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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Burschen heraus!

user letzter Schulartikel hat Zuschriften von verschieden Seiten ver¬
anlaßt/ Unter andern drückt ein bedeutender, in ganz Deutschland
rühmlich bekannter Ingenieur seine warme Zustimmung aus, indem
er hinzufügt, er habe seinerzeit dem Rektor der technischen Hoch¬
schule in Charlottenburg geschrieben: "Wenn wir beabsichtigen,
aus unsern Söhnen nur Ingenieure zu erziehn, so mögen Sie Recht haben;
sollen aber auch Menschen aus ihnen werden, dann wird das humanistische Gym¬
nasium uoch recht lange-nötig sein." Sehr schmerzlich klingt eine andre Äuße¬
rung aus preußischen Gymnasialkreisen. "Wer gezwungen gewesen ist, heißt es
darin unter anderm, nach den preußischen Lehrpläuen von 1892 zu unterrichten,
kann sich über den Sturm der öffentlichen Meinung und die Mutlosigkeit der
Philologen nicht wundern. Die Einschränkung des altsprachlichen Unterrichts
hat vor allem die Folge gehabt, daß nur noch wenige auserwählte Schüler
dahin kommen, Freude an ihrem Wissen zu empfinden; etwas Neues ist nicht
an die Stelle des Zerstörten getreten. Vor der krüppelhaften Schule, die
man heute in Preußen Gymnasium nennt, verdient allerdings jede gesunde und
einheitliche Schule, auch die latcinlose Realschule, den Vorzug." Auch an
einem Berliner Doppelgymnasium, wo nach strengen Versetzungen in die obern
Klassen nur tüchtige Leute aufstiegen, "gelangte man ans Ziel nur durch eine
an Überbürdung grenzende Anspannung aller Kräfte bei Lehrern und Schülern;
jede Stunde wurde so planmäßig ausgenutzt, - daß nie Zeit blieb, einmal warm
zu werden oder statt der geraden Straße einmal einen aussichtsreichen Umweg
zu gehn." An kleinen Gymnasien aber, die ihrer Natur nach viele gering¬
wertige Schüler haben, wird der Unterricht durchweg auf ein niedrigeres
Niveau hinabgedrückt. "Aber mag man dabei noch so gewissenhaft jede zuweit¬
gehende Hilfe für die Schwachen vermeiden, in gewisser Weise verleitet man
die Schüler mit solcher Art Unterricht doch selbst zur UnWahrhaftigkeit, denn
sie nennt Reife und Bildung, was geradezu das Gegenteil echter Bildung ist."
So also nimmt sich die preußische Schulreform von 1892 in sachkundiger Be¬
leuchtung nach acht Jahren aus! Zur Vervollständigung des unerfreulichen Bildes
diene, daß selten ein Schüler, der von einem preußischen Gymnasium an ein
sächsisches übergeht, unsern Anforderungen wirklich genügt, daß er, auch wenn er,
was in den meisten Fällen, wenn es irgend geht, natürlich geschieht, in die ent¬
sprechende Klasse aufgenommen wird, bei der nächsten Versetzung selten ankommt.




Burschen heraus!

user letzter Schulartikel hat Zuschriften von verschieden Seiten ver¬
anlaßt/ Unter andern drückt ein bedeutender, in ganz Deutschland
rühmlich bekannter Ingenieur seine warme Zustimmung aus, indem
er hinzufügt, er habe seinerzeit dem Rektor der technischen Hoch¬
schule in Charlottenburg geschrieben: „Wenn wir beabsichtigen,
aus unsern Söhnen nur Ingenieure zu erziehn, so mögen Sie Recht haben;
sollen aber auch Menschen aus ihnen werden, dann wird das humanistische Gym¬
nasium uoch recht lange-nötig sein." Sehr schmerzlich klingt eine andre Äuße¬
rung aus preußischen Gymnasialkreisen. „Wer gezwungen gewesen ist, heißt es
darin unter anderm, nach den preußischen Lehrpläuen von 1892 zu unterrichten,
kann sich über den Sturm der öffentlichen Meinung und die Mutlosigkeit der
Philologen nicht wundern. Die Einschränkung des altsprachlichen Unterrichts
hat vor allem die Folge gehabt, daß nur noch wenige auserwählte Schüler
dahin kommen, Freude an ihrem Wissen zu empfinden; etwas Neues ist nicht
an die Stelle des Zerstörten getreten. Vor der krüppelhaften Schule, die
man heute in Preußen Gymnasium nennt, verdient allerdings jede gesunde und
einheitliche Schule, auch die latcinlose Realschule, den Vorzug." Auch an
einem Berliner Doppelgymnasium, wo nach strengen Versetzungen in die obern
Klassen nur tüchtige Leute aufstiegen, „gelangte man ans Ziel nur durch eine
an Überbürdung grenzende Anspannung aller Kräfte bei Lehrern und Schülern;
jede Stunde wurde so planmäßig ausgenutzt, - daß nie Zeit blieb, einmal warm
zu werden oder statt der geraden Straße einmal einen aussichtsreichen Umweg
zu gehn." An kleinen Gymnasien aber, die ihrer Natur nach viele gering¬
wertige Schüler haben, wird der Unterricht durchweg auf ein niedrigeres
Niveau hinabgedrückt. „Aber mag man dabei noch so gewissenhaft jede zuweit¬
gehende Hilfe für die Schwachen vermeiden, in gewisser Weise verleitet man
die Schüler mit solcher Art Unterricht doch selbst zur UnWahrhaftigkeit, denn
sie nennt Reife und Bildung, was geradezu das Gegenteil echter Bildung ist."
So also nimmt sich die preußische Schulreform von 1892 in sachkundiger Be¬
leuchtung nach acht Jahren aus! Zur Vervollständigung des unerfreulichen Bildes
diene, daß selten ein Schüler, der von einem preußischen Gymnasium an ein
sächsisches übergeht, unsern Anforderungen wirklich genügt, daß er, auch wenn er,
was in den meisten Fällen, wenn es irgend geht, natürlich geschieht, in die ent¬
sprechende Klasse aufgenommen wird, bei der nächsten Versetzung selten ankommt.


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[0427] [Abbildung] Burschen heraus! user letzter Schulartikel hat Zuschriften von verschieden Seiten ver¬ anlaßt/ Unter andern drückt ein bedeutender, in ganz Deutschland rühmlich bekannter Ingenieur seine warme Zustimmung aus, indem er hinzufügt, er habe seinerzeit dem Rektor der technischen Hoch¬ schule in Charlottenburg geschrieben: „Wenn wir beabsichtigen, aus unsern Söhnen nur Ingenieure zu erziehn, so mögen Sie Recht haben; sollen aber auch Menschen aus ihnen werden, dann wird das humanistische Gym¬ nasium uoch recht lange-nötig sein." Sehr schmerzlich klingt eine andre Äuße¬ rung aus preußischen Gymnasialkreisen. „Wer gezwungen gewesen ist, heißt es darin unter anderm, nach den preußischen Lehrpläuen von 1892 zu unterrichten, kann sich über den Sturm der öffentlichen Meinung und die Mutlosigkeit der Philologen nicht wundern. Die Einschränkung des altsprachlichen Unterrichts hat vor allem die Folge gehabt, daß nur noch wenige auserwählte Schüler dahin kommen, Freude an ihrem Wissen zu empfinden; etwas Neues ist nicht an die Stelle des Zerstörten getreten. Vor der krüppelhaften Schule, die man heute in Preußen Gymnasium nennt, verdient allerdings jede gesunde und einheitliche Schule, auch die latcinlose Realschule, den Vorzug." Auch an einem Berliner Doppelgymnasium, wo nach strengen Versetzungen in die obern Klassen nur tüchtige Leute aufstiegen, „gelangte man ans Ziel nur durch eine an Überbürdung grenzende Anspannung aller Kräfte bei Lehrern und Schülern; jede Stunde wurde so planmäßig ausgenutzt, - daß nie Zeit blieb, einmal warm zu werden oder statt der geraden Straße einmal einen aussichtsreichen Umweg zu gehn." An kleinen Gymnasien aber, die ihrer Natur nach viele gering¬ wertige Schüler haben, wird der Unterricht durchweg auf ein niedrigeres Niveau hinabgedrückt. „Aber mag man dabei noch so gewissenhaft jede zuweit¬ gehende Hilfe für die Schwachen vermeiden, in gewisser Weise verleitet man die Schüler mit solcher Art Unterricht doch selbst zur UnWahrhaftigkeit, denn sie nennt Reife und Bildung, was geradezu das Gegenteil echter Bildung ist." So also nimmt sich die preußische Schulreform von 1892 in sachkundiger Be¬ leuchtung nach acht Jahren aus! Zur Vervollständigung des unerfreulichen Bildes diene, daß selten ein Schüler, der von einem preußischen Gymnasium an ein sächsisches übergeht, unsern Anforderungen wirklich genügt, daß er, auch wenn er, was in den meisten Fällen, wenn es irgend geht, natürlich geschieht, in die ent¬ sprechende Klasse aufgenommen wird, bei der nächsten Versetzung selten ankommt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/427>, abgerufen am 03.07.2024.