Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.Lavator in Dänemark ihm doch geistig immer verbunden fühlte und noch als altere Frau einen Brief In Weimar fand Lavater die Herzogin veredelt und verjüngt, Herder war Claudius, der Wandsbecker Bote, lag fieberkrank im Bette, als Lavater Grenz boten I I 1900 74
Lavator in Dänemark ihm doch geistig immer verbunden fühlte und noch als altere Frau einen Brief In Weimar fand Lavater die Herzogin veredelt und verjüngt, Herder war Claudius, der Wandsbecker Bote, lag fieberkrank im Bette, als Lavater Grenz boten I I 1900 74
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Lavator in Dänemark
ihm doch geistig immer verbunden fühlte und noch als altere Frau einen Brief
an ihn richtete, worin sie den Abtrünnigen zur Rückkehr zum wahren Glauben
aufforderte. Mit dem Grafen Peter Andreas Bernstorff war sie seit 1783
vermählt, sie war in dieser Ehe die Nachfolgerin ihrer Schwester Henriette.
Sie lud den Schweizer Propheten ein nach Dänemark zu kommen, indem sie
zugleich für die Reisekosten zu sorgen versprach. Nach weiteren brieflichem Ge¬
dankenaustausch, an dem sich auch der Graf Vernstorff und der Landgraf be¬
teiligten, zeigte sich denn auch Lavater willig, aus die Einladung einzugehn.
Den 20. Mai 1793 trat er, von seiner Tochter Reinette (nette), der nach¬
maligen Gattin des Züricher Pfarrers Geßner, begleitet, die weite Reise an.
Es ging über Lindau, Augsburg, Donauwörth, durch Thüringen nach Jena,
von da nach Weimar, weiter über Erfurt, Langensalza, Hildesheim, Hannover
nach Hamburg. Überall wurden Bekanntschaften erneuert und Besuche gemacht:
in Donauwörth bei dem bekannten Mystiker Salier, nachmaligen Bischof von
Regensburg, der vou den Protestanten für einen Jesuiten, von den Katholiken
für einen Abtrünnigen ausgegeben wurde, in Köstritz bei dem geistesverwandten
durch musterhafte Frömmigkeit hervorragenden gräflich Reußischcn Ehepaar, in
Jena bei Wielands Schwiegersohn, dem Philosophen Reinhold, den Lavater
schon vor Jahren dnrch Baggesens Vermittlung kennen gelernt hatte, und dem
er später die Professur in Kiel verschaffte. Schiller war, wie wir wissen,
damals noch leidend, aber Charlotte vergoß Freudenthränen, als sie den
Heiligen unvermutet wiedersah, dein sie zuerst auf ihrer Schweizerreise be¬
gegnet war.
In Weimar fand Lavater die Herzogin veredelt und verjüngt, Herder war
kühl und zurückhaltend und wünschte in einem vertraulichen Briefe an einen
Freund dem Gaste eine glückliche Reise und guten Mut, sich und die Welt bis
an sein seliges Ende zu betrügen. Aber Wieland, wahrscheinlich von Reinhold
beeinflußt, war entzückt von der Liebenswürdigkeit des Gastes, schloß einen
Seelenpakt mit ihm und bekannte sich — seltsam genug — unumwunden zu
dessen Religion. Goethe war derzeit abwesend, er weilte mit dem Herzog im
deutschen BelagernngSheere vor Mainz, äußerte sich aber nach seiner Rückkehr
über deu einst so höchlich bewunderten Freund seiner Jugendjnhre recht ab¬
füllig, indem er namentlich über das unnatürliche Bündnis spottete, das der
Wunderglaube mit der Modephilosophie — Reinhold war bekanntlich Kan¬
tianer — geschlossen zu haben schien. In Erfurt wurde der aus Schillers
Lebensgeschichte bekannte Koadjntvr Dalberg besucht, bei dem damals der fran¬
zösische Encyklopädist weilte, in Hannover ein Landsmann begrüßt, der
berühmte königliche Leibarzt Zinunermann,' und als sich bald darauf der Wagen
der beiden Reisende» durch die Lüneburger Heide wand, begegnete ihnen
Baggesm, der mit seiner Gattin in die Schweiz reiste und den Freund, dem
er damals noch ans vollster Seele zugethan war, nach dessen Rückkehr im
August in Zürich wiedersah. In Hamburg war Klopstock für Lavater „nicht
zu sprechen, weil er sich getränkt fühlte durch dessen ihm hinterbrachte Äuße¬
rungen über seine Stellung zur französischen Revolution, dafür machte der
Züricher Prophet die Bekanntschaft von Christine Reimarus, der nachmaligen
Gattin des französischen Diplomaten Grafen Reinhard, die spater erklärte, daß
sie anstatt des erwarteten handauflegenden und segnenden Propheten einen ältern
ehrwürdigen Manu gefunden habe, aber seine bedeutenden und klugen Gespräche
mit dem Unsinn seiner Schriften nicht recht in Einklang zu bringen wüßte.
Claudius, der Wandsbecker Bote, lag fieberkrank im Bette, als Lavater
das Städtchen passierte, aber in Tremsbüttel erwartete ihn der alte Freund
Grenz boten I I 1900 74
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