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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Das Kloster walaam im Ladogasee

grünen Dach -- alles das ist eine wundervolle Dekoration für die Hauptinsel,
wo sich auf einem gewaltigen dunkeln Granitfelsen der aus weißen Steinen
aufgeführte Bau des eigentlichen Klosters mit seiner von sieben silbernen Kuppeln
überragten herrlichen Kathedrale erhebt. Eine breite Granittreppe zieht sich
von den Pforten des Klosters den Berg hinab zum Hafen, um dem mehrere
Schuppen für das Schiffgerät und für die Nachen errichtet sind. Hier legen
auch die Dampfboote mit den Wallfahrern und Pilgern an. Täglich hört
man den schrillen Pfiff der kleinen Schaluppe, die eine beständige Verbindung
zwischen allen zu Walnam gehörigen Inseln erlaubt und zugleich den Dienst
eines Schleppers versieht, der die verschiedenartigsten Gegenstände für die In¬
sassen des Klosters herbeischafft. Sonst hört man nirgends ein Geräusch; es
sei denn, daß über die unbewegte Wasserfläche ein heimkehrender Fischerkahn
hingleitet. Dasselbe Schweigen empfängt uns auch oben, wenn Nur durch die
heilige Pforte in den geräumigen Klosterhof eintreten. Wir dürfen nicht etwa
erwarten, die gesamte fromme Brüderschaft in ihren Zellen in stiller Beschau¬
lichkeit anzutreffen; nein, hier herrscht rege Thätigkeit wie im Getriebe der
Außenwelt, aber eine Thätigkeit im Namen Gottes und zum Ruhme des ge¬
weihten Ortes.

Der russische Geschichtschreiber Nemirowitsch-Dantschenko nennt Walamn
"das Reich der Arbeiter"; während die Mönche von sich selbst häufig: Wir
Bauern, oder: Wir Handwerker sagen. Der ganze Orden ergänzt sich fast
ausschließlich aus den Söhnen der untern Volksschichten; alle seine Baumeister,
Architekten und Mechaniker sind aus einfachen Handwerker- oder Tagelöhner¬
familien hervorgegangen. Ein Blick auf diese Mönchsgestalten genügt, sich
davon zu überzeugen. Das sind keine abgehärmten, hagern Asketen der byzan¬
tinischen Kirche, es sind dnrch anstrengende Arbeit gekräftigte Hünengestalten,
deren schwielige Hände und gedrungner Körperbau beweisen, daß sie an An¬
strengung und Thätigkeit gewöhnt sind. Die Schöße der aus grobem schwarzem
Tuch angefertigten Kutte tragen sie meist aufgeschürzt, um nicht dadurch beim
Gehn und bei der Arbeit behindert zu werde". Anspruchslos in ihrer ganzen
Lebensführung von Jugend auf, fühlen sie vielleicht nicht die unerbittliche
Strenge der Ordensregeln von Walamn. Diese sind, nicht nur vom Stand¬
punkt des Laien aus betrachtet, soudern auch im Vergleich mit den Vorschriften
andrer Klöster sehr streng. Längere Gespräche untereinander sind verboten,
nur in der Arbeit sollen die frommen Brüder ihre Erholung finden; auch darf
kein Mönch ohne Erlaubnis der Obern einen andern in dessen Zelle besuchen;
mit Laien sich zu unterhalten, ist durchaus untersagt, es sei denn, daß es der
Abt selbst ausdrücklich erlaubt. Kein Mönch darf außer an dem gemeinsamen
Mittagstisch Speise oder Trank zu sich nehmen, niemand ohne die Genehmigung
eines Vorstehers einen Brief schreiben. Nur wer von Kindesbeinen an solche
Entbehrungen zu ertragen gelernt hat, kann sich in Demut und Ergebenheit dieser
strengsten aller Ordensregeln fügen. Wenn nun auch zuweilen Leute von
höherer Bildung und aus den besten Familien Rußlands in Walamn die


Das Kloster walaam im Ladogasee

grünen Dach — alles das ist eine wundervolle Dekoration für die Hauptinsel,
wo sich auf einem gewaltigen dunkeln Granitfelsen der aus weißen Steinen
aufgeführte Bau des eigentlichen Klosters mit seiner von sieben silbernen Kuppeln
überragten herrlichen Kathedrale erhebt. Eine breite Granittreppe zieht sich
von den Pforten des Klosters den Berg hinab zum Hafen, um dem mehrere
Schuppen für das Schiffgerät und für die Nachen errichtet sind. Hier legen
auch die Dampfboote mit den Wallfahrern und Pilgern an. Täglich hört
man den schrillen Pfiff der kleinen Schaluppe, die eine beständige Verbindung
zwischen allen zu Walnam gehörigen Inseln erlaubt und zugleich den Dienst
eines Schleppers versieht, der die verschiedenartigsten Gegenstände für die In¬
sassen des Klosters herbeischafft. Sonst hört man nirgends ein Geräusch; es
sei denn, daß über die unbewegte Wasserfläche ein heimkehrender Fischerkahn
hingleitet. Dasselbe Schweigen empfängt uns auch oben, wenn Nur durch die
heilige Pforte in den geräumigen Klosterhof eintreten. Wir dürfen nicht etwa
erwarten, die gesamte fromme Brüderschaft in ihren Zellen in stiller Beschau¬
lichkeit anzutreffen; nein, hier herrscht rege Thätigkeit wie im Getriebe der
Außenwelt, aber eine Thätigkeit im Namen Gottes und zum Ruhme des ge¬
weihten Ortes.

Der russische Geschichtschreiber Nemirowitsch-Dantschenko nennt Walamn
„das Reich der Arbeiter"; während die Mönche von sich selbst häufig: Wir
Bauern, oder: Wir Handwerker sagen. Der ganze Orden ergänzt sich fast
ausschließlich aus den Söhnen der untern Volksschichten; alle seine Baumeister,
Architekten und Mechaniker sind aus einfachen Handwerker- oder Tagelöhner¬
familien hervorgegangen. Ein Blick auf diese Mönchsgestalten genügt, sich
davon zu überzeugen. Das sind keine abgehärmten, hagern Asketen der byzan¬
tinischen Kirche, es sind dnrch anstrengende Arbeit gekräftigte Hünengestalten,
deren schwielige Hände und gedrungner Körperbau beweisen, daß sie an An¬
strengung und Thätigkeit gewöhnt sind. Die Schöße der aus grobem schwarzem
Tuch angefertigten Kutte tragen sie meist aufgeschürzt, um nicht dadurch beim
Gehn und bei der Arbeit behindert zu werde». Anspruchslos in ihrer ganzen
Lebensführung von Jugend auf, fühlen sie vielleicht nicht die unerbittliche
Strenge der Ordensregeln von Walamn. Diese sind, nicht nur vom Stand¬
punkt des Laien aus betrachtet, soudern auch im Vergleich mit den Vorschriften
andrer Klöster sehr streng. Längere Gespräche untereinander sind verboten,
nur in der Arbeit sollen die frommen Brüder ihre Erholung finden; auch darf
kein Mönch ohne Erlaubnis der Obern einen andern in dessen Zelle besuchen;
mit Laien sich zu unterhalten, ist durchaus untersagt, es sei denn, daß es der
Abt selbst ausdrücklich erlaubt. Kein Mönch darf außer an dem gemeinsamen
Mittagstisch Speise oder Trank zu sich nehmen, niemand ohne die Genehmigung
eines Vorstehers einen Brief schreiben. Nur wer von Kindesbeinen an solche
Entbehrungen zu ertragen gelernt hat, kann sich in Demut und Ergebenheit dieser
strengsten aller Ordensregeln fügen. Wenn nun auch zuweilen Leute von
höherer Bildung und aus den besten Familien Rußlands in Walamn die


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[0528] Das Kloster walaam im Ladogasee grünen Dach — alles das ist eine wundervolle Dekoration für die Hauptinsel, wo sich auf einem gewaltigen dunkeln Granitfelsen der aus weißen Steinen aufgeführte Bau des eigentlichen Klosters mit seiner von sieben silbernen Kuppeln überragten herrlichen Kathedrale erhebt. Eine breite Granittreppe zieht sich von den Pforten des Klosters den Berg hinab zum Hafen, um dem mehrere Schuppen für das Schiffgerät und für die Nachen errichtet sind. Hier legen auch die Dampfboote mit den Wallfahrern und Pilgern an. Täglich hört man den schrillen Pfiff der kleinen Schaluppe, die eine beständige Verbindung zwischen allen zu Walnam gehörigen Inseln erlaubt und zugleich den Dienst eines Schleppers versieht, der die verschiedenartigsten Gegenstände für die In¬ sassen des Klosters herbeischafft. Sonst hört man nirgends ein Geräusch; es sei denn, daß über die unbewegte Wasserfläche ein heimkehrender Fischerkahn hingleitet. Dasselbe Schweigen empfängt uns auch oben, wenn Nur durch die heilige Pforte in den geräumigen Klosterhof eintreten. Wir dürfen nicht etwa erwarten, die gesamte fromme Brüderschaft in ihren Zellen in stiller Beschau¬ lichkeit anzutreffen; nein, hier herrscht rege Thätigkeit wie im Getriebe der Außenwelt, aber eine Thätigkeit im Namen Gottes und zum Ruhme des ge¬ weihten Ortes. Der russische Geschichtschreiber Nemirowitsch-Dantschenko nennt Walamn „das Reich der Arbeiter"; während die Mönche von sich selbst häufig: Wir Bauern, oder: Wir Handwerker sagen. Der ganze Orden ergänzt sich fast ausschließlich aus den Söhnen der untern Volksschichten; alle seine Baumeister, Architekten und Mechaniker sind aus einfachen Handwerker- oder Tagelöhner¬ familien hervorgegangen. Ein Blick auf diese Mönchsgestalten genügt, sich davon zu überzeugen. Das sind keine abgehärmten, hagern Asketen der byzan¬ tinischen Kirche, es sind dnrch anstrengende Arbeit gekräftigte Hünengestalten, deren schwielige Hände und gedrungner Körperbau beweisen, daß sie an An¬ strengung und Thätigkeit gewöhnt sind. Die Schöße der aus grobem schwarzem Tuch angefertigten Kutte tragen sie meist aufgeschürzt, um nicht dadurch beim Gehn und bei der Arbeit behindert zu werde». Anspruchslos in ihrer ganzen Lebensführung von Jugend auf, fühlen sie vielleicht nicht die unerbittliche Strenge der Ordensregeln von Walamn. Diese sind, nicht nur vom Stand¬ punkt des Laien aus betrachtet, soudern auch im Vergleich mit den Vorschriften andrer Klöster sehr streng. Längere Gespräche untereinander sind verboten, nur in der Arbeit sollen die frommen Brüder ihre Erholung finden; auch darf kein Mönch ohne Erlaubnis der Obern einen andern in dessen Zelle besuchen; mit Laien sich zu unterhalten, ist durchaus untersagt, es sei denn, daß es der Abt selbst ausdrücklich erlaubt. Kein Mönch darf außer an dem gemeinsamen Mittagstisch Speise oder Trank zu sich nehmen, niemand ohne die Genehmigung eines Vorstehers einen Brief schreiben. Nur wer von Kindesbeinen an solche Entbehrungen zu ertragen gelernt hat, kann sich in Demut und Ergebenheit dieser strengsten aller Ordensregeln fügen. Wenn nun auch zuweilen Leute von höherer Bildung und aus den besten Familien Rußlands in Walamn die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/528>, abgerufen am 03.07.2024.