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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Drei Anekdoten aus dem alten Unrhesscn

?. Der Oberförster von Blumenthal

Hessen besaß bekanntlich infolge des Westfälischen Friedens die eine Hälfte
der Grafschaft Schauiuburg, während die andre einem Grafen von Lippe zu¬
erkannt worden war. Dieser hessische Anteil hatte bedeutende Forsten mit viel
Wild, und diese standen unter der Verwaltung des Oberförsters von Blumenthal,

In einem Sommer nun -- ich habe das Jahr vergessen -- stellte der
Kurfürst Jagden in diesen Forsten um, und der neckische Zufall wollte, daß der
Herr Oberförster in irgend einem Geschäft im Walde zu thun hatte und ohne
es zu ahne" in die Nähe der kurfürstlichen Jagdpartie geriet, die eben ein
Frühstück einnehmen wollte. Hätte er sich doch zurückgezogen! Aber nein.
Er ging auf den Kurfürsten zu, entschuldigte sich, daß er in seinem gewöhn¬
lichen Anzüge und nicht in Galauniform erschienen sei, da er nicht vermuten
konnte, mit seiner Königlichen Hoheit zusammenzutreffen; er habe es aber auch
so für seine Schuldigkeit gehalten, näher zu treten und zu fragen, ob Seine
Königliche Hoheit irgend einen Befehl für ihn habe. Der Kurfürst dankte
ihm, sagte aber leise einem neben ihm stehenden Herrn: "Nun muß ich den
Menschen gar noch zum Frühstück einladen."

Sobald der Kurfürst wieder in Kassel war, schrieb er an den Oberland-
forstmeister, er möge sogleich die Pensionierung des Oberförsters von Blumen¬
thal beantragen. Dieser erwiderte, daß das nicht wohl angehe, da der Be¬
treffende bis dahin sein Amt zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten ver¬
waltet habe, bekam aber zum zweitenmale den Befehl, die Pensionierung zu
beantragen. Nun mußte man doch wohl gehorchen.

Der Herr Oberlandforstmeister begab sich nun, um irgend einen Vorwand
für einen solchen Antrag zu finden, nach dein schanenburgischen Forst und zog
unter der Hand allerlei Erkundigungen über den Oberförster ein. Er erfuhr
nun, daß der schon etwas über siebzig Jahre alte Maun bei deu Holzauktionen
bisweilen einnickte, und daß er sich bisweilen nicht sogleich auf den Namen
eines Reviers besinnen könne, sonst aber alle Pflichten seines Amtes voll¬
kommen erfülle. Der Oberlandforstmeister von Münchhausen besuchte nun den
Oberförster, und freundlich mit ihm plaudernd sagte er diesem, es müsse ihm
doch nachgerade bei seinem vorgerückten Alter beschwerlich fallen, den Forst zu
begehn, warum er sich doch nicht pensionieren ließe, da er doch nach seinen
langen Dienstjähreu eine hübsche Pension zu erwarten habe. Der Oberförster
erwiderte ihm, er habe auch schon daran gedacht, wolle aber mit der Ein¬
reichung seines Pensionierungsgesuchs noch sechs Monate warten, denn er
könne alsdann sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum feiern, da die beiden Jahre,
die er 1813 und 1814 im Heere gedient habe, doppelt gerechnet würden.

Nun berichtete der Oberlandforstmeister an den Kurfürsten, der von Blumen¬
thal werde aus dem angegebnen Grunde in sechs Monaten nur seine Pensio¬
nierung einkommen, erhielt aber den Bescheid, er solle sogleich pensioniert
werden. Zu dein Ende bedürfte es aber eines Vorwandes. Der Oberförster


Drei Anekdoten aus dem alten Unrhesscn

?. Der Oberförster von Blumenthal

Hessen besaß bekanntlich infolge des Westfälischen Friedens die eine Hälfte
der Grafschaft Schauiuburg, während die andre einem Grafen von Lippe zu¬
erkannt worden war. Dieser hessische Anteil hatte bedeutende Forsten mit viel
Wild, und diese standen unter der Verwaltung des Oberförsters von Blumenthal,

In einem Sommer nun — ich habe das Jahr vergessen — stellte der
Kurfürst Jagden in diesen Forsten um, und der neckische Zufall wollte, daß der
Herr Oberförster in irgend einem Geschäft im Walde zu thun hatte und ohne
es zu ahne» in die Nähe der kurfürstlichen Jagdpartie geriet, die eben ein
Frühstück einnehmen wollte. Hätte er sich doch zurückgezogen! Aber nein.
Er ging auf den Kurfürsten zu, entschuldigte sich, daß er in seinem gewöhn¬
lichen Anzüge und nicht in Galauniform erschienen sei, da er nicht vermuten
konnte, mit seiner Königlichen Hoheit zusammenzutreffen; er habe es aber auch
so für seine Schuldigkeit gehalten, näher zu treten und zu fragen, ob Seine
Königliche Hoheit irgend einen Befehl für ihn habe. Der Kurfürst dankte
ihm, sagte aber leise einem neben ihm stehenden Herrn: „Nun muß ich den
Menschen gar noch zum Frühstück einladen."

Sobald der Kurfürst wieder in Kassel war, schrieb er an den Oberland-
forstmeister, er möge sogleich die Pensionierung des Oberförsters von Blumen¬
thal beantragen. Dieser erwiderte, daß das nicht wohl angehe, da der Be¬
treffende bis dahin sein Amt zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten ver¬
waltet habe, bekam aber zum zweitenmale den Befehl, die Pensionierung zu
beantragen. Nun mußte man doch wohl gehorchen.

Der Herr Oberlandforstmeister begab sich nun, um irgend einen Vorwand
für einen solchen Antrag zu finden, nach dein schanenburgischen Forst und zog
unter der Hand allerlei Erkundigungen über den Oberförster ein. Er erfuhr
nun, daß der schon etwas über siebzig Jahre alte Maun bei deu Holzauktionen
bisweilen einnickte, und daß er sich bisweilen nicht sogleich auf den Namen
eines Reviers besinnen könne, sonst aber alle Pflichten seines Amtes voll¬
kommen erfülle. Der Oberlandforstmeister von Münchhausen besuchte nun den
Oberförster, und freundlich mit ihm plaudernd sagte er diesem, es müsse ihm
doch nachgerade bei seinem vorgerückten Alter beschwerlich fallen, den Forst zu
begehn, warum er sich doch nicht pensionieren ließe, da er doch nach seinen
langen Dienstjähreu eine hübsche Pension zu erwarten habe. Der Oberförster
erwiderte ihm, er habe auch schon daran gedacht, wolle aber mit der Ein¬
reichung seines Pensionierungsgesuchs noch sechs Monate warten, denn er
könne alsdann sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum feiern, da die beiden Jahre,
die er 1813 und 1814 im Heere gedient habe, doppelt gerechnet würden.

Nun berichtete der Oberlandforstmeister an den Kurfürsten, der von Blumen¬
thal werde aus dem angegebnen Grunde in sechs Monaten nur seine Pensio¬
nierung einkommen, erhielt aber den Bescheid, er solle sogleich pensioniert
werden. Zu dein Ende bedürfte es aber eines Vorwandes. Der Oberförster


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[0638] Drei Anekdoten aus dem alten Unrhesscn ?. Der Oberförster von Blumenthal Hessen besaß bekanntlich infolge des Westfälischen Friedens die eine Hälfte der Grafschaft Schauiuburg, während die andre einem Grafen von Lippe zu¬ erkannt worden war. Dieser hessische Anteil hatte bedeutende Forsten mit viel Wild, und diese standen unter der Verwaltung des Oberförsters von Blumenthal, In einem Sommer nun — ich habe das Jahr vergessen — stellte der Kurfürst Jagden in diesen Forsten um, und der neckische Zufall wollte, daß der Herr Oberförster in irgend einem Geschäft im Walde zu thun hatte und ohne es zu ahne» in die Nähe der kurfürstlichen Jagdpartie geriet, die eben ein Frühstück einnehmen wollte. Hätte er sich doch zurückgezogen! Aber nein. Er ging auf den Kurfürsten zu, entschuldigte sich, daß er in seinem gewöhn¬ lichen Anzüge und nicht in Galauniform erschienen sei, da er nicht vermuten konnte, mit seiner Königlichen Hoheit zusammenzutreffen; er habe es aber auch so für seine Schuldigkeit gehalten, näher zu treten und zu fragen, ob Seine Königliche Hoheit irgend einen Befehl für ihn habe. Der Kurfürst dankte ihm, sagte aber leise einem neben ihm stehenden Herrn: „Nun muß ich den Menschen gar noch zum Frühstück einladen." Sobald der Kurfürst wieder in Kassel war, schrieb er an den Oberland- forstmeister, er möge sogleich die Pensionierung des Oberförsters von Blumen¬ thal beantragen. Dieser erwiderte, daß das nicht wohl angehe, da der Be¬ treffende bis dahin sein Amt zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten ver¬ waltet habe, bekam aber zum zweitenmale den Befehl, die Pensionierung zu beantragen. Nun mußte man doch wohl gehorchen. Der Herr Oberlandforstmeister begab sich nun, um irgend einen Vorwand für einen solchen Antrag zu finden, nach dein schanenburgischen Forst und zog unter der Hand allerlei Erkundigungen über den Oberförster ein. Er erfuhr nun, daß der schon etwas über siebzig Jahre alte Maun bei deu Holzauktionen bisweilen einnickte, und daß er sich bisweilen nicht sogleich auf den Namen eines Reviers besinnen könne, sonst aber alle Pflichten seines Amtes voll¬ kommen erfülle. Der Oberlandforstmeister von Münchhausen besuchte nun den Oberförster, und freundlich mit ihm plaudernd sagte er diesem, es müsse ihm doch nachgerade bei seinem vorgerückten Alter beschwerlich fallen, den Forst zu begehn, warum er sich doch nicht pensionieren ließe, da er doch nach seinen langen Dienstjähreu eine hübsche Pension zu erwarten habe. Der Oberförster erwiderte ihm, er habe auch schon daran gedacht, wolle aber mit der Ein¬ reichung seines Pensionierungsgesuchs noch sechs Monate warten, denn er könne alsdann sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum feiern, da die beiden Jahre, die er 1813 und 1814 im Heere gedient habe, doppelt gerechnet würden. Nun berichtete der Oberlandforstmeister an den Kurfürsten, der von Blumen¬ thal werde aus dem angegebnen Grunde in sechs Monaten nur seine Pensio¬ nierung einkommen, erhielt aber den Bescheid, er solle sogleich pensioniert werden. Zu dein Ende bedürfte es aber eines Vorwandes. Der Oberförster

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/638>, abgerufen am 01.07.2024.