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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Archäologische Studienfahrten nach Griechenland und Kleinasien

Herakles, der Kampf der Griechen und Troer und vor allem der Kampf der
Götter und Giganten ist hier mit einer Kraft des Ausdrucks wiedergegeben,
mit einer Leidenschaftlichkeit der Bewegung und realistischen Treue, die man
dieser alten Zeit wahrlich nicht zugetraut hätte. Pfeile und Speere waren
besonders von Bronze gefertigt und stecken in den Körpern der Verwundeten;
die starke rötliche Bemalung ist vortrefflich erhalten und muß die Wirkung
der ja in ziemlicher Höhe angebrachten Skulpturen fehr verstärkt haben. Noch
um zwanzig bis dreißig Jahre älter sind die Skulpturen vom Schatzhaus von
Sikyon; schon hier verstanden die alten Künstler, in dem beschränkten Raume
einer Metope die Darstellung einer Ochsenhcrde unterzubringen, ein lehrreiches
Beispiel perspektivischer Tiefengliedrung im Beginn des sechsten Jahrhunderts.
Vou Bauwerken ist vor allem natürlich das berühmte Heiligtum des Apollon
zu nennen, dessen leider sehr zerstörte Reste sich über einer gewaltigen
Terrassenmauer erheben. Andre Bauten, so z. B. die Schatzhäuser, sind noch
mehr zerstört, und die Orientierung in Delphi ist an sich schwieriger als in
Olympia, weil das unebne, überall steil zu den Felsen ansteigende Terrain
eine gleich übersichtliche Anlage ausschloß. Gut erhalten sind aber das
Theater und das Stadion, und sehr schön ist die gesamte Lage im Winkel
der Phädriaden, der steilwandigeu Felsen, die schließlich zum schneebedeckten
Gipfel des Parnaß emporsteigen.

Dagegen macht Delos einen ziemlich unvorteilhaften Eindruck. Die kleine,
völlig kahle und wüste Insel ist ein wirres Trümmerfeld, und da der heilige
Bezirk mit seinen Marmorgebäuden jahrhundertelang den Nachbnrinseln als
Steinbruch gedient hat, so steht man zunächst betreten vor einem schwer zu
deutenden Chaos, das sich nur langsam entwirren läßt. Von dem prachtvollen
Apollontempel und seinen beiden ältern Vorläufern, die dicht dabei liegen,
hat man nur noch das nackte Fundament. Wichtig ist das Theater wegen
seines eigentümlichen Skenengebändcs; zahlreiche schöne Hausbauten aus rö¬
nnscher Zeit läßt man leider zu Grunde gehn, da man sich nach der Frei¬
legung nicht die Mühe nahm, sie gegen die Witterungseinflüsse zu schützen.
Zweifellos wird die regelrechte Frcileguug noch zahlreiche wichtige Skulpturen
zu den schon gefundnen hinzufügen.

An diese drei Festorte möchte ich Epidauros im Peloponnes anschließen,
mit seinem Hieron des Asklepios, das zwar zunächst Heilzwecken diente,
aber doch auch der Schauplatz größerer Feste war. Das imposante, in seinem
Zuschauerraum vorzüglich erhaltne Theater wird allen Reiseteilnchmern un¬
vergeßlich sein, nicht nur weil darin ein griechischer Archäolog uns durch
Deklamation und Gesang die vortreffliche Akustik demonstrierte, sondern mich
weil unsre ganze Gesellschaft -- auch die Damen -- das Beispiel der erst
dazu beorderten Soldaten nachahmend auf der Orchestra einen höchst stilvollen
Chorreigen aufführte, sodaß die Illusion einer klassischen SclMlspielaufführuug
in prächtigster Weise gewonnen wurde. Aber anch der ziemlich ausgedehnte
heilige Bezirk, der nördlich vom Theater liegt, mit seinen Tempeln, Säulen.-


Archäologische Studienfahrten nach Griechenland und Kleinasien

Herakles, der Kampf der Griechen und Troer und vor allem der Kampf der
Götter und Giganten ist hier mit einer Kraft des Ausdrucks wiedergegeben,
mit einer Leidenschaftlichkeit der Bewegung und realistischen Treue, die man
dieser alten Zeit wahrlich nicht zugetraut hätte. Pfeile und Speere waren
besonders von Bronze gefertigt und stecken in den Körpern der Verwundeten;
die starke rötliche Bemalung ist vortrefflich erhalten und muß die Wirkung
der ja in ziemlicher Höhe angebrachten Skulpturen fehr verstärkt haben. Noch
um zwanzig bis dreißig Jahre älter sind die Skulpturen vom Schatzhaus von
Sikyon; schon hier verstanden die alten Künstler, in dem beschränkten Raume
einer Metope die Darstellung einer Ochsenhcrde unterzubringen, ein lehrreiches
Beispiel perspektivischer Tiefengliedrung im Beginn des sechsten Jahrhunderts.
Vou Bauwerken ist vor allem natürlich das berühmte Heiligtum des Apollon
zu nennen, dessen leider sehr zerstörte Reste sich über einer gewaltigen
Terrassenmauer erheben. Andre Bauten, so z. B. die Schatzhäuser, sind noch
mehr zerstört, und die Orientierung in Delphi ist an sich schwieriger als in
Olympia, weil das unebne, überall steil zu den Felsen ansteigende Terrain
eine gleich übersichtliche Anlage ausschloß. Gut erhalten sind aber das
Theater und das Stadion, und sehr schön ist die gesamte Lage im Winkel
der Phädriaden, der steilwandigeu Felsen, die schließlich zum schneebedeckten
Gipfel des Parnaß emporsteigen.

Dagegen macht Delos einen ziemlich unvorteilhaften Eindruck. Die kleine,
völlig kahle und wüste Insel ist ein wirres Trümmerfeld, und da der heilige
Bezirk mit seinen Marmorgebäuden jahrhundertelang den Nachbnrinseln als
Steinbruch gedient hat, so steht man zunächst betreten vor einem schwer zu
deutenden Chaos, das sich nur langsam entwirren läßt. Von dem prachtvollen
Apollontempel und seinen beiden ältern Vorläufern, die dicht dabei liegen,
hat man nur noch das nackte Fundament. Wichtig ist das Theater wegen
seines eigentümlichen Skenengebändcs; zahlreiche schöne Hausbauten aus rö¬
nnscher Zeit läßt man leider zu Grunde gehn, da man sich nach der Frei¬
legung nicht die Mühe nahm, sie gegen die Witterungseinflüsse zu schützen.
Zweifellos wird die regelrechte Frcileguug noch zahlreiche wichtige Skulpturen
zu den schon gefundnen hinzufügen.

An diese drei Festorte möchte ich Epidauros im Peloponnes anschließen,
mit seinem Hieron des Asklepios, das zwar zunächst Heilzwecken diente,
aber doch auch der Schauplatz größerer Feste war. Das imposante, in seinem
Zuschauerraum vorzüglich erhaltne Theater wird allen Reiseteilnchmern un¬
vergeßlich sein, nicht nur weil darin ein griechischer Archäolog uns durch
Deklamation und Gesang die vortreffliche Akustik demonstrierte, sondern mich
weil unsre ganze Gesellschaft — auch die Damen — das Beispiel der erst
dazu beorderten Soldaten nachahmend auf der Orchestra einen höchst stilvollen
Chorreigen aufführte, sodaß die Illusion einer klassischen SclMlspielaufführuug
in prächtigster Weise gewonnen wurde. Aber anch der ziemlich ausgedehnte
heilige Bezirk, der nördlich vom Theater liegt, mit seinen Tempeln, Säulen.-


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[0484] Archäologische Studienfahrten nach Griechenland und Kleinasien Herakles, der Kampf der Griechen und Troer und vor allem der Kampf der Götter und Giganten ist hier mit einer Kraft des Ausdrucks wiedergegeben, mit einer Leidenschaftlichkeit der Bewegung und realistischen Treue, die man dieser alten Zeit wahrlich nicht zugetraut hätte. Pfeile und Speere waren besonders von Bronze gefertigt und stecken in den Körpern der Verwundeten; die starke rötliche Bemalung ist vortrefflich erhalten und muß die Wirkung der ja in ziemlicher Höhe angebrachten Skulpturen fehr verstärkt haben. Noch um zwanzig bis dreißig Jahre älter sind die Skulpturen vom Schatzhaus von Sikyon; schon hier verstanden die alten Künstler, in dem beschränkten Raume einer Metope die Darstellung einer Ochsenhcrde unterzubringen, ein lehrreiches Beispiel perspektivischer Tiefengliedrung im Beginn des sechsten Jahrhunderts. Vou Bauwerken ist vor allem natürlich das berühmte Heiligtum des Apollon zu nennen, dessen leider sehr zerstörte Reste sich über einer gewaltigen Terrassenmauer erheben. Andre Bauten, so z. B. die Schatzhäuser, sind noch mehr zerstört, und die Orientierung in Delphi ist an sich schwieriger als in Olympia, weil das unebne, überall steil zu den Felsen ansteigende Terrain eine gleich übersichtliche Anlage ausschloß. Gut erhalten sind aber das Theater und das Stadion, und sehr schön ist die gesamte Lage im Winkel der Phädriaden, der steilwandigeu Felsen, die schließlich zum schneebedeckten Gipfel des Parnaß emporsteigen. Dagegen macht Delos einen ziemlich unvorteilhaften Eindruck. Die kleine, völlig kahle und wüste Insel ist ein wirres Trümmerfeld, und da der heilige Bezirk mit seinen Marmorgebäuden jahrhundertelang den Nachbnrinseln als Steinbruch gedient hat, so steht man zunächst betreten vor einem schwer zu deutenden Chaos, das sich nur langsam entwirren läßt. Von dem prachtvollen Apollontempel und seinen beiden ältern Vorläufern, die dicht dabei liegen, hat man nur noch das nackte Fundament. Wichtig ist das Theater wegen seines eigentümlichen Skenengebändcs; zahlreiche schöne Hausbauten aus rö¬ nnscher Zeit läßt man leider zu Grunde gehn, da man sich nach der Frei¬ legung nicht die Mühe nahm, sie gegen die Witterungseinflüsse zu schützen. Zweifellos wird die regelrechte Frcileguug noch zahlreiche wichtige Skulpturen zu den schon gefundnen hinzufügen. An diese drei Festorte möchte ich Epidauros im Peloponnes anschließen, mit seinem Hieron des Asklepios, das zwar zunächst Heilzwecken diente, aber doch auch der Schauplatz größerer Feste war. Das imposante, in seinem Zuschauerraum vorzüglich erhaltne Theater wird allen Reiseteilnchmern un¬ vergeßlich sein, nicht nur weil darin ein griechischer Archäolog uns durch Deklamation und Gesang die vortreffliche Akustik demonstrierte, sondern mich weil unsre ganze Gesellschaft — auch die Damen — das Beispiel der erst dazu beorderten Soldaten nachahmend auf der Orchestra einen höchst stilvollen Chorreigen aufführte, sodaß die Illusion einer klassischen SclMlspielaufführuug in prächtigster Weise gewonnen wurde. Aber anch der ziemlich ausgedehnte heilige Bezirk, der nördlich vom Theater liegt, mit seinen Tempeln, Säulen.-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/484>, abgerufen am 01.07.2024.