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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Weltmacht

dieser Großinachtbegriff so wenig definierbar, daß Preußen, nach allen An¬
strengungen Friedrichs II. und alleu spätern polnischen Aufbauschungen, vom
Basler Frieden bis zum ersten Pariser Frieden noch gar nicht wagte, sich als
Großmacht zu fühlen und zu zeigen, und daß man in Wien anfangs gar nicht
bemerken wollte, wie großmächtig das wiedergeborne Bourbonenreich sei, bis
dann Tallcyrnnd die vier Widerwilligen zu überzeugen wußte, daß es ohne
Frankreich keine Pentarchie und kein Gleichgewicht der großmächtlichen Kräfte
geben könne, wonach dann für Jahrzehnte hinaus die fünf Pentarchen eifer¬
süchtig dafür sorgten, daß kein sechster Staat sich beikommen ließe, großmüchtig
zu werden, so gutes Recht dazu schon damals und besonders nach 1848 sowohl
Italien als Deutschland anch haben mochten. Damit hatte denn allerdings
die Bezeichnung Großmacht einen Sinn bekommen, nämlich den, daß jede der
fünf Großmächte verlangen konnte, daß nichts Wichtiges in dem politischen
Leben Europas vor sich gehn dürfe ohne Berücksichtigung ihrer besondern
Interessen durch die übrigen vier Mitglieder der Pentarchie, widrigenfalls diese
Großmacht Mittel genug aufzuwenden habe, ihre Interessen mit Gewalt zu
schützen. Und so lange diese fünf Großen daran festhielten, wußte man, daß
nur die Macht eine Großmacht sei, die in dem europäischen Areopng mit¬
zusprechen hatte, was von nicht geringem realem Wert und Gewicht war. Der
Großmachtbegriff hatte also damals einen greifbaren bestimmten Inhalt, und
man begann seitdem auch von einem europäischen Konzert zu sprechen, wie
man die von den fünf großmächtlichen Instrumenten vorgetragne Musik be¬
zeichnete, nach der dann die andern, die Kleinen, tanze" mußten.

Es dauerte freilich nicht gar lange, so begann sich dieser pentarchische
Großinachtbegriff zu verwischen infolge zunehmender Disharmonie in dem
Konzert der fünf. Von Anbeginn nämlich war die Musik auf ein Grund-
motiv gesetzt, das allen fünf wohl behagte und dahin lautete, daß dem
revolutionären Wesen für alle Zeit ein Ende gemacht werden müsse. Leider
aber schüttete man sehr bald das Kind mit dein Bade aus, indem man mit
der Revolution auch die geivvhnlichste oder doch vernünftigste Art von Völker¬
freiheit und Menscheilfreiheit im Gebiet der kontinentalen Staaten umzubringen
bestrebt war, was nicht nach dein Geschmack aller fünf Mächte war. Schon
die Kongresse von Laibach und Verona, auf denen die großmächtliche Autorität
gegenüber allen volksfreiheitlichen Gelüsten in Italien und Spanien in Marsch
gesetzt wurde, brachten Risse in die Einigkeit der fünf, indem England mi߬
mutig zur Seite trat. Bald darauf wurden die Risse durch den Freiheits¬
kampf der Griechen erweitert, und als dann die Julirevolution im Westen dem
Legitimitütsprinzip ein Ende machte, im Osten aber zugleich Zar Nikolaus
zum Bewußtsein seiner großen Mission gelangt war, da stimmte nichts mehr
recht in dem Konzert, sodaß sich 1834 England, Frankreich und die beiden
iberischen Staaten zur Verteidigung der vom Osten her bedrohten Volksrechte
zu einer Allianz zusammenschlossen. Bedroht waren diese Rechte eigentlich
nur in Spanien und Portugal, aber die Julirevolution hatte doch auch die


Weltmacht

dieser Großinachtbegriff so wenig definierbar, daß Preußen, nach allen An¬
strengungen Friedrichs II. und alleu spätern polnischen Aufbauschungen, vom
Basler Frieden bis zum ersten Pariser Frieden noch gar nicht wagte, sich als
Großmacht zu fühlen und zu zeigen, und daß man in Wien anfangs gar nicht
bemerken wollte, wie großmächtig das wiedergeborne Bourbonenreich sei, bis
dann Tallcyrnnd die vier Widerwilligen zu überzeugen wußte, daß es ohne
Frankreich keine Pentarchie und kein Gleichgewicht der großmächtlichen Kräfte
geben könne, wonach dann für Jahrzehnte hinaus die fünf Pentarchen eifer¬
süchtig dafür sorgten, daß kein sechster Staat sich beikommen ließe, großmüchtig
zu werden, so gutes Recht dazu schon damals und besonders nach 1848 sowohl
Italien als Deutschland anch haben mochten. Damit hatte denn allerdings
die Bezeichnung Großmacht einen Sinn bekommen, nämlich den, daß jede der
fünf Großmächte verlangen konnte, daß nichts Wichtiges in dem politischen
Leben Europas vor sich gehn dürfe ohne Berücksichtigung ihrer besondern
Interessen durch die übrigen vier Mitglieder der Pentarchie, widrigenfalls diese
Großmacht Mittel genug aufzuwenden habe, ihre Interessen mit Gewalt zu
schützen. Und so lange diese fünf Großen daran festhielten, wußte man, daß
nur die Macht eine Großmacht sei, die in dem europäischen Areopng mit¬
zusprechen hatte, was von nicht geringem realem Wert und Gewicht war. Der
Großmachtbegriff hatte also damals einen greifbaren bestimmten Inhalt, und
man begann seitdem auch von einem europäischen Konzert zu sprechen, wie
man die von den fünf großmächtlichen Instrumenten vorgetragne Musik be¬
zeichnete, nach der dann die andern, die Kleinen, tanze» mußten.

Es dauerte freilich nicht gar lange, so begann sich dieser pentarchische
Großinachtbegriff zu verwischen infolge zunehmender Disharmonie in dem
Konzert der fünf. Von Anbeginn nämlich war die Musik auf ein Grund-
motiv gesetzt, das allen fünf wohl behagte und dahin lautete, daß dem
revolutionären Wesen für alle Zeit ein Ende gemacht werden müsse. Leider
aber schüttete man sehr bald das Kind mit dein Bade aus, indem man mit
der Revolution auch die geivvhnlichste oder doch vernünftigste Art von Völker¬
freiheit und Menscheilfreiheit im Gebiet der kontinentalen Staaten umzubringen
bestrebt war, was nicht nach dein Geschmack aller fünf Mächte war. Schon
die Kongresse von Laibach und Verona, auf denen die großmächtliche Autorität
gegenüber allen volksfreiheitlichen Gelüsten in Italien und Spanien in Marsch
gesetzt wurde, brachten Risse in die Einigkeit der fünf, indem England mi߬
mutig zur Seite trat. Bald darauf wurden die Risse durch den Freiheits¬
kampf der Griechen erweitert, und als dann die Julirevolution im Westen dem
Legitimitütsprinzip ein Ende machte, im Osten aber zugleich Zar Nikolaus
zum Bewußtsein seiner großen Mission gelangt war, da stimmte nichts mehr
recht in dem Konzert, sodaß sich 1834 England, Frankreich und die beiden
iberischen Staaten zur Verteidigung der vom Osten her bedrohten Volksrechte
zu einer Allianz zusammenschlossen. Bedroht waren diese Rechte eigentlich
nur in Spanien und Portugal, aber die Julirevolution hatte doch auch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/514>, abgerufen am 01.07.2024.