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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Thoma

der zweiten Form wirkt es günstiger, weil wir ihr gegenüber mit unsern
Wirklichkeitsansprüchen bescheidner sind. Auf einer Lithographie aus späterer
Zeit schreitet ein Säemann über ein Ackerfeld auf uns zu, feierlich, priesterlich,
von erschütternder Größe, findet unser Erklärer, was man verstehn kann --
aber "Natur von packender Unmittelbarkeit" ist es dennoch nicht; zu diesem
Eindruck verleitet nur der ungeheure Maßstab der ganz in den Vorder¬
grund gerückten Gestalt, die an und für sich vielmehr etwas wachsfiguren¬
müßiges hat.

Was nun die ausgeführten Gemälde anlangt, so spricht sich Thoma in
der religiösen Gattung am wenigsten günstig aus. Auch in der Mythologie
ist er nicht recht zu Hause; sie sei zu spät an ihn herangetreten, bemerkt
Meißner, vermutlich also durch Anregung Böcklins, mit dem Thoma in
München näher verkehrt hatte, und die einzelnen Figuren bedeuten nicht viel.
Dafür sind sie immer anstündig, keusch (ich gebrauche das Wort nicht ohne
Not, hier trifft es zu), und weil ich keine der Adressen gegen die Lex Heinze
unterzeichnet habe, so darf ich mir erlauben, das als einen Vorzug zu rühmen.
Das beste Bild scheint mir "Dämmerung im Buchenwald" von 1899 zu sein,
mit einem aufrecht stehenden jungen Panisken, der unbekümmert um alles
andre auf seiner Schalmei in das Dickicht hineinbläst, während ganz hinten
in einer Lichtung ein geharnischter Reiter sichtbar wird. Mittelalter und
Antike sind hier höchst glücklich zusammengebracht, aber sie sind nicht viel mehr
als Staffage, wenigstens hat die Hauptrolle die Landschaft. Die selbständigen
Mythologien mit größern Figuren, deren einige Meißner laut bejubelt, werden
andre Betrachter kühler aufnehmen, z. B. das "Tritonenpaar" im Meer bei
untergehender Sonne; und die Allegorie "Frühlingseinkehr," in der er den
reifsten Abschluß von Thomas Kunst sieht, möchte ich mir erlauben, für scheu߬
lich zu erklären, denn für mein Auge hat der nackte Athlet, der auf den: Rücken
eines schwimmenden Fisches steht und den Himmel angrinst, etwas blödsinniges,
und ich sehe hier nichts von dem, womit die Kunst Überwirkliches glaublich
machen kann, sondern nur einen natürlichen Vorgang, für den ich mir den
Zweck auf dem Bilde vergebens suche. Meißner preist uns ferner den Porträt¬
maler in den höchsten Tönen, aber die Abbildungen entsprechen dieser Schätzung
nicht ganz. Das beste Bildnis dürfte das seiner Schwester sein, sehr früh
(1868) und durchaus natürlich. Demnächst käme Frau Doktor Spier, eine
Frankfurter Dame, ganz modern, ohne jede Stilisierung; farbentief und und
einem fragenden Seelenrätsel im Auge, wie der Kritiker sagt -- das mag alles
sein, nur möge er verzeihen, "vornehm" kann ein solcher Ruschelkopf niemals
sein. Mit dem reichsten Lobe bedenkt er die Selbstbildnisse. Eins stellt den
Maler dar im Brustausschnitt mit einem Buch in der Hand, über das hinweg
er uns ganz von vorn ansieht, dahinter Baumstämme und Wasser und Schwänen
(1880, in der Dresdner Galerie), ein andres aus etwas späterer Zeit (1887)
ihn neben seiner Frau, Brustbilder ohne Hände, gleichfalls vor einer Land¬
schaft. Beide Gemälde haben Rahmen mit Blumen und Engelköpfen, die aller-


Grcnzboten II 1900
Thoma

der zweiten Form wirkt es günstiger, weil wir ihr gegenüber mit unsern
Wirklichkeitsansprüchen bescheidner sind. Auf einer Lithographie aus späterer
Zeit schreitet ein Säemann über ein Ackerfeld auf uns zu, feierlich, priesterlich,
von erschütternder Größe, findet unser Erklärer, was man verstehn kann —
aber „Natur von packender Unmittelbarkeit" ist es dennoch nicht; zu diesem
Eindruck verleitet nur der ungeheure Maßstab der ganz in den Vorder¬
grund gerückten Gestalt, die an und für sich vielmehr etwas wachsfiguren¬
müßiges hat.

Was nun die ausgeführten Gemälde anlangt, so spricht sich Thoma in
der religiösen Gattung am wenigsten günstig aus. Auch in der Mythologie
ist er nicht recht zu Hause; sie sei zu spät an ihn herangetreten, bemerkt
Meißner, vermutlich also durch Anregung Böcklins, mit dem Thoma in
München näher verkehrt hatte, und die einzelnen Figuren bedeuten nicht viel.
Dafür sind sie immer anstündig, keusch (ich gebrauche das Wort nicht ohne
Not, hier trifft es zu), und weil ich keine der Adressen gegen die Lex Heinze
unterzeichnet habe, so darf ich mir erlauben, das als einen Vorzug zu rühmen.
Das beste Bild scheint mir „Dämmerung im Buchenwald" von 1899 zu sein,
mit einem aufrecht stehenden jungen Panisken, der unbekümmert um alles
andre auf seiner Schalmei in das Dickicht hineinbläst, während ganz hinten
in einer Lichtung ein geharnischter Reiter sichtbar wird. Mittelalter und
Antike sind hier höchst glücklich zusammengebracht, aber sie sind nicht viel mehr
als Staffage, wenigstens hat die Hauptrolle die Landschaft. Die selbständigen
Mythologien mit größern Figuren, deren einige Meißner laut bejubelt, werden
andre Betrachter kühler aufnehmen, z. B. das „Tritonenpaar" im Meer bei
untergehender Sonne; und die Allegorie „Frühlingseinkehr," in der er den
reifsten Abschluß von Thomas Kunst sieht, möchte ich mir erlauben, für scheu߬
lich zu erklären, denn für mein Auge hat der nackte Athlet, der auf den: Rücken
eines schwimmenden Fisches steht und den Himmel angrinst, etwas blödsinniges,
und ich sehe hier nichts von dem, womit die Kunst Überwirkliches glaublich
machen kann, sondern nur einen natürlichen Vorgang, für den ich mir den
Zweck auf dem Bilde vergebens suche. Meißner preist uns ferner den Porträt¬
maler in den höchsten Tönen, aber die Abbildungen entsprechen dieser Schätzung
nicht ganz. Das beste Bildnis dürfte das seiner Schwester sein, sehr früh
(1868) und durchaus natürlich. Demnächst käme Frau Doktor Spier, eine
Frankfurter Dame, ganz modern, ohne jede Stilisierung; farbentief und und
einem fragenden Seelenrätsel im Auge, wie der Kritiker sagt — das mag alles
sein, nur möge er verzeihen, „vornehm" kann ein solcher Ruschelkopf niemals
sein. Mit dem reichsten Lobe bedenkt er die Selbstbildnisse. Eins stellt den
Maler dar im Brustausschnitt mit einem Buch in der Hand, über das hinweg
er uns ganz von vorn ansieht, dahinter Baumstämme und Wasser und Schwänen
(1880, in der Dresdner Galerie), ein andres aus etwas späterer Zeit (1887)
ihn neben seiner Frau, Brustbilder ohne Hände, gleichfalls vor einer Land¬
schaft. Beide Gemälde haben Rahmen mit Blumen und Engelköpfen, die aller-


Grcnzboten II 1900
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[0353] Thoma der zweiten Form wirkt es günstiger, weil wir ihr gegenüber mit unsern Wirklichkeitsansprüchen bescheidner sind. Auf einer Lithographie aus späterer Zeit schreitet ein Säemann über ein Ackerfeld auf uns zu, feierlich, priesterlich, von erschütternder Größe, findet unser Erklärer, was man verstehn kann — aber „Natur von packender Unmittelbarkeit" ist es dennoch nicht; zu diesem Eindruck verleitet nur der ungeheure Maßstab der ganz in den Vorder¬ grund gerückten Gestalt, die an und für sich vielmehr etwas wachsfiguren¬ müßiges hat. Was nun die ausgeführten Gemälde anlangt, so spricht sich Thoma in der religiösen Gattung am wenigsten günstig aus. Auch in der Mythologie ist er nicht recht zu Hause; sie sei zu spät an ihn herangetreten, bemerkt Meißner, vermutlich also durch Anregung Böcklins, mit dem Thoma in München näher verkehrt hatte, und die einzelnen Figuren bedeuten nicht viel. Dafür sind sie immer anstündig, keusch (ich gebrauche das Wort nicht ohne Not, hier trifft es zu), und weil ich keine der Adressen gegen die Lex Heinze unterzeichnet habe, so darf ich mir erlauben, das als einen Vorzug zu rühmen. Das beste Bild scheint mir „Dämmerung im Buchenwald" von 1899 zu sein, mit einem aufrecht stehenden jungen Panisken, der unbekümmert um alles andre auf seiner Schalmei in das Dickicht hineinbläst, während ganz hinten in einer Lichtung ein geharnischter Reiter sichtbar wird. Mittelalter und Antike sind hier höchst glücklich zusammengebracht, aber sie sind nicht viel mehr als Staffage, wenigstens hat die Hauptrolle die Landschaft. Die selbständigen Mythologien mit größern Figuren, deren einige Meißner laut bejubelt, werden andre Betrachter kühler aufnehmen, z. B. das „Tritonenpaar" im Meer bei untergehender Sonne; und die Allegorie „Frühlingseinkehr," in der er den reifsten Abschluß von Thomas Kunst sieht, möchte ich mir erlauben, für scheu߬ lich zu erklären, denn für mein Auge hat der nackte Athlet, der auf den: Rücken eines schwimmenden Fisches steht und den Himmel angrinst, etwas blödsinniges, und ich sehe hier nichts von dem, womit die Kunst Überwirkliches glaublich machen kann, sondern nur einen natürlichen Vorgang, für den ich mir den Zweck auf dem Bilde vergebens suche. Meißner preist uns ferner den Porträt¬ maler in den höchsten Tönen, aber die Abbildungen entsprechen dieser Schätzung nicht ganz. Das beste Bildnis dürfte das seiner Schwester sein, sehr früh (1868) und durchaus natürlich. Demnächst käme Frau Doktor Spier, eine Frankfurter Dame, ganz modern, ohne jede Stilisierung; farbentief und und einem fragenden Seelenrätsel im Auge, wie der Kritiker sagt — das mag alles sein, nur möge er verzeihen, „vornehm" kann ein solcher Ruschelkopf niemals sein. Mit dem reichsten Lobe bedenkt er die Selbstbildnisse. Eins stellt den Maler dar im Brustausschnitt mit einem Buch in der Hand, über das hinweg er uns ganz von vorn ansieht, dahinter Baumstämme und Wasser und Schwänen (1880, in der Dresdner Galerie), ein andres aus etwas späterer Zeit (1887) ihn neben seiner Frau, Brustbilder ohne Hände, gleichfalls vor einer Land¬ schaft. Beide Gemälde haben Rahmen mit Blumen und Engelköpfen, die aller- Grcnzboten II 1900

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/353>, abgerufen am 03.07.2024.