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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Boden gefunden, auf dem wir eine engere Verbindung mit England selbst ein-
gehn könnten. Wenn wir England zu einem Vertrage auf der Grundlage
auffordern, die offne Thür sowohl innerhalb der Grenzen beider Reiche zu
garantieren als auch außerhalb mit geeinter Kraft zu vertreten, verletzen wir
keine Interessen dritter Staaten und gewinnen für die unsrige den Schutz, den
wir unter den heutigen Verhältnissen billigerweise anstreben können.

Indessen kann man sich die Möglichkeit nicht verhehlen, daß England im
Übermut seiner Macht den Abschluß eines solchen Vertrags unter Verleugnung
seines ihm bisher "eigentümlichen" Prinzips ablehnt, Oder es kann auch
kommen, daß England ihn zwar abschließt, aber im weitern Verlauf praktisch
durchlöchert, worin eS von jeher eine große Geschicklichkeit gezeigt hat. Oder
es kann sich ereignen, daß auf den Wellen des doch nun einmal vorwiegend
englischen Elements die beiden Töpfe aneinander schlagen und der thönerne
in Scherben geht. Auf solche Fülle müssen wir vorbereitet sein.

Da bietet sich uns dann ein andres Prinzip dar, das föderative. Wir
haben Nachbarn von verwandtem Stamme, von gleichwertiger Kultur, von
gleichen wirtschaftlichen Interessen. Holland, Dänemark, Schweden-Norwegen
haben das gleiche Interesse wie wir, daß ihnen die Weltmärkte nicht ver¬
schlossen werden von einer großen Seemacht. Dänemark und besonders Holland
haben das andre Interesse mit uns gemeinsam, ihre Kolonien gegen die
Expansivnslust großer Seemächte zu sichern. Diese beiden Interessen sind die
natürliche Basis für eine wirtschaftliche Föderation, die sie vertragsmäßig zu
schützen hätte. Die politische Unabhängigkeit dieser Staaten würde in keiner
Weise dadurch gefährdet werden. Holland insbesondre steht unter der Garantie
der Wiener Verträge und hat Kolonien von ungeheuerm Wert, mit einer
kolonialen Bevölkerung von mehr als 30 Millionen, mit sehr bedeutende",
Handel. Es ist mit seiner Kriegsflotte von etwa 150 meist veralteten Schiffen
längst nicht mehr imstande, sich mit den großen Seemächten zu messen. Eine
deutsch-holländische Handelskonvention liegt so sehr im Interesse beider Länder,
daß abgebrochne Verhandlungen (von denen im vorigen Jahre Gerüchte umgingen)
über kurz oder laug doch wieder angeknüpft werden müßten. Die Küsten
Hollands, in deren Flußmündungen und Kanälen sich ganze Flotten bergen
können, die in der Seefahrt erfahrne, charaktervolle Bevölkerung, das in der
gegenwärtige" Lage natürliche Bestreben Deutschlands, den großen holländischen
Zwischenhandel in deutsche Häfen zu leiten: alles das deutet auf eine enge
Handelsverbindung hin, die durch eine Flottenkonvention geschützt werden müßte.

Solange England ein der offnen Thür für sich und andre innerhalb wie
außerhalb des britischen Reichs festhält, lüge in solcher föderativem Sicherung
der mitteleuropäischen Interessen nichts Verfängliches. Und es könnten Er¬
eignisse eintreten, die es England nahe legten, sich einer solchen Föderation
im eigensten Interesse anzuschließen. Denn wie nach Herrn Stead John Bull
der wirksam schaffende Teufel für die Errichtung der nordamerikanischen Union
gewesen ist, so kann diese Union wiederum als ein solcher Teufel für einen


Boden gefunden, auf dem wir eine engere Verbindung mit England selbst ein-
gehn könnten. Wenn wir England zu einem Vertrage auf der Grundlage
auffordern, die offne Thür sowohl innerhalb der Grenzen beider Reiche zu
garantieren als auch außerhalb mit geeinter Kraft zu vertreten, verletzen wir
keine Interessen dritter Staaten und gewinnen für die unsrige den Schutz, den
wir unter den heutigen Verhältnissen billigerweise anstreben können.

Indessen kann man sich die Möglichkeit nicht verhehlen, daß England im
Übermut seiner Macht den Abschluß eines solchen Vertrags unter Verleugnung
seines ihm bisher „eigentümlichen" Prinzips ablehnt, Oder es kann auch
kommen, daß England ihn zwar abschließt, aber im weitern Verlauf praktisch
durchlöchert, worin eS von jeher eine große Geschicklichkeit gezeigt hat. Oder
es kann sich ereignen, daß auf den Wellen des doch nun einmal vorwiegend
englischen Elements die beiden Töpfe aneinander schlagen und der thönerne
in Scherben geht. Auf solche Fülle müssen wir vorbereitet sein.

Da bietet sich uns dann ein andres Prinzip dar, das föderative. Wir
haben Nachbarn von verwandtem Stamme, von gleichwertiger Kultur, von
gleichen wirtschaftlichen Interessen. Holland, Dänemark, Schweden-Norwegen
haben das gleiche Interesse wie wir, daß ihnen die Weltmärkte nicht ver¬
schlossen werden von einer großen Seemacht. Dänemark und besonders Holland
haben das andre Interesse mit uns gemeinsam, ihre Kolonien gegen die
Expansivnslust großer Seemächte zu sichern. Diese beiden Interessen sind die
natürliche Basis für eine wirtschaftliche Föderation, die sie vertragsmäßig zu
schützen hätte. Die politische Unabhängigkeit dieser Staaten würde in keiner
Weise dadurch gefährdet werden. Holland insbesondre steht unter der Garantie
der Wiener Verträge und hat Kolonien von ungeheuerm Wert, mit einer
kolonialen Bevölkerung von mehr als 30 Millionen, mit sehr bedeutende»,
Handel. Es ist mit seiner Kriegsflotte von etwa 150 meist veralteten Schiffen
längst nicht mehr imstande, sich mit den großen Seemächten zu messen. Eine
deutsch-holländische Handelskonvention liegt so sehr im Interesse beider Länder,
daß abgebrochne Verhandlungen (von denen im vorigen Jahre Gerüchte umgingen)
über kurz oder laug doch wieder angeknüpft werden müßten. Die Küsten
Hollands, in deren Flußmündungen und Kanälen sich ganze Flotten bergen
können, die in der Seefahrt erfahrne, charaktervolle Bevölkerung, das in der
gegenwärtige» Lage natürliche Bestreben Deutschlands, den großen holländischen
Zwischenhandel in deutsche Häfen zu leiten: alles das deutet auf eine enge
Handelsverbindung hin, die durch eine Flottenkonvention geschützt werden müßte.

Solange England ein der offnen Thür für sich und andre innerhalb wie
außerhalb des britischen Reichs festhält, lüge in solcher föderativem Sicherung
der mitteleuropäischen Interessen nichts Verfängliches. Und es könnten Er¬
eignisse eintreten, die es England nahe legten, sich einer solchen Föderation
im eigensten Interesse anzuschließen. Denn wie nach Herrn Stead John Bull
der wirksam schaffende Teufel für die Errichtung der nordamerikanischen Union
gewesen ist, so kann diese Union wiederum als ein solcher Teufel für einen


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[0615] Boden gefunden, auf dem wir eine engere Verbindung mit England selbst ein- gehn könnten. Wenn wir England zu einem Vertrage auf der Grundlage auffordern, die offne Thür sowohl innerhalb der Grenzen beider Reiche zu garantieren als auch außerhalb mit geeinter Kraft zu vertreten, verletzen wir keine Interessen dritter Staaten und gewinnen für die unsrige den Schutz, den wir unter den heutigen Verhältnissen billigerweise anstreben können. Indessen kann man sich die Möglichkeit nicht verhehlen, daß England im Übermut seiner Macht den Abschluß eines solchen Vertrags unter Verleugnung seines ihm bisher „eigentümlichen" Prinzips ablehnt, Oder es kann auch kommen, daß England ihn zwar abschließt, aber im weitern Verlauf praktisch durchlöchert, worin eS von jeher eine große Geschicklichkeit gezeigt hat. Oder es kann sich ereignen, daß auf den Wellen des doch nun einmal vorwiegend englischen Elements die beiden Töpfe aneinander schlagen und der thönerne in Scherben geht. Auf solche Fülle müssen wir vorbereitet sein. Da bietet sich uns dann ein andres Prinzip dar, das föderative. Wir haben Nachbarn von verwandtem Stamme, von gleichwertiger Kultur, von gleichen wirtschaftlichen Interessen. Holland, Dänemark, Schweden-Norwegen haben das gleiche Interesse wie wir, daß ihnen die Weltmärkte nicht ver¬ schlossen werden von einer großen Seemacht. Dänemark und besonders Holland haben das andre Interesse mit uns gemeinsam, ihre Kolonien gegen die Expansivnslust großer Seemächte zu sichern. Diese beiden Interessen sind die natürliche Basis für eine wirtschaftliche Föderation, die sie vertragsmäßig zu schützen hätte. Die politische Unabhängigkeit dieser Staaten würde in keiner Weise dadurch gefährdet werden. Holland insbesondre steht unter der Garantie der Wiener Verträge und hat Kolonien von ungeheuerm Wert, mit einer kolonialen Bevölkerung von mehr als 30 Millionen, mit sehr bedeutende», Handel. Es ist mit seiner Kriegsflotte von etwa 150 meist veralteten Schiffen längst nicht mehr imstande, sich mit den großen Seemächten zu messen. Eine deutsch-holländische Handelskonvention liegt so sehr im Interesse beider Länder, daß abgebrochne Verhandlungen (von denen im vorigen Jahre Gerüchte umgingen) über kurz oder laug doch wieder angeknüpft werden müßten. Die Küsten Hollands, in deren Flußmündungen und Kanälen sich ganze Flotten bergen können, die in der Seefahrt erfahrne, charaktervolle Bevölkerung, das in der gegenwärtige» Lage natürliche Bestreben Deutschlands, den großen holländischen Zwischenhandel in deutsche Häfen zu leiten: alles das deutet auf eine enge Handelsverbindung hin, die durch eine Flottenkonvention geschützt werden müßte. Solange England ein der offnen Thür für sich und andre innerhalb wie außerhalb des britischen Reichs festhält, lüge in solcher föderativem Sicherung der mitteleuropäischen Interessen nichts Verfängliches. Und es könnten Er¬ eignisse eintreten, die es England nahe legten, sich einer solchen Föderation im eigensten Interesse anzuschließen. Denn wie nach Herrn Stead John Bull der wirksam schaffende Teufel für die Errichtung der nordamerikanischen Union gewesen ist, so kann diese Union wiederum als ein solcher Teufel für einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/615>, abgerufen am 03.07.2024.