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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Lese", Schreibe" und Sprechen

Viel zu weit -- Schöubach ist eben überhaupt eine Natur, die anerkennt,
solange es nur irgend möglich ist --, aber seine Behandlung ist immer be¬
lehrend und dabei' höchst unterhaltend. Die Kapitel über Cooper und den
amerikanischen Roman der Gegenivart würde außer ihm kaum jemand so ge¬
schrieben haben; die wegen mancher Einzelheiten lesenswerten Aufsätze zur
Litteratur Deutschlands und Österreichs hatten andre mich schreiben können.
Dein ersten Buch, das in jedem Falle das bedeutendere ist, hat der Verfasser
Listen empfehlenswerter Bücher ans 25 Seiten angeschlossen, zu denen er sagt:
"Darum verzichte ich gern auf die mir an sich ganz unmögliche Vollständigkeit,
bekenne, daß mir gewiß vieles Gute und Lesenswerte entgangen ist, und
bin zufrieden, wofern nur das Aufgenommne sich als brauchbar bewährt."
Das erste und zweite wird kein Verständiger bemängeln. Was das dritte
betrifft, so begreife ich nicht, wie el" Mann von seinem Urteil und Geschmack
in diesen wiederholt geprüften Verzeichnissen so viel geringes Zeug (der Aus¬
druck ist kaum stark genug) hat steh" lassen, wo er auf jeder Seite hätte
streichen können.

Guter, korrekter und dabei treffender Prosaausdruck, deu unsre Schrift¬
steller so oft vermissen lassen, ist für einen Franzosen, der für etwas gelten
will, uoch keine Tugend, sondern ein unerläßliches Erfordernis. Er hat vor
den unser" voraus, daß er auf eine lauge Reihe von Mustern zurücksieht, nach
denen er sich bilden kaun, während unsre moderne Prosa höchstens huudert-
st'nfzig Jahre alt ist. Aber die Menge thut es nicht; das Entscheidende ist,
daß der deutsche Geist der Regel widerstrebt, und daß der unreife Schriftsteller
jeden Einfall für eine Eingebung nimmt. Wo sind heute die Grenzen zwischen
Poesie und Prosa, die Lessing mit Mühe gesteckt hat? Die freien Rhythmen
""srer Modernen sind meistens keine Dichtung, sondern ein wohlfeiles Surrogat
dafür, und ihre impressionistische Prosa taumelt so absichtlich in das Reich der
Poesie hinüber, daß sie es sich manchmal sogar noch dnrch die Art des Druckes
bescheinigen läßt, in der daS Satzrndiment für sich erscheint, wie eine Vcrs-
zcile. Eine neuerlich erschienene "Poetik" eines Umvcrsitätsprofessors (dessen
Name nichts zur Sache thut) erteilt uns am Schluß die erbauliche Belehrung,
daß die Antithesen und Wiederholungen in Lessings Prosadialog ans der
Poetischen Harmonie, die sich in Versmaß und Nenn ausspreche, hervorgegangen
seien. Wenn also in Minna von Barnhelm Just dem Wirt eine Standrede
hält, ihm darin dreimal sagt: "Herr Wirt, er ist doch ein Grobian." und
dann schließt mit den Worten: ..Pfui, Herr Wirt, so guten Danziger zu haben
""d so schlechte Mores!" so lehrt darüber unser Professor, das sei nichts
a"tres, als wenn ans mehrere Stollen der Abgesang folgte. -- Was hätte
Wohl Lessing selbst zu solcher Verklotznng seiner Stilmittel gesagt!

In Frankreich erscheinen bisweilen kleine Bücher über den Prosastil, aus
denen auch wir manches lernen können, denn die Grundregeln des Ausdrucks
gelten für alle Knltursprachen. sonst könnten wir ja z. B. das Lateinische ge¬
trost den Philologen überlassen -- Lehrbücher, die aber nicht pedantisch ge-


Lese», Schreibe» und Sprechen

Viel zu weit — Schöubach ist eben überhaupt eine Natur, die anerkennt,
solange es nur irgend möglich ist —, aber seine Behandlung ist immer be¬
lehrend und dabei' höchst unterhaltend. Die Kapitel über Cooper und den
amerikanischen Roman der Gegenivart würde außer ihm kaum jemand so ge¬
schrieben haben; die wegen mancher Einzelheiten lesenswerten Aufsätze zur
Litteratur Deutschlands und Österreichs hatten andre mich schreiben können.
Dein ersten Buch, das in jedem Falle das bedeutendere ist, hat der Verfasser
Listen empfehlenswerter Bücher ans 25 Seiten angeschlossen, zu denen er sagt:
„Darum verzichte ich gern auf die mir an sich ganz unmögliche Vollständigkeit,
bekenne, daß mir gewiß vieles Gute und Lesenswerte entgangen ist, und
bin zufrieden, wofern nur das Aufgenommne sich als brauchbar bewährt."
Das erste und zweite wird kein Verständiger bemängeln. Was das dritte
betrifft, so begreife ich nicht, wie el» Mann von seinem Urteil und Geschmack
in diesen wiederholt geprüften Verzeichnissen so viel geringes Zeug (der Aus¬
druck ist kaum stark genug) hat steh» lassen, wo er auf jeder Seite hätte
streichen können.

Guter, korrekter und dabei treffender Prosaausdruck, deu unsre Schrift¬
steller so oft vermissen lassen, ist für einen Franzosen, der für etwas gelten
will, uoch keine Tugend, sondern ein unerläßliches Erfordernis. Er hat vor
den unser» voraus, daß er auf eine lauge Reihe von Mustern zurücksieht, nach
denen er sich bilden kaun, während unsre moderne Prosa höchstens huudert-
st'nfzig Jahre alt ist. Aber die Menge thut es nicht; das Entscheidende ist,
daß der deutsche Geist der Regel widerstrebt, und daß der unreife Schriftsteller
jeden Einfall für eine Eingebung nimmt. Wo sind heute die Grenzen zwischen
Poesie und Prosa, die Lessing mit Mühe gesteckt hat? Die freien Rhythmen
""srer Modernen sind meistens keine Dichtung, sondern ein wohlfeiles Surrogat
dafür, und ihre impressionistische Prosa taumelt so absichtlich in das Reich der
Poesie hinüber, daß sie es sich manchmal sogar noch dnrch die Art des Druckes
bescheinigen läßt, in der daS Satzrndiment für sich erscheint, wie eine Vcrs-
zcile. Eine neuerlich erschienene „Poetik" eines Umvcrsitätsprofessors (dessen
Name nichts zur Sache thut) erteilt uns am Schluß die erbauliche Belehrung,
daß die Antithesen und Wiederholungen in Lessings Prosadialog ans der
Poetischen Harmonie, die sich in Versmaß und Nenn ausspreche, hervorgegangen
seien. Wenn also in Minna von Barnhelm Just dem Wirt eine Standrede
hält, ihm darin dreimal sagt: „Herr Wirt, er ist doch ein Grobian." und
dann schließt mit den Worten: ..Pfui, Herr Wirt, so guten Danziger zu haben
«"d so schlechte Mores!" so lehrt darüber unser Professor, das sei nichts
a»tres, als wenn ans mehrere Stollen der Abgesang folgte. — Was hätte
Wohl Lessing selbst zu solcher Verklotznng seiner Stilmittel gesagt!

In Frankreich erscheinen bisweilen kleine Bücher über den Prosastil, aus
denen auch wir manches lernen können, denn die Grundregeln des Ausdrucks
gelten für alle Knltursprachen. sonst könnten wir ja z. B. das Lateinische ge¬
trost den Philologen überlassen — Lehrbücher, die aber nicht pedantisch ge-


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[0395] Lese», Schreibe» und Sprechen Viel zu weit — Schöubach ist eben überhaupt eine Natur, die anerkennt, solange es nur irgend möglich ist —, aber seine Behandlung ist immer be¬ lehrend und dabei' höchst unterhaltend. Die Kapitel über Cooper und den amerikanischen Roman der Gegenivart würde außer ihm kaum jemand so ge¬ schrieben haben; die wegen mancher Einzelheiten lesenswerten Aufsätze zur Litteratur Deutschlands und Österreichs hatten andre mich schreiben können. Dein ersten Buch, das in jedem Falle das bedeutendere ist, hat der Verfasser Listen empfehlenswerter Bücher ans 25 Seiten angeschlossen, zu denen er sagt: „Darum verzichte ich gern auf die mir an sich ganz unmögliche Vollständigkeit, bekenne, daß mir gewiß vieles Gute und Lesenswerte entgangen ist, und bin zufrieden, wofern nur das Aufgenommne sich als brauchbar bewährt." Das erste und zweite wird kein Verständiger bemängeln. Was das dritte betrifft, so begreife ich nicht, wie el» Mann von seinem Urteil und Geschmack in diesen wiederholt geprüften Verzeichnissen so viel geringes Zeug (der Aus¬ druck ist kaum stark genug) hat steh» lassen, wo er auf jeder Seite hätte streichen können. Guter, korrekter und dabei treffender Prosaausdruck, deu unsre Schrift¬ steller so oft vermissen lassen, ist für einen Franzosen, der für etwas gelten will, uoch keine Tugend, sondern ein unerläßliches Erfordernis. Er hat vor den unser» voraus, daß er auf eine lauge Reihe von Mustern zurücksieht, nach denen er sich bilden kaun, während unsre moderne Prosa höchstens huudert- st'nfzig Jahre alt ist. Aber die Menge thut es nicht; das Entscheidende ist, daß der deutsche Geist der Regel widerstrebt, und daß der unreife Schriftsteller jeden Einfall für eine Eingebung nimmt. Wo sind heute die Grenzen zwischen Poesie und Prosa, die Lessing mit Mühe gesteckt hat? Die freien Rhythmen ""srer Modernen sind meistens keine Dichtung, sondern ein wohlfeiles Surrogat dafür, und ihre impressionistische Prosa taumelt so absichtlich in das Reich der Poesie hinüber, daß sie es sich manchmal sogar noch dnrch die Art des Druckes bescheinigen läßt, in der daS Satzrndiment für sich erscheint, wie eine Vcrs- zcile. Eine neuerlich erschienene „Poetik" eines Umvcrsitätsprofessors (dessen Name nichts zur Sache thut) erteilt uns am Schluß die erbauliche Belehrung, daß die Antithesen und Wiederholungen in Lessings Prosadialog ans der Poetischen Harmonie, die sich in Versmaß und Nenn ausspreche, hervorgegangen seien. Wenn also in Minna von Barnhelm Just dem Wirt eine Standrede hält, ihm darin dreimal sagt: „Herr Wirt, er ist doch ein Grobian." und dann schließt mit den Worten: ..Pfui, Herr Wirt, so guten Danziger zu haben «"d so schlechte Mores!" so lehrt darüber unser Professor, das sei nichts a»tres, als wenn ans mehrere Stollen der Abgesang folgte. — Was hätte Wohl Lessing selbst zu solcher Verklotznng seiner Stilmittel gesagt! In Frankreich erscheinen bisweilen kleine Bücher über den Prosastil, aus denen auch wir manches lernen können, denn die Grundregeln des Ausdrucks gelten für alle Knltursprachen. sonst könnten wir ja z. B. das Lateinische ge¬ trost den Philologen überlassen — Lehrbücher, die aber nicht pedantisch ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/395>, abgerufen am 03.07.2024.