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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

unter unangenehm und erfordert eine gewisse Übung, denn wenn der Esel
stolpert, dann macht der unsichre Reiter einen Kopfsprung auf deu steinigen
Weg oder den Abhang daneben, Non avsts paurg,! rief mir daher mein Esel¬
treiber an einer solchen Stelle zu. Rom tlo xanra, antwortete ich, stieg aber
doch lieber ab. Ein Zügelruck macht auf die hartmäuliger Tiere wenig Ein¬
druck, eher Stockhiebe, an denen es denn auch selten fehlt. Der Esel pflegt
sie stumm hinzunehmen und äußert überhaupt seine Gefühle nicht oft in Lauten,
dann aber in einem so kläglichen und durchdringenden Geheul, als wenn das
Leid der ganzen Erde auf dem unglücklichen Langohr laste.

Von der Porta Messina ritten wir an der Nordseite des Burgbergs weg,
daun einen Felsengrat hinauf. Rechts und links fiel der Blick in tiefe Thäler,
links hinter uns, bald tief unter, blieb das Kastell, vor uns erhob sich der
Felsblock von Mola, in der Meereshöhe von 635 Metern noch um etwa
240 Meter hoher als jenes, nach Norden fast überhängend, nach Süden sich
erst leicht, dann rascher senkend. In vielfachen Windungen erreichten wir unter
der überhängenden Felswand weg einen kleinen Vorplatz vor dem Eingang des
Dorfes, wo die Esel blieben, und stiegen nach dem Kastell hinauf, das jenen
höchsten Felsen am Nordende des kleinen Plateaus krönt. Den Schlüssel zum
Thore brachte ein Mädchen aus dein nahen Hause des jetzigen Besitzers;
eine -- deutsche Aufschrift darüber belehrte, was für diese Leistung zu entrichten
sei. Oben wucherten riesige Feigenkakteen mit stachligen Blättern (wenn man
so sagen darf) bis zu 40 Centimeter Länge, um die hier und da noch die rot¬
gelben Früchte standen; sonst ist der Raum zwischen den alten Mauern jetzt
mit Ackerland ausgefüllt. Nur durch Überrumplung konnten sich am 1. August
902 die Araber dieser unersteiglichen Feste bemächtigen: einige Neger erkletterten
wie die Katzen den Felsen, und die überraschte Besatzung leistete kaum mehr
Widerstand. Tief unten liegt hier die Landschaft nach der Seeseite hin, aber
landeinwärts nach Nordwesten steigt das kahle Felshaupt des Monte Venere
zu 864 Metern auf; wie eine blaue Wand erhebt sich im Osten das weite Meer,
und im Süden wächst der Ätna noch riesiger heraus als sonst. Und welchen
historischen Schauplatz überblickt man hier! An und auf diesen Felshängen
begann und endete die griechische Herrschaft auf Sizilien, hier landeten
415 v. Chr. die Athener, 278 König Pyrrhos, der zum letztenmale den schönen
Traum eines westgriechischcn Reiches träumte; hier tagten 1410 n. Chr. nach
dem Aussterben des aragonesischen Mmmesstamms die Stände der Insel, um
über eine nationale Verfassung zu beraten; von hier setzte im September 1860
Garibaldi nach Knlabrien über, um die Herrschaft der Bourbonen auch auf
dem Festlnnde zu stürzen.

Unsre beiden Eseljungen wußten natürlich von allen diesen Dingen gar
nichts, dagegen war es ihnen interessant, daß wir Neigung verrieten, in der
Osteria am andern Ende des Orts in der Nähe der Kirche eine Flasche Wein
zu trinken, und sie führten uns bereitwillig durch die enge, schmutzige Dorf¬
gasse dorthin. So ein kleines sizilianisches Bergnest hat etwas Trostloses,
trotz aller schönen Aussicht: ärmliche Häuser, abfallender Putz, kleine, unregel-


Auf Sizilien

unter unangenehm und erfordert eine gewisse Übung, denn wenn der Esel
stolpert, dann macht der unsichre Reiter einen Kopfsprung auf deu steinigen
Weg oder den Abhang daneben, Non avsts paurg,! rief mir daher mein Esel¬
treiber an einer solchen Stelle zu. Rom tlo xanra, antwortete ich, stieg aber
doch lieber ab. Ein Zügelruck macht auf die hartmäuliger Tiere wenig Ein¬
druck, eher Stockhiebe, an denen es denn auch selten fehlt. Der Esel pflegt
sie stumm hinzunehmen und äußert überhaupt seine Gefühle nicht oft in Lauten,
dann aber in einem so kläglichen und durchdringenden Geheul, als wenn das
Leid der ganzen Erde auf dem unglücklichen Langohr laste.

Von der Porta Messina ritten wir an der Nordseite des Burgbergs weg,
daun einen Felsengrat hinauf. Rechts und links fiel der Blick in tiefe Thäler,
links hinter uns, bald tief unter, blieb das Kastell, vor uns erhob sich der
Felsblock von Mola, in der Meereshöhe von 635 Metern noch um etwa
240 Meter hoher als jenes, nach Norden fast überhängend, nach Süden sich
erst leicht, dann rascher senkend. In vielfachen Windungen erreichten wir unter
der überhängenden Felswand weg einen kleinen Vorplatz vor dem Eingang des
Dorfes, wo die Esel blieben, und stiegen nach dem Kastell hinauf, das jenen
höchsten Felsen am Nordende des kleinen Plateaus krönt. Den Schlüssel zum
Thore brachte ein Mädchen aus dein nahen Hause des jetzigen Besitzers;
eine — deutsche Aufschrift darüber belehrte, was für diese Leistung zu entrichten
sei. Oben wucherten riesige Feigenkakteen mit stachligen Blättern (wenn man
so sagen darf) bis zu 40 Centimeter Länge, um die hier und da noch die rot¬
gelben Früchte standen; sonst ist der Raum zwischen den alten Mauern jetzt
mit Ackerland ausgefüllt. Nur durch Überrumplung konnten sich am 1. August
902 die Araber dieser unersteiglichen Feste bemächtigen: einige Neger erkletterten
wie die Katzen den Felsen, und die überraschte Besatzung leistete kaum mehr
Widerstand. Tief unten liegt hier die Landschaft nach der Seeseite hin, aber
landeinwärts nach Nordwesten steigt das kahle Felshaupt des Monte Venere
zu 864 Metern auf; wie eine blaue Wand erhebt sich im Osten das weite Meer,
und im Süden wächst der Ätna noch riesiger heraus als sonst. Und welchen
historischen Schauplatz überblickt man hier! An und auf diesen Felshängen
begann und endete die griechische Herrschaft auf Sizilien, hier landeten
415 v. Chr. die Athener, 278 König Pyrrhos, der zum letztenmale den schönen
Traum eines westgriechischcn Reiches träumte; hier tagten 1410 n. Chr. nach
dem Aussterben des aragonesischen Mmmesstamms die Stände der Insel, um
über eine nationale Verfassung zu beraten; von hier setzte im September 1860
Garibaldi nach Knlabrien über, um die Herrschaft der Bourbonen auch auf
dem Festlnnde zu stürzen.

Unsre beiden Eseljungen wußten natürlich von allen diesen Dingen gar
nichts, dagegen war es ihnen interessant, daß wir Neigung verrieten, in der
Osteria am andern Ende des Orts in der Nähe der Kirche eine Flasche Wein
zu trinken, und sie führten uns bereitwillig durch die enge, schmutzige Dorf¬
gasse dorthin. So ein kleines sizilianisches Bergnest hat etwas Trostloses,
trotz aller schönen Aussicht: ärmliche Häuser, abfallender Putz, kleine, unregel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/503>, abgerufen am 01.07.2024.