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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die Blüte und der verfall der holländischen Seemacht

Im Jahre 1648 wurde zu Münster zwischen Spanien und den Nieder¬
landen Frieden geschlossen. Der Krieg um Glauben und Freiheit war sieg¬
reich beendet. Was erwarteten die holländischen Regenten nicht erst alles vom
Frieden für die Blüte des Handels! Fielen doch alle die Kriegslasten und
ein großer Teil der Ausgaben für das Heer weg, zu denen sich der Kaufmann
nur widerstrebend entschloß. Wie unbequem diesen Kreisen schon längere Zeit
der Krieg gewesen war, das bezeugt ganz unzweideutig ein Wort de la Courts,
des engen Freundes und politischen Vertrauten Jau de Wilts: "Besser ein
Friede mit Beschwerlichkeit, als ein Krieg mit eitel Gerechtigkeit." Ein andrer
Freund variierte dasselbe Thema in dem bekannten: "Friede in unsern Tagen
und Friede überall, weil unsre Kommerzien überall hingehn." Die Parole
des Amsterdamer Welthandels aber betonte es am schärfsten: "Friede mit
jedermann, Friede um jeden Preis." Unumwunden trat nach dein Friedens-
schlusse in den regierenden kaufmännischen Kreisen die Scheu vor Geldauf-
wendungen, die klägliche politische Feigheit hervor, die bisher uoch immer durch
die Kriegsbegeisterung der Massen zum Schweigen gebracht worden waren.
In schimpflicher Fricdcnsseligkcit suchte sich der holländische Kaufmann seinen
Platz und sein Ansehen zwischen Nationen zu wahren, die zu Lande die eine,
zur See die andre nach der Weltherrschaft zu trachten begannen. Was wollten
denn aber überhaupt seine Ansprüche ans Berücksichtigung seiner selbstgewählten
Neutralität, auf ein Monopol der Beherrschung der Meere und des Koloninl-
handels bedeuten, wenn seine elende Sparsamkeit, seine politische Unfähigkeit,
besserer Einsicht unzugänglich, die Abrüstung durchsetzte? Die Festungsbarrierc,
die jetzt gegen Frankreich hätte schützen müssen, wie sie früher das Bollwerk
gegen Spanien gewesen war, ließ man verfallen, trotz der drohenden Fort¬
schritte des französischen Gegners. Aber noch blieb die Flotte zum Schutz
gegen den Feind, den der holländische Kaufmann als seineu gefährlichsten
Rivalen ansehen mußte, gegen England! In, die Flotte, dieser Grundpfeiler
der ganzen Handelsblüte, die Flotte, die ihm die Welt erobert hatte, die ihm
allein den sichern Besitz des Welthandels und die freie Fahrt auf allen Meeren
sichern konnte, diese Flotte wurde ebenfalls vernachlässigt. Unglaublich erscheint
es, mit welcher Kurzsichtigkeit sich Holland selbst dem Verderben auslieferte.
Sogleich nach dem Friedensschlüsse wurde die Zahl der regulären Kriegsschiffe,
die 130 bis 150 betragen hatte, auf 40 hinabgesetzt, die Mannschaft wurde
entlöhnt bis auf die gnr uicht zu entbehrenden Menschen für die in Dienst
bleibenden Schiffe; technische Verbesserungen unterblieben. Wozu mich Aus¬
gaben machen? Man war ja Herr der Meere, man lebte ja in Frieden mit
den Nachbarn! Viel kostbares Personal trat damals in fremde Dienste.

Allerdings wurde dem holländischen Kaufmann und dem Leiter des Staats
Jan de Witt unbehaglich, wenn sich ihr Blick ans die emporstrebende Seemacht
Englands lenkte, die nicht gewillt schien, ehrfurchtsvoll Halt zu machen vor
holländischen Monopolen. Jetzt zerbrachen die alten Grundlagen des handels¬
politischen Verhältnisses zwischen beiden Mächten. Schon seit der Mitte des


Die Blüte und der verfall der holländischen Seemacht

Im Jahre 1648 wurde zu Münster zwischen Spanien und den Nieder¬
landen Frieden geschlossen. Der Krieg um Glauben und Freiheit war sieg¬
reich beendet. Was erwarteten die holländischen Regenten nicht erst alles vom
Frieden für die Blüte des Handels! Fielen doch alle die Kriegslasten und
ein großer Teil der Ausgaben für das Heer weg, zu denen sich der Kaufmann
nur widerstrebend entschloß. Wie unbequem diesen Kreisen schon längere Zeit
der Krieg gewesen war, das bezeugt ganz unzweideutig ein Wort de la Courts,
des engen Freundes und politischen Vertrauten Jau de Wilts: „Besser ein
Friede mit Beschwerlichkeit, als ein Krieg mit eitel Gerechtigkeit." Ein andrer
Freund variierte dasselbe Thema in dem bekannten: „Friede in unsern Tagen
und Friede überall, weil unsre Kommerzien überall hingehn." Die Parole
des Amsterdamer Welthandels aber betonte es am schärfsten: „Friede mit
jedermann, Friede um jeden Preis." Unumwunden trat nach dein Friedens-
schlusse in den regierenden kaufmännischen Kreisen die Scheu vor Geldauf-
wendungen, die klägliche politische Feigheit hervor, die bisher uoch immer durch
die Kriegsbegeisterung der Massen zum Schweigen gebracht worden waren.
In schimpflicher Fricdcnsseligkcit suchte sich der holländische Kaufmann seinen
Platz und sein Ansehen zwischen Nationen zu wahren, die zu Lande die eine,
zur See die andre nach der Weltherrschaft zu trachten begannen. Was wollten
denn aber überhaupt seine Ansprüche ans Berücksichtigung seiner selbstgewählten
Neutralität, auf ein Monopol der Beherrschung der Meere und des Koloninl-
handels bedeuten, wenn seine elende Sparsamkeit, seine politische Unfähigkeit,
besserer Einsicht unzugänglich, die Abrüstung durchsetzte? Die Festungsbarrierc,
die jetzt gegen Frankreich hätte schützen müssen, wie sie früher das Bollwerk
gegen Spanien gewesen war, ließ man verfallen, trotz der drohenden Fort¬
schritte des französischen Gegners. Aber noch blieb die Flotte zum Schutz
gegen den Feind, den der holländische Kaufmann als seineu gefährlichsten
Rivalen ansehen mußte, gegen England! In, die Flotte, dieser Grundpfeiler
der ganzen Handelsblüte, die Flotte, die ihm die Welt erobert hatte, die ihm
allein den sichern Besitz des Welthandels und die freie Fahrt auf allen Meeren
sichern konnte, diese Flotte wurde ebenfalls vernachlässigt. Unglaublich erscheint
es, mit welcher Kurzsichtigkeit sich Holland selbst dem Verderben auslieferte.
Sogleich nach dem Friedensschlüsse wurde die Zahl der regulären Kriegsschiffe,
die 130 bis 150 betragen hatte, auf 40 hinabgesetzt, die Mannschaft wurde
entlöhnt bis auf die gnr uicht zu entbehrenden Menschen für die in Dienst
bleibenden Schiffe; technische Verbesserungen unterblieben. Wozu mich Aus¬
gaben machen? Man war ja Herr der Meere, man lebte ja in Frieden mit
den Nachbarn! Viel kostbares Personal trat damals in fremde Dienste.

Allerdings wurde dem holländischen Kaufmann und dem Leiter des Staats
Jan de Witt unbehaglich, wenn sich ihr Blick ans die emporstrebende Seemacht
Englands lenkte, die nicht gewillt schien, ehrfurchtsvoll Halt zu machen vor
holländischen Monopolen. Jetzt zerbrachen die alten Grundlagen des handels¬
politischen Verhältnisses zwischen beiden Mächten. Schon seit der Mitte des


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[0579] Die Blüte und der verfall der holländischen Seemacht Im Jahre 1648 wurde zu Münster zwischen Spanien und den Nieder¬ landen Frieden geschlossen. Der Krieg um Glauben und Freiheit war sieg¬ reich beendet. Was erwarteten die holländischen Regenten nicht erst alles vom Frieden für die Blüte des Handels! Fielen doch alle die Kriegslasten und ein großer Teil der Ausgaben für das Heer weg, zu denen sich der Kaufmann nur widerstrebend entschloß. Wie unbequem diesen Kreisen schon längere Zeit der Krieg gewesen war, das bezeugt ganz unzweideutig ein Wort de la Courts, des engen Freundes und politischen Vertrauten Jau de Wilts: „Besser ein Friede mit Beschwerlichkeit, als ein Krieg mit eitel Gerechtigkeit." Ein andrer Freund variierte dasselbe Thema in dem bekannten: „Friede in unsern Tagen und Friede überall, weil unsre Kommerzien überall hingehn." Die Parole des Amsterdamer Welthandels aber betonte es am schärfsten: „Friede mit jedermann, Friede um jeden Preis." Unumwunden trat nach dein Friedens- schlusse in den regierenden kaufmännischen Kreisen die Scheu vor Geldauf- wendungen, die klägliche politische Feigheit hervor, die bisher uoch immer durch die Kriegsbegeisterung der Massen zum Schweigen gebracht worden waren. In schimpflicher Fricdcnsseligkcit suchte sich der holländische Kaufmann seinen Platz und sein Ansehen zwischen Nationen zu wahren, die zu Lande die eine, zur See die andre nach der Weltherrschaft zu trachten begannen. Was wollten denn aber überhaupt seine Ansprüche ans Berücksichtigung seiner selbstgewählten Neutralität, auf ein Monopol der Beherrschung der Meere und des Koloninl- handels bedeuten, wenn seine elende Sparsamkeit, seine politische Unfähigkeit, besserer Einsicht unzugänglich, die Abrüstung durchsetzte? Die Festungsbarrierc, die jetzt gegen Frankreich hätte schützen müssen, wie sie früher das Bollwerk gegen Spanien gewesen war, ließ man verfallen, trotz der drohenden Fort¬ schritte des französischen Gegners. Aber noch blieb die Flotte zum Schutz gegen den Feind, den der holländische Kaufmann als seineu gefährlichsten Rivalen ansehen mußte, gegen England! In, die Flotte, dieser Grundpfeiler der ganzen Handelsblüte, die Flotte, die ihm die Welt erobert hatte, die ihm allein den sichern Besitz des Welthandels und die freie Fahrt auf allen Meeren sichern konnte, diese Flotte wurde ebenfalls vernachlässigt. Unglaublich erscheint es, mit welcher Kurzsichtigkeit sich Holland selbst dem Verderben auslieferte. Sogleich nach dem Friedensschlüsse wurde die Zahl der regulären Kriegsschiffe, die 130 bis 150 betragen hatte, auf 40 hinabgesetzt, die Mannschaft wurde entlöhnt bis auf die gnr uicht zu entbehrenden Menschen für die in Dienst bleibenden Schiffe; technische Verbesserungen unterblieben. Wozu mich Aus¬ gaben machen? Man war ja Herr der Meere, man lebte ja in Frieden mit den Nachbarn! Viel kostbares Personal trat damals in fremde Dienste. Allerdings wurde dem holländischen Kaufmann und dem Leiter des Staats Jan de Witt unbehaglich, wenn sich ihr Blick ans die emporstrebende Seemacht Englands lenkte, die nicht gewillt schien, ehrfurchtsvoll Halt zu machen vor holländischen Monopolen. Jetzt zerbrachen die alten Grundlagen des handels¬ politischen Verhältnisses zwischen beiden Mächten. Schon seit der Mitte des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/579>, abgerufen am 02.10.2024.