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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen an den nnzarischen Feldzug im Jahre

Unser Aufenthalt in Krakau wurde zur Einziehung von Nachrichten über
Aufenthaltsort und Stärke des Feindes sowie andre dahin gehörige Dinge
benutzt. Es war schwierig, gute Spione zu bekommen, besonders in der ersten
Zeit, wo das Erscheinen der Russen alle Bewohner in Schrecken setzte. Wohin
wir kamen, überall waren die Dörfer leer, die Bewohner fortgelaufen und
hatten sich im Walde versteckt. Andrerseits war es trotz aller Vorbeugungs¬
maßregeln sehr schwer, Plünderungen gänzlich zu vermeiden. Die Kosaken
namentlich waren Meister in diesem Handwerk und verbreiteten einen derartig
panischen Schrecken, daß zwei von diesen Burschen die Bewohner eines ganzen
Dorfs in die Flucht jagten und dann nach Herzenslust stahlen. Allein der
Generalfeldmarschall machte dem Treiben bald ein Ende und befahl dein
Obersten, alles zu bezahlen. Die meisten und besten Spione waren Juden;
aber es kam vor, daß sie von beiden Seiten Geld nahmen. General Saß, der
vom Kankasus her gewohnt war, Spione zu verwenden, wußte ein gutes Mittel,
sich der Juden zu bedienen: er erkundigte sich nach ihrer Familie, nahm dann,
wenn er Juden zum Feinde schickte, ihr Weib fort und gab es mitsamt
der Belohnung nicht eher heraus, als bis er zuverlässige Nachrichten er¬
halten hatte.

In Krakau lebte ein Onkel Görgeis, und Graf Rüdiger, der zufällig mit
ihm bekannt geworden war, erfuhr zu seinem Erstaunen, daß der Neffe Görgei
und die ganze ungarische Armee von monarchischen Geiste beseelt seien; daß
niemand um eine Republik dächte; daß man das Absetzungsdekret des Hauses
Habsburg vom 14. April streng verurteile und nur eine Bestätigung der Prag¬
matischen Sanktion und der in ihr enthaltnen Privilegien wünsche. Der Onkel
Görgeis erklärte, daß das Dekret vom 14. April Ursache der Trennung seines
Neffen von Kossuth sei; daß jener jetzt gänzlich von diesem geschieden, und
daß in diesem Zwist die ganze Zukunft Ungarns enthalten wäre.

Wir brachten in Krakau ungefähr vierzehn Tage zu; dann kam aus
Warschau die Nachricht, Kaiser Nikolaus I. würde das Heer mit seinem Be¬
suche beehren. Die Kunde von der Herkunft des Kaisers verbreitete sich überall,
und jedermann trug den Kopf höher. Seine Majestät traf in Begleitung des
Generalfeldmarschalls in Krakau am 2. Juni nachmittags bei schönem Wetter
ein und begab sich nach dem Essen nach Galizien in die Stadt Zmigrod, wo
die Haupttruppenmacht lag. Unser drittes Korps erhielt den Befehl, über die
Karpathen nach Knschau vorzurücken. Der Durchmarsch durch Galizien, wo
wir auf den verborgensten Wegen marschieren mußten, war sehr beschwerlich.
Die Infanterie und selbst die Kavallerie kamen überall durch; aber der Train,
die Munitionswagen und die Artillerie hatten bequeme Wege nötig, während
es hier nur unebene steinige Pfade gab. Indessen die Feldschmiede half überall
aus; wir kamen an schrecklichen Abgründen vorbei und überstiegen die Berge
erstaunlich schnell, ohne bedeutenden Verlust. Wäre ich Maler oder Dichter
gewesen, ich Hütte den prächtigen Anblick beschrieben, den wir unterwegs
zwischen den Bergen genossen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl für uns


Erinnerungen an den nnzarischen Feldzug im Jahre

Unser Aufenthalt in Krakau wurde zur Einziehung von Nachrichten über
Aufenthaltsort und Stärke des Feindes sowie andre dahin gehörige Dinge
benutzt. Es war schwierig, gute Spione zu bekommen, besonders in der ersten
Zeit, wo das Erscheinen der Russen alle Bewohner in Schrecken setzte. Wohin
wir kamen, überall waren die Dörfer leer, die Bewohner fortgelaufen und
hatten sich im Walde versteckt. Andrerseits war es trotz aller Vorbeugungs¬
maßregeln sehr schwer, Plünderungen gänzlich zu vermeiden. Die Kosaken
namentlich waren Meister in diesem Handwerk und verbreiteten einen derartig
panischen Schrecken, daß zwei von diesen Burschen die Bewohner eines ganzen
Dorfs in die Flucht jagten und dann nach Herzenslust stahlen. Allein der
Generalfeldmarschall machte dem Treiben bald ein Ende und befahl dein
Obersten, alles zu bezahlen. Die meisten und besten Spione waren Juden;
aber es kam vor, daß sie von beiden Seiten Geld nahmen. General Saß, der
vom Kankasus her gewohnt war, Spione zu verwenden, wußte ein gutes Mittel,
sich der Juden zu bedienen: er erkundigte sich nach ihrer Familie, nahm dann,
wenn er Juden zum Feinde schickte, ihr Weib fort und gab es mitsamt
der Belohnung nicht eher heraus, als bis er zuverlässige Nachrichten er¬
halten hatte.

In Krakau lebte ein Onkel Görgeis, und Graf Rüdiger, der zufällig mit
ihm bekannt geworden war, erfuhr zu seinem Erstaunen, daß der Neffe Görgei
und die ganze ungarische Armee von monarchischen Geiste beseelt seien; daß
niemand um eine Republik dächte; daß man das Absetzungsdekret des Hauses
Habsburg vom 14. April streng verurteile und nur eine Bestätigung der Prag¬
matischen Sanktion und der in ihr enthaltnen Privilegien wünsche. Der Onkel
Görgeis erklärte, daß das Dekret vom 14. April Ursache der Trennung seines
Neffen von Kossuth sei; daß jener jetzt gänzlich von diesem geschieden, und
daß in diesem Zwist die ganze Zukunft Ungarns enthalten wäre.

Wir brachten in Krakau ungefähr vierzehn Tage zu; dann kam aus
Warschau die Nachricht, Kaiser Nikolaus I. würde das Heer mit seinem Be¬
suche beehren. Die Kunde von der Herkunft des Kaisers verbreitete sich überall,
und jedermann trug den Kopf höher. Seine Majestät traf in Begleitung des
Generalfeldmarschalls in Krakau am 2. Juni nachmittags bei schönem Wetter
ein und begab sich nach dem Essen nach Galizien in die Stadt Zmigrod, wo
die Haupttruppenmacht lag. Unser drittes Korps erhielt den Befehl, über die
Karpathen nach Knschau vorzurücken. Der Durchmarsch durch Galizien, wo
wir auf den verborgensten Wegen marschieren mußten, war sehr beschwerlich.
Die Infanterie und selbst die Kavallerie kamen überall durch; aber der Train,
die Munitionswagen und die Artillerie hatten bequeme Wege nötig, während
es hier nur unebene steinige Pfade gab. Indessen die Feldschmiede half überall
aus; wir kamen an schrecklichen Abgründen vorbei und überstiegen die Berge
erstaunlich schnell, ohne bedeutenden Verlust. Wäre ich Maler oder Dichter
gewesen, ich Hütte den prächtigen Anblick beschrieben, den wir unterwegs
zwischen den Bergen genossen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl für uns


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[0044] Erinnerungen an den nnzarischen Feldzug im Jahre Unser Aufenthalt in Krakau wurde zur Einziehung von Nachrichten über Aufenthaltsort und Stärke des Feindes sowie andre dahin gehörige Dinge benutzt. Es war schwierig, gute Spione zu bekommen, besonders in der ersten Zeit, wo das Erscheinen der Russen alle Bewohner in Schrecken setzte. Wohin wir kamen, überall waren die Dörfer leer, die Bewohner fortgelaufen und hatten sich im Walde versteckt. Andrerseits war es trotz aller Vorbeugungs¬ maßregeln sehr schwer, Plünderungen gänzlich zu vermeiden. Die Kosaken namentlich waren Meister in diesem Handwerk und verbreiteten einen derartig panischen Schrecken, daß zwei von diesen Burschen die Bewohner eines ganzen Dorfs in die Flucht jagten und dann nach Herzenslust stahlen. Allein der Generalfeldmarschall machte dem Treiben bald ein Ende und befahl dein Obersten, alles zu bezahlen. Die meisten und besten Spione waren Juden; aber es kam vor, daß sie von beiden Seiten Geld nahmen. General Saß, der vom Kankasus her gewohnt war, Spione zu verwenden, wußte ein gutes Mittel, sich der Juden zu bedienen: er erkundigte sich nach ihrer Familie, nahm dann, wenn er Juden zum Feinde schickte, ihr Weib fort und gab es mitsamt der Belohnung nicht eher heraus, als bis er zuverlässige Nachrichten er¬ halten hatte. In Krakau lebte ein Onkel Görgeis, und Graf Rüdiger, der zufällig mit ihm bekannt geworden war, erfuhr zu seinem Erstaunen, daß der Neffe Görgei und die ganze ungarische Armee von monarchischen Geiste beseelt seien; daß niemand um eine Republik dächte; daß man das Absetzungsdekret des Hauses Habsburg vom 14. April streng verurteile und nur eine Bestätigung der Prag¬ matischen Sanktion und der in ihr enthaltnen Privilegien wünsche. Der Onkel Görgeis erklärte, daß das Dekret vom 14. April Ursache der Trennung seines Neffen von Kossuth sei; daß jener jetzt gänzlich von diesem geschieden, und daß in diesem Zwist die ganze Zukunft Ungarns enthalten wäre. Wir brachten in Krakau ungefähr vierzehn Tage zu; dann kam aus Warschau die Nachricht, Kaiser Nikolaus I. würde das Heer mit seinem Be¬ suche beehren. Die Kunde von der Herkunft des Kaisers verbreitete sich überall, und jedermann trug den Kopf höher. Seine Majestät traf in Begleitung des Generalfeldmarschalls in Krakau am 2. Juni nachmittags bei schönem Wetter ein und begab sich nach dem Essen nach Galizien in die Stadt Zmigrod, wo die Haupttruppenmacht lag. Unser drittes Korps erhielt den Befehl, über die Karpathen nach Knschau vorzurücken. Der Durchmarsch durch Galizien, wo wir auf den verborgensten Wegen marschieren mußten, war sehr beschwerlich. Die Infanterie und selbst die Kavallerie kamen überall durch; aber der Train, die Munitionswagen und die Artillerie hatten bequeme Wege nötig, während es hier nur unebene steinige Pfade gab. Indessen die Feldschmiede half überall aus; wir kamen an schrecklichen Abgründen vorbei und überstiegen die Berge erstaunlich schnell, ohne bedeutenden Verlust. Wäre ich Maler oder Dichter gewesen, ich Hütte den prächtigen Anblick beschrieben, den wir unterwegs zwischen den Bergen genossen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl für uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/44>, abgerufen am 01.07.2024.