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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Burschen heraus I

bildete Mann sein, ohne daß man noch imstande ist, Gleichungen aufzulösen,
aber ohne Kenntnis der antiken Kultur ist mau es nicht. Also eine päda¬
gogische Notwendigkeit für die Verstümmelung oder Beseitigung des griechischen
Unterrichts liegt schlechterdings nicht vor, und die Rücksicht auf die Bequem¬
lichkeit des Übergangs vom humanistischen Gymnasium zu einer realistischen
Anstalt ist wieder ein rein äußerlicher Grund, der doch auch unter allen Um¬
ständen nur im Interesse einer kleinen Minderheit geltend gemacht werden kann.

Alles dies sind thatsächlich auch nur Scheingründe, der wirkliche Anstoß
zu dein Reformplan ist von einer ganz audern Seite gekommen, von
der Oberleitung des preußischen Militärbildungswesens aus. Wenn nämlich
den Abiturienten der Zentrnltadettenanstalt Groß-Lichterfelde mit ihrer Real-
gymnasialbildnng die Erlaubnis zum medizinische" Studium gegeben wird, so
kann sie den Nealgymnasiaste" füglich nicht vorenthalten werden. Das Latein
soll also dort verstärkt werden, lind da man sich in Preußen um einmal darauf
versteift, die neunklassigen höher" Schulen aller historischen Entwicklung zum
Trotz über einen Kamm zu scheren, so glaubt mau damit die Realgymnasien
den humanistischen Gymnasien so weit anzunähern, daß sie miteinander zum
Teil verschmolzen werden können, was min wieder die Berschiebnng des
Griechische" mindestens nach IIL zur Voraussetzung hat. Also, damit die
dreißig bis vierzig Selektaner von Groß-Lichterfelde Medizin und womöglich
auch Jura studieren können, soll das humanistische Gymnasium vollends ruiniert
werden! vlllioilö sse satiram von soridsro!

Das Gefährlichste aber ist nicht diese unbegreifliche Einmischung einer
Militärbehörde in die wichtigsten Frage" des höhern Unterrichtswesens, für
die sie so wenig kompetent ist, wie ein Unterrichtsministerium für deu Lehr¬
plan der Kadettenhäuser, sondern die dem Altertum, und namentlich dem grie¬
chischen Altertum abgewandte oder vielmehr geradezu feindselige Geistesströmung
der Gegenwart. In der Wissenschaft herrschen die Naturwissenschaften; be¬
rauscht von ungeheuern Erfolgen, die vielfach dnrch Einwirkung auf die Technik
die materielle Welt umgestaltet haben und weiter umgestalten, sehen viele ihrer
Vertreter mit Geringschätzung auf die Geisteswissenschaften herab, wenden auf
das Verhältnis beider mit Vorliebe den nicht ganz neuen Vergleich von dem
zwischen Sonne und Mond mi, "vollen ihre Methode auch den historisch-sprach¬
lichen Wissenschaften aufdränge", stellen keck auf ungenügender, weil einseitiger
Grundlage eine neue Weltanschauung auf, die allerdings das Schicksal aller
ältern Philosopheme teilt, ans -- Hypothesen zu beruhen (denn "ins Innere
der Natur dringt kein erschaffner Geist"), und wollen ihre Wissensgegenstände
nun auch womöglich zum bevorzugte" Träger der allgemeine" Bildung machen.
Für diese Herren ist natürlich das Altertum, das nicht einmal das Pulver er¬
funden hat, obwohl alle Wissenschaften von den Griechen ausgegangen sind,
ein traurig zurückgebliebnes Zeitalter, die Beschäftigung mit Latein und Griechisch
eine frevelhafte Zeitvergeudung, ein unbegreiflicher Zopf.

Diese Auffassung findet nnn mich in immer weitern Kreisen um so bereit-


Burschen heraus I

bildete Mann sein, ohne daß man noch imstande ist, Gleichungen aufzulösen,
aber ohne Kenntnis der antiken Kultur ist mau es nicht. Also eine päda¬
gogische Notwendigkeit für die Verstümmelung oder Beseitigung des griechischen
Unterrichts liegt schlechterdings nicht vor, und die Rücksicht auf die Bequem¬
lichkeit des Übergangs vom humanistischen Gymnasium zu einer realistischen
Anstalt ist wieder ein rein äußerlicher Grund, der doch auch unter allen Um¬
ständen nur im Interesse einer kleinen Minderheit geltend gemacht werden kann.

Alles dies sind thatsächlich auch nur Scheingründe, der wirkliche Anstoß
zu dein Reformplan ist von einer ganz audern Seite gekommen, von
der Oberleitung des preußischen Militärbildungswesens aus. Wenn nämlich
den Abiturienten der Zentrnltadettenanstalt Groß-Lichterfelde mit ihrer Real-
gymnasialbildnng die Erlaubnis zum medizinische» Studium gegeben wird, so
kann sie den Nealgymnasiaste» füglich nicht vorenthalten werden. Das Latein
soll also dort verstärkt werden, lind da man sich in Preußen um einmal darauf
versteift, die neunklassigen höher» Schulen aller historischen Entwicklung zum
Trotz über einen Kamm zu scheren, so glaubt mau damit die Realgymnasien
den humanistischen Gymnasien so weit anzunähern, daß sie miteinander zum
Teil verschmolzen werden können, was min wieder die Berschiebnng des
Griechische» mindestens nach IIL zur Voraussetzung hat. Also, damit die
dreißig bis vierzig Selektaner von Groß-Lichterfelde Medizin und womöglich
auch Jura studieren können, soll das humanistische Gymnasium vollends ruiniert
werden! vlllioilö sse satiram von soridsro!

Das Gefährlichste aber ist nicht diese unbegreifliche Einmischung einer
Militärbehörde in die wichtigsten Frage» des höhern Unterrichtswesens, für
die sie so wenig kompetent ist, wie ein Unterrichtsministerium für deu Lehr¬
plan der Kadettenhäuser, sondern die dem Altertum, und namentlich dem grie¬
chischen Altertum abgewandte oder vielmehr geradezu feindselige Geistesströmung
der Gegenwart. In der Wissenschaft herrschen die Naturwissenschaften; be¬
rauscht von ungeheuern Erfolgen, die vielfach dnrch Einwirkung auf die Technik
die materielle Welt umgestaltet haben und weiter umgestalten, sehen viele ihrer
Vertreter mit Geringschätzung auf die Geisteswissenschaften herab, wenden auf
das Verhältnis beider mit Vorliebe den nicht ganz neuen Vergleich von dem
zwischen Sonne und Mond mi, »vollen ihre Methode auch den historisch-sprach¬
lichen Wissenschaften aufdränge», stellen keck auf ungenügender, weil einseitiger
Grundlage eine neue Weltanschauung auf, die allerdings das Schicksal aller
ältern Philosopheme teilt, ans — Hypothesen zu beruhen (denn „ins Innere
der Natur dringt kein erschaffner Geist"), und wollen ihre Wissensgegenstände
nun auch womöglich zum bevorzugte» Träger der allgemeine» Bildung machen.
Für diese Herren ist natürlich das Altertum, das nicht einmal das Pulver er¬
funden hat, obwohl alle Wissenschaften von den Griechen ausgegangen sind,
ein traurig zurückgebliebnes Zeitalter, die Beschäftigung mit Latein und Griechisch
eine frevelhafte Zeitvergeudung, ein unbegreiflicher Zopf.

Diese Auffassung findet nnn mich in immer weitern Kreisen um so bereit-


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[0432] Burschen heraus I bildete Mann sein, ohne daß man noch imstande ist, Gleichungen aufzulösen, aber ohne Kenntnis der antiken Kultur ist mau es nicht. Also eine päda¬ gogische Notwendigkeit für die Verstümmelung oder Beseitigung des griechischen Unterrichts liegt schlechterdings nicht vor, und die Rücksicht auf die Bequem¬ lichkeit des Übergangs vom humanistischen Gymnasium zu einer realistischen Anstalt ist wieder ein rein äußerlicher Grund, der doch auch unter allen Um¬ ständen nur im Interesse einer kleinen Minderheit geltend gemacht werden kann. Alles dies sind thatsächlich auch nur Scheingründe, der wirkliche Anstoß zu dein Reformplan ist von einer ganz audern Seite gekommen, von der Oberleitung des preußischen Militärbildungswesens aus. Wenn nämlich den Abiturienten der Zentrnltadettenanstalt Groß-Lichterfelde mit ihrer Real- gymnasialbildnng die Erlaubnis zum medizinische» Studium gegeben wird, so kann sie den Nealgymnasiaste» füglich nicht vorenthalten werden. Das Latein soll also dort verstärkt werden, lind da man sich in Preußen um einmal darauf versteift, die neunklassigen höher» Schulen aller historischen Entwicklung zum Trotz über einen Kamm zu scheren, so glaubt mau damit die Realgymnasien den humanistischen Gymnasien so weit anzunähern, daß sie miteinander zum Teil verschmolzen werden können, was min wieder die Berschiebnng des Griechische» mindestens nach IIL zur Voraussetzung hat. Also, damit die dreißig bis vierzig Selektaner von Groß-Lichterfelde Medizin und womöglich auch Jura studieren können, soll das humanistische Gymnasium vollends ruiniert werden! vlllioilö sse satiram von soridsro! Das Gefährlichste aber ist nicht diese unbegreifliche Einmischung einer Militärbehörde in die wichtigsten Frage» des höhern Unterrichtswesens, für die sie so wenig kompetent ist, wie ein Unterrichtsministerium für deu Lehr¬ plan der Kadettenhäuser, sondern die dem Altertum, und namentlich dem grie¬ chischen Altertum abgewandte oder vielmehr geradezu feindselige Geistesströmung der Gegenwart. In der Wissenschaft herrschen die Naturwissenschaften; be¬ rauscht von ungeheuern Erfolgen, die vielfach dnrch Einwirkung auf die Technik die materielle Welt umgestaltet haben und weiter umgestalten, sehen viele ihrer Vertreter mit Geringschätzung auf die Geisteswissenschaften herab, wenden auf das Verhältnis beider mit Vorliebe den nicht ganz neuen Vergleich von dem zwischen Sonne und Mond mi, »vollen ihre Methode auch den historisch-sprach¬ lichen Wissenschaften aufdränge», stellen keck auf ungenügender, weil einseitiger Grundlage eine neue Weltanschauung auf, die allerdings das Schicksal aller ältern Philosopheme teilt, ans — Hypothesen zu beruhen (denn „ins Innere der Natur dringt kein erschaffner Geist"), und wollen ihre Wissensgegenstände nun auch womöglich zum bevorzugte» Träger der allgemeine» Bildung machen. Für diese Herren ist natürlich das Altertum, das nicht einmal das Pulver er¬ funden hat, obwohl alle Wissenschaften von den Griechen ausgegangen sind, ein traurig zurückgebliebnes Zeitalter, die Beschäftigung mit Latein und Griechisch eine frevelhafte Zeitvergeudung, ein unbegreiflicher Zopf. Diese Auffassung findet nnn mich in immer weitern Kreisen um so bereit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/432>, abgerufen am 03.07.2024.