner Angst glaubt, der Konsum sitze auf seiner Brust und wolle ihm die
Nase abbeißen, und alle seiue Borgbücher kriegten Flügel und wollten davon
fliegen wie Tauben, die sich satt gefressen haben.

Das ist recht, sagen die Leute, so muß es so einem gehn.




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

so gingen sie lieber zu Leisring zurück, der nicht so „gefährlich" sei wie der Konsum,
der niemals genug verdienen könne. Und wirklich, nur um von der süßen Ge¬
wohnheit des Borgens nicht lassen zu müssen, nur um nicht Ordnung in seine
Finanzen bringen zu müssen, kehrte man zu Leisring zurück, der ja jetzt auch
billigere Preise bewilligte.

Auch der Geschäftserfolg war unbefriedigend. Das Inventar wollte nie
stimmen, und der errechnete Profit wollte sich nie zeigen. Nicht als ob „der alte
Kerl" unehrlich gewesen wäre, es zeigte sich eben nur, daß es ein Unterschied ist,
ob ein Geschäft auf fremde Rechnung, oder ob es auf eigne Rechnung geführt wird.

Als der Verein sichtlich zusammenschmolz und auch die Arbeiter Hübners zu
desertieren anfingen, erließ dieser den Ukas, er erwarte und verlange, daß seine
Arbeiter dem Konsum treu blieben. Er rate dies im eignen Nutzen der Arbeiter,
die ja dort ihre Waren billiger und besser erhielten als im offnen Laden. Darauf
hatte ein sozialistischer Hetzapostel nur gewartet, um nach bekannter Weise seinen
Sermon los zu lassen: Der Arbeiter sei kein Sklave, er sei auch kein Kind, sondern
mündig. Niemand dürfe ihm vorschreiben, was er thun und lassen wolle. Was
der Arbeiter verdiene, sei sein Eigentum, dessen Gebrauch niemand beschränke» dürfe;
es sei gesetzwidrig, ihn zwingen zu wollen, sein Geld im Konsum anzulegen. Hübner
aber wolle nur seine Arbeiter aussaugen, denn nur er habe den Vorteil vom Konsum.
Darauf wurde nach allen Regeln der Kunst ein Aufstand inszeniert, und Hübner,
der gerade dringende Lieferungen übernommen hatte, mußte nachgeben.

Der Konsumverein führte noch einige Zeit ein klägliches Dasein und mußte
zuletzt liquidieren. Die das Geld zu dem Unternehmen hergegeben hatten, be¬
sonders Meister Hübner, verloren manches tausend Mark. An dem Tage, wo der
Konsum geschlossen wurde, setzte Leisriug seine Preise in die Höhe, diesesmal aber
gründlich, denn er hatte viel nachzuholen. Allen Angriffen gegenüber steht er jetzt
siegreich da, und seine Frau hat sich ein neues Atlaskleid gekauft.

Aber das Kleid macht ihr offenbar keine Freude. Wie aus ihrer schmerzlichen
Miene und ihrem wehleidigem Tone zu merken ist, hat sie Sorgen. Was es ist,
verrät sie niemand, aber man flüstert sich schon heimlich zu, Leisring, der große
Leisring trinkt. Und das ist auch wahr. Die Schnäpse, die er sich in der schweren
Zeit des Kampfes mit dem Konsum angewöhnt hatte, lassen ihn nicht wieder los.
Er trinkt, ganz heimlich, aber so nachdrücklich, daß er schon „Nervenzufälle" be¬
kommen hat — Drillirien nennen es die Leute. Es soll schauderhaft sein, wenn
er in seiner Angst glaubt, der Konsum sitze auf seiner Brust und wolle ihm die
Nase abbeißen, und alle seiue Borgbücher kriegten Flügel und wollten davon
fliegen wie Tauben, die sich satt gefressen haben.

Das ist recht, sagen die Leute, so muß es so einem gehn.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0650" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/291061"/>
          <fw type="header" place="top"> Skizzen aus unserm heutigen Volksleben</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2260" prev="#ID_2259"> so gingen sie lieber zu Leisring zurück, der nicht so &#x201E;gefährlich" sei wie der Konsum,<lb/>
der niemals genug verdienen könne. Und wirklich, nur um von der süßen Ge¬<lb/>
wohnheit des Borgens nicht lassen zu müssen, nur um nicht Ordnung in seine<lb/>
Finanzen bringen zu müssen, kehrte man zu Leisring zurück, der ja jetzt auch<lb/>
billigere Preise bewilligte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2261"> Auch der Geschäftserfolg war unbefriedigend. Das Inventar wollte nie<lb/>
stimmen, und der errechnete Profit wollte sich nie zeigen. Nicht als ob &#x201E;der alte<lb/>
Kerl" unehrlich gewesen wäre, es zeigte sich eben nur, daß es ein Unterschied ist,<lb/>
ob ein Geschäft auf fremde Rechnung, oder ob es auf eigne Rechnung geführt wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2262"> Als der Verein sichtlich zusammenschmolz und auch die Arbeiter Hübners zu<lb/>
desertieren anfingen, erließ dieser den Ukas, er erwarte und verlange, daß seine<lb/>
Arbeiter dem Konsum treu blieben. Er rate dies im eignen Nutzen der Arbeiter,<lb/>
die ja dort ihre Waren billiger und besser erhielten als im offnen Laden. Darauf<lb/>
hatte ein sozialistischer Hetzapostel nur gewartet, um nach bekannter Weise seinen<lb/>
Sermon los zu lassen: Der Arbeiter sei kein Sklave, er sei auch kein Kind, sondern<lb/>
mündig. Niemand dürfe ihm vorschreiben, was er thun und lassen wolle. Was<lb/>
der Arbeiter verdiene, sei sein Eigentum, dessen Gebrauch niemand beschränke» dürfe;<lb/>
es sei gesetzwidrig, ihn zwingen zu wollen, sein Geld im Konsum anzulegen. Hübner<lb/>
aber wolle nur seine Arbeiter aussaugen, denn nur er habe den Vorteil vom Konsum.<lb/>
Darauf wurde nach allen Regeln der Kunst ein Aufstand inszeniert, und Hübner,<lb/>
der gerade dringende Lieferungen übernommen hatte, mußte nachgeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2263"> Der Konsumverein führte noch einige Zeit ein klägliches Dasein und mußte<lb/>
zuletzt liquidieren. Die das Geld zu dem Unternehmen hergegeben hatten, be¬<lb/>
sonders Meister Hübner, verloren manches tausend Mark. An dem Tage, wo der<lb/>
Konsum geschlossen wurde, setzte Leisriug seine Preise in die Höhe, diesesmal aber<lb/>
gründlich, denn er hatte viel nachzuholen. Allen Angriffen gegenüber steht er jetzt<lb/>
siegreich da, und seine Frau hat sich ein neues Atlaskleid gekauft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2264"> Aber das Kleid macht ihr offenbar keine Freude. Wie aus ihrer schmerzlichen<lb/>
Miene und ihrem wehleidigem Tone zu merken ist, hat sie Sorgen. Was es ist,<lb/>
verrät sie niemand, aber man flüstert sich schon heimlich zu, Leisring, der große<lb/>
Leisring trinkt. Und das ist auch wahr. Die Schnäpse, die er sich in der schweren<lb/>
Zeit des Kampfes mit dem Konsum angewöhnt hatte, lassen ihn nicht wieder los.<lb/>
Er trinkt, ganz heimlich, aber so nachdrücklich, daß er schon &#x201E;Nervenzufälle" be¬<lb/>
kommen hat &#x2014; Drillirien nennen es die Leute. Es soll schauderhaft sein, wenn<lb/>
er in seiner Angst glaubt, der Konsum sitze auf seiner Brust und wolle ihm die<lb/>
Nase abbeißen, und alle seiue Borgbücher kriegten Flügel und wollten davon<lb/>
fliegen wie Tauben, die sich satt gefressen haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2265"> Das ist recht, sagen die Leute, so muß es so einem gehn.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0650] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben so gingen sie lieber zu Leisring zurück, der nicht so „gefährlich" sei wie der Konsum, der niemals genug verdienen könne. Und wirklich, nur um von der süßen Ge¬ wohnheit des Borgens nicht lassen zu müssen, nur um nicht Ordnung in seine Finanzen bringen zu müssen, kehrte man zu Leisring zurück, der ja jetzt auch billigere Preise bewilligte. Auch der Geschäftserfolg war unbefriedigend. Das Inventar wollte nie stimmen, und der errechnete Profit wollte sich nie zeigen. Nicht als ob „der alte Kerl" unehrlich gewesen wäre, es zeigte sich eben nur, daß es ein Unterschied ist, ob ein Geschäft auf fremde Rechnung, oder ob es auf eigne Rechnung geführt wird. Als der Verein sichtlich zusammenschmolz und auch die Arbeiter Hübners zu desertieren anfingen, erließ dieser den Ukas, er erwarte und verlange, daß seine Arbeiter dem Konsum treu blieben. Er rate dies im eignen Nutzen der Arbeiter, die ja dort ihre Waren billiger und besser erhielten als im offnen Laden. Darauf hatte ein sozialistischer Hetzapostel nur gewartet, um nach bekannter Weise seinen Sermon los zu lassen: Der Arbeiter sei kein Sklave, er sei auch kein Kind, sondern mündig. Niemand dürfe ihm vorschreiben, was er thun und lassen wolle. Was der Arbeiter verdiene, sei sein Eigentum, dessen Gebrauch niemand beschränke» dürfe; es sei gesetzwidrig, ihn zwingen zu wollen, sein Geld im Konsum anzulegen. Hübner aber wolle nur seine Arbeiter aussaugen, denn nur er habe den Vorteil vom Konsum. Darauf wurde nach allen Regeln der Kunst ein Aufstand inszeniert, und Hübner, der gerade dringende Lieferungen übernommen hatte, mußte nachgeben. Der Konsumverein führte noch einige Zeit ein klägliches Dasein und mußte zuletzt liquidieren. Die das Geld zu dem Unternehmen hergegeben hatten, be¬ sonders Meister Hübner, verloren manches tausend Mark. An dem Tage, wo der Konsum geschlossen wurde, setzte Leisriug seine Preise in die Höhe, diesesmal aber gründlich, denn er hatte viel nachzuholen. Allen Angriffen gegenüber steht er jetzt siegreich da, und seine Frau hat sich ein neues Atlaskleid gekauft. Aber das Kleid macht ihr offenbar keine Freude. Wie aus ihrer schmerzlichen Miene und ihrem wehleidigem Tone zu merken ist, hat sie Sorgen. Was es ist, verrät sie niemand, aber man flüstert sich schon heimlich zu, Leisring, der große Leisring trinkt. Und das ist auch wahr. Die Schnäpse, die er sich in der schweren Zeit des Kampfes mit dem Konsum angewöhnt hatte, lassen ihn nicht wieder los. Er trinkt, ganz heimlich, aber so nachdrücklich, daß er schon „Nervenzufälle" be¬ kommen hat — Drillirien nennen es die Leute. Es soll schauderhaft sein, wenn er in seiner Angst glaubt, der Konsum sitze auf seiner Brust und wolle ihm die Nase abbeißen, und alle seiue Borgbücher kriegten Flügel und wollten davon fliegen wie Tauben, die sich satt gefressen haben. Das ist recht, sagen die Leute, so muß es so einem gehn.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/650
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/650>, abgerufen am 01.07.2024.