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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Frage in Ungarns Ostmark

stadt hat man durch eine munizipale Ausnahmestellung und die glänzendsten
Förderungen der kommunalen Interessen gewonnen, aber die Deutschen in den
Komitaten werden durch das Shstem des liberalen Nationalstaats einfach zer¬
malmt. Die sechzehn freien Bergstädte der Zips sind ihrer Selbständigkeit be¬
raubt und gehn, wie es scheint, unaufhaltsam der Magyarisierung entgegen,
die Deutschen in den Montcingegeuden von Kremnitz und Schemnitz sind dem
Deutschtum schon zum großen Teil verloren.

Am schwersten aber tragen daran die siebenbürgischen Sachsen, denn, um
eine uralte, wirkliche Gemciudefreiheit und Selbstverwaltung gewöhnt, durchaus
politisch und kommunal reif, wirklich liberal und diszipliniert, höchst verdient
um den Bestand des Staats eben durch diese Tugenden, werden sie nun der¬
selben Unfreiheit und Polizeiwillkür unterworfen, die unter dem Scheine des
Liberalismus einhergeht. Erst wenn man diesen Gegensatz nimmt, begreift man
den Grad, zu dem die Erbitterung unter ihnen allmählich gedeiht. Wie vor
einigen Wochen Koloman Szell selbst eingestand, man ist in der That dort
nervös geworden.*) Statt ihnen eine ähnliche munizipale Bedeutung zu lassen,
wie man sie Pest und auch Fiume gewährte, hat man 1876 ihre alte Orga¬
nisation, die Nationsuniversität, aufgelöst, den Sachsenboden gleichfalls in
Komitate aufgeteilt und ihnen anstelle ihres alten Sachsengrafen und ihrer
eignen Richter Obergespane geschenkt, obgleich sie einst in die Union mit Ungarn
nur unter der bestimmten Zusicherung gewilligt hatten, daß ihre alten Rechte
geschont würden. Der alten "Universität," d. h. Gesamtheit, wurde nur das
Recht gelassen, das Universitätsvermögen aus Bären und Liegenden, wie Ge-
birgswäldern, namentlich den Siebenrichterwaldungen, selbst zu verwalten, aber
nur zu Kulturzwecken ans dem alten Sachsenboden und nur unter Genehmigung
der Beschlüsse durch den Minister. Auf diesem frühern Königs- oder Sachsen¬
boden wohnen nun auch Maghareu und Rumänen und sind magyarische und
rumänische Stiftungen entstanden. In die Universitätsvcrtretung, die von
allen zum Reichstag wahlberechtigten Bewohnern des Sachseubodens gewählt
wird, also nicht nur von den Sachsen, ist infolgedessen jetzt auch je ein Rumäne
und ein Magyare gekommen, und bis 1890 hat der Minister im Sinne dieser
einen rumänischen oder magyarischen Stimme gegen die ganze übrige sächsische
Vertretung über das alte Sachsenvermögen verfügen können und verfügt. Seit
1890 darf der Minister mir das Majoritätsvotum genehmigen oder verwerfen.
Das war der erste größere politische Erfolg der Sachsen seit 1868, und that¬
sächlich hat auch die Universität dem evangelischen Landeskonsistorium den
größern Teil ber Dotationen für Schulzwecke zugewiesen.

(Schluß folgt)





') Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 9. Februar 1W0.
Die deutsche Frage in Ungarns Ostmark

stadt hat man durch eine munizipale Ausnahmestellung und die glänzendsten
Förderungen der kommunalen Interessen gewonnen, aber die Deutschen in den
Komitaten werden durch das Shstem des liberalen Nationalstaats einfach zer¬
malmt. Die sechzehn freien Bergstädte der Zips sind ihrer Selbständigkeit be¬
raubt und gehn, wie es scheint, unaufhaltsam der Magyarisierung entgegen,
die Deutschen in den Montcingegeuden von Kremnitz und Schemnitz sind dem
Deutschtum schon zum großen Teil verloren.

Am schwersten aber tragen daran die siebenbürgischen Sachsen, denn, um
eine uralte, wirkliche Gemciudefreiheit und Selbstverwaltung gewöhnt, durchaus
politisch und kommunal reif, wirklich liberal und diszipliniert, höchst verdient
um den Bestand des Staats eben durch diese Tugenden, werden sie nun der¬
selben Unfreiheit und Polizeiwillkür unterworfen, die unter dem Scheine des
Liberalismus einhergeht. Erst wenn man diesen Gegensatz nimmt, begreift man
den Grad, zu dem die Erbitterung unter ihnen allmählich gedeiht. Wie vor
einigen Wochen Koloman Szell selbst eingestand, man ist in der That dort
nervös geworden.*) Statt ihnen eine ähnliche munizipale Bedeutung zu lassen,
wie man sie Pest und auch Fiume gewährte, hat man 1876 ihre alte Orga¬
nisation, die Nationsuniversität, aufgelöst, den Sachsenboden gleichfalls in
Komitate aufgeteilt und ihnen anstelle ihres alten Sachsengrafen und ihrer
eignen Richter Obergespane geschenkt, obgleich sie einst in die Union mit Ungarn
nur unter der bestimmten Zusicherung gewilligt hatten, daß ihre alten Rechte
geschont würden. Der alten „Universität," d. h. Gesamtheit, wurde nur das
Recht gelassen, das Universitätsvermögen aus Bären und Liegenden, wie Ge-
birgswäldern, namentlich den Siebenrichterwaldungen, selbst zu verwalten, aber
nur zu Kulturzwecken ans dem alten Sachsenboden und nur unter Genehmigung
der Beschlüsse durch den Minister. Auf diesem frühern Königs- oder Sachsen¬
boden wohnen nun auch Maghareu und Rumänen und sind magyarische und
rumänische Stiftungen entstanden. In die Universitätsvcrtretung, die von
allen zum Reichstag wahlberechtigten Bewohnern des Sachseubodens gewählt
wird, also nicht nur von den Sachsen, ist infolgedessen jetzt auch je ein Rumäne
und ein Magyare gekommen, und bis 1890 hat der Minister im Sinne dieser
einen rumänischen oder magyarischen Stimme gegen die ganze übrige sächsische
Vertretung über das alte Sachsenvermögen verfügen können und verfügt. Seit
1890 darf der Minister mir das Majoritätsvotum genehmigen oder verwerfen.
Das war der erste größere politische Erfolg der Sachsen seit 1868, und that¬
sächlich hat auch die Universität dem evangelischen Landeskonsistorium den
größern Teil ber Dotationen für Schulzwecke zugewiesen.

(Schluß folgt)





') Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 9. Februar 1W0.
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[0426] Die deutsche Frage in Ungarns Ostmark stadt hat man durch eine munizipale Ausnahmestellung und die glänzendsten Förderungen der kommunalen Interessen gewonnen, aber die Deutschen in den Komitaten werden durch das Shstem des liberalen Nationalstaats einfach zer¬ malmt. Die sechzehn freien Bergstädte der Zips sind ihrer Selbständigkeit be¬ raubt und gehn, wie es scheint, unaufhaltsam der Magyarisierung entgegen, die Deutschen in den Montcingegeuden von Kremnitz und Schemnitz sind dem Deutschtum schon zum großen Teil verloren. Am schwersten aber tragen daran die siebenbürgischen Sachsen, denn, um eine uralte, wirkliche Gemciudefreiheit und Selbstverwaltung gewöhnt, durchaus politisch und kommunal reif, wirklich liberal und diszipliniert, höchst verdient um den Bestand des Staats eben durch diese Tugenden, werden sie nun der¬ selben Unfreiheit und Polizeiwillkür unterworfen, die unter dem Scheine des Liberalismus einhergeht. Erst wenn man diesen Gegensatz nimmt, begreift man den Grad, zu dem die Erbitterung unter ihnen allmählich gedeiht. Wie vor einigen Wochen Koloman Szell selbst eingestand, man ist in der That dort nervös geworden.*) Statt ihnen eine ähnliche munizipale Bedeutung zu lassen, wie man sie Pest und auch Fiume gewährte, hat man 1876 ihre alte Orga¬ nisation, die Nationsuniversität, aufgelöst, den Sachsenboden gleichfalls in Komitate aufgeteilt und ihnen anstelle ihres alten Sachsengrafen und ihrer eignen Richter Obergespane geschenkt, obgleich sie einst in die Union mit Ungarn nur unter der bestimmten Zusicherung gewilligt hatten, daß ihre alten Rechte geschont würden. Der alten „Universität," d. h. Gesamtheit, wurde nur das Recht gelassen, das Universitätsvermögen aus Bären und Liegenden, wie Ge- birgswäldern, namentlich den Siebenrichterwaldungen, selbst zu verwalten, aber nur zu Kulturzwecken ans dem alten Sachsenboden und nur unter Genehmigung der Beschlüsse durch den Minister. Auf diesem frühern Königs- oder Sachsen¬ boden wohnen nun auch Maghareu und Rumänen und sind magyarische und rumänische Stiftungen entstanden. In die Universitätsvcrtretung, die von allen zum Reichstag wahlberechtigten Bewohnern des Sachseubodens gewählt wird, also nicht nur von den Sachsen, ist infolgedessen jetzt auch je ein Rumäne und ein Magyare gekommen, und bis 1890 hat der Minister im Sinne dieser einen rumänischen oder magyarischen Stimme gegen die ganze übrige sächsische Vertretung über das alte Sachsenvermögen verfügen können und verfügt. Seit 1890 darf der Minister mir das Majoritätsvotum genehmigen oder verwerfen. Das war der erste größere politische Erfolg der Sachsen seit 1868, und that¬ sächlich hat auch die Universität dem evangelischen Landeskonsistorium den größern Teil ber Dotationen für Schulzwecke zugewiesen. (Schluß folgt) ') Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 9. Februar 1W0.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/426>, abgerufen am 22.07.2024.