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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Ibsens romantische Stücke

Er hat aus den Weltproblemen nicht das aktuellste, die soziale Frage,
ausgewählt, sondern das größte und beständigste, denn es besteht und wird
bestehn, so lange eine Menschenwelt besteht, eben den Glauben selbst. Er be¬
handelt es einmal weltgeschichtlich und das andremal in der Anwendung auf
einen engen Kreis seiner Zeitgenossen. Das Zeitstück "Brand" ist znerst 1866
erschienen, aber das weltgeschichtliche, obwohl erst 1873 veröffentlicht, ist jeden¬
falls zu derselben Zeit, wo nicht früher, konzipiert worden. Es hat Jahre
harter Arbeit gekostet, denn es dürfte kein zweites Drama in der Weltlitteratur
geben, für das so umfangreiche, gründliche und schwierige Studien gemacht
worden wären wie für die Apostatatragödie. Und es riecht dabei -- um das
nebenbei zu bemerken, obwohl das in die Litteraturgeschichte gehört und mich
nichts angeht -- nicht im mindesten nach der Lampe; kein Fetzchen toter Ge¬
lehrsamkeit und überflüssigen Antiquitätenkrams ist daran Hunger geblieben,
sondern die Zeit des Abtrünnigen tritt uns in lebensvollen Gestalten vor
Augen, und Handlung und Dialog verlaufen spannend in raschem Fluß. Jedoch
bei aller historischen Treue in den großen wie in den kleinen Zügen -- sogar
die Gans des alten Kybelepriesters ist historisch -- hat sich Ibsen doch das
Recht des Dichters gewahrt und seinen Julian frei geschaffen, aber -- und
das ist nun das bedeutungsvolle -- ihn nicht etwa auf Kosten des Christen¬
tums idealisiert. Gewiß offenbart dieser Julian eine Fülle idealer Züge: das
reichste Gemüt, die zarteste Empfindung, einen alles umfassenden Geist, das
überschwenglichste Streben, aber als Charakter ist der historische Julian größer
und reiner. Wahrscheinlich ist der wirkliche Julian auch einfacher gewesen; er
wird die Religion des Mörders seiner Eltern und Geschwister von Jugend auf
gehaßt und den Christenglauben nur geheuchelt haben, was ihm nicht allzuhoch
angerechnet werden kann, da am byzantischen Hofe die Heuchelei Daseius-
bedingung war. Aber die furchtbaren Seelenkämpfe, die der Julian Ibsens
von Anfang an bis zum Ende seines Lebens durchzumachen hat, sind gerade
das Wesentliche in dem großen Doppeldrama, und darum konnte der Dichter
nicht darauf verzichten, zwei und mehr Seelen in seinem Helden leben zu
lassen.

Sein Julian ist als Knabe so glaubenseifrig gewesen, daß er in der
kappadozischen Abgeschiedenheit, in der er glückliche Jahre verlebte, andre
Knaben zu Christus führt und mit seinem Bruder einen Kirchenbau zu Ehren
des heiligen Mamas unternimmt. Er ist zaghaften Gemüts, zaghaft seinem
kaiserlichen Vetter gegenüber, vor dessen Ungnade er, an den Hof berufen, be¬
stündig zittert -- das Zittern eines jeden, auch des Kaisers, vor jedem, das
ewige Mißtrauen und der Wechsel von Gnade und Ungnade am Hofe des
Despoten werden meisterhaft dargestellt --, voll Furcht auch vor dem Teufel,
gegen dessen Versuchungen er sich durch Kasteiungen vergeblich zu schützen sucht.
Dabei wird sein Herz vom Durst nach Weisheit verzehrt. Während er voll
heiliger Entrüstung die Entfernung des Rhetors und Philosophen Libcmios
aus Konstantinopel fordert, weil dieser den talentvollsten Jünglingen Liebe zum


Ibsens romantische Stücke

Er hat aus den Weltproblemen nicht das aktuellste, die soziale Frage,
ausgewählt, sondern das größte und beständigste, denn es besteht und wird
bestehn, so lange eine Menschenwelt besteht, eben den Glauben selbst. Er be¬
handelt es einmal weltgeschichtlich und das andremal in der Anwendung auf
einen engen Kreis seiner Zeitgenossen. Das Zeitstück „Brand" ist znerst 1866
erschienen, aber das weltgeschichtliche, obwohl erst 1873 veröffentlicht, ist jeden¬
falls zu derselben Zeit, wo nicht früher, konzipiert worden. Es hat Jahre
harter Arbeit gekostet, denn es dürfte kein zweites Drama in der Weltlitteratur
geben, für das so umfangreiche, gründliche und schwierige Studien gemacht
worden wären wie für die Apostatatragödie. Und es riecht dabei — um das
nebenbei zu bemerken, obwohl das in die Litteraturgeschichte gehört und mich
nichts angeht — nicht im mindesten nach der Lampe; kein Fetzchen toter Ge¬
lehrsamkeit und überflüssigen Antiquitätenkrams ist daran Hunger geblieben,
sondern die Zeit des Abtrünnigen tritt uns in lebensvollen Gestalten vor
Augen, und Handlung und Dialog verlaufen spannend in raschem Fluß. Jedoch
bei aller historischen Treue in den großen wie in den kleinen Zügen — sogar
die Gans des alten Kybelepriesters ist historisch — hat sich Ibsen doch das
Recht des Dichters gewahrt und seinen Julian frei geschaffen, aber — und
das ist nun das bedeutungsvolle — ihn nicht etwa auf Kosten des Christen¬
tums idealisiert. Gewiß offenbart dieser Julian eine Fülle idealer Züge: das
reichste Gemüt, die zarteste Empfindung, einen alles umfassenden Geist, das
überschwenglichste Streben, aber als Charakter ist der historische Julian größer
und reiner. Wahrscheinlich ist der wirkliche Julian auch einfacher gewesen; er
wird die Religion des Mörders seiner Eltern und Geschwister von Jugend auf
gehaßt und den Christenglauben nur geheuchelt haben, was ihm nicht allzuhoch
angerechnet werden kann, da am byzantischen Hofe die Heuchelei Daseius-
bedingung war. Aber die furchtbaren Seelenkämpfe, die der Julian Ibsens
von Anfang an bis zum Ende seines Lebens durchzumachen hat, sind gerade
das Wesentliche in dem großen Doppeldrama, und darum konnte der Dichter
nicht darauf verzichten, zwei und mehr Seelen in seinem Helden leben zu
lassen.

Sein Julian ist als Knabe so glaubenseifrig gewesen, daß er in der
kappadozischen Abgeschiedenheit, in der er glückliche Jahre verlebte, andre
Knaben zu Christus führt und mit seinem Bruder einen Kirchenbau zu Ehren
des heiligen Mamas unternimmt. Er ist zaghaften Gemüts, zaghaft seinem
kaiserlichen Vetter gegenüber, vor dessen Ungnade er, an den Hof berufen, be¬
stündig zittert — das Zittern eines jeden, auch des Kaisers, vor jedem, das
ewige Mißtrauen und der Wechsel von Gnade und Ungnade am Hofe des
Despoten werden meisterhaft dargestellt —, voll Furcht auch vor dem Teufel,
gegen dessen Versuchungen er sich durch Kasteiungen vergeblich zu schützen sucht.
Dabei wird sein Herz vom Durst nach Weisheit verzehrt. Während er voll
heiliger Entrüstung die Entfernung des Rhetors und Philosophen Libcmios
aus Konstantinopel fordert, weil dieser den talentvollsten Jünglingen Liebe zum


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[0533] Ibsens romantische Stücke Er hat aus den Weltproblemen nicht das aktuellste, die soziale Frage, ausgewählt, sondern das größte und beständigste, denn es besteht und wird bestehn, so lange eine Menschenwelt besteht, eben den Glauben selbst. Er be¬ handelt es einmal weltgeschichtlich und das andremal in der Anwendung auf einen engen Kreis seiner Zeitgenossen. Das Zeitstück „Brand" ist znerst 1866 erschienen, aber das weltgeschichtliche, obwohl erst 1873 veröffentlicht, ist jeden¬ falls zu derselben Zeit, wo nicht früher, konzipiert worden. Es hat Jahre harter Arbeit gekostet, denn es dürfte kein zweites Drama in der Weltlitteratur geben, für das so umfangreiche, gründliche und schwierige Studien gemacht worden wären wie für die Apostatatragödie. Und es riecht dabei — um das nebenbei zu bemerken, obwohl das in die Litteraturgeschichte gehört und mich nichts angeht — nicht im mindesten nach der Lampe; kein Fetzchen toter Ge¬ lehrsamkeit und überflüssigen Antiquitätenkrams ist daran Hunger geblieben, sondern die Zeit des Abtrünnigen tritt uns in lebensvollen Gestalten vor Augen, und Handlung und Dialog verlaufen spannend in raschem Fluß. Jedoch bei aller historischen Treue in den großen wie in den kleinen Zügen — sogar die Gans des alten Kybelepriesters ist historisch — hat sich Ibsen doch das Recht des Dichters gewahrt und seinen Julian frei geschaffen, aber — und das ist nun das bedeutungsvolle — ihn nicht etwa auf Kosten des Christen¬ tums idealisiert. Gewiß offenbart dieser Julian eine Fülle idealer Züge: das reichste Gemüt, die zarteste Empfindung, einen alles umfassenden Geist, das überschwenglichste Streben, aber als Charakter ist der historische Julian größer und reiner. Wahrscheinlich ist der wirkliche Julian auch einfacher gewesen; er wird die Religion des Mörders seiner Eltern und Geschwister von Jugend auf gehaßt und den Christenglauben nur geheuchelt haben, was ihm nicht allzuhoch angerechnet werden kann, da am byzantischen Hofe die Heuchelei Daseius- bedingung war. Aber die furchtbaren Seelenkämpfe, die der Julian Ibsens von Anfang an bis zum Ende seines Lebens durchzumachen hat, sind gerade das Wesentliche in dem großen Doppeldrama, und darum konnte der Dichter nicht darauf verzichten, zwei und mehr Seelen in seinem Helden leben zu lassen. Sein Julian ist als Knabe so glaubenseifrig gewesen, daß er in der kappadozischen Abgeschiedenheit, in der er glückliche Jahre verlebte, andre Knaben zu Christus führt und mit seinem Bruder einen Kirchenbau zu Ehren des heiligen Mamas unternimmt. Er ist zaghaften Gemüts, zaghaft seinem kaiserlichen Vetter gegenüber, vor dessen Ungnade er, an den Hof berufen, be¬ stündig zittert — das Zittern eines jeden, auch des Kaisers, vor jedem, das ewige Mißtrauen und der Wechsel von Gnade und Ungnade am Hofe des Despoten werden meisterhaft dargestellt —, voll Furcht auch vor dem Teufel, gegen dessen Versuchungen er sich durch Kasteiungen vergeblich zu schützen sucht. Dabei wird sein Herz vom Durst nach Weisheit verzehrt. Während er voll heiliger Entrüstung die Entfernung des Rhetors und Philosophen Libcmios aus Konstantinopel fordert, weil dieser den talentvollsten Jünglingen Liebe zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/533>, abgerufen am 01.07.2024.