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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Lose", Schreiben und Sprechen

Fehler des Stils gefallen läßt. Dichter, die keine ordentlichen Verse machen
können, ergießen sich in freien Rhythmen, und die Technik unsrer Erzähler ist
so unvollkommen, daß der deutsche Roman in der Weltlitteratur die allerletzte
Stelle einnimmt, Gut zu schreiben, ja nur korrekt, ist viel schwerer, als die
meisten jungen Erzähler glauben; ihnen verdirbt den Stil ihre Eilfertigkeit und
der Hochmut, der ohne Sprachgefühl jede dumme Phrase für Inspiration aus¬
giebt. Darum stellt Schönbach Gottfried Keller so hoch -- "den größten
deutschen Dichter in der zweiten Hälfte unsers Jahrhunderts" --, der auch
das Geringste in der Kunst nicht verschmäht, auf Unebenheiten der Sprache,
hart zusammenstoßende Konsonanten, eintönige Vokale und ungelenken Satzbau
Jagd macht.

Des Verfassers Kritik ruht auf einer so schweren Menge von Kenntnissen,
daß es den Betroffnen nicht möglich sein wird, wider den Stachel zu locken.
Er hat auch ein Auge für die bildende Kunst, und aus ihrer Begleichung mit
der redenden zieht er mancherlei artige Anwendungen. Der Dichter soll nicht
lmtürlicher sein wollen als die Natur, die in unsre Sinne eingeht, wie es
thöricht ist, wenn die Maler mit Hilfe der Augenblicksphotographie dem
Beschauer Bewegungen aufzwingen, die kein natürliches Ange wahrnimmt;
unsre Sinne siud für uus die Grundlage der Künste und nicht die ozmeig.
odsourg.. Von hier aus wendet er sich gegen das wissenschaftlich genaue Auf¬
zählen der Einzelheiten in dem naturalistischen Roman, was ihn aber nicht
hindert, an einer andern Stelle Hauptmanns Fuhrmann Henschel zu dem Besten
zu rechnen, was unsre Zeit hervorgebracht hat. Man kann ihn überhaupt
nicht engherzig nennen; so sticht er z. B. bei Sudermann alles nach Möglich¬
keit zum besten zu kehren, und immer wieder hebt er hervor, daß er zu
schreiben versteht, was die Jüngern, die ihn anzugreifen pflegen, meistens nicht
können. Viel Eigentümliches enthält ein Kapitel über Ibsen, der hoch gestellt
und als das Genüssen unsrer Gesellschaft aufgefaßt wird; mir sind die Be¬
merkungen über seine mit der isländischen Saga zusammenhängende Sprach-
uud Stilkunst einleuchtender gewesen. Gut sind Schönbachs Gedanken über
den Künstlergrundsatz 1'art xour 1'g.re. Man kann, meint er, namentlich einem
Großstadtpublikttm durch Suggestion und Zeitungskritik alles Mögliche bei¬
bringen, sodaß es schließlich Flecke für Figuren und eine Farbensammlung für
ein Bild hätt. Aber zu einem Kunstwerk gehört doch, daß es von Menschen
mit normalen Sinnen und einem gewissen Bildungsgrade verstanden und ge¬
nossen werden könne, "eine gewisse Fähigkeit allgemeiner Geltung," die die
Kunst für die Künstler nicht zu habe" braucht. "Man könnte sich denken,
dnß für die Köche Speisen zubereitet würden, deren Reize den durch beständiges
Kosten stumpf gewordnen Gaumen noch zu kitzeln vermöchten; diese würde
dann kaum jemand anders genießen wollen." So denkt er auch über die
"Poesie für Dichter"; das gebe kleine Intimitäten, aber keine wirksame Kunst,
"icht Gedichte, sondern nach August Wilhelm Schlegel bloße Einbildungen von
Gedichten.


Grenzboten II 1900 49
Lose», Schreiben und Sprechen

Fehler des Stils gefallen läßt. Dichter, die keine ordentlichen Verse machen
können, ergießen sich in freien Rhythmen, und die Technik unsrer Erzähler ist
so unvollkommen, daß der deutsche Roman in der Weltlitteratur die allerletzte
Stelle einnimmt, Gut zu schreiben, ja nur korrekt, ist viel schwerer, als die
meisten jungen Erzähler glauben; ihnen verdirbt den Stil ihre Eilfertigkeit und
der Hochmut, der ohne Sprachgefühl jede dumme Phrase für Inspiration aus¬
giebt. Darum stellt Schönbach Gottfried Keller so hoch — „den größten
deutschen Dichter in der zweiten Hälfte unsers Jahrhunderts" —, der auch
das Geringste in der Kunst nicht verschmäht, auf Unebenheiten der Sprache,
hart zusammenstoßende Konsonanten, eintönige Vokale und ungelenken Satzbau
Jagd macht.

Des Verfassers Kritik ruht auf einer so schweren Menge von Kenntnissen,
daß es den Betroffnen nicht möglich sein wird, wider den Stachel zu locken.
Er hat auch ein Auge für die bildende Kunst, und aus ihrer Begleichung mit
der redenden zieht er mancherlei artige Anwendungen. Der Dichter soll nicht
lmtürlicher sein wollen als die Natur, die in unsre Sinne eingeht, wie es
thöricht ist, wenn die Maler mit Hilfe der Augenblicksphotographie dem
Beschauer Bewegungen aufzwingen, die kein natürliches Ange wahrnimmt;
unsre Sinne siud für uus die Grundlage der Künste und nicht die ozmeig.
odsourg.. Von hier aus wendet er sich gegen das wissenschaftlich genaue Auf¬
zählen der Einzelheiten in dem naturalistischen Roman, was ihn aber nicht
hindert, an einer andern Stelle Hauptmanns Fuhrmann Henschel zu dem Besten
zu rechnen, was unsre Zeit hervorgebracht hat. Man kann ihn überhaupt
nicht engherzig nennen; so sticht er z. B. bei Sudermann alles nach Möglich¬
keit zum besten zu kehren, und immer wieder hebt er hervor, daß er zu
schreiben versteht, was die Jüngern, die ihn anzugreifen pflegen, meistens nicht
können. Viel Eigentümliches enthält ein Kapitel über Ibsen, der hoch gestellt
und als das Genüssen unsrer Gesellschaft aufgefaßt wird; mir sind die Be¬
merkungen über seine mit der isländischen Saga zusammenhängende Sprach-
uud Stilkunst einleuchtender gewesen. Gut sind Schönbachs Gedanken über
den Künstlergrundsatz 1'art xour 1'g.re. Man kann, meint er, namentlich einem
Großstadtpublikttm durch Suggestion und Zeitungskritik alles Mögliche bei¬
bringen, sodaß es schließlich Flecke für Figuren und eine Farbensammlung für
ein Bild hätt. Aber zu einem Kunstwerk gehört doch, daß es von Menschen
mit normalen Sinnen und einem gewissen Bildungsgrade verstanden und ge¬
nossen werden könne, „eine gewisse Fähigkeit allgemeiner Geltung," die die
Kunst für die Künstler nicht zu habe» braucht. „Man könnte sich denken,
dnß für die Köche Speisen zubereitet würden, deren Reize den durch beständiges
Kosten stumpf gewordnen Gaumen noch zu kitzeln vermöchten; diese würde
dann kaum jemand anders genießen wollen." So denkt er auch über die
„Poesie für Dichter"; das gebe kleine Intimitäten, aber keine wirksame Kunst,
»icht Gedichte, sondern nach August Wilhelm Schlegel bloße Einbildungen von
Gedichten.


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[0393] Lose», Schreiben und Sprechen Fehler des Stils gefallen läßt. Dichter, die keine ordentlichen Verse machen können, ergießen sich in freien Rhythmen, und die Technik unsrer Erzähler ist so unvollkommen, daß der deutsche Roman in der Weltlitteratur die allerletzte Stelle einnimmt, Gut zu schreiben, ja nur korrekt, ist viel schwerer, als die meisten jungen Erzähler glauben; ihnen verdirbt den Stil ihre Eilfertigkeit und der Hochmut, der ohne Sprachgefühl jede dumme Phrase für Inspiration aus¬ giebt. Darum stellt Schönbach Gottfried Keller so hoch — „den größten deutschen Dichter in der zweiten Hälfte unsers Jahrhunderts" —, der auch das Geringste in der Kunst nicht verschmäht, auf Unebenheiten der Sprache, hart zusammenstoßende Konsonanten, eintönige Vokale und ungelenken Satzbau Jagd macht. Des Verfassers Kritik ruht auf einer so schweren Menge von Kenntnissen, daß es den Betroffnen nicht möglich sein wird, wider den Stachel zu locken. Er hat auch ein Auge für die bildende Kunst, und aus ihrer Begleichung mit der redenden zieht er mancherlei artige Anwendungen. Der Dichter soll nicht lmtürlicher sein wollen als die Natur, die in unsre Sinne eingeht, wie es thöricht ist, wenn die Maler mit Hilfe der Augenblicksphotographie dem Beschauer Bewegungen aufzwingen, die kein natürliches Ange wahrnimmt; unsre Sinne siud für uus die Grundlage der Künste und nicht die ozmeig. odsourg.. Von hier aus wendet er sich gegen das wissenschaftlich genaue Auf¬ zählen der Einzelheiten in dem naturalistischen Roman, was ihn aber nicht hindert, an einer andern Stelle Hauptmanns Fuhrmann Henschel zu dem Besten zu rechnen, was unsre Zeit hervorgebracht hat. Man kann ihn überhaupt nicht engherzig nennen; so sticht er z. B. bei Sudermann alles nach Möglich¬ keit zum besten zu kehren, und immer wieder hebt er hervor, daß er zu schreiben versteht, was die Jüngern, die ihn anzugreifen pflegen, meistens nicht können. Viel Eigentümliches enthält ein Kapitel über Ibsen, der hoch gestellt und als das Genüssen unsrer Gesellschaft aufgefaßt wird; mir sind die Be¬ merkungen über seine mit der isländischen Saga zusammenhängende Sprach- uud Stilkunst einleuchtender gewesen. Gut sind Schönbachs Gedanken über den Künstlergrundsatz 1'art xour 1'g.re. Man kann, meint er, namentlich einem Großstadtpublikttm durch Suggestion und Zeitungskritik alles Mögliche bei¬ bringen, sodaß es schließlich Flecke für Figuren und eine Farbensammlung für ein Bild hätt. Aber zu einem Kunstwerk gehört doch, daß es von Menschen mit normalen Sinnen und einem gewissen Bildungsgrade verstanden und ge¬ nossen werden könne, „eine gewisse Fähigkeit allgemeiner Geltung," die die Kunst für die Künstler nicht zu habe» braucht. „Man könnte sich denken, dnß für die Köche Speisen zubereitet würden, deren Reize den durch beständiges Kosten stumpf gewordnen Gaumen noch zu kitzeln vermöchten; diese würde dann kaum jemand anders genießen wollen." So denkt er auch über die „Poesie für Dichter"; das gebe kleine Intimitäten, aber keine wirksame Kunst, »icht Gedichte, sondern nach August Wilhelm Schlegel bloße Einbildungen von Gedichten. Grenzboten II 1900 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/393>, abgerufen am 01.07.2024.