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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Ballen, Linnländer, Buren

die fremden Volker! Diese sind die Prügelknaben der ungebärdigen Rangen
des russischen "Vorderhauses,"

Wer auf einen erfolgreichen Vormarsch der russischen Kantschukoffs gegen
die englischen Plumpuddings in Indien hofft, weiß nicht, das; er um die Aus¬
treibung des Teufels durch Beelzebub betet. Im Vergleich zu den Schreckeus-
thntcn eiues Murawjew in Wilna erscheint das verhältnismäßig milde Ver¬
fahren Englands gegen die aufständischen Afrikander nahezu als die Erfüllung
der frömmsten Quäkerideale.

Wenn auch die Buren Grund genug habe", die Engländer zu hassen und
Zu verabscheuen, so können sich die Afrikander eigentlich nicht allzusehr über
das britische Regiment beklagen. Die Sache liegt uur so, daß sie auf der
von ihnen erreichten Entwicklungsstufe nicht einmal dieses bescheidne Maß von
Bevormundung mehr zu ertragen vermögen und daher im Falle des Sieges
ihrer Stammesbrüder sicher auch den letzten Rest der britischen Hoheitszeichen
M beseitigen wissen würden. Der Gegendruck, den ein starker politischer Druck
hervorruft, wird weniger durch die dabei angewandte Gewalt, als durch die
Widerstandskraft und Rückstoßfähigkeit des angegriffnen Teils, mit andern
Worten durch den Grad der Zusammenpressung und Erhitzung seiner poli¬
tischen und wirtschaftlichen Moleküle hervorgerufen. Der abgehärtete, völlig
auf eigne Füße gestellte Kolonist wirft schon ein politisches Deckbett weit von
sich, das dem in der Heimat zurückgebliebnen Muttersöhnchen zur Gewohnheit,
ja zum Bedürfnis geworden ist. Ranke sagt, die kleinasiatischen Griechen
hätten sich ja vielleicht mit der Zeit in die persische Herrschaft schicken können,
wenn ihre ungeborne "Spontaneität" es ihnen nicht unmöglich gemacht hätte.
Diese Spontaneität hat auch den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg entzündet
und hat heute Buren wie Griqualand-Afritauder getrieben, den letzten Bluts¬
tropfen, den leMeu Hauch voll Mann und Roß an ihre Freiheit zu setzen.

Auch in Finnland ist dieser Selbstbestimmnngstrieb stark entwickelt.
Das, was Alexander I. den Finnländern auf dem Landtage von Borgo im
Jahre 1809 in seiner "Versicherung an die sämtlichen Einwohner Fiiiulands"
gewährleistete, glich nicht bloß einer Verfassung, sondern schloß das Wort
"Konstitution" ausdrücklich mit ein. Das, was sich heute wie der bewegliche
Betthimmel der Räuberherberge auf sie herabsenkt, ist nichts andres als der
erstickende, erdrückende Absolutismus. Wer deu Abstand zwischen Recht und
Gewalt, zwischen freiem, leichtem Akme" u"d krampfhaftem Schnmise" unter
schwere", Alpdruck zu ermessen vermag, wird wissen, was sie empfinden. Ihre
Gouverneure haben hinfort n"r "och den russischen Diensteid zu leiste" und
sind des Schwurs auf die fumläudische Verfassung durch einen Mas enthoben,
zu dem der Großfürst von Finnland nicht das Recht, der Zar von Rußland
aber die Macht hatte. Die bekümmerten Worte, in denen sich die Vertreter
der vier Stände des Landtags über die bedrohte Zukunft des Landes äußern,
werden im Petersburger "Moniteur" als "unpassend" bezeichnet. Die auf
dem Landtag gehaltnen Rede", die "ach herrschendem Recht und Brauch bisher


Ballen, Linnländer, Buren

die fremden Volker! Diese sind die Prügelknaben der ungebärdigen Rangen
des russischen „Vorderhauses,"

Wer auf einen erfolgreichen Vormarsch der russischen Kantschukoffs gegen
die englischen Plumpuddings in Indien hofft, weiß nicht, das; er um die Aus¬
treibung des Teufels durch Beelzebub betet. Im Vergleich zu den Schreckeus-
thntcn eiues Murawjew in Wilna erscheint das verhältnismäßig milde Ver¬
fahren Englands gegen die aufständischen Afrikander nahezu als die Erfüllung
der frömmsten Quäkerideale.

Wenn auch die Buren Grund genug habe», die Engländer zu hassen und
Zu verabscheuen, so können sich die Afrikander eigentlich nicht allzusehr über
das britische Regiment beklagen. Die Sache liegt uur so, daß sie auf der
von ihnen erreichten Entwicklungsstufe nicht einmal dieses bescheidne Maß von
Bevormundung mehr zu ertragen vermögen und daher im Falle des Sieges
ihrer Stammesbrüder sicher auch den letzten Rest der britischen Hoheitszeichen
M beseitigen wissen würden. Der Gegendruck, den ein starker politischer Druck
hervorruft, wird weniger durch die dabei angewandte Gewalt, als durch die
Widerstandskraft und Rückstoßfähigkeit des angegriffnen Teils, mit andern
Worten durch den Grad der Zusammenpressung und Erhitzung seiner poli¬
tischen und wirtschaftlichen Moleküle hervorgerufen. Der abgehärtete, völlig
auf eigne Füße gestellte Kolonist wirft schon ein politisches Deckbett weit von
sich, das dem in der Heimat zurückgebliebnen Muttersöhnchen zur Gewohnheit,
ja zum Bedürfnis geworden ist. Ranke sagt, die kleinasiatischen Griechen
hätten sich ja vielleicht mit der Zeit in die persische Herrschaft schicken können,
wenn ihre ungeborne „Spontaneität" es ihnen nicht unmöglich gemacht hätte.
Diese Spontaneität hat auch den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg entzündet
und hat heute Buren wie Griqualand-Afritauder getrieben, den letzten Bluts¬
tropfen, den leMeu Hauch voll Mann und Roß an ihre Freiheit zu setzen.

Auch in Finnland ist dieser Selbstbestimmnngstrieb stark entwickelt.
Das, was Alexander I. den Finnländern auf dem Landtage von Borgo im
Jahre 1809 in seiner „Versicherung an die sämtlichen Einwohner Fiiiulands"
gewährleistete, glich nicht bloß einer Verfassung, sondern schloß das Wort
"Konstitution" ausdrücklich mit ein. Das, was sich heute wie der bewegliche
Betthimmel der Räuberherberge auf sie herabsenkt, ist nichts andres als der
erstickende, erdrückende Absolutismus. Wer deu Abstand zwischen Recht und
Gewalt, zwischen freiem, leichtem Akme» u»d krampfhaftem Schnmise» unter
schwere», Alpdruck zu ermessen vermag, wird wissen, was sie empfinden. Ihre
Gouverneure haben hinfort n»r »och den russischen Diensteid zu leiste» und
sind des Schwurs auf die fumläudische Verfassung durch einen Mas enthoben,
zu dem der Großfürst von Finnland nicht das Recht, der Zar von Rußland
aber die Macht hatte. Die bekümmerten Worte, in denen sich die Vertreter
der vier Stände des Landtags über die bedrohte Zukunft des Landes äußern,
werden im Petersburger „Moniteur" als „unpassend" bezeichnet. Die auf
dem Landtag gehaltnen Rede», die »ach herrschendem Recht und Brauch bisher


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[0467] Ballen, Linnländer, Buren die fremden Volker! Diese sind die Prügelknaben der ungebärdigen Rangen des russischen „Vorderhauses," Wer auf einen erfolgreichen Vormarsch der russischen Kantschukoffs gegen die englischen Plumpuddings in Indien hofft, weiß nicht, das; er um die Aus¬ treibung des Teufels durch Beelzebub betet. Im Vergleich zu den Schreckeus- thntcn eiues Murawjew in Wilna erscheint das verhältnismäßig milde Ver¬ fahren Englands gegen die aufständischen Afrikander nahezu als die Erfüllung der frömmsten Quäkerideale. Wenn auch die Buren Grund genug habe», die Engländer zu hassen und Zu verabscheuen, so können sich die Afrikander eigentlich nicht allzusehr über das britische Regiment beklagen. Die Sache liegt uur so, daß sie auf der von ihnen erreichten Entwicklungsstufe nicht einmal dieses bescheidne Maß von Bevormundung mehr zu ertragen vermögen und daher im Falle des Sieges ihrer Stammesbrüder sicher auch den letzten Rest der britischen Hoheitszeichen M beseitigen wissen würden. Der Gegendruck, den ein starker politischer Druck hervorruft, wird weniger durch die dabei angewandte Gewalt, als durch die Widerstandskraft und Rückstoßfähigkeit des angegriffnen Teils, mit andern Worten durch den Grad der Zusammenpressung und Erhitzung seiner poli¬ tischen und wirtschaftlichen Moleküle hervorgerufen. Der abgehärtete, völlig auf eigne Füße gestellte Kolonist wirft schon ein politisches Deckbett weit von sich, das dem in der Heimat zurückgebliebnen Muttersöhnchen zur Gewohnheit, ja zum Bedürfnis geworden ist. Ranke sagt, die kleinasiatischen Griechen hätten sich ja vielleicht mit der Zeit in die persische Herrschaft schicken können, wenn ihre ungeborne „Spontaneität" es ihnen nicht unmöglich gemacht hätte. Diese Spontaneität hat auch den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg entzündet und hat heute Buren wie Griqualand-Afritauder getrieben, den letzten Bluts¬ tropfen, den leMeu Hauch voll Mann und Roß an ihre Freiheit zu setzen. Auch in Finnland ist dieser Selbstbestimmnngstrieb stark entwickelt. Das, was Alexander I. den Finnländern auf dem Landtage von Borgo im Jahre 1809 in seiner „Versicherung an die sämtlichen Einwohner Fiiiulands" gewährleistete, glich nicht bloß einer Verfassung, sondern schloß das Wort "Konstitution" ausdrücklich mit ein. Das, was sich heute wie der bewegliche Betthimmel der Räuberherberge auf sie herabsenkt, ist nichts andres als der erstickende, erdrückende Absolutismus. Wer deu Abstand zwischen Recht und Gewalt, zwischen freiem, leichtem Akme» u»d krampfhaftem Schnmise» unter schwere», Alpdruck zu ermessen vermag, wird wissen, was sie empfinden. Ihre Gouverneure haben hinfort n»r »och den russischen Diensteid zu leiste» und sind des Schwurs auf die fumläudische Verfassung durch einen Mas enthoben, zu dem der Großfürst von Finnland nicht das Recht, der Zar von Rußland aber die Macht hatte. Die bekümmerten Worte, in denen sich die Vertreter der vier Stände des Landtags über die bedrohte Zukunft des Landes äußern, werden im Petersburger „Moniteur" als „unpassend" bezeichnet. Die auf dem Landtag gehaltnen Rede», die »ach herrschendem Recht und Brauch bisher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/467>, abgerufen am 03.07.2024.