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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Ballen, Fiuula'über, Buren

Das x in dieser politischen Gleichung ist noch nicht gefunden. Ich glnnbe
aber nicht, daß es die baldige und völlige Vernichtung der drei kernigen ger¬
manischen oder doch zum mindesten von germanisch-protestantischer Kultur durch¬
drungnen Stämme bedeutet. Zunächst wird den Ballen und den Finnländern
allerdings eine bloß notdürftige Fristung ihres Volksdascins auf bedeutend
verringerter Grundlage aufgezwungen. Die Mittel der Selbsterhaltung sind
ihnen verkürzt, aber uoch nicht gänzlich entzogen. Auch die völlig entrechtete"
Ballen, zum mindesten die wohlhabender" unter ihnen, finden noch immer be¬
scheidne Stützpunkte. Sie können ihre Kinder in die deutschen Schulen Peters¬
burgs und Moskaus, zur wettern Ausbildung nach Deutschland schicken. Auch
ihr noch immer nicht gänzlich unterbnndnes Preß- und Vereinswesen darf nicht
unterschätzt werden. Ihre Sprache gehört zu den großen Weltsprachen, ihre
Kultur zu deu Weltknlturen, die unsichtbare Strahlen auch über die politischen
Grenzen hinanssendet. Hierin sind sie wieder vor den bedrängten Kleinvölkern
unendlich, bevorzugt. Mau glaubt heute auch in Deutschland zu sehr an die
Allmacht des Staats, und die Folge dieser einseitigen Richtung ist die Nicht¬
achtung und Vernachlässigung der freien Seelentrüfte. Warum sollen die spon¬
tanen Regungen, die im polnisch-katholischen Posen gegen uns wirken, nicht
außerhalb unsrer Grenzen auch einmal für unser Volkstum thätig sei"? Oder
traut mau bloß dem Deutschen keinen so starken innern Selbstbestimmungs-
tneb zu? Vielleicht macht die heutige Schwäche der Deutschbalten gerade ihre
Stärke ans. Sie sind von der Last einer politischen Arbeit und Verantwor¬
tung, die für ihre Schultern zu schwer war, schon nahezu entbunden und
können sich nunmehr ganz der Verwaltung ihres geistigen Erbteils widmen,
ohne dabei den gleichen Bestrebungen andrer freundliche Teilnahme zu ver¬
sagen. Da sie auf die in jedem Kampf liegende Steigerung der Selbstsucht,
des Eigenwillens verzichten müssen, so können sie den umwohnenden Völkern
^ deren Einflüsse sich teilweise gegenseitig aufheben, was ebenfalls wohl zu
beachten ist -- nützlicher sein, ihnen sympathischer erscheinen, als wenn sie
mit dem ihnen angebornen turor t>6nomina8 nach rechts und links hin noch
wuchtige Hiebe auszuteilen vermöchten. Durch eine merkwürdige Legierung
von innerer Härte und äußerer Geschmeidigkeit, von Hochmut und Takt
haben sie sich'durch die Jahrhunderte behauptet und werden sich wohl auch
uoch mindestens für ein weiteres Jahrhundert zu behaupten wissen. Die
Schichten des baltischen Deutschtums, die überhaupt nationales Bewußtsein
haben, habe" auch einen ausgeprägten nationalen Stolz, der anderwärts
leider nur selten bei Deutschen anzutreffen ist, und der gewiß dazu beitrage"
wird, eine größere Vermisch""g mit den umwohnende" Völkern für längere
Zeit hintanzuhalten.

Unter gewöhnlichen Verhältnissen stehn und fallen ja die geistige" Guter
mit der politische" Freiheit. Schon Theodor Körner sang:


Für die Knechte giebt es keine Sonnen,
Und die Kunst verlangt ein Vaterland,

Grenzvoten II 1900 ^
Ballen, Fiuula'über, Buren

Das x in dieser politischen Gleichung ist noch nicht gefunden. Ich glnnbe
aber nicht, daß es die baldige und völlige Vernichtung der drei kernigen ger¬
manischen oder doch zum mindesten von germanisch-protestantischer Kultur durch¬
drungnen Stämme bedeutet. Zunächst wird den Ballen und den Finnländern
allerdings eine bloß notdürftige Fristung ihres Volksdascins auf bedeutend
verringerter Grundlage aufgezwungen. Die Mittel der Selbsterhaltung sind
ihnen verkürzt, aber uoch nicht gänzlich entzogen. Auch die völlig entrechtete»
Ballen, zum mindesten die wohlhabender» unter ihnen, finden noch immer be¬
scheidne Stützpunkte. Sie können ihre Kinder in die deutschen Schulen Peters¬
burgs und Moskaus, zur wettern Ausbildung nach Deutschland schicken. Auch
ihr noch immer nicht gänzlich unterbnndnes Preß- und Vereinswesen darf nicht
unterschätzt werden. Ihre Sprache gehört zu den großen Weltsprachen, ihre
Kultur zu deu Weltknlturen, die unsichtbare Strahlen auch über die politischen
Grenzen hinanssendet. Hierin sind sie wieder vor den bedrängten Kleinvölkern
unendlich, bevorzugt. Mau glaubt heute auch in Deutschland zu sehr an die
Allmacht des Staats, und die Folge dieser einseitigen Richtung ist die Nicht¬
achtung und Vernachlässigung der freien Seelentrüfte. Warum sollen die spon¬
tanen Regungen, die im polnisch-katholischen Posen gegen uns wirken, nicht
außerhalb unsrer Grenzen auch einmal für unser Volkstum thätig sei»? Oder
traut mau bloß dem Deutschen keinen so starken innern Selbstbestimmungs-
tneb zu? Vielleicht macht die heutige Schwäche der Deutschbalten gerade ihre
Stärke ans. Sie sind von der Last einer politischen Arbeit und Verantwor¬
tung, die für ihre Schultern zu schwer war, schon nahezu entbunden und
können sich nunmehr ganz der Verwaltung ihres geistigen Erbteils widmen,
ohne dabei den gleichen Bestrebungen andrer freundliche Teilnahme zu ver¬
sagen. Da sie auf die in jedem Kampf liegende Steigerung der Selbstsucht,
des Eigenwillens verzichten müssen, so können sie den umwohnenden Völkern
^ deren Einflüsse sich teilweise gegenseitig aufheben, was ebenfalls wohl zu
beachten ist — nützlicher sein, ihnen sympathischer erscheinen, als wenn sie
mit dem ihnen angebornen turor t>6nomina8 nach rechts und links hin noch
wuchtige Hiebe auszuteilen vermöchten. Durch eine merkwürdige Legierung
von innerer Härte und äußerer Geschmeidigkeit, von Hochmut und Takt
haben sie sich'durch die Jahrhunderte behauptet und werden sich wohl auch
uoch mindestens für ein weiteres Jahrhundert zu behaupten wissen. Die
Schichten des baltischen Deutschtums, die überhaupt nationales Bewußtsein
haben, habe» auch einen ausgeprägten nationalen Stolz, der anderwärts
leider nur selten bei Deutschen anzutreffen ist, und der gewiß dazu beitrage»
wird, eine größere Vermisch»»g mit den umwohnende» Völkern für längere
Zeit hintanzuhalten.

Unter gewöhnlichen Verhältnissen stehn und fallen ja die geistige» Guter
mit der politische» Freiheit. Schon Theodor Körner sang:


Für die Knechte giebt es keine Sonnen,
Und die Kunst verlangt ein Vaterland,

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[0473] Ballen, Fiuula'über, Buren Das x in dieser politischen Gleichung ist noch nicht gefunden. Ich glnnbe aber nicht, daß es die baldige und völlige Vernichtung der drei kernigen ger¬ manischen oder doch zum mindesten von germanisch-protestantischer Kultur durch¬ drungnen Stämme bedeutet. Zunächst wird den Ballen und den Finnländern allerdings eine bloß notdürftige Fristung ihres Volksdascins auf bedeutend verringerter Grundlage aufgezwungen. Die Mittel der Selbsterhaltung sind ihnen verkürzt, aber uoch nicht gänzlich entzogen. Auch die völlig entrechtete» Ballen, zum mindesten die wohlhabender» unter ihnen, finden noch immer be¬ scheidne Stützpunkte. Sie können ihre Kinder in die deutschen Schulen Peters¬ burgs und Moskaus, zur wettern Ausbildung nach Deutschland schicken. Auch ihr noch immer nicht gänzlich unterbnndnes Preß- und Vereinswesen darf nicht unterschätzt werden. Ihre Sprache gehört zu den großen Weltsprachen, ihre Kultur zu deu Weltknlturen, die unsichtbare Strahlen auch über die politischen Grenzen hinanssendet. Hierin sind sie wieder vor den bedrängten Kleinvölkern unendlich, bevorzugt. Mau glaubt heute auch in Deutschland zu sehr an die Allmacht des Staats, und die Folge dieser einseitigen Richtung ist die Nicht¬ achtung und Vernachlässigung der freien Seelentrüfte. Warum sollen die spon¬ tanen Regungen, die im polnisch-katholischen Posen gegen uns wirken, nicht außerhalb unsrer Grenzen auch einmal für unser Volkstum thätig sei»? Oder traut mau bloß dem Deutschen keinen so starken innern Selbstbestimmungs- tneb zu? Vielleicht macht die heutige Schwäche der Deutschbalten gerade ihre Stärke ans. Sie sind von der Last einer politischen Arbeit und Verantwor¬ tung, die für ihre Schultern zu schwer war, schon nahezu entbunden und können sich nunmehr ganz der Verwaltung ihres geistigen Erbteils widmen, ohne dabei den gleichen Bestrebungen andrer freundliche Teilnahme zu ver¬ sagen. Da sie auf die in jedem Kampf liegende Steigerung der Selbstsucht, des Eigenwillens verzichten müssen, so können sie den umwohnenden Völkern ^ deren Einflüsse sich teilweise gegenseitig aufheben, was ebenfalls wohl zu beachten ist — nützlicher sein, ihnen sympathischer erscheinen, als wenn sie mit dem ihnen angebornen turor t>6nomina8 nach rechts und links hin noch wuchtige Hiebe auszuteilen vermöchten. Durch eine merkwürdige Legierung von innerer Härte und äußerer Geschmeidigkeit, von Hochmut und Takt haben sie sich'durch die Jahrhunderte behauptet und werden sich wohl auch uoch mindestens für ein weiteres Jahrhundert zu behaupten wissen. Die Schichten des baltischen Deutschtums, die überhaupt nationales Bewußtsein haben, habe» auch einen ausgeprägten nationalen Stolz, der anderwärts leider nur selten bei Deutschen anzutreffen ist, und der gewiß dazu beitrage» wird, eine größere Vermisch»»g mit den umwohnende» Völkern für längere Zeit hintanzuhalten. Unter gewöhnlichen Verhältnissen stehn und fallen ja die geistige» Guter mit der politische» Freiheit. Schon Theodor Körner sang: Für die Knechte giebt es keine Sonnen, Und die Kunst verlangt ein Vaterland, Grenzvoten II 1900 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/473>, abgerufen am 01.07.2024.