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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Ibsens romantische Stücke

vollen drei Worte streichen: alles oder nichts, und diese Gestalt der Agnes
führt Ibsen ein als -- den Versucher in der Wüste in Frauengestalt. Oder
man könnte aus dein "Er ist aeus vÄriwtis" am Schluß folgern, Ibsen habe
lehren wollen, daß Brands Gott nicht der Gott des Neuen Testaments sei,
und auch mehrere Personen des Stücks laßt er bei verschiednen Gelegenheiten
zu Brand sagen: Gott ist nicht so hart wie Ihr! Aber andrerseits kann Ibsen
auch diese Vertreter des so grell gezeichneten verweltlichten Christentums nicht
als die Vertreter des wahren Christentums haben hinstellen wollen. So
bleiben also die beiden Fragen unbeantwortet, warum das gewöhnliche Christen¬
tum so erbärmlich aussieht, und wie das wahre Christentum aussehen würde.
Der Antwort auf beide Fragen würde der Dichter näher gekommen sein, wenn
er statt eines in kleinen Kreisen irrlichtelnden Phantasten und Fanatikers, wie
solche ja vorkommen, einen der historischen Übermenschen gewählt hätte; ent¬
weder einen der Inquisitoren, die aus Liebe zu den Seelen die Leiber ver¬
brennen, oder einen Kirchengründer und Reformator wie Zwingli, Calvin oder
Knox, oder einen der freundlichen Heiligen, die, wie der seraphische Franziskus,
nur sich selbst, nicht ihren Mitmenschen Entsagung auferlegen, oder wie Johann
von Gott einen Orden stiften, der es sich zur Aufgabe macht, leibliche Wunden
zu heilen und leiblich Kranke zu pflegen. Freilich würden wir in diesem Falle
um etwas sehr wertvolles gekommen sein: um die Schilderung des harten und
entbehrungsvollen Lebens in der eisigen Winternacht des hohen Nordens, die,
um noch einmal daran zu erinnern, in Ibsen selbst so vieles erklärt. -- Jeden¬
falls müssen wir diesen beiden Dramen zugestehn, daß sie von Idealität beseelt
sind und idealen Zwecken dienen.





*) Ibsen soll erklärt haben (Zukunft, Ur. 26): "Brand ist mißverstanden worden; es war
nur Zufall, daß ich das Problem in das Religiöse verlegte. Ich könnte den ganzen Syllogismus
ebenso gut über einen Bildhauer oder einen Politiker machen wie über einen Priester." Da
irrt sich Ibsen! Er soll es nur versuchen! Beim Politiker könnte es ihm allenfalls gelingen,
aber da würde ein Volksbeglücker oder Reformator herauskommen, dessen Begluckungslehre eine
Religion wäre, wie ja auch die Sozialdemokratie für ihre Gläubigen eine Religion ist; dagegen
würde, wenn er einen Bildhauer wählte, nur eine Verrücktheit herauskommen, wie in seinem
letzten Stück. Gewiß kann man das religiöse Problem, oder das Problem der Weltanschauung,
auch an einem andern Menschen als an einem Priester demonstrieren, aber dadurch hört es
nicht auf, das religiöse Problem zu sein.
Ibsens romantische Stücke

vollen drei Worte streichen: alles oder nichts, und diese Gestalt der Agnes
führt Ibsen ein als — den Versucher in der Wüste in Frauengestalt. Oder
man könnte aus dein „Er ist aeus vÄriwtis" am Schluß folgern, Ibsen habe
lehren wollen, daß Brands Gott nicht der Gott des Neuen Testaments sei,
und auch mehrere Personen des Stücks laßt er bei verschiednen Gelegenheiten
zu Brand sagen: Gott ist nicht so hart wie Ihr! Aber andrerseits kann Ibsen
auch diese Vertreter des so grell gezeichneten verweltlichten Christentums nicht
als die Vertreter des wahren Christentums haben hinstellen wollen. So
bleiben also die beiden Fragen unbeantwortet, warum das gewöhnliche Christen¬
tum so erbärmlich aussieht, und wie das wahre Christentum aussehen würde.
Der Antwort auf beide Fragen würde der Dichter näher gekommen sein, wenn
er statt eines in kleinen Kreisen irrlichtelnden Phantasten und Fanatikers, wie
solche ja vorkommen, einen der historischen Übermenschen gewählt hätte; ent¬
weder einen der Inquisitoren, die aus Liebe zu den Seelen die Leiber ver¬
brennen, oder einen Kirchengründer und Reformator wie Zwingli, Calvin oder
Knox, oder einen der freundlichen Heiligen, die, wie der seraphische Franziskus,
nur sich selbst, nicht ihren Mitmenschen Entsagung auferlegen, oder wie Johann
von Gott einen Orden stiften, der es sich zur Aufgabe macht, leibliche Wunden
zu heilen und leiblich Kranke zu pflegen. Freilich würden wir in diesem Falle
um etwas sehr wertvolles gekommen sein: um die Schilderung des harten und
entbehrungsvollen Lebens in der eisigen Winternacht des hohen Nordens, die,
um noch einmal daran zu erinnern, in Ibsen selbst so vieles erklärt. — Jeden¬
falls müssen wir diesen beiden Dramen zugestehn, daß sie von Idealität beseelt
sind und idealen Zwecken dienen.





*) Ibsen soll erklärt haben (Zukunft, Ur. 26): „Brand ist mißverstanden worden; es war
nur Zufall, daß ich das Problem in das Religiöse verlegte. Ich könnte den ganzen Syllogismus
ebenso gut über einen Bildhauer oder einen Politiker machen wie über einen Priester." Da
irrt sich Ibsen! Er soll es nur versuchen! Beim Politiker könnte es ihm allenfalls gelingen,
aber da würde ein Volksbeglücker oder Reformator herauskommen, dessen Begluckungslehre eine
Religion wäre, wie ja auch die Sozialdemokratie für ihre Gläubigen eine Religion ist; dagegen
würde, wenn er einen Bildhauer wählte, nur eine Verrücktheit herauskommen, wie in seinem
letzten Stück. Gewiß kann man das religiöse Problem, oder das Problem der Weltanschauung,
auch an einem andern Menschen als an einem Priester demonstrieren, aber dadurch hört es
nicht auf, das religiöse Problem zu sein.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/542>, abgerufen am 03.07.2024.