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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Großkapital und größeres Deutschland

seinem bekannten Vortrage über "Deutschland als Industriestaat" auf dem
Evangelisch-sozialen Kongreß in Leipzig am 10, Juni 1897 entwickelt, indem
er sagte: "Ausdehnung der Exportindustrie, Gewinnung "euer Absatzmärkte,
Pionierarbeit für geographische Ausdehnung der Machtsphäre deutscher Volks¬
wirtschaft ist nur deutbar unter kapitalistischer Führung und wendet nach aller
Erfahrung und nach aller innern Wahrscheinlichkeit dem Kapital den Löwen¬
anteil am Ertrage zu," Die dadurch geförderte ungleiche Verteilung des
Volksverinögeus zwischen Reich und Arm sei "unwirtschaftlich," Der Reiche
könne sein höheres Einkommen wohl ausgeben, aber nicht in vollem Maße
genießen, wie es die Armen genießen würden. Wirtschaftliche Ungleichheit sei
"so ipso Vergeudung wirtschaftlicher Güter."

Wenn ich die Politik, die der von Wagner und Oldeuberg bemängelten
volkswirtschaftlichen Entwicklungstendenz Rechnung trägt, hier kurz die des
"größern Deutschlands" oder deutsche Weltpolitik nenne, so entspricht das
etwa dem, was Graf Bülow in seiner Neichstngsrede zur Ankündigung der
Flottenvorlage am 11. Dezember des vergangnen Jahres über die Weltpolitik,
in die wir eintreten müßten, und über die Politik des "größern Dentschlands"
sagte: die Weltpolitik "nicht im Sinne der Eroberung, wohl aber im Sinne
der friedlichen Ausdehnung unsers Handels und seiner Stützpunkte," Der Be¬
griff des Kapitals ist, wie ein namhafter Volkswirt erst kürzlich geschrieben
hat, einer der schwankendsten in der Nationalökonomie, da fast jeder Schrift¬
steller seine eigne Definition davon aufstellt. Das kann von dem Begriff der
Weltpolitik auch gesagt werden, nur daß sich die politischen Schriftsteller mit
Definitionen weniger plagen als die national-ökonomische". Wer unter Welt¬
politik, der Politik des größern Dentschlands, etwas ganz andres versteht, dein
soll also durchaus nicht widersprochen werden, wenn ich sage: für eine erfolg¬
reiche Weltpolitik thut uns eine starke Flotte, wie ein starkes Großkapital
dringend not, und zwar ein bewegliches, gut organisiertes und gut geleitetes
Großkapital.

Von vornherein sei übrigens dagegen Verwahrung eingelegt, als ob damit
die fortschreitende Verteilung des Volkseinkommens hintenangesetzt und ein¬
seitig dem Ansammeln großer Kapitalien in den Händen einzelner das Wort
geredet werden sollte. Im Gegenteil, ich räume willig dem Verteilen eine sehr
hohe, vielleicht die höhere Bedeutung ein, aber unter Umständen wird eben
anch das Sammeln dringend. Das Verteilen führt zur Verarmung aller,
wenn nicht dafür gesorgt wird, daß immer wieder etwas rechtes zu verteilen
da ist. Einseitig und kurzsichtig ist es also, wenn sich die Sozialdemokratie
gegen die Flotteupvlitik des Kaisers deshalb auflehnt, weil das Großkapital
bei der Weltpolitik gute Geschäfte zu machen hofft, aber ganz ebenso, wenn
die Herren Agrarier und Mittelstandspolitiker die Weltpolitik ablehnen, weil
dem Großkapital in Handel und Gewerbe dabei die Führung zufällt. Die
Abneigung gegen das Großkapital scheint sich bei uns immer mehr zur fixen
Idee zu verdichten. Man fängt an, seine Größe, seine Schädlichkeit und seinen


Großkapital und größeres Deutschland

seinem bekannten Vortrage über „Deutschland als Industriestaat" auf dem
Evangelisch-sozialen Kongreß in Leipzig am 10, Juni 1897 entwickelt, indem
er sagte: „Ausdehnung der Exportindustrie, Gewinnung »euer Absatzmärkte,
Pionierarbeit für geographische Ausdehnung der Machtsphäre deutscher Volks¬
wirtschaft ist nur deutbar unter kapitalistischer Führung und wendet nach aller
Erfahrung und nach aller innern Wahrscheinlichkeit dem Kapital den Löwen¬
anteil am Ertrage zu," Die dadurch geförderte ungleiche Verteilung des
Volksverinögeus zwischen Reich und Arm sei „unwirtschaftlich," Der Reiche
könne sein höheres Einkommen wohl ausgeben, aber nicht in vollem Maße
genießen, wie es die Armen genießen würden. Wirtschaftliche Ungleichheit sei
„so ipso Vergeudung wirtschaftlicher Güter."

Wenn ich die Politik, die der von Wagner und Oldeuberg bemängelten
volkswirtschaftlichen Entwicklungstendenz Rechnung trägt, hier kurz die des
„größern Deutschlands" oder deutsche Weltpolitik nenne, so entspricht das
etwa dem, was Graf Bülow in seiner Neichstngsrede zur Ankündigung der
Flottenvorlage am 11. Dezember des vergangnen Jahres über die Weltpolitik,
in die wir eintreten müßten, und über die Politik des „größern Dentschlands"
sagte: die Weltpolitik „nicht im Sinne der Eroberung, wohl aber im Sinne
der friedlichen Ausdehnung unsers Handels und seiner Stützpunkte," Der Be¬
griff des Kapitals ist, wie ein namhafter Volkswirt erst kürzlich geschrieben
hat, einer der schwankendsten in der Nationalökonomie, da fast jeder Schrift¬
steller seine eigne Definition davon aufstellt. Das kann von dem Begriff der
Weltpolitik auch gesagt werden, nur daß sich die politischen Schriftsteller mit
Definitionen weniger plagen als die national-ökonomische». Wer unter Welt¬
politik, der Politik des größern Dentschlands, etwas ganz andres versteht, dein
soll also durchaus nicht widersprochen werden, wenn ich sage: für eine erfolg¬
reiche Weltpolitik thut uns eine starke Flotte, wie ein starkes Großkapital
dringend not, und zwar ein bewegliches, gut organisiertes und gut geleitetes
Großkapital.

Von vornherein sei übrigens dagegen Verwahrung eingelegt, als ob damit
die fortschreitende Verteilung des Volkseinkommens hintenangesetzt und ein¬
seitig dem Ansammeln großer Kapitalien in den Händen einzelner das Wort
geredet werden sollte. Im Gegenteil, ich räume willig dem Verteilen eine sehr
hohe, vielleicht die höhere Bedeutung ein, aber unter Umständen wird eben
anch das Sammeln dringend. Das Verteilen führt zur Verarmung aller,
wenn nicht dafür gesorgt wird, daß immer wieder etwas rechtes zu verteilen
da ist. Einseitig und kurzsichtig ist es also, wenn sich die Sozialdemokratie
gegen die Flotteupvlitik des Kaisers deshalb auflehnt, weil das Großkapital
bei der Weltpolitik gute Geschäfte zu machen hofft, aber ganz ebenso, wenn
die Herren Agrarier und Mittelstandspolitiker die Weltpolitik ablehnen, weil
dem Großkapital in Handel und Gewerbe dabei die Führung zufällt. Die
Abneigung gegen das Großkapital scheint sich bei uns immer mehr zur fixen
Idee zu verdichten. Man fängt an, seine Größe, seine Schädlichkeit und seinen


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[0520] Großkapital und größeres Deutschland seinem bekannten Vortrage über „Deutschland als Industriestaat" auf dem Evangelisch-sozialen Kongreß in Leipzig am 10, Juni 1897 entwickelt, indem er sagte: „Ausdehnung der Exportindustrie, Gewinnung »euer Absatzmärkte, Pionierarbeit für geographische Ausdehnung der Machtsphäre deutscher Volks¬ wirtschaft ist nur deutbar unter kapitalistischer Führung und wendet nach aller Erfahrung und nach aller innern Wahrscheinlichkeit dem Kapital den Löwen¬ anteil am Ertrage zu," Die dadurch geförderte ungleiche Verteilung des Volksverinögeus zwischen Reich und Arm sei „unwirtschaftlich," Der Reiche könne sein höheres Einkommen wohl ausgeben, aber nicht in vollem Maße genießen, wie es die Armen genießen würden. Wirtschaftliche Ungleichheit sei „so ipso Vergeudung wirtschaftlicher Güter." Wenn ich die Politik, die der von Wagner und Oldeuberg bemängelten volkswirtschaftlichen Entwicklungstendenz Rechnung trägt, hier kurz die des „größern Deutschlands" oder deutsche Weltpolitik nenne, so entspricht das etwa dem, was Graf Bülow in seiner Neichstngsrede zur Ankündigung der Flottenvorlage am 11. Dezember des vergangnen Jahres über die Weltpolitik, in die wir eintreten müßten, und über die Politik des „größern Dentschlands" sagte: die Weltpolitik „nicht im Sinne der Eroberung, wohl aber im Sinne der friedlichen Ausdehnung unsers Handels und seiner Stützpunkte," Der Be¬ griff des Kapitals ist, wie ein namhafter Volkswirt erst kürzlich geschrieben hat, einer der schwankendsten in der Nationalökonomie, da fast jeder Schrift¬ steller seine eigne Definition davon aufstellt. Das kann von dem Begriff der Weltpolitik auch gesagt werden, nur daß sich die politischen Schriftsteller mit Definitionen weniger plagen als die national-ökonomische». Wer unter Welt¬ politik, der Politik des größern Dentschlands, etwas ganz andres versteht, dein soll also durchaus nicht widersprochen werden, wenn ich sage: für eine erfolg¬ reiche Weltpolitik thut uns eine starke Flotte, wie ein starkes Großkapital dringend not, und zwar ein bewegliches, gut organisiertes und gut geleitetes Großkapital. Von vornherein sei übrigens dagegen Verwahrung eingelegt, als ob damit die fortschreitende Verteilung des Volkseinkommens hintenangesetzt und ein¬ seitig dem Ansammeln großer Kapitalien in den Händen einzelner das Wort geredet werden sollte. Im Gegenteil, ich räume willig dem Verteilen eine sehr hohe, vielleicht die höhere Bedeutung ein, aber unter Umständen wird eben anch das Sammeln dringend. Das Verteilen führt zur Verarmung aller, wenn nicht dafür gesorgt wird, daß immer wieder etwas rechtes zu verteilen da ist. Einseitig und kurzsichtig ist es also, wenn sich die Sozialdemokratie gegen die Flotteupvlitik des Kaisers deshalb auflehnt, weil das Großkapital bei der Weltpolitik gute Geschäfte zu machen hofft, aber ganz ebenso, wenn die Herren Agrarier und Mittelstandspolitiker die Weltpolitik ablehnen, weil dem Großkapital in Handel und Gewerbe dabei die Führung zufällt. Die Abneigung gegen das Großkapital scheint sich bei uns immer mehr zur fixen Idee zu verdichten. Man fängt an, seine Größe, seine Schädlichkeit und seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/520>, abgerufen am 01.07.2024.