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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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erst dann die Rede sein, wenn sich zwischen Frankreich und Rußland eine
Macht befände, die wenigstens in der Defensive so viel Kraft besäße, um beiden
zusammen genommen gewachsen zu sein," Der Mann hat ein scharfes Auge
gehabt, der das im Jahre 1859 schrieb. Frantz konnte aber damals nicht
wissen, wie England im Jahre 1900 aussehen werde, und was ihm als das
deutsche Staatensystem vorschwebte, war etwas andres als das heutige Deutsche
Reich. Das staatliche Grundprinzip, auf dem er damals und später jenes
Staatenshstem aufbauen wollte, war freilich das föderative, auf dem ja auch
Deutschland von jeher geruht hat und jetzt wieder neu errichtet worden ist.
Es ist das Prinzip, auf dem allein große Staaten, Weltreiche dauerhaft ruhen
können, wenn sie Kulturstaaten sein oder werden wollen. Insoweit hat Deutsch¬
land das Prinzip oder besser die staatliche Grundform zu einem Weltreiche.

K. Frantz meint nun weiter^) in Bezug auf die Bedingungen, die nötig
wären, um einem Staat den Charakter einer Weltmacht zu geben, daß dazu
dreierlei gehöre: "1. Eine Marine, stark genug, um an fernen Küsten einen
Eindruck hervorzubringen und die einheimische Kraft dahin übertragen zu
können; 2. eine territoriale Basis von solcher Breite, daß sie dem betreffenden
Staate durch sein bloßes Dasein einen natürlichen Einfluß auf einen ganzen
Weltteil gewährt; 3. ein eigentümliches politisches oder kirchliches Prinzip, das
der betreffende Staat in der Welt zu repräsentieren hat oder geltend machen
will. Erst die Vereinigung dieser drei Elemente bildet eine Weltmacht im
vollen Sinne des Worts."

Wenn wir diese Schablone an das neue Deutschland legen, so finden wir,
daß man in Rücksicht auf den ersten Punkt eben damit beschäftigt ist, die
Forderung einer starken Marine auf das angelegentlichste zu erörtern. Ob
wir eine deutsche Flotte bekommen werden, stark genug, eine Weltmacht darauf
zu gründen, ist schwer im voraus zu schätzen, aber angesichts der englischen
Übermacht unwahrscheinlich. Indessen darf man hoffen, daß wir uns eine der
heutigen Bedeutung Deutschlands innerhalb des kontinentalen Europa ent¬
sprechende Flotte schaffen werden, nämlich eine Flotte nicht siebenten Ranges,
wie sie jetzt ist, sondern dritten oder zweiten Ranges.

Die geforderte territoriale Basis ferner haben wir offenbar nicht. Wir
haben uns bisher selbst die engen Grenzen gezogen, indem wir die Nationalität
zum Maßstab für die Größe des Staates nahmen. Die starke nationale Basis
war zweifellos notwendig, um überhaupt zu einem Reich zu kommen, und ist
auch ferner notwendig, ob wir nun Weltmacht werden sollen oder nicht. Aber
wenn wir wachsen wollen außen wie innen, dann werden wir die nationale
Begrenzung aufgeben und andre Nationalitäten innerhalb unsrer Reichsgrenzen
als in Staat und Reich mit dem Deutschtum gleichberechtigt anerkennen müssen.
Weltpolitik kann man nicht treiben wollen, solange man den Staat zu einer
Germanisierungsanstalt von allerlei Fremden macht. Sind wir als Volk nicht



*) a. a. O. Seite 83.

erst dann die Rede sein, wenn sich zwischen Frankreich und Rußland eine
Macht befände, die wenigstens in der Defensive so viel Kraft besäße, um beiden
zusammen genommen gewachsen zu sein," Der Mann hat ein scharfes Auge
gehabt, der das im Jahre 1859 schrieb. Frantz konnte aber damals nicht
wissen, wie England im Jahre 1900 aussehen werde, und was ihm als das
deutsche Staatensystem vorschwebte, war etwas andres als das heutige Deutsche
Reich. Das staatliche Grundprinzip, auf dem er damals und später jenes
Staatenshstem aufbauen wollte, war freilich das föderative, auf dem ja auch
Deutschland von jeher geruht hat und jetzt wieder neu errichtet worden ist.
Es ist das Prinzip, auf dem allein große Staaten, Weltreiche dauerhaft ruhen
können, wenn sie Kulturstaaten sein oder werden wollen. Insoweit hat Deutsch¬
land das Prinzip oder besser die staatliche Grundform zu einem Weltreiche.

K. Frantz meint nun weiter^) in Bezug auf die Bedingungen, die nötig
wären, um einem Staat den Charakter einer Weltmacht zu geben, daß dazu
dreierlei gehöre: „1. Eine Marine, stark genug, um an fernen Küsten einen
Eindruck hervorzubringen und die einheimische Kraft dahin übertragen zu
können; 2. eine territoriale Basis von solcher Breite, daß sie dem betreffenden
Staate durch sein bloßes Dasein einen natürlichen Einfluß auf einen ganzen
Weltteil gewährt; 3. ein eigentümliches politisches oder kirchliches Prinzip, das
der betreffende Staat in der Welt zu repräsentieren hat oder geltend machen
will. Erst die Vereinigung dieser drei Elemente bildet eine Weltmacht im
vollen Sinne des Worts."

Wenn wir diese Schablone an das neue Deutschland legen, so finden wir,
daß man in Rücksicht auf den ersten Punkt eben damit beschäftigt ist, die
Forderung einer starken Marine auf das angelegentlichste zu erörtern. Ob
wir eine deutsche Flotte bekommen werden, stark genug, eine Weltmacht darauf
zu gründen, ist schwer im voraus zu schätzen, aber angesichts der englischen
Übermacht unwahrscheinlich. Indessen darf man hoffen, daß wir uns eine der
heutigen Bedeutung Deutschlands innerhalb des kontinentalen Europa ent¬
sprechende Flotte schaffen werden, nämlich eine Flotte nicht siebenten Ranges,
wie sie jetzt ist, sondern dritten oder zweiten Ranges.

Die geforderte territoriale Basis ferner haben wir offenbar nicht. Wir
haben uns bisher selbst die engen Grenzen gezogen, indem wir die Nationalität
zum Maßstab für die Größe des Staates nahmen. Die starke nationale Basis
war zweifellos notwendig, um überhaupt zu einem Reich zu kommen, und ist
auch ferner notwendig, ob wir nun Weltmacht werden sollen oder nicht. Aber
wenn wir wachsen wollen außen wie innen, dann werden wir die nationale
Begrenzung aufgeben und andre Nationalitäten innerhalb unsrer Reichsgrenzen
als in Staat und Reich mit dem Deutschtum gleichberechtigt anerkennen müssen.
Weltpolitik kann man nicht treiben wollen, solange man den Staat zu einer
Germanisierungsanstalt von allerlei Fremden macht. Sind wir als Volk nicht



*) a. a. O. Seite 83.
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[0612] erst dann die Rede sein, wenn sich zwischen Frankreich und Rußland eine Macht befände, die wenigstens in der Defensive so viel Kraft besäße, um beiden zusammen genommen gewachsen zu sein," Der Mann hat ein scharfes Auge gehabt, der das im Jahre 1859 schrieb. Frantz konnte aber damals nicht wissen, wie England im Jahre 1900 aussehen werde, und was ihm als das deutsche Staatensystem vorschwebte, war etwas andres als das heutige Deutsche Reich. Das staatliche Grundprinzip, auf dem er damals und später jenes Staatenshstem aufbauen wollte, war freilich das föderative, auf dem ja auch Deutschland von jeher geruht hat und jetzt wieder neu errichtet worden ist. Es ist das Prinzip, auf dem allein große Staaten, Weltreiche dauerhaft ruhen können, wenn sie Kulturstaaten sein oder werden wollen. Insoweit hat Deutsch¬ land das Prinzip oder besser die staatliche Grundform zu einem Weltreiche. K. Frantz meint nun weiter^) in Bezug auf die Bedingungen, die nötig wären, um einem Staat den Charakter einer Weltmacht zu geben, daß dazu dreierlei gehöre: „1. Eine Marine, stark genug, um an fernen Küsten einen Eindruck hervorzubringen und die einheimische Kraft dahin übertragen zu können; 2. eine territoriale Basis von solcher Breite, daß sie dem betreffenden Staate durch sein bloßes Dasein einen natürlichen Einfluß auf einen ganzen Weltteil gewährt; 3. ein eigentümliches politisches oder kirchliches Prinzip, das der betreffende Staat in der Welt zu repräsentieren hat oder geltend machen will. Erst die Vereinigung dieser drei Elemente bildet eine Weltmacht im vollen Sinne des Worts." Wenn wir diese Schablone an das neue Deutschland legen, so finden wir, daß man in Rücksicht auf den ersten Punkt eben damit beschäftigt ist, die Forderung einer starken Marine auf das angelegentlichste zu erörtern. Ob wir eine deutsche Flotte bekommen werden, stark genug, eine Weltmacht darauf zu gründen, ist schwer im voraus zu schätzen, aber angesichts der englischen Übermacht unwahrscheinlich. Indessen darf man hoffen, daß wir uns eine der heutigen Bedeutung Deutschlands innerhalb des kontinentalen Europa ent¬ sprechende Flotte schaffen werden, nämlich eine Flotte nicht siebenten Ranges, wie sie jetzt ist, sondern dritten oder zweiten Ranges. Die geforderte territoriale Basis ferner haben wir offenbar nicht. Wir haben uns bisher selbst die engen Grenzen gezogen, indem wir die Nationalität zum Maßstab für die Größe des Staates nahmen. Die starke nationale Basis war zweifellos notwendig, um überhaupt zu einem Reich zu kommen, und ist auch ferner notwendig, ob wir nun Weltmacht werden sollen oder nicht. Aber wenn wir wachsen wollen außen wie innen, dann werden wir die nationale Begrenzung aufgeben und andre Nationalitäten innerhalb unsrer Reichsgrenzen als in Staat und Reich mit dem Deutschtum gleichberechtigt anerkennen müssen. Weltpolitik kann man nicht treiben wollen, solange man den Staat zu einer Germanisierungsanstalt von allerlei Fremden macht. Sind wir als Volk nicht *) a. a. O. Seite 83.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/612>, abgerufen am 22.07.2024.