Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.Geschmacksvcrirrung im Buchdruck leerer, weißer Raum zu sehen sein dürfe, daß jede halbe leere Zeile mit Nein, lieber Leser, der Buchsatz ist nicht dazu da, die Papierflüchc zu be¬ 'S is c mal was andres! Dieses erleichterte Aufatmen gelangweilten Theo Sommerlad schließt das Vorwort seines Buches mit folgenden Grenzboten II 1900 62
Geschmacksvcrirrung im Buchdruck leerer, weißer Raum zu sehen sein dürfe, daß jede halbe leere Zeile mit Nein, lieber Leser, der Buchsatz ist nicht dazu da, die Papierflüchc zu be¬ 'S is c mal was andres! Dieses erleichterte Aufatmen gelangweilten Theo Sommerlad schließt das Vorwort seines Buches mit folgenden Grenzboten II 1900 62
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0497" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290908"/> <fw type="header" place="top"> Geschmacksvcrirrung im Buchdruck</fw><lb/> <p xml:id="ID_1678" prev="#ID_1677"> leerer, weißer Raum zu sehen sein dürfe, daß jede halbe leere Zeile mit<lb/> Blümchen gefüllt werden müsse u. dergl. mehr. Und alle Welt sitzt staunend<lb/> dabei, hört die neue Weisheit voll gläubiger Ergebung an, und niemand wagt<lb/> es, zu widersprechen. Im stillen zweifelt wohl der oder jener und sieht sich<lb/> um, ob er nicht irgendwo noch einen andern Zweifler finde. Aber schließlich<lb/> sagt er sich: Du willst doch lieber mitthun, damit es nicht scheine, als wärst<lb/> du unfähig, mit „fortzuschreiten." Schon oder häßlich, gescheit oder dumm —<lb/> 's is e mal was andres! „Mer genn doch nich eegal de Biecher so drucken,<lb/> wie mer sehe bis jetz gedruckt haam!"</p><lb/> <p xml:id="ID_1679"> Nein, lieber Leser, der Buchsatz ist nicht dazu da, die Papierflüchc zu be¬<lb/> decken — das verwechseln die Herren mit den Tapetenmustern —, sondern der<lb/> Buchsatz ist dazu da, gelesen zu werden, und alles, was dazu beitrüge, das<lb/> Lesen zu erleichtern und angenehmer zu machen, bedeutet einen Fortschritt, alles,<lb/> was das Lesen erschwert und verekelt, einen Rückschritt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1680"> 'S is c mal was andres! Dieses erleichterte Aufatmen gelangweilten<lb/> Stumpfsinns, das ist es allein, was tausend Erscheinungen in unsrer heutigen<lb/> Mode erklärlich macht: in der Kunst, im Kunstgewerbe, in der Kleidung, in<lb/> der Sitte, in der Sprache — überall. Dieselbe Geistes- und Gemütsverfassung,<lb/> die nicht mehr „zugänglich" sagt, sondern „zugüngig," die die Kleidertasche<lb/> nicht mehr an die Seite, sondern hintenhiu näht, den Stock nicht mehr am<lb/> Griff, sondern an der Zwinge anfaßt, Visitenkarten in der Länge von Buch¬<lb/> zeichen schneidet, einen Briefbogen ans der vierten Seite zu beschreiben anfängt<lb/> und in der Adresse nicht mehr die Stadt, sondern die Hausnummer zuerst<lb/> nennt, es schön findet, wenn auf der Straße nicht mehr der Mann die Frau,<lb/> souderu die Frau den Mann führt, eine „Griffelkunst" bewundert, deren<lb/> „Motive" den krummgewachsenen Mvhnstengeln, den hin- und herwackelnden<lb/> Schwimmblumen und dem schwer aufsteigenden und dahinziehenden Cigaretten-<lb/> gewölk entnommen sind, dieselbe Geistes- lind Gemütsverfassung druckt auch<lb/> Bücher, die vom „land in der natu" handeln. 'S is e mal was andres!</p><lb/> <p xml:id="ID_1681" next="#ID_1682"> Theo Sommerlad schließt das Vorwort seines Buches mit folgenden<lb/> Sätzen: „Möchte den Fachgenossen und allen, die für Kirche und Wirtschafts¬<lb/> leben Interesse haben, die Gestalt dieses Bandes willkommen sein, dann wird<lb/> zur Fortsetzung und Vollendung meiner Arbeit die Freude der Gestaltung<lb/> niemals fehlen!" Seltsame Logik! Also wenn das Äußere des Buches Beifall<lb/> findet, dann wird das für deu Verfasser ein Sporn sein, den Inhalt des<lb/> Buches weiter zu bearbeite». Ich wünsche ihm vor allem, daß der Inhalt<lb/> seines Buches so viel Beifall finden möge, daß ihn das zur Fortsetzung seiner<lb/> Arbeit ermuntre. Was aber das Äußere betrifft, so habe ich einen andern<lb/> Wunsch. Am Sonnabend vor Ccmtnte ist in Leipzig unter Beteiligung aller¬<lb/> höchster und höchster Herrschaften ein deutsches Buchgewerbehaus mit Buch-<lb/> gewerbemusenm und „Gutenberghalle" feierlich eröffnet worden, und im Juni<lb/> wird in Mainz und anderwärts das fünfhundertjährige Geburtsjubilüum Guten¬<lb/> bergs gefeiert werden. Schon wirft der übliche Jubiläumsrummel in Gestalt</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1900 62</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0497]
Geschmacksvcrirrung im Buchdruck
leerer, weißer Raum zu sehen sein dürfe, daß jede halbe leere Zeile mit
Blümchen gefüllt werden müsse u. dergl. mehr. Und alle Welt sitzt staunend
dabei, hört die neue Weisheit voll gläubiger Ergebung an, und niemand wagt
es, zu widersprechen. Im stillen zweifelt wohl der oder jener und sieht sich
um, ob er nicht irgendwo noch einen andern Zweifler finde. Aber schließlich
sagt er sich: Du willst doch lieber mitthun, damit es nicht scheine, als wärst
du unfähig, mit „fortzuschreiten." Schon oder häßlich, gescheit oder dumm —
's is e mal was andres! „Mer genn doch nich eegal de Biecher so drucken,
wie mer sehe bis jetz gedruckt haam!"
Nein, lieber Leser, der Buchsatz ist nicht dazu da, die Papierflüchc zu be¬
decken — das verwechseln die Herren mit den Tapetenmustern —, sondern der
Buchsatz ist dazu da, gelesen zu werden, und alles, was dazu beitrüge, das
Lesen zu erleichtern und angenehmer zu machen, bedeutet einen Fortschritt, alles,
was das Lesen erschwert und verekelt, einen Rückschritt.
'S is c mal was andres! Dieses erleichterte Aufatmen gelangweilten
Stumpfsinns, das ist es allein, was tausend Erscheinungen in unsrer heutigen
Mode erklärlich macht: in der Kunst, im Kunstgewerbe, in der Kleidung, in
der Sitte, in der Sprache — überall. Dieselbe Geistes- und Gemütsverfassung,
die nicht mehr „zugänglich" sagt, sondern „zugüngig," die die Kleidertasche
nicht mehr an die Seite, sondern hintenhiu näht, den Stock nicht mehr am
Griff, sondern an der Zwinge anfaßt, Visitenkarten in der Länge von Buch¬
zeichen schneidet, einen Briefbogen ans der vierten Seite zu beschreiben anfängt
und in der Adresse nicht mehr die Stadt, sondern die Hausnummer zuerst
nennt, es schön findet, wenn auf der Straße nicht mehr der Mann die Frau,
souderu die Frau den Mann führt, eine „Griffelkunst" bewundert, deren
„Motive" den krummgewachsenen Mvhnstengeln, den hin- und herwackelnden
Schwimmblumen und dem schwer aufsteigenden und dahinziehenden Cigaretten-
gewölk entnommen sind, dieselbe Geistes- lind Gemütsverfassung druckt auch
Bücher, die vom „land in der natu" handeln. 'S is e mal was andres!
Theo Sommerlad schließt das Vorwort seines Buches mit folgenden
Sätzen: „Möchte den Fachgenossen und allen, die für Kirche und Wirtschafts¬
leben Interesse haben, die Gestalt dieses Bandes willkommen sein, dann wird
zur Fortsetzung und Vollendung meiner Arbeit die Freude der Gestaltung
niemals fehlen!" Seltsame Logik! Also wenn das Äußere des Buches Beifall
findet, dann wird das für deu Verfasser ein Sporn sein, den Inhalt des
Buches weiter zu bearbeite». Ich wünsche ihm vor allem, daß der Inhalt
seines Buches so viel Beifall finden möge, daß ihn das zur Fortsetzung seiner
Arbeit ermuntre. Was aber das Äußere betrifft, so habe ich einen andern
Wunsch. Am Sonnabend vor Ccmtnte ist in Leipzig unter Beteiligung aller¬
höchster und höchster Herrschaften ein deutsches Buchgewerbehaus mit Buch-
gewerbemusenm und „Gutenberghalle" feierlich eröffnet worden, und im Juni
wird in Mainz und anderwärts das fünfhundertjährige Geburtsjubilüum Guten¬
bergs gefeiert werden. Schon wirft der übliche Jubiläumsrummel in Gestalt
Grenzboten II 1900 62
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |