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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Kap und den Suezkanal, und ehe Europa ihn zwingt, sie zu öffnen, ist er
schon Herr der chinesischen Küste. Wie die europäischen Staaten heute zu
einander stehn, darf sich England alles ohne große Gefahr erlauben, lind es
ist ganz in der Lanne, sehr viel zu unternehmen. Mit der sibirischen Bahn
aber hat es für russischen Widerstand vorerst noch gute Wege.

Der englische Publizist HerrStead^) sagt: "Das Erste und Notwendigste
ist das Vorhandensein einer außerordentlichen Kraft, mächtig genug, die Eini¬
gung derer zu erzwingen, deren Existenz sie bedroht. Mit andern Worten,
um ein himmlisches Königreich zu gründen ist es nötig, daß man einen wirksam
schaffenden Teufel hat; John Bull war im achtzehnten Jahrhundert die Ver¬
körperung des Bösen, im Widerspruch wogegen die amerikanische Union ins
Leben trat."

Nun, in Wahrheit, mau kann kaum etwas Passenderes von den, England
unsers zwanzigsten Jahrhunderts sagen. Dieser Teufel schasst heute so wirksam
als nur jemals. Wenn aber Herr Stead daraus schließt, daß sich die Staaten
Europas mitsamt England zu einem Bunde vereinen sollte"?, so verkennt er
die Natur des Teufels, oder er hält die andern Staaten für lauter Engel.
Wenn sich England heute in den europäischen Sack sperren ließe, so würde es
ihn morgen zerreißen, nachdem es einige mit eingesperrte Engel erwürgt hätte.
England ist zu groß für einen europäischen Sack, und es gebärdet sich gerade
gegenwärtig so, daß an ein Znsmumcngehn mit dem Kontinent fürs erste nicht
zu denken ist. Der kommerziell-gewaltthntige Charakter der Engländer hat sich
in den letzten Jahrzehnten zum Jingo gesteigert, diesem krankhaft angeschwollncn
nationalen Hochmut, für den wir zum Glück bisher kein deutsches Wort brauchten.
Und das Jingo hat im Imperialismus ein Ideal gefunden, das seiner Ma߬
losigkeit ganz entspricht. Die Welt soll englisch oder doch angelsächsisch
werden, das ist das Ziel, das vielen in England ganz ernstlich vorschwebt,
und für dessen Erreichbarkeit auch die beweisenden Zahlen bei der Hand sind.
Diese Idee stützt sich auf die reißende Verbreitung der englischen Sprache in
allen Weltteilen, auf die Machtstellung der angelsächsischen Nasse und auf das
civis L-omanus sum, mit dem der Engländer auf alles Nichtenglische herabblickt.
Diese Idee hat weite Kreise ergriffen, hat ihre Presse zur Verfügung und ihre
Anhänger bis hinauf in das Kabinett. Diese Idee hat sogar die Kirche er¬
griffen und ist dort in die Propaganda für ein "englisches Christentum" um¬
gesetzt worden. Es ist wie ein religiös-politischer Eifer im Geist der .Kreuz¬
züge in diese kalten, besonnenen Kaufleute gefahren. Und ist man erst ans
der von englischen Kirchenhäuptern gepredigten Platform angelangt, diese
Unterwerfung aller niedern Rassen -- und welches andre Volk gehörte nicht
dazu nach englischer Anschauung? -- als eine göttliche Mission Englands zu
betrachten -- nun, dann folgt alles andre ebenso wie bei andern göttlichen
Missionen, und Torquemada, Peter Arbnez, die Verbrennung Crcmmers und



") Ahmt, rio Unitsä Ltlttss ok Ku,wxo, 1899, S. 27.

Kap und den Suezkanal, und ehe Europa ihn zwingt, sie zu öffnen, ist er
schon Herr der chinesischen Küste. Wie die europäischen Staaten heute zu
einander stehn, darf sich England alles ohne große Gefahr erlauben, lind es
ist ganz in der Lanne, sehr viel zu unternehmen. Mit der sibirischen Bahn
aber hat es für russischen Widerstand vorerst noch gute Wege.

Der englische Publizist HerrStead^) sagt: „Das Erste und Notwendigste
ist das Vorhandensein einer außerordentlichen Kraft, mächtig genug, die Eini¬
gung derer zu erzwingen, deren Existenz sie bedroht. Mit andern Worten,
um ein himmlisches Königreich zu gründen ist es nötig, daß man einen wirksam
schaffenden Teufel hat; John Bull war im achtzehnten Jahrhundert die Ver¬
körperung des Bösen, im Widerspruch wogegen die amerikanische Union ins
Leben trat."

Nun, in Wahrheit, mau kann kaum etwas Passenderes von den, England
unsers zwanzigsten Jahrhunderts sagen. Dieser Teufel schasst heute so wirksam
als nur jemals. Wenn aber Herr Stead daraus schließt, daß sich die Staaten
Europas mitsamt England zu einem Bunde vereinen sollte»?, so verkennt er
die Natur des Teufels, oder er hält die andern Staaten für lauter Engel.
Wenn sich England heute in den europäischen Sack sperren ließe, so würde es
ihn morgen zerreißen, nachdem es einige mit eingesperrte Engel erwürgt hätte.
England ist zu groß für einen europäischen Sack, und es gebärdet sich gerade
gegenwärtig so, daß an ein Znsmumcngehn mit dem Kontinent fürs erste nicht
zu denken ist. Der kommerziell-gewaltthntige Charakter der Engländer hat sich
in den letzten Jahrzehnten zum Jingo gesteigert, diesem krankhaft angeschwollncn
nationalen Hochmut, für den wir zum Glück bisher kein deutsches Wort brauchten.
Und das Jingo hat im Imperialismus ein Ideal gefunden, das seiner Ma߬
losigkeit ganz entspricht. Die Welt soll englisch oder doch angelsächsisch
werden, das ist das Ziel, das vielen in England ganz ernstlich vorschwebt,
und für dessen Erreichbarkeit auch die beweisenden Zahlen bei der Hand sind.
Diese Idee stützt sich auf die reißende Verbreitung der englischen Sprache in
allen Weltteilen, auf die Machtstellung der angelsächsischen Nasse und auf das
civis L-omanus sum, mit dem der Engländer auf alles Nichtenglische herabblickt.
Diese Idee hat weite Kreise ergriffen, hat ihre Presse zur Verfügung und ihre
Anhänger bis hinauf in das Kabinett. Diese Idee hat sogar die Kirche er¬
griffen und ist dort in die Propaganda für ein „englisches Christentum" um¬
gesetzt worden. Es ist wie ein religiös-politischer Eifer im Geist der .Kreuz¬
züge in diese kalten, besonnenen Kaufleute gefahren. Und ist man erst ans
der von englischen Kirchenhäuptern gepredigten Platform angelangt, diese
Unterwerfung aller niedern Rassen — und welches andre Volk gehörte nicht
dazu nach englischer Anschauung? — als eine göttliche Mission Englands zu
betrachten — nun, dann folgt alles andre ebenso wie bei andern göttlichen
Missionen, und Torquemada, Peter Arbnez, die Verbrennung Crcmmers und



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[0610] Kap und den Suezkanal, und ehe Europa ihn zwingt, sie zu öffnen, ist er schon Herr der chinesischen Küste. Wie die europäischen Staaten heute zu einander stehn, darf sich England alles ohne große Gefahr erlauben, lind es ist ganz in der Lanne, sehr viel zu unternehmen. Mit der sibirischen Bahn aber hat es für russischen Widerstand vorerst noch gute Wege. Der englische Publizist HerrStead^) sagt: „Das Erste und Notwendigste ist das Vorhandensein einer außerordentlichen Kraft, mächtig genug, die Eini¬ gung derer zu erzwingen, deren Existenz sie bedroht. Mit andern Worten, um ein himmlisches Königreich zu gründen ist es nötig, daß man einen wirksam schaffenden Teufel hat; John Bull war im achtzehnten Jahrhundert die Ver¬ körperung des Bösen, im Widerspruch wogegen die amerikanische Union ins Leben trat." Nun, in Wahrheit, mau kann kaum etwas Passenderes von den, England unsers zwanzigsten Jahrhunderts sagen. Dieser Teufel schasst heute so wirksam als nur jemals. Wenn aber Herr Stead daraus schließt, daß sich die Staaten Europas mitsamt England zu einem Bunde vereinen sollte»?, so verkennt er die Natur des Teufels, oder er hält die andern Staaten für lauter Engel. Wenn sich England heute in den europäischen Sack sperren ließe, so würde es ihn morgen zerreißen, nachdem es einige mit eingesperrte Engel erwürgt hätte. England ist zu groß für einen europäischen Sack, und es gebärdet sich gerade gegenwärtig so, daß an ein Znsmumcngehn mit dem Kontinent fürs erste nicht zu denken ist. Der kommerziell-gewaltthntige Charakter der Engländer hat sich in den letzten Jahrzehnten zum Jingo gesteigert, diesem krankhaft angeschwollncn nationalen Hochmut, für den wir zum Glück bisher kein deutsches Wort brauchten. Und das Jingo hat im Imperialismus ein Ideal gefunden, das seiner Ma߬ losigkeit ganz entspricht. Die Welt soll englisch oder doch angelsächsisch werden, das ist das Ziel, das vielen in England ganz ernstlich vorschwebt, und für dessen Erreichbarkeit auch die beweisenden Zahlen bei der Hand sind. Diese Idee stützt sich auf die reißende Verbreitung der englischen Sprache in allen Weltteilen, auf die Machtstellung der angelsächsischen Nasse und auf das civis L-omanus sum, mit dem der Engländer auf alles Nichtenglische herabblickt. Diese Idee hat weite Kreise ergriffen, hat ihre Presse zur Verfügung und ihre Anhänger bis hinauf in das Kabinett. Diese Idee hat sogar die Kirche er¬ griffen und ist dort in die Propaganda für ein „englisches Christentum" um¬ gesetzt worden. Es ist wie ein religiös-politischer Eifer im Geist der .Kreuz¬ züge in diese kalten, besonnenen Kaufleute gefahren. Und ist man erst ans der von englischen Kirchenhäuptern gepredigten Platform angelangt, diese Unterwerfung aller niedern Rassen — und welches andre Volk gehörte nicht dazu nach englischer Anschauung? — als eine göttliche Mission Englands zu betrachten — nun, dann folgt alles andre ebenso wie bei andern göttlichen Missionen, und Torquemada, Peter Arbnez, die Verbrennung Crcmmers und ») Ahmt, rio Unitsä Ltlttss ok Ku,wxo, 1899, S. 27.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/610>, abgerufen am 22.07.2024.