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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Frage in Ungarns Dstnmrk

Das heißt: Los von Österreich, und Ungarn, einschließlich Siebenbürgen, für die
Magyaren. Das war der Standpunkt Kossuths. Wenn auch die Wiener Negierung
mit russischer Hilfe die Empörung niederwarf und erst ein absolutistisch, dann
wenigstens ein zeutralistisch regierter Gesamtstnat Österreich noch einige Zeit
bestand, 1867 willigte Kaiser Franz Joseph unter dem Druck der äußern poli¬
tischen Verhältnisse nach den unglücklichen Feldzügen von 1859 und 1866 in den
sogenannten Ausgleich mit Ungarn, der sür das Auswärtige, für Heer und
Finanzen gemeinsame Minister ließ und für die gemeinsamen Angelegenheiten
eine gemeinsame Vertretung des Volkes schuf, im übrigen aber Ungarn die
Ordnung seiner eignen innern Angelegenheiten völlig selbständig und nach den
liberalen Grundsätzen von 1848 überließ. Der Mann, der unter dem Schlag¬
worte der Nechtskontinuität, das heißt der Wiederanknüpfung an das 1848 pro¬
klamierte Verfassungsrecht, diese Periode der ungarischen Geschichte vertrat, war
Franz Deal, ein Manu von untadliger Ehrenhaftigkeit und staatsmännischer
Gesinnung; an die Stelle der Gleichung Liberalismus und Magyarismus setzte
er das Ideal des freien Staats Ungarn, zu dessen Glück die Nationalitäten
durch die Entfaltung ihrer eigentümlichen Kräfte gleichmäßig beitragen sollten.
Unter diesen Umstanden schien die 1867 nun faktisch durchgeführte Union
Siebenbürgens mit Ungar" noch nicht das Ende der "/^ Jahrtausend alten
Sachsenfreiheit zu bedeuten.

Dennoch datiert von da an, seit dem Schwinden des deutschen Einflusses,
die steigende Vedrängung der Sachsen durch die Magyaren. Denn darin
liegt der große Unterschied von Österreich, der durch den Ausgleich von 1867
vollends ans Licht trat: wenn mich Cisleithanie" nur deutsch regiert werden
kann, Transleithanieu kann auch, wenigstens einstweilen noch, magyarisch
regiert werden, trotz seiner 2^ Millionen Deutschen. Der große magyarische
Stamm, der mit seinen sechs bis acht Millionen das Zentrum des Landes, die
Theißebene, erfüllt und doch auch in den andern Teilen des Landes, namentlich
in Siebenbürgen vertreten ist, kann das Ganze beherrschen. Und thatsächlich ist
die Gleichung Liberalisinus nud Magyarisieruug wieder eingetreten; der Unter¬
schied der Regierungspartei vo" der Kossuthpartei besteht dieser Frage gegenüber
nur in den Mitteln und im Tempo. Das giebt nun diesem Bilde das fatale
Gepräge, sodaß mau nicht ohne Bitterkeit und Zorn davon reden kann. Im
Namen der Freiheit und Kultur wird Freiheit und Kultur tausendfach verletzt.
In diesen, Sinne ist es zu versteh,?, wenn man vom magyarischen "Kultur-
buttel" redet.

Warum schützte nicht gerade der Liberalismus vor der Magyarisieruug?
So viel ich sehe, ist der Grundschade der folgende. Die Magyaren sind gewiß
ein begabter Stamm, aber von einer eigentümlich magyarischen Kultur kann
man erst seit kurzem, seit diesem Jahrhundert reden, und vieles davon ist Treib¬
hausblüte oder nur mit magyarischer Etikette versehen, im Grunde aber deutsch.
Auch die magyarische Schriftsprache ist erst ein Jahrhundert alt. Wirtschaft¬
lich stand das Volk auf sehr niedriger Stufe: deu üblichen Großgrundherreu


Die deutsche Frage in Ungarns Dstnmrk

Das heißt: Los von Österreich, und Ungarn, einschließlich Siebenbürgen, für die
Magyaren. Das war der Standpunkt Kossuths. Wenn auch die Wiener Negierung
mit russischer Hilfe die Empörung niederwarf und erst ein absolutistisch, dann
wenigstens ein zeutralistisch regierter Gesamtstnat Österreich noch einige Zeit
bestand, 1867 willigte Kaiser Franz Joseph unter dem Druck der äußern poli¬
tischen Verhältnisse nach den unglücklichen Feldzügen von 1859 und 1866 in den
sogenannten Ausgleich mit Ungarn, der sür das Auswärtige, für Heer und
Finanzen gemeinsame Minister ließ und für die gemeinsamen Angelegenheiten
eine gemeinsame Vertretung des Volkes schuf, im übrigen aber Ungarn die
Ordnung seiner eignen innern Angelegenheiten völlig selbständig und nach den
liberalen Grundsätzen von 1848 überließ. Der Mann, der unter dem Schlag¬
worte der Nechtskontinuität, das heißt der Wiederanknüpfung an das 1848 pro¬
klamierte Verfassungsrecht, diese Periode der ungarischen Geschichte vertrat, war
Franz Deal, ein Manu von untadliger Ehrenhaftigkeit und staatsmännischer
Gesinnung; an die Stelle der Gleichung Liberalismus und Magyarismus setzte
er das Ideal des freien Staats Ungarn, zu dessen Glück die Nationalitäten
durch die Entfaltung ihrer eigentümlichen Kräfte gleichmäßig beitragen sollten.
Unter diesen Umstanden schien die 1867 nun faktisch durchgeführte Union
Siebenbürgens mit Ungar» noch nicht das Ende der "/^ Jahrtausend alten
Sachsenfreiheit zu bedeuten.

Dennoch datiert von da an, seit dem Schwinden des deutschen Einflusses,
die steigende Vedrängung der Sachsen durch die Magyaren. Denn darin
liegt der große Unterschied von Österreich, der durch den Ausgleich von 1867
vollends ans Licht trat: wenn mich Cisleithanie» nur deutsch regiert werden
kann, Transleithanieu kann auch, wenigstens einstweilen noch, magyarisch
regiert werden, trotz seiner 2^ Millionen Deutschen. Der große magyarische
Stamm, der mit seinen sechs bis acht Millionen das Zentrum des Landes, die
Theißebene, erfüllt und doch auch in den andern Teilen des Landes, namentlich
in Siebenbürgen vertreten ist, kann das Ganze beherrschen. Und thatsächlich ist
die Gleichung Liberalisinus nud Magyarisieruug wieder eingetreten; der Unter¬
schied der Regierungspartei vo» der Kossuthpartei besteht dieser Frage gegenüber
nur in den Mitteln und im Tempo. Das giebt nun diesem Bilde das fatale
Gepräge, sodaß mau nicht ohne Bitterkeit und Zorn davon reden kann. Im
Namen der Freiheit und Kultur wird Freiheit und Kultur tausendfach verletzt.
In diesen, Sinne ist es zu versteh,?, wenn man vom magyarischen „Kultur-
buttel" redet.

Warum schützte nicht gerade der Liberalismus vor der Magyarisieruug?
So viel ich sehe, ist der Grundschade der folgende. Die Magyaren sind gewiß
ein begabter Stamm, aber von einer eigentümlich magyarischen Kultur kann
man erst seit kurzem, seit diesem Jahrhundert reden, und vieles davon ist Treib¬
hausblüte oder nur mit magyarischer Etikette versehen, im Grunde aber deutsch.
Auch die magyarische Schriftsprache ist erst ein Jahrhundert alt. Wirtschaft¬
lich stand das Volk auf sehr niedriger Stufe: deu üblichen Großgrundherreu


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[0424] Die deutsche Frage in Ungarns Dstnmrk Das heißt: Los von Österreich, und Ungarn, einschließlich Siebenbürgen, für die Magyaren. Das war der Standpunkt Kossuths. Wenn auch die Wiener Negierung mit russischer Hilfe die Empörung niederwarf und erst ein absolutistisch, dann wenigstens ein zeutralistisch regierter Gesamtstnat Österreich noch einige Zeit bestand, 1867 willigte Kaiser Franz Joseph unter dem Druck der äußern poli¬ tischen Verhältnisse nach den unglücklichen Feldzügen von 1859 und 1866 in den sogenannten Ausgleich mit Ungarn, der sür das Auswärtige, für Heer und Finanzen gemeinsame Minister ließ und für die gemeinsamen Angelegenheiten eine gemeinsame Vertretung des Volkes schuf, im übrigen aber Ungarn die Ordnung seiner eignen innern Angelegenheiten völlig selbständig und nach den liberalen Grundsätzen von 1848 überließ. Der Mann, der unter dem Schlag¬ worte der Nechtskontinuität, das heißt der Wiederanknüpfung an das 1848 pro¬ klamierte Verfassungsrecht, diese Periode der ungarischen Geschichte vertrat, war Franz Deal, ein Manu von untadliger Ehrenhaftigkeit und staatsmännischer Gesinnung; an die Stelle der Gleichung Liberalismus und Magyarismus setzte er das Ideal des freien Staats Ungarn, zu dessen Glück die Nationalitäten durch die Entfaltung ihrer eigentümlichen Kräfte gleichmäßig beitragen sollten. Unter diesen Umstanden schien die 1867 nun faktisch durchgeführte Union Siebenbürgens mit Ungar» noch nicht das Ende der "/^ Jahrtausend alten Sachsenfreiheit zu bedeuten. Dennoch datiert von da an, seit dem Schwinden des deutschen Einflusses, die steigende Vedrängung der Sachsen durch die Magyaren. Denn darin liegt der große Unterschied von Österreich, der durch den Ausgleich von 1867 vollends ans Licht trat: wenn mich Cisleithanie» nur deutsch regiert werden kann, Transleithanieu kann auch, wenigstens einstweilen noch, magyarisch regiert werden, trotz seiner 2^ Millionen Deutschen. Der große magyarische Stamm, der mit seinen sechs bis acht Millionen das Zentrum des Landes, die Theißebene, erfüllt und doch auch in den andern Teilen des Landes, namentlich in Siebenbürgen vertreten ist, kann das Ganze beherrschen. Und thatsächlich ist die Gleichung Liberalisinus nud Magyarisieruug wieder eingetreten; der Unter¬ schied der Regierungspartei vo» der Kossuthpartei besteht dieser Frage gegenüber nur in den Mitteln und im Tempo. Das giebt nun diesem Bilde das fatale Gepräge, sodaß mau nicht ohne Bitterkeit und Zorn davon reden kann. Im Namen der Freiheit und Kultur wird Freiheit und Kultur tausendfach verletzt. In diesen, Sinne ist es zu versteh,?, wenn man vom magyarischen „Kultur- buttel" redet. Warum schützte nicht gerade der Liberalismus vor der Magyarisieruug? So viel ich sehe, ist der Grundschade der folgende. Die Magyaren sind gewiß ein begabter Stamm, aber von einer eigentümlich magyarischen Kultur kann man erst seit kurzem, seit diesem Jahrhundert reden, und vieles davon ist Treib¬ hausblüte oder nur mit magyarischer Etikette versehen, im Grunde aber deutsch. Auch die magyarische Schriftsprache ist erst ein Jahrhundert alt. Wirtschaft¬ lich stand das Volk auf sehr niedriger Stufe: deu üblichen Großgrundherreu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/424>, abgerufen am 22.07.2024.