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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Ibsens romantische Stücke
Wird der Gemeinheit Banner entfaltet,
Die Ehre zur Flucht und zum Falle gebracht,
Dann Bischof Niklas sein Amt verwaltet.
Dann steht der Baglerbischof") auf Wacht,

Ibsen hatte nämlich, als er den Kronprätendenten vollendete, schon wegen
der "Komödie der Liebe," auf die wir später zu sprechen kommen, heftige An¬
feindungen erlitten und sich entschlossen, sein Vaterland zu verlassen. Bei der
Arbeit am Kronprätendenten wird ihm das in unsrer Einleitung beschriebne
äußere Hindernis, das der Entfaltung seines Genies im Wege stand, vollends
zum Bewußtsein gekommen sein. Die nordische Sage ist kein Stoff für Dichter
unsrer Tage. Wie viel Mühe haben sich in Deutschland seit hundert Jahren
die Germanisten mit ihr gegeben, und wie viel Mühe geben sich seit ein paar
Jahrzehnten die Dentschnationalen und die Altdeutschen mit Odin und Baldur,
aber es ist ihnen bis jetzt nicht gelungen, ans den Göttern Walhallas volks¬
tümliche Gestalten zu machen. Wäre nicht Wagner mit seiner Musik zu Hilfe
gekommen, so würden auch Siegfried und Brunhilde der großen Menge un¬
bekannt sein, und ohne Bismarcks berühmtes Wort würde kein Mensch, außer
den Gelehrten, den blinden Hödur auch nur dem Namen nach kennen. Und
mit der norwegischen Geschichte steht es nicht viel besser. Hätte Ibsen nicht
im Kronprätendenten den Vers auf einzelne Stellen beschränkt, hätte er das
Ganze in Jamben geschrieben und damit die beiden Hauptpersonen auf den
Shakespeare-Schillerschen Kothurn gestellt -- diese Hauptpersonen mit ihrem
Königsgcdanken würden, so ernst und würdig, jn groß und erhaben sie sind,
einen Stich ins Komische bekommen haben, weil die politische Einigung Nor¬
wegens das gleichgiltigste Ereignis der Welt ist. Der Gedanke, daß die kleinen
Gemeinden der norwegischen Thäler, die nnr auf dem Seewege miteinander
in Verbindung stehn, vereinzelte selbständige Gemeinwesen hätten bleiben
können, hat schlechterdings nichts aufregendes, vielleicht sogar nicht einmal für
einen Norweger, denn die übrige Weltgeschichte würde in diesem Falle um kein
Haar anders verlaufen sein; der Prütendentenunfug und das gegenseitige Tod¬
schlagen würde in Norwegen wie im übrigen Europa später von selbst auf¬
gehört haben. Mit dem patriotischen Drama wars also auch nichts; trotz der
Großartigkeit der norwegischen Natur und der Tüchtigkeit des norwegischen
Volkes haben der norwegische Staatsgedanke und die norwegische Nationalität
etwas Krähwinkelhaftes, und Krählvinkel ist nicht der Ort für das Walten der
tragischen Muse. Ibsen mußte sich also nach andern Stoffen nmseyen, aber
auch wenn er das moderne Leben und die moderne Gesellschaft wühlte, konnte
er gerade in Norwegen nicht ins Volle greifen. So trieben ihn innerer
Unmut und äußere Angriffe fort nach Rom (1864). Hier entstanden zunächst
Brand (1866) und Peer (Peter) Gynt (1867). Wir fassen das zweite zuerst
ins Auge, weil es ganz romantisch ist und den aus den beschriebnen Ver-



*) Bagler, d. h. Krummstäbler, wurden die Gegner der Birkebeiner genannt.
Ibsens romantische Stücke
Wird der Gemeinheit Banner entfaltet,
Die Ehre zur Flucht und zum Falle gebracht,
Dann Bischof Niklas sein Amt verwaltet.
Dann steht der Baglerbischof») auf Wacht,

Ibsen hatte nämlich, als er den Kronprätendenten vollendete, schon wegen
der „Komödie der Liebe," auf die wir später zu sprechen kommen, heftige An¬
feindungen erlitten und sich entschlossen, sein Vaterland zu verlassen. Bei der
Arbeit am Kronprätendenten wird ihm das in unsrer Einleitung beschriebne
äußere Hindernis, das der Entfaltung seines Genies im Wege stand, vollends
zum Bewußtsein gekommen sein. Die nordische Sage ist kein Stoff für Dichter
unsrer Tage. Wie viel Mühe haben sich in Deutschland seit hundert Jahren
die Germanisten mit ihr gegeben, und wie viel Mühe geben sich seit ein paar
Jahrzehnten die Dentschnationalen und die Altdeutschen mit Odin und Baldur,
aber es ist ihnen bis jetzt nicht gelungen, ans den Göttern Walhallas volks¬
tümliche Gestalten zu machen. Wäre nicht Wagner mit seiner Musik zu Hilfe
gekommen, so würden auch Siegfried und Brunhilde der großen Menge un¬
bekannt sein, und ohne Bismarcks berühmtes Wort würde kein Mensch, außer
den Gelehrten, den blinden Hödur auch nur dem Namen nach kennen. Und
mit der norwegischen Geschichte steht es nicht viel besser. Hätte Ibsen nicht
im Kronprätendenten den Vers auf einzelne Stellen beschränkt, hätte er das
Ganze in Jamben geschrieben und damit die beiden Hauptpersonen auf den
Shakespeare-Schillerschen Kothurn gestellt — diese Hauptpersonen mit ihrem
Königsgcdanken würden, so ernst und würdig, jn groß und erhaben sie sind,
einen Stich ins Komische bekommen haben, weil die politische Einigung Nor¬
wegens das gleichgiltigste Ereignis der Welt ist. Der Gedanke, daß die kleinen
Gemeinden der norwegischen Thäler, die nnr auf dem Seewege miteinander
in Verbindung stehn, vereinzelte selbständige Gemeinwesen hätten bleiben
können, hat schlechterdings nichts aufregendes, vielleicht sogar nicht einmal für
einen Norweger, denn die übrige Weltgeschichte würde in diesem Falle um kein
Haar anders verlaufen sein; der Prütendentenunfug und das gegenseitige Tod¬
schlagen würde in Norwegen wie im übrigen Europa später von selbst auf¬
gehört haben. Mit dem patriotischen Drama wars also auch nichts; trotz der
Großartigkeit der norwegischen Natur und der Tüchtigkeit des norwegischen
Volkes haben der norwegische Staatsgedanke und die norwegische Nationalität
etwas Krähwinkelhaftes, und Krählvinkel ist nicht der Ort für das Walten der
tragischen Muse. Ibsen mußte sich also nach andern Stoffen nmseyen, aber
auch wenn er das moderne Leben und die moderne Gesellschaft wühlte, konnte
er gerade in Norwegen nicht ins Volle greifen. So trieben ihn innerer
Unmut und äußere Angriffe fort nach Rom (1864). Hier entstanden zunächst
Brand (1866) und Peer (Peter) Gynt (1867). Wir fassen das zweite zuerst
ins Auge, weil es ganz romantisch ist und den aus den beschriebnen Ver-



*) Bagler, d. h. Krummstäbler, wurden die Gegner der Birkebeiner genannt.
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[0445] Ibsens romantische Stücke Wird der Gemeinheit Banner entfaltet, Die Ehre zur Flucht und zum Falle gebracht, Dann Bischof Niklas sein Amt verwaltet. Dann steht der Baglerbischof») auf Wacht, Ibsen hatte nämlich, als er den Kronprätendenten vollendete, schon wegen der „Komödie der Liebe," auf die wir später zu sprechen kommen, heftige An¬ feindungen erlitten und sich entschlossen, sein Vaterland zu verlassen. Bei der Arbeit am Kronprätendenten wird ihm das in unsrer Einleitung beschriebne äußere Hindernis, das der Entfaltung seines Genies im Wege stand, vollends zum Bewußtsein gekommen sein. Die nordische Sage ist kein Stoff für Dichter unsrer Tage. Wie viel Mühe haben sich in Deutschland seit hundert Jahren die Germanisten mit ihr gegeben, und wie viel Mühe geben sich seit ein paar Jahrzehnten die Dentschnationalen und die Altdeutschen mit Odin und Baldur, aber es ist ihnen bis jetzt nicht gelungen, ans den Göttern Walhallas volks¬ tümliche Gestalten zu machen. Wäre nicht Wagner mit seiner Musik zu Hilfe gekommen, so würden auch Siegfried und Brunhilde der großen Menge un¬ bekannt sein, und ohne Bismarcks berühmtes Wort würde kein Mensch, außer den Gelehrten, den blinden Hödur auch nur dem Namen nach kennen. Und mit der norwegischen Geschichte steht es nicht viel besser. Hätte Ibsen nicht im Kronprätendenten den Vers auf einzelne Stellen beschränkt, hätte er das Ganze in Jamben geschrieben und damit die beiden Hauptpersonen auf den Shakespeare-Schillerschen Kothurn gestellt — diese Hauptpersonen mit ihrem Königsgcdanken würden, so ernst und würdig, jn groß und erhaben sie sind, einen Stich ins Komische bekommen haben, weil die politische Einigung Nor¬ wegens das gleichgiltigste Ereignis der Welt ist. Der Gedanke, daß die kleinen Gemeinden der norwegischen Thäler, die nnr auf dem Seewege miteinander in Verbindung stehn, vereinzelte selbständige Gemeinwesen hätten bleiben können, hat schlechterdings nichts aufregendes, vielleicht sogar nicht einmal für einen Norweger, denn die übrige Weltgeschichte würde in diesem Falle um kein Haar anders verlaufen sein; der Prütendentenunfug und das gegenseitige Tod¬ schlagen würde in Norwegen wie im übrigen Europa später von selbst auf¬ gehört haben. Mit dem patriotischen Drama wars also auch nichts; trotz der Großartigkeit der norwegischen Natur und der Tüchtigkeit des norwegischen Volkes haben der norwegische Staatsgedanke und die norwegische Nationalität etwas Krähwinkelhaftes, und Krählvinkel ist nicht der Ort für das Walten der tragischen Muse. Ibsen mußte sich also nach andern Stoffen nmseyen, aber auch wenn er das moderne Leben und die moderne Gesellschaft wühlte, konnte er gerade in Norwegen nicht ins Volle greifen. So trieben ihn innerer Unmut und äußere Angriffe fort nach Rom (1864). Hier entstanden zunächst Brand (1866) und Peer (Peter) Gynt (1867). Wir fassen das zweite zuerst ins Auge, weil es ganz romantisch ist und den aus den beschriebnen Ver- *) Bagler, d. h. Krummstäbler, wurden die Gegner der Birkebeiner genannt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/445>, abgerufen am 03.07.2024.