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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Aber Ordnung, Halt und Nachdruck kam in diese revolutionäre Bewegung
doch erst, seit sich Seeland und Holland mit gesammelter Kraft den Rebellen
anschlössen. Die Eroberung von Briel durch die Wassergeuseu gab 1572 das
Signal zur Erhebung. Der Bund der beiden Landschaften war der Kern, um
den sich die andern schlössen. Den Höhepunkt fand diese Entwicklung 1579
in der Utrechter Union, dem Kriegsbündnis der sieben Provinzen des nieder¬
ländischen Nordens, der Genernlstanteu, gegen Spanien. Das Schicksal des
kühnen Unternehmens war freilich zunächst unbekannt. Die Münzen der
Generalstaaten aus diesen gefahrvollen Jahren zeigen -- sehr bezeichnend --
ein Schiff, das steuerlos und segellos auf hoher See dahiutreibt mit der Unter¬
schrift: Ineorwm, <zuo lata ihr^ut. Unabsehbar dehnte sich der furchtbare Krieg
mit der spanischen Weltmacht vor den Blicken ans.

Zur Errichtung einer nationalen Monarchie aber, die das erste Ergebnis
des Kriegs sein zu müssen schien, kam es nicht. Graf Wilhelm, der große
Schweiger aus dem immer so volkstümlichen Geschlechte der Oranier, wurde
ermordet. Und nnn riß das Patriziat der Städte, allen voran die selbstherr¬
lichen Handelsherren und Stadtregenten von Amsterdam, die Leitung der jungen
Nation an sich. In keinem andern Lande hatte ja das Bürgertum ein so un¬
zweifelhaftes Übergewicht über die sozialen Mächte, wie in den Niederlanden.,
Dieses Bürgertum hatte in seinem Partikularismus, in seiner Eifersucht ans
Wahrung erworbuer Rechte dafür gesorgt, daß die Bundesgewalt der Union
ans das allerdürftigste ausgestattet worden war. Mit Ansnahme des Münz-
nnd Zvllwesens blieb alles der Selbstverwaltung der einzelnen Städte vor¬
behalten. Nicht ganz mit Unrecht ist gesagt worden, daß der Niederländer vor
1795 eigentlich kein Vaterland, sondern nur eine Vaterstadt gekannt habe.
Die Rücksicht ans Provinz und Stadt ging den: Wohle des Bundes voran.

Und derselbe kaufmännische Eigennutz widerstrebte aufs lebhafteste der
Aufnahme der flandrischen und brabantischen Provinzen in die Union. Dann
blieb ja Antwerpen der erste Weltmarkt! Und ungerührt schaute er zu, als
1585 diese Stadt von den Spaniern verwüstet wurde. Der Zweck wurde er¬
reicht; fortan war Amsterdam der erste Handelsplatz Europas, und die Stadt
sorgte durch die Schließung der Scheide dafür, daß Antwerpen für Jahrhunderte
ungefährlich blieb.

Durch den unerhörten Kampf mit Spanien trat die Union der Nieder¬
lande in den Mittelpunkt der europäischen Politik. Aber der Verlauf dieses
Kampfes ist ein wunderbares Schauspiel. Der Kaperkrieg der Wassergensen
wurde während der ganzen Kriegszeit rüstig weitergeführt und brachte der
Union in manchen Jahren ganz bedeutende Einkünfte. Schnell lernte die
Republik, wie der Krieg den Krieg ernähren müsse. Spanien allein trug die
Kosten des gewaltigen Ringens. Großartig entfaltete sich die Spannkraft des
kleinen Gegners. Unerschöpfliche Lebenskräfte strömten der nationalen Sache
zu. Unglücklich zu Wasser wie zu Lande mußte Spanien dulden, daß sein
Gegner im Außenhandel des Weltreichs eine hervorragende Rolle spielte. Als


Aber Ordnung, Halt und Nachdruck kam in diese revolutionäre Bewegung
doch erst, seit sich Seeland und Holland mit gesammelter Kraft den Rebellen
anschlössen. Die Eroberung von Briel durch die Wassergeuseu gab 1572 das
Signal zur Erhebung. Der Bund der beiden Landschaften war der Kern, um
den sich die andern schlössen. Den Höhepunkt fand diese Entwicklung 1579
in der Utrechter Union, dem Kriegsbündnis der sieben Provinzen des nieder¬
ländischen Nordens, der Genernlstanteu, gegen Spanien. Das Schicksal des
kühnen Unternehmens war freilich zunächst unbekannt. Die Münzen der
Generalstaaten aus diesen gefahrvollen Jahren zeigen — sehr bezeichnend —
ein Schiff, das steuerlos und segellos auf hoher See dahiutreibt mit der Unter¬
schrift: Ineorwm, <zuo lata ihr^ut. Unabsehbar dehnte sich der furchtbare Krieg
mit der spanischen Weltmacht vor den Blicken ans.

Zur Errichtung einer nationalen Monarchie aber, die das erste Ergebnis
des Kriegs sein zu müssen schien, kam es nicht. Graf Wilhelm, der große
Schweiger aus dem immer so volkstümlichen Geschlechte der Oranier, wurde
ermordet. Und nnn riß das Patriziat der Städte, allen voran die selbstherr¬
lichen Handelsherren und Stadtregenten von Amsterdam, die Leitung der jungen
Nation an sich. In keinem andern Lande hatte ja das Bürgertum ein so un¬
zweifelhaftes Übergewicht über die sozialen Mächte, wie in den Niederlanden.,
Dieses Bürgertum hatte in seinem Partikularismus, in seiner Eifersucht ans
Wahrung erworbuer Rechte dafür gesorgt, daß die Bundesgewalt der Union
ans das allerdürftigste ausgestattet worden war. Mit Ansnahme des Münz-
nnd Zvllwesens blieb alles der Selbstverwaltung der einzelnen Städte vor¬
behalten. Nicht ganz mit Unrecht ist gesagt worden, daß der Niederländer vor
1795 eigentlich kein Vaterland, sondern nur eine Vaterstadt gekannt habe.
Die Rücksicht ans Provinz und Stadt ging den: Wohle des Bundes voran.

Und derselbe kaufmännische Eigennutz widerstrebte aufs lebhafteste der
Aufnahme der flandrischen und brabantischen Provinzen in die Union. Dann
blieb ja Antwerpen der erste Weltmarkt! Und ungerührt schaute er zu, als
1585 diese Stadt von den Spaniern verwüstet wurde. Der Zweck wurde er¬
reicht; fortan war Amsterdam der erste Handelsplatz Europas, und die Stadt
sorgte durch die Schließung der Scheide dafür, daß Antwerpen für Jahrhunderte
ungefährlich blieb.

Durch den unerhörten Kampf mit Spanien trat die Union der Nieder¬
lande in den Mittelpunkt der europäischen Politik. Aber der Verlauf dieses
Kampfes ist ein wunderbares Schauspiel. Der Kaperkrieg der Wassergensen
wurde während der ganzen Kriegszeit rüstig weitergeführt und brachte der
Union in manchen Jahren ganz bedeutende Einkünfte. Schnell lernte die
Republik, wie der Krieg den Krieg ernähren müsse. Spanien allein trug die
Kosten des gewaltigen Ringens. Großartig entfaltete sich die Spannkraft des
kleinen Gegners. Unerschöpfliche Lebenskräfte strömten der nationalen Sache
zu. Unglücklich zu Wasser wie zu Lande mußte Spanien dulden, daß sein
Gegner im Außenhandel des Weltreichs eine hervorragende Rolle spielte. Als


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[0574] Aber Ordnung, Halt und Nachdruck kam in diese revolutionäre Bewegung doch erst, seit sich Seeland und Holland mit gesammelter Kraft den Rebellen anschlössen. Die Eroberung von Briel durch die Wassergeuseu gab 1572 das Signal zur Erhebung. Der Bund der beiden Landschaften war der Kern, um den sich die andern schlössen. Den Höhepunkt fand diese Entwicklung 1579 in der Utrechter Union, dem Kriegsbündnis der sieben Provinzen des nieder¬ ländischen Nordens, der Genernlstanteu, gegen Spanien. Das Schicksal des kühnen Unternehmens war freilich zunächst unbekannt. Die Münzen der Generalstaaten aus diesen gefahrvollen Jahren zeigen — sehr bezeichnend — ein Schiff, das steuerlos und segellos auf hoher See dahiutreibt mit der Unter¬ schrift: Ineorwm, <zuo lata ihr^ut. Unabsehbar dehnte sich der furchtbare Krieg mit der spanischen Weltmacht vor den Blicken ans. Zur Errichtung einer nationalen Monarchie aber, die das erste Ergebnis des Kriegs sein zu müssen schien, kam es nicht. Graf Wilhelm, der große Schweiger aus dem immer so volkstümlichen Geschlechte der Oranier, wurde ermordet. Und nnn riß das Patriziat der Städte, allen voran die selbstherr¬ lichen Handelsherren und Stadtregenten von Amsterdam, die Leitung der jungen Nation an sich. In keinem andern Lande hatte ja das Bürgertum ein so un¬ zweifelhaftes Übergewicht über die sozialen Mächte, wie in den Niederlanden., Dieses Bürgertum hatte in seinem Partikularismus, in seiner Eifersucht ans Wahrung erworbuer Rechte dafür gesorgt, daß die Bundesgewalt der Union ans das allerdürftigste ausgestattet worden war. Mit Ansnahme des Münz- nnd Zvllwesens blieb alles der Selbstverwaltung der einzelnen Städte vor¬ behalten. Nicht ganz mit Unrecht ist gesagt worden, daß der Niederländer vor 1795 eigentlich kein Vaterland, sondern nur eine Vaterstadt gekannt habe. Die Rücksicht ans Provinz und Stadt ging den: Wohle des Bundes voran. Und derselbe kaufmännische Eigennutz widerstrebte aufs lebhafteste der Aufnahme der flandrischen und brabantischen Provinzen in die Union. Dann blieb ja Antwerpen der erste Weltmarkt! Und ungerührt schaute er zu, als 1585 diese Stadt von den Spaniern verwüstet wurde. Der Zweck wurde er¬ reicht; fortan war Amsterdam der erste Handelsplatz Europas, und die Stadt sorgte durch die Schließung der Scheide dafür, daß Antwerpen für Jahrhunderte ungefährlich blieb. Durch den unerhörten Kampf mit Spanien trat die Union der Nieder¬ lande in den Mittelpunkt der europäischen Politik. Aber der Verlauf dieses Kampfes ist ein wunderbares Schauspiel. Der Kaperkrieg der Wassergensen wurde während der ganzen Kriegszeit rüstig weitergeführt und brachte der Union in manchen Jahren ganz bedeutende Einkünfte. Schnell lernte die Republik, wie der Krieg den Krieg ernähren müsse. Spanien allein trug die Kosten des gewaltigen Ringens. Großartig entfaltete sich die Spannkraft des kleinen Gegners. Unerschöpfliche Lebenskräfte strömten der nationalen Sache zu. Unglücklich zu Wasser wie zu Lande mußte Spanien dulden, daß sein Gegner im Außenhandel des Weltreichs eine hervorragende Rolle spielte. Als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/574>, abgerufen am 22.07.2024.