Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Blüte und der verfall der holländischen Seemacht

jährlich für Holland fast eine Million Gulden betrug, wirft doch auch ein Licht
auf einen Handel, der solche Verluste ohne Störung tragen konnte.

Gerade diese Periode des achtzigjähriger Ringens mit Spanien ist die
Zeit der gewaltigsten Ausbreitung, der Höhepunkt der niederländischen Lei¬
stungen in Handel und Schiffahrt geworden. Nie wieder hat ein Volk ein so
unzweifelhaftes Übergewicht im Welthandel und in der Reederei behauptet,
wie die Niederlande gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Und
Colbert übertreibt vielleicht gar nicht, wenn er vier Fünftel der ganzen euro¬
päischen Marine den Holländern zuschreibt. Alle nationalökonomischen Schriften
dieser Zeit sind denn auch voll des Lobes über die Segnungen von Handel
und Schiffahrt und vergessen nicht, unter den Gründen für diese wunderbare
Blüte auch das Vorhandensein einer tüchtigen, schlagfertigen Kriegsflotte
hervorzuheben. Allerdings würde der holländische Seehandel nicht im ent¬
ferntesten vermocht haben, sich zu solcher Überlegenheit emporzuschwingen, wenn
nicht während dieser ganzen Zeit mächtige Schlachtflotten und Kreuzer im
Kanal vor den heimischen Küsten wie auf dem freien Ozean der Handelsflagge
ruhmvoll die Bahn gebrochen hätten. Seine Weltstellung verdankte das
niederländische Volk ganz ausschließlich den kühnen Wagnissen eines unver¬
gleichlichen Menschenmaterials, der festen Überzeugung von der Notwendigkeit
einer großen Seerüstnng, der schnellen und einmütiger, ja begeisterten Schaffung
einer solchen in Fällen der Gefahr. Dann drängte das seemännische Genie
des Volkes zur That, und die Pieter, Heyn, Tromp, van Galen, de Ruyter,
Jan und Cornelis Evertson u. a. führten die Flagge der Generalstaaten auf
allen Meeren zum Siege.

Daß der Krieg zur See in allererster Linie ein wüster Kaperkrieg war,
brachte es mit sich, daß uoch 1587 die zwei größten Kriegsschiffe der Union
nicht über 100 Last groß waren mit 95 Mann Besatzung und 16 Geschützen
zumeist von ganz leichtem Gewicht. Die armierten Kauffahrer waren häufig
wesentlich größer. Dagegen finden wir 1628 die Flotte in der Stärke von
133 Schiffen, wovon weit über die Hälfte 100 bis 300 Last groß war. Eine
bedeutende Verstärkung erwuchs dieser heimischen Seemacht durch den mächtigen
Schiffsbestand der beiden großen überseeischen Kompagnien. Unter ihnen waren
solche von 400 bis 500 Last, die man in der regulären Flotte vergeblich sucht.
In sehr wirkungsvoller Weise entlasteten sie dadurch, daß sie den Krieg aufs
freie Meer hinausspielten, entweder die heimische Schlachtflotte, oder sie stellten
in schwierigen Augenblicken ihre Kreuzer den Schissen des Staates an die
Seite, wie z. B. in der großen Seeschlacht vor den Downs 1639 gegen die
spanische Armada, die an Gefechtskrast der einzelnen Schiffe unzweifelhaft
überlegen war und dennoch völlig zertrümmert wurde. Es war die moralische
Überlegenheit der Niederländer, die diesen glänzenden Sieg errang. Und erst
diese furchtbare Schlacht verlieh der niederländischen Flotte das überlegne Selbst¬
vertrauen, das vor keinem Feinde Halt macht, und der niederländischen Politik
die schneidige Waffe, die sie mit demselben Vertrauen auf Erfolg fortan benutzte.


Die Blüte und der verfall der holländischen Seemacht

jährlich für Holland fast eine Million Gulden betrug, wirft doch auch ein Licht
auf einen Handel, der solche Verluste ohne Störung tragen konnte.

Gerade diese Periode des achtzigjähriger Ringens mit Spanien ist die
Zeit der gewaltigsten Ausbreitung, der Höhepunkt der niederländischen Lei¬
stungen in Handel und Schiffahrt geworden. Nie wieder hat ein Volk ein so
unzweifelhaftes Übergewicht im Welthandel und in der Reederei behauptet,
wie die Niederlande gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Und
Colbert übertreibt vielleicht gar nicht, wenn er vier Fünftel der ganzen euro¬
päischen Marine den Holländern zuschreibt. Alle nationalökonomischen Schriften
dieser Zeit sind denn auch voll des Lobes über die Segnungen von Handel
und Schiffahrt und vergessen nicht, unter den Gründen für diese wunderbare
Blüte auch das Vorhandensein einer tüchtigen, schlagfertigen Kriegsflotte
hervorzuheben. Allerdings würde der holländische Seehandel nicht im ent¬
ferntesten vermocht haben, sich zu solcher Überlegenheit emporzuschwingen, wenn
nicht während dieser ganzen Zeit mächtige Schlachtflotten und Kreuzer im
Kanal vor den heimischen Küsten wie auf dem freien Ozean der Handelsflagge
ruhmvoll die Bahn gebrochen hätten. Seine Weltstellung verdankte das
niederländische Volk ganz ausschließlich den kühnen Wagnissen eines unver¬
gleichlichen Menschenmaterials, der festen Überzeugung von der Notwendigkeit
einer großen Seerüstnng, der schnellen und einmütiger, ja begeisterten Schaffung
einer solchen in Fällen der Gefahr. Dann drängte das seemännische Genie
des Volkes zur That, und die Pieter, Heyn, Tromp, van Galen, de Ruyter,
Jan und Cornelis Evertson u. a. führten die Flagge der Generalstaaten auf
allen Meeren zum Siege.

Daß der Krieg zur See in allererster Linie ein wüster Kaperkrieg war,
brachte es mit sich, daß uoch 1587 die zwei größten Kriegsschiffe der Union
nicht über 100 Last groß waren mit 95 Mann Besatzung und 16 Geschützen
zumeist von ganz leichtem Gewicht. Die armierten Kauffahrer waren häufig
wesentlich größer. Dagegen finden wir 1628 die Flotte in der Stärke von
133 Schiffen, wovon weit über die Hälfte 100 bis 300 Last groß war. Eine
bedeutende Verstärkung erwuchs dieser heimischen Seemacht durch den mächtigen
Schiffsbestand der beiden großen überseeischen Kompagnien. Unter ihnen waren
solche von 400 bis 500 Last, die man in der regulären Flotte vergeblich sucht.
In sehr wirkungsvoller Weise entlasteten sie dadurch, daß sie den Krieg aufs
freie Meer hinausspielten, entweder die heimische Schlachtflotte, oder sie stellten
in schwierigen Augenblicken ihre Kreuzer den Schissen des Staates an die
Seite, wie z. B. in der großen Seeschlacht vor den Downs 1639 gegen die
spanische Armada, die an Gefechtskrast der einzelnen Schiffe unzweifelhaft
überlegen war und dennoch völlig zertrümmert wurde. Es war die moralische
Überlegenheit der Niederländer, die diesen glänzenden Sieg errang. Und erst
diese furchtbare Schlacht verlieh der niederländischen Flotte das überlegne Selbst¬
vertrauen, das vor keinem Feinde Halt macht, und der niederländischen Politik
die schneidige Waffe, die sie mit demselben Vertrauen auf Erfolg fortan benutzte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0578" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290989"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Blüte und der verfall der holländischen Seemacht</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1922" prev="#ID_1921"> jährlich für Holland fast eine Million Gulden betrug, wirft doch auch ein Licht<lb/>
auf einen Handel, der solche Verluste ohne Störung tragen konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1923"> Gerade diese Periode des achtzigjähriger Ringens mit Spanien ist die<lb/>
Zeit der gewaltigsten Ausbreitung, der Höhepunkt der niederländischen Lei¬<lb/>
stungen in Handel und Schiffahrt geworden. Nie wieder hat ein Volk ein so<lb/>
unzweifelhaftes Übergewicht im Welthandel und in der Reederei behauptet,<lb/>
wie die Niederlande gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Und<lb/>
Colbert übertreibt vielleicht gar nicht, wenn er vier Fünftel der ganzen euro¬<lb/>
päischen Marine den Holländern zuschreibt. Alle nationalökonomischen Schriften<lb/>
dieser Zeit sind denn auch voll des Lobes über die Segnungen von Handel<lb/>
und Schiffahrt und vergessen nicht, unter den Gründen für diese wunderbare<lb/>
Blüte auch das Vorhandensein einer tüchtigen, schlagfertigen Kriegsflotte<lb/>
hervorzuheben. Allerdings würde der holländische Seehandel nicht im ent¬<lb/>
ferntesten vermocht haben, sich zu solcher Überlegenheit emporzuschwingen, wenn<lb/>
nicht während dieser ganzen Zeit mächtige Schlachtflotten und Kreuzer im<lb/>
Kanal vor den heimischen Küsten wie auf dem freien Ozean der Handelsflagge<lb/>
ruhmvoll die Bahn gebrochen hätten. Seine Weltstellung verdankte das<lb/>
niederländische Volk ganz ausschließlich den kühnen Wagnissen eines unver¬<lb/>
gleichlichen Menschenmaterials, der festen Überzeugung von der Notwendigkeit<lb/>
einer großen Seerüstnng, der schnellen und einmütiger, ja begeisterten Schaffung<lb/>
einer solchen in Fällen der Gefahr. Dann drängte das seemännische Genie<lb/>
des Volkes zur That, und die Pieter, Heyn, Tromp, van Galen, de Ruyter,<lb/>
Jan und Cornelis Evertson u. a. führten die Flagge der Generalstaaten auf<lb/>
allen Meeren zum Siege.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1924"> Daß der Krieg zur See in allererster Linie ein wüster Kaperkrieg war,<lb/>
brachte es mit sich, daß uoch 1587 die zwei größten Kriegsschiffe der Union<lb/>
nicht über 100 Last groß waren mit 95 Mann Besatzung und 16 Geschützen<lb/>
zumeist von ganz leichtem Gewicht. Die armierten Kauffahrer waren häufig<lb/>
wesentlich größer. Dagegen finden wir 1628 die Flotte in der Stärke von<lb/>
133 Schiffen, wovon weit über die Hälfte 100 bis 300 Last groß war. Eine<lb/>
bedeutende Verstärkung erwuchs dieser heimischen Seemacht durch den mächtigen<lb/>
Schiffsbestand der beiden großen überseeischen Kompagnien. Unter ihnen waren<lb/>
solche von 400 bis 500 Last, die man in der regulären Flotte vergeblich sucht.<lb/>
In sehr wirkungsvoller Weise entlasteten sie dadurch, daß sie den Krieg aufs<lb/>
freie Meer hinausspielten, entweder die heimische Schlachtflotte, oder sie stellten<lb/>
in schwierigen Augenblicken ihre Kreuzer den Schissen des Staates an die<lb/>
Seite, wie z. B. in der großen Seeschlacht vor den Downs 1639 gegen die<lb/>
spanische Armada, die an Gefechtskrast der einzelnen Schiffe unzweifelhaft<lb/>
überlegen war und dennoch völlig zertrümmert wurde. Es war die moralische<lb/>
Überlegenheit der Niederländer, die diesen glänzenden Sieg errang. Und erst<lb/>
diese furchtbare Schlacht verlieh der niederländischen Flotte das überlegne Selbst¬<lb/>
vertrauen, das vor keinem Feinde Halt macht, und der niederländischen Politik<lb/>
die schneidige Waffe, die sie mit demselben Vertrauen auf Erfolg fortan benutzte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0578] Die Blüte und der verfall der holländischen Seemacht jährlich für Holland fast eine Million Gulden betrug, wirft doch auch ein Licht auf einen Handel, der solche Verluste ohne Störung tragen konnte. Gerade diese Periode des achtzigjähriger Ringens mit Spanien ist die Zeit der gewaltigsten Ausbreitung, der Höhepunkt der niederländischen Lei¬ stungen in Handel und Schiffahrt geworden. Nie wieder hat ein Volk ein so unzweifelhaftes Übergewicht im Welthandel und in der Reederei behauptet, wie die Niederlande gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Und Colbert übertreibt vielleicht gar nicht, wenn er vier Fünftel der ganzen euro¬ päischen Marine den Holländern zuschreibt. Alle nationalökonomischen Schriften dieser Zeit sind denn auch voll des Lobes über die Segnungen von Handel und Schiffahrt und vergessen nicht, unter den Gründen für diese wunderbare Blüte auch das Vorhandensein einer tüchtigen, schlagfertigen Kriegsflotte hervorzuheben. Allerdings würde der holländische Seehandel nicht im ent¬ ferntesten vermocht haben, sich zu solcher Überlegenheit emporzuschwingen, wenn nicht während dieser ganzen Zeit mächtige Schlachtflotten und Kreuzer im Kanal vor den heimischen Küsten wie auf dem freien Ozean der Handelsflagge ruhmvoll die Bahn gebrochen hätten. Seine Weltstellung verdankte das niederländische Volk ganz ausschließlich den kühnen Wagnissen eines unver¬ gleichlichen Menschenmaterials, der festen Überzeugung von der Notwendigkeit einer großen Seerüstnng, der schnellen und einmütiger, ja begeisterten Schaffung einer solchen in Fällen der Gefahr. Dann drängte das seemännische Genie des Volkes zur That, und die Pieter, Heyn, Tromp, van Galen, de Ruyter, Jan und Cornelis Evertson u. a. führten die Flagge der Generalstaaten auf allen Meeren zum Siege. Daß der Krieg zur See in allererster Linie ein wüster Kaperkrieg war, brachte es mit sich, daß uoch 1587 die zwei größten Kriegsschiffe der Union nicht über 100 Last groß waren mit 95 Mann Besatzung und 16 Geschützen zumeist von ganz leichtem Gewicht. Die armierten Kauffahrer waren häufig wesentlich größer. Dagegen finden wir 1628 die Flotte in der Stärke von 133 Schiffen, wovon weit über die Hälfte 100 bis 300 Last groß war. Eine bedeutende Verstärkung erwuchs dieser heimischen Seemacht durch den mächtigen Schiffsbestand der beiden großen überseeischen Kompagnien. Unter ihnen waren solche von 400 bis 500 Last, die man in der regulären Flotte vergeblich sucht. In sehr wirkungsvoller Weise entlasteten sie dadurch, daß sie den Krieg aufs freie Meer hinausspielten, entweder die heimische Schlachtflotte, oder sie stellten in schwierigen Augenblicken ihre Kreuzer den Schissen des Staates an die Seite, wie z. B. in der großen Seeschlacht vor den Downs 1639 gegen die spanische Armada, die an Gefechtskrast der einzelnen Schiffe unzweifelhaft überlegen war und dennoch völlig zertrümmert wurde. Es war die moralische Überlegenheit der Niederländer, die diesen glänzenden Sieg errang. Und erst diese furchtbare Schlacht verlieh der niederländischen Flotte das überlegne Selbst¬ vertrauen, das vor keinem Feinde Halt macht, und der niederländischen Politik die schneidige Waffe, die sie mit demselben Vertrauen auf Erfolg fortan benutzte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/578
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/578>, abgerufen am 22.07.2024.