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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Lavater in Dänemark

Man bat den Apostel, der an seine Abreise dachte, noch länger zu bleiben,
und mochte er sich auch anfangs sträuben, den Thränen der Gräfin Julie
konnte er nicht widerstehn. Man gewann indessen nur einen Tag, An diesem
nahm Lavater mit seineu Getreuen gemeinsam das Abendmahl, sprach sich noch
einmal mit Cajus Reventlow aus, schrieb einen Vers in dessen Stammbuch,
schloß mit ihm Duzfreundschaft und nahm das zur Heimreise erforderliche Reise¬
geld in Empfang, Am Abend traf er, von Casus, Passavnnt und Katharine
Stolberg begleitet, in Hamburg ein. Kaum war er hier im Hause der Rudolphi,
seiner neuen Bekanntschaft, abgestiegen, so erschien Klopstocks Frau, die Win-
deme, und bat ihn himmelhoch, er möge 5Aopstock besuchen und sich nicht durch
dessen Heftigkeit aus der Fassung bringen lassen, Lavater, der schon in Wcmds-
beck erfahren hatte, daß der böse Feind, der das Unkraut in den Weizen von
Klopstocks milderer Denkungsart gesät hatte, kein andrer als der auch sonst
durch seine Ränke bekannte und gefürchtete Kapellmeister Reichardt war, nahm
die dargebotne Hand an, und nnn kam eine Unterredung zwischen beiden
Männern zustande, die Lavater ziemlich wörtlich in seinem Tagebuch wieder¬
gegeben hat. Er fand den Dichter sehr gealtert, er stand steif da, wie wenn
er sagen wollte: Nun, wie wollen wir nun anfangen? Als dann Lavater eine
Umarmung vorgeschlagen hatte und diese vollzogen war, begann die Aussprache,
die zu einer vollkommnen Nerstäudigung führte. Klopstock erkannte, daß sein
Groll durch Mißverständnisse herbeigeführt war, an denen zum Teil anch
Freund Baggesen schuld war, und beide schieden nach abermaliger Umarmung
in Frieden und Freundschaft. Am nächste!? Tage wurde nnter anderm noch
Melas Grab besucht, die üblichen Stammbuchblätter geschrieben, dann bestiegen
die beiden Reisenden mit großem Gefolge ein Schiff und rollten später ans
dem Reisewagen der Heimat zu.

Lavaters Verbindung mit den nordischen Freunden dauerte auch nach
seiner Heimkehr noch fort. Zwar schied Verustorsf schon 1797 aus dem Leben,
aber seine Witwe und der Prinz von Hessen setzten den brieflichen Verkehr
mit dem Schweizer Freunde fort. Ja bei diesem wurde der Glaube an die
übernatürlichen Kräfte der nordischen Seher jetzt erst recht lebendig, und selbst
ein offenbarer Betrug, dessen Opfer er geworden war, konnte ihn nicht irre
machen. Wiederholt wandte er sich mit Fragen an das nordische Orakel und
glaubte sogar den Versicherungen des Prinzen von Hessen, daß Christi Jünger
Johannes von seiner Wanderung dnrch den Norden demnächst auch bei ihm
Einkehr halten werde. Noch auf seinem Schmerzenslager, auf das ihn die
Kugel eines französischen Soldaten, den ,er eben noch mit Speise und Trank
erquickt hatte, meuchlings geworfen hatten, gab er in einem Schreiben an den
Prinzen dieser seiner Sehnsucht Ausdruck. Johannes kam nicht. Dafür er¬
schien ein andrer Bote aus dem Gottesreich, der bei allen Menschenkindern,
Gläubigen wie Ungläubigen, einmal einkehrt, der Tod. Am Neujahrstage 1801
wurde Lavater von seinen Leiden erlöst.


F. Anntze


Lavater in Dänemark

Man bat den Apostel, der an seine Abreise dachte, noch länger zu bleiben,
und mochte er sich auch anfangs sträuben, den Thränen der Gräfin Julie
konnte er nicht widerstehn. Man gewann indessen nur einen Tag, An diesem
nahm Lavater mit seineu Getreuen gemeinsam das Abendmahl, sprach sich noch
einmal mit Cajus Reventlow aus, schrieb einen Vers in dessen Stammbuch,
schloß mit ihm Duzfreundschaft und nahm das zur Heimreise erforderliche Reise¬
geld in Empfang, Am Abend traf er, von Casus, Passavnnt und Katharine
Stolberg begleitet, in Hamburg ein. Kaum war er hier im Hause der Rudolphi,
seiner neuen Bekanntschaft, abgestiegen, so erschien Klopstocks Frau, die Win-
deme, und bat ihn himmelhoch, er möge 5Aopstock besuchen und sich nicht durch
dessen Heftigkeit aus der Fassung bringen lassen, Lavater, der schon in Wcmds-
beck erfahren hatte, daß der böse Feind, der das Unkraut in den Weizen von
Klopstocks milderer Denkungsart gesät hatte, kein andrer als der auch sonst
durch seine Ränke bekannte und gefürchtete Kapellmeister Reichardt war, nahm
die dargebotne Hand an, und nnn kam eine Unterredung zwischen beiden
Männern zustande, die Lavater ziemlich wörtlich in seinem Tagebuch wieder¬
gegeben hat. Er fand den Dichter sehr gealtert, er stand steif da, wie wenn
er sagen wollte: Nun, wie wollen wir nun anfangen? Als dann Lavater eine
Umarmung vorgeschlagen hatte und diese vollzogen war, begann die Aussprache,
die zu einer vollkommnen Nerstäudigung führte. Klopstock erkannte, daß sein
Groll durch Mißverständnisse herbeigeführt war, an denen zum Teil anch
Freund Baggesen schuld war, und beide schieden nach abermaliger Umarmung
in Frieden und Freundschaft. Am nächste!? Tage wurde nnter anderm noch
Melas Grab besucht, die üblichen Stammbuchblätter geschrieben, dann bestiegen
die beiden Reisenden mit großem Gefolge ein Schiff und rollten später ans
dem Reisewagen der Heimat zu.

Lavaters Verbindung mit den nordischen Freunden dauerte auch nach
seiner Heimkehr noch fort. Zwar schied Verustorsf schon 1797 aus dem Leben,
aber seine Witwe und der Prinz von Hessen setzten den brieflichen Verkehr
mit dem Schweizer Freunde fort. Ja bei diesem wurde der Glaube an die
übernatürlichen Kräfte der nordischen Seher jetzt erst recht lebendig, und selbst
ein offenbarer Betrug, dessen Opfer er geworden war, konnte ihn nicht irre
machen. Wiederholt wandte er sich mit Fragen an das nordische Orakel und
glaubte sogar den Versicherungen des Prinzen von Hessen, daß Christi Jünger
Johannes von seiner Wanderung dnrch den Norden demnächst auch bei ihm
Einkehr halten werde. Noch auf seinem Schmerzenslager, auf das ihn die
Kugel eines französischen Soldaten, den ,er eben noch mit Speise und Trank
erquickt hatte, meuchlings geworfen hatten, gab er in einem Schreiben an den
Prinzen dieser seiner Sehnsucht Ausdruck. Johannes kam nicht. Dafür er¬
schien ein andrer Bote aus dem Gottesreich, der bei allen Menschenkindern,
Gläubigen wie Ungläubigen, einmal einkehrt, der Tod. Am Neujahrstage 1801
wurde Lavater von seinen Leiden erlöst.


F. Anntze


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[0599] Lavater in Dänemark Man bat den Apostel, der an seine Abreise dachte, noch länger zu bleiben, und mochte er sich auch anfangs sträuben, den Thränen der Gräfin Julie konnte er nicht widerstehn. Man gewann indessen nur einen Tag, An diesem nahm Lavater mit seineu Getreuen gemeinsam das Abendmahl, sprach sich noch einmal mit Cajus Reventlow aus, schrieb einen Vers in dessen Stammbuch, schloß mit ihm Duzfreundschaft und nahm das zur Heimreise erforderliche Reise¬ geld in Empfang, Am Abend traf er, von Casus, Passavnnt und Katharine Stolberg begleitet, in Hamburg ein. Kaum war er hier im Hause der Rudolphi, seiner neuen Bekanntschaft, abgestiegen, so erschien Klopstocks Frau, die Win- deme, und bat ihn himmelhoch, er möge 5Aopstock besuchen und sich nicht durch dessen Heftigkeit aus der Fassung bringen lassen, Lavater, der schon in Wcmds- beck erfahren hatte, daß der böse Feind, der das Unkraut in den Weizen von Klopstocks milderer Denkungsart gesät hatte, kein andrer als der auch sonst durch seine Ränke bekannte und gefürchtete Kapellmeister Reichardt war, nahm die dargebotne Hand an, und nnn kam eine Unterredung zwischen beiden Männern zustande, die Lavater ziemlich wörtlich in seinem Tagebuch wieder¬ gegeben hat. Er fand den Dichter sehr gealtert, er stand steif da, wie wenn er sagen wollte: Nun, wie wollen wir nun anfangen? Als dann Lavater eine Umarmung vorgeschlagen hatte und diese vollzogen war, begann die Aussprache, die zu einer vollkommnen Nerstäudigung führte. Klopstock erkannte, daß sein Groll durch Mißverständnisse herbeigeführt war, an denen zum Teil anch Freund Baggesen schuld war, und beide schieden nach abermaliger Umarmung in Frieden und Freundschaft. Am nächste!? Tage wurde nnter anderm noch Melas Grab besucht, die üblichen Stammbuchblätter geschrieben, dann bestiegen die beiden Reisenden mit großem Gefolge ein Schiff und rollten später ans dem Reisewagen der Heimat zu. Lavaters Verbindung mit den nordischen Freunden dauerte auch nach seiner Heimkehr noch fort. Zwar schied Verustorsf schon 1797 aus dem Leben, aber seine Witwe und der Prinz von Hessen setzten den brieflichen Verkehr mit dem Schweizer Freunde fort. Ja bei diesem wurde der Glaube an die übernatürlichen Kräfte der nordischen Seher jetzt erst recht lebendig, und selbst ein offenbarer Betrug, dessen Opfer er geworden war, konnte ihn nicht irre machen. Wiederholt wandte er sich mit Fragen an das nordische Orakel und glaubte sogar den Versicherungen des Prinzen von Hessen, daß Christi Jünger Johannes von seiner Wanderung dnrch den Norden demnächst auch bei ihm Einkehr halten werde. Noch auf seinem Schmerzenslager, auf das ihn die Kugel eines französischen Soldaten, den ,er eben noch mit Speise und Trank erquickt hatte, meuchlings geworfen hatten, gab er in einem Schreiben an den Prinzen dieser seiner Sehnsucht Ausdruck. Johannes kam nicht. Dafür er¬ schien ein andrer Bote aus dem Gottesreich, der bei allen Menschenkindern, Gläubigen wie Ungläubigen, einmal einkehrt, der Tod. Am Neujahrstage 1801 wurde Lavater von seinen Leiden erlöst. F. Anntze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/599>, abgerufen am 08.01.2025.