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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Frauenlöhne in Frankreich

Unterstützungsverein in Paris ist ig?ari8i6uns (seit 1875); dieser erhebt einen
monatlichen Beitrag von 1,50 Franken und gewährt seinen Mitgliedern Unter¬
stützung und ärztliche Hilfe in Krankheitsfüllen, sowie im Sterbefall ein an¬
ständiges Begräbnis. Außerdem besitzt der Verein eine Sparkasse, die Ein¬
lagen vou 50 Centimes an annimmt. Zu den eingezahlten Beträgen gewährt
der Verein einen Zuschuß, der dem Mitglied aber mir ausbezahlt wird, wenn
es entweder heiratet, ein Geschäft gründet oder in ein Kloster eintritt. Die
Ausgaben der Unterstützungskasse beliefen sich 1898 auf 14297 Franken, die
Einnahmen aus den Mitgliederbeitrügcn aber nur auf 1471 Franken, während
die Beitrüge der Ehrenmitglieder 13625 Franken betrugen. Dieser Verein
gedeiht also nur deshalb, weil er dreimal so viel Ehrenmitglieder hat als
Mitglieder.

Ausschließlich auf Gegenseitigkeit beruht dagegen die Licmwriörk, obschon
auch diese Zuwendungen von mildthätiger Seite erhült. Die Mitglieder sind
meistens bessere Konfektionsarbeiterinnen, und der Veitrag demnach sehr hoch:
25 Franken jährlich. Dieser Verein gewährt außer den üblichen Unterstützungen
jeder Wöchnerin, die vier Wochen lang nicht arbeitet, 50 Franken und, falls
sie ihr Kind selbst stillt, 25 Franken. Ähnliche Unterstützungen gewährt die
Nu.tuMtv ing,t"zi'nell<z, die dadurch bei ihren Mitgliedern die Sterblichkeit der
Säuglinge, die in Paris 35 bis 40 Prozent beträgt, auf 9 bis 10 Prozent
reduziert hat. Der Beitrag beträgt jährlich nur 3 Franken. Die Mitglieder,
1705 an der Zahl, entrichteten 1898 5184 Franken an die Kasse. Diese gab
dagegen 45000 Franken aus, und zwar wurde, außer den Beiträgen der Ehren¬
mitglieder in Höhe von 7509 Franken, das Defizit von 32 500 Franken durch
einen Bazar gedeckt. Der Charakter der Unterstützung auf Gegenseitigkeit
schwindet also bei dieser Kasse fast vollständig. Diese drei Kassen haben etwa
3200 Mitglieder, während in Paris die Bekleidungsindustrie 303771 Arbeite¬
rinnen beschäftigt. Es ist also nur ein verschwindend kleiner Teil, der die
Wohlthaten dieser Kassen genießt.*)

Es bestehn auch mehrere Darlehnskassen für Arbeiterinnen. Das 8M-
alva,t as l'lÜAuIIlö hat 1893 eine solche gegründet, die in sechs Jahren an
Arbeiterinnen und Inhaberinnen kleiner Geschäfte 17840 Franken ausgeliehen
hat, von denen nur 817 Franken nicht zurückgezahlt wurden. Auch die
vouwi'iM'v besitzt seit 1897 eine solche Kasse, mit der sie gute Erfahrungen
gemacht hat.

Graf d'Haussvnville glaubt, diese Unterstützungsvereine würden noch viel
mehr Anklang bei den jungen Arbeiterinnen finden, wenn fie ihnen ein Lokal
zur Verfügung stellen könnten, wo sie sich abends und Sonntags gesellig ver¬
einigen könnten. An solchen Lokalen fehlt es noch fast vollständig in Paris.
Allerdings wird dies nur möglich sein, wenn uoch weitere Kreise als bisher



*) Für die Handlungsgehilfinnen besteht eine Unterstützungskasse, die 4W Mitglieder und
225 Ehrenmitglieder hat.
Frauenlöhne in Frankreich

Unterstützungsverein in Paris ist ig?ari8i6uns (seit 1875); dieser erhebt einen
monatlichen Beitrag von 1,50 Franken und gewährt seinen Mitgliedern Unter¬
stützung und ärztliche Hilfe in Krankheitsfüllen, sowie im Sterbefall ein an¬
ständiges Begräbnis. Außerdem besitzt der Verein eine Sparkasse, die Ein¬
lagen vou 50 Centimes an annimmt. Zu den eingezahlten Beträgen gewährt
der Verein einen Zuschuß, der dem Mitglied aber mir ausbezahlt wird, wenn
es entweder heiratet, ein Geschäft gründet oder in ein Kloster eintritt. Die
Ausgaben der Unterstützungskasse beliefen sich 1898 auf 14297 Franken, die
Einnahmen aus den Mitgliederbeitrügcn aber nur auf 1471 Franken, während
die Beitrüge der Ehrenmitglieder 13625 Franken betrugen. Dieser Verein
gedeiht also nur deshalb, weil er dreimal so viel Ehrenmitglieder hat als
Mitglieder.

Ausschließlich auf Gegenseitigkeit beruht dagegen die Licmwriörk, obschon
auch diese Zuwendungen von mildthätiger Seite erhült. Die Mitglieder sind
meistens bessere Konfektionsarbeiterinnen, und der Veitrag demnach sehr hoch:
25 Franken jährlich. Dieser Verein gewährt außer den üblichen Unterstützungen
jeder Wöchnerin, die vier Wochen lang nicht arbeitet, 50 Franken und, falls
sie ihr Kind selbst stillt, 25 Franken. Ähnliche Unterstützungen gewährt die
Nu.tuMtv ing,t«zi'nell<z, die dadurch bei ihren Mitgliedern die Sterblichkeit der
Säuglinge, die in Paris 35 bis 40 Prozent beträgt, auf 9 bis 10 Prozent
reduziert hat. Der Beitrag beträgt jährlich nur 3 Franken. Die Mitglieder,
1705 an der Zahl, entrichteten 1898 5184 Franken an die Kasse. Diese gab
dagegen 45000 Franken aus, und zwar wurde, außer den Beiträgen der Ehren¬
mitglieder in Höhe von 7509 Franken, das Defizit von 32 500 Franken durch
einen Bazar gedeckt. Der Charakter der Unterstützung auf Gegenseitigkeit
schwindet also bei dieser Kasse fast vollständig. Diese drei Kassen haben etwa
3200 Mitglieder, während in Paris die Bekleidungsindustrie 303771 Arbeite¬
rinnen beschäftigt. Es ist also nur ein verschwindend kleiner Teil, der die
Wohlthaten dieser Kassen genießt.*)

Es bestehn auch mehrere Darlehnskassen für Arbeiterinnen. Das 8M-
alva,t as l'lÜAuIIlö hat 1893 eine solche gegründet, die in sechs Jahren an
Arbeiterinnen und Inhaberinnen kleiner Geschäfte 17840 Franken ausgeliehen
hat, von denen nur 817 Franken nicht zurückgezahlt wurden. Auch die
vouwi'iM'v besitzt seit 1897 eine solche Kasse, mit der sie gute Erfahrungen
gemacht hat.

Graf d'Haussvnville glaubt, diese Unterstützungsvereine würden noch viel
mehr Anklang bei den jungen Arbeiterinnen finden, wenn fie ihnen ein Lokal
zur Verfügung stellen könnten, wo sie sich abends und Sonntags gesellig ver¬
einigen könnten. An solchen Lokalen fehlt es noch fast vollständig in Paris.
Allerdings wird dies nur möglich sein, wenn uoch weitere Kreise als bisher



*) Für die Handlungsgehilfinnen besteht eine Unterstützungskasse, die 4W Mitglieder und
225 Ehrenmitglieder hat.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/626>, abgerufen am 01.07.2024.