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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Drei Anekdoten aus den, alten Ruchessen

der Weg auf dein Fluß eine viel reizendere Gegeud durchzieht. Eine große
Schwierigkeit für dieses Unternehmen war, daß die Fulda sehr flach ist, und
ein Dampfschiff darum einer ganz besondern Konstruktion bedarf/ um auf diesem
seichten Wasser fahren zu können. Die Gebrüder Wüstenfeld wandten sich an
den Oberbergrat Heuschel, der, nachdem er mehrere Kombinationen und Ver¬
suche angestellt hatte, es übernahm, ein solches Dampfschiff zu bauen.

Er selbst hat mir ein paarmal von deu Schwierigkeiten seiner Arbeit er¬
zählt und ein Modell eines nur wenige Fuß tiefgehenden Dampfschiffs gezeigt,
das auf einem Teich seines Hofes schwamm. Das Dampfschiff mußte bis zu
einem bestimmten Tage fertig sein, und es war eine ziemlich starke Kouveu-
tioualstrafe festgesetzt für jeden Tag der Verzögerung. Wenig Tage vor dein
Termin der Ablieferung war das Dampfschiff glücklich fertig und lag auf
der Fulda.

Der Oberbergrat Henschel schrieb nun an seinen gnädigsten Landesherrn,
ob er vielleicht das erste in Hessen erbaute Dampfschiff vor seiner Abfahrt nach
Münden besichtigen wolle, wobei er natürlich nicht vergaß, den Tag der Ab¬
lieferung anzugeben; der Kurfürst kam denu auch am genannten Tage, aber
spät nachmittags, ein oder zwei Stunden nachdem das Schiff abgegangen war.
Er konnte natürlich dem Oberbergrat Henschel keine Vorwürfe macheu, da
dieser ja, wenn er in Erwartung des kurfürstlichen Besuchs die Abfahrt des
Dampfschiffs auf nur einen Tag hätte aufschiebe" wolle", die ziemlich starke
Konventionalstrafe hätte zechten müssen. Aber , , , das Schiff tam nun
den nächsten Sonntag voll vo" Passagiere" in Kassel an, und um" wurde
ihnen verboten, ans Land zu steige", da das Dampfschiff nicht das Recht habe,
Passagiere zu befördern. Diese protestierten natürlich und erhielten denn auch,
aber nur ausnahmsweise und für dieses erstemal die Erlaubnis, ans Land zu
gehn. Es ist begreiflich, daß die Gebrüder Wüstenfeld gegen das Verbot,
Reisende zu befördern, protestierten "ut unter anderen auch geltend machten,
daß durch nnangefochtne Staatsvertrüge zwischen Hannover und Hessen die
Stadt Münden das Recht der freien Schiffahrt ans der Fulda nicht bloß bis
Kassel, sondern sogar noch weiter aufwärts bis Hersfeld habe. Dem entgegen
behauptete die kurhessische Pvlizeidirettion, dieses Recht beziehe sich uur auf
das Verfrachten von Gütern, aber nicht ans die Beförderung von Personen.
Die Gebrüder Wüstenfeld beruhigten sich nicht bei dieser sonderbaren Inter-
pretation und betraten den Rechtsweg. Sie gewannen den Prozeß, die kur¬
hessische Regierung wurde verurteilt, das Verbot aufzuheben und außerdem
deu Gebrüdern Wüstenfeld eine beträchtliche Entschädigung wegen des luoruiu
V08WQ8 zu bezahlen.

Bei den Schwierigkeiten, die das Dampfschiff durch die Aalfange auf seiner
Fahrt zu überwinden hatte, haben sie aber, soviel ich weiß, die Dampfschiff¬
fuhrt ans der Fulda aufgegeben. Die Darstellung, die Fr. Müller in seinem
Buch "Kassel seit siebzig Jahren" von diesem Vorgange gegeben hat, ist un¬
genau,


Drei Anekdoten aus den, alten Ruchessen

der Weg auf dein Fluß eine viel reizendere Gegeud durchzieht. Eine große
Schwierigkeit für dieses Unternehmen war, daß die Fulda sehr flach ist, und
ein Dampfschiff darum einer ganz besondern Konstruktion bedarf/ um auf diesem
seichten Wasser fahren zu können. Die Gebrüder Wüstenfeld wandten sich an
den Oberbergrat Heuschel, der, nachdem er mehrere Kombinationen und Ver¬
suche angestellt hatte, es übernahm, ein solches Dampfschiff zu bauen.

Er selbst hat mir ein paarmal von deu Schwierigkeiten seiner Arbeit er¬
zählt und ein Modell eines nur wenige Fuß tiefgehenden Dampfschiffs gezeigt,
das auf einem Teich seines Hofes schwamm. Das Dampfschiff mußte bis zu
einem bestimmten Tage fertig sein, und es war eine ziemlich starke Kouveu-
tioualstrafe festgesetzt für jeden Tag der Verzögerung. Wenig Tage vor dein
Termin der Ablieferung war das Dampfschiff glücklich fertig und lag auf
der Fulda.

Der Oberbergrat Henschel schrieb nun an seinen gnädigsten Landesherrn,
ob er vielleicht das erste in Hessen erbaute Dampfschiff vor seiner Abfahrt nach
Münden besichtigen wolle, wobei er natürlich nicht vergaß, den Tag der Ab¬
lieferung anzugeben; der Kurfürst kam denu auch am genannten Tage, aber
spät nachmittags, ein oder zwei Stunden nachdem das Schiff abgegangen war.
Er konnte natürlich dem Oberbergrat Henschel keine Vorwürfe macheu, da
dieser ja, wenn er in Erwartung des kurfürstlichen Besuchs die Abfahrt des
Dampfschiffs auf nur einen Tag hätte aufschiebe» wolle», die ziemlich starke
Konventionalstrafe hätte zechten müssen. Aber , , , das Schiff tam nun
den nächsten Sonntag voll vo» Passagiere» in Kassel an, und um» wurde
ihnen verboten, ans Land zu steige», da das Dampfschiff nicht das Recht habe,
Passagiere zu befördern. Diese protestierten natürlich und erhielten denn auch,
aber nur ausnahmsweise und für dieses erstemal die Erlaubnis, ans Land zu
gehn. Es ist begreiflich, daß die Gebrüder Wüstenfeld gegen das Verbot,
Reisende zu befördern, protestierten »ut unter anderen auch geltend machten,
daß durch nnangefochtne Staatsvertrüge zwischen Hannover und Hessen die
Stadt Münden das Recht der freien Schiffahrt ans der Fulda nicht bloß bis
Kassel, sondern sogar noch weiter aufwärts bis Hersfeld habe. Dem entgegen
behauptete die kurhessische Pvlizeidirettion, dieses Recht beziehe sich uur auf
das Verfrachten von Gütern, aber nicht ans die Beförderung von Personen.
Die Gebrüder Wüstenfeld beruhigten sich nicht bei dieser sonderbaren Inter-
pretation und betraten den Rechtsweg. Sie gewannen den Prozeß, die kur¬
hessische Regierung wurde verurteilt, das Verbot aufzuheben und außerdem
deu Gebrüdern Wüstenfeld eine beträchtliche Entschädigung wegen des luoruiu
V08WQ8 zu bezahlen.

Bei den Schwierigkeiten, die das Dampfschiff durch die Aalfange auf seiner
Fahrt zu überwinden hatte, haben sie aber, soviel ich weiß, die Dampfschiff¬
fuhrt ans der Fulda aufgegeben. Die Darstellung, die Fr. Müller in seinem
Buch „Kassel seit siebzig Jahren" von diesem Vorgange gegeben hat, ist un¬
genau,


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[0637] Drei Anekdoten aus den, alten Ruchessen der Weg auf dein Fluß eine viel reizendere Gegeud durchzieht. Eine große Schwierigkeit für dieses Unternehmen war, daß die Fulda sehr flach ist, und ein Dampfschiff darum einer ganz besondern Konstruktion bedarf/ um auf diesem seichten Wasser fahren zu können. Die Gebrüder Wüstenfeld wandten sich an den Oberbergrat Heuschel, der, nachdem er mehrere Kombinationen und Ver¬ suche angestellt hatte, es übernahm, ein solches Dampfschiff zu bauen. Er selbst hat mir ein paarmal von deu Schwierigkeiten seiner Arbeit er¬ zählt und ein Modell eines nur wenige Fuß tiefgehenden Dampfschiffs gezeigt, das auf einem Teich seines Hofes schwamm. Das Dampfschiff mußte bis zu einem bestimmten Tage fertig sein, und es war eine ziemlich starke Kouveu- tioualstrafe festgesetzt für jeden Tag der Verzögerung. Wenig Tage vor dein Termin der Ablieferung war das Dampfschiff glücklich fertig und lag auf der Fulda. Der Oberbergrat Henschel schrieb nun an seinen gnädigsten Landesherrn, ob er vielleicht das erste in Hessen erbaute Dampfschiff vor seiner Abfahrt nach Münden besichtigen wolle, wobei er natürlich nicht vergaß, den Tag der Ab¬ lieferung anzugeben; der Kurfürst kam denu auch am genannten Tage, aber spät nachmittags, ein oder zwei Stunden nachdem das Schiff abgegangen war. Er konnte natürlich dem Oberbergrat Henschel keine Vorwürfe macheu, da dieser ja, wenn er in Erwartung des kurfürstlichen Besuchs die Abfahrt des Dampfschiffs auf nur einen Tag hätte aufschiebe» wolle», die ziemlich starke Konventionalstrafe hätte zechten müssen. Aber , , , das Schiff tam nun den nächsten Sonntag voll vo» Passagiere» in Kassel an, und um» wurde ihnen verboten, ans Land zu steige», da das Dampfschiff nicht das Recht habe, Passagiere zu befördern. Diese protestierten natürlich und erhielten denn auch, aber nur ausnahmsweise und für dieses erstemal die Erlaubnis, ans Land zu gehn. Es ist begreiflich, daß die Gebrüder Wüstenfeld gegen das Verbot, Reisende zu befördern, protestierten »ut unter anderen auch geltend machten, daß durch nnangefochtne Staatsvertrüge zwischen Hannover und Hessen die Stadt Münden das Recht der freien Schiffahrt ans der Fulda nicht bloß bis Kassel, sondern sogar noch weiter aufwärts bis Hersfeld habe. Dem entgegen behauptete die kurhessische Pvlizeidirettion, dieses Recht beziehe sich uur auf das Verfrachten von Gütern, aber nicht ans die Beförderung von Personen. Die Gebrüder Wüstenfeld beruhigten sich nicht bei dieser sonderbaren Inter- pretation und betraten den Rechtsweg. Sie gewannen den Prozeß, die kur¬ hessische Regierung wurde verurteilt, das Verbot aufzuheben und außerdem deu Gebrüdern Wüstenfeld eine beträchtliche Entschädigung wegen des luoruiu V08WQ8 zu bezahlen. Bei den Schwierigkeiten, die das Dampfschiff durch die Aalfange auf seiner Fahrt zu überwinden hatte, haben sie aber, soviel ich weiß, die Dampfschiff¬ fuhrt ans der Fulda aufgegeben. Die Darstellung, die Fr. Müller in seinem Buch „Kassel seit siebzig Jahren" von diesem Vorgange gegeben hat, ist un¬ genau,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/637>, abgerufen am 01.07.2024.