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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Thoma

seiner akademischen Lehrer, und so ging er 1868 auf eigne Hand zunächst nach
Düsseldorf und von da nach Paris, wo Courbets breiter Realismus sein Ver¬
langen stillte. Nach Bernau zurückgekehrt, malte er in der freien Natur eine
Anzahl Bilder in der neuen Mache und schickte sie zur Ausstellring nach Karls¬
ruhe, wo sie eine solche Entrüstung hervorriefen, das; er dort fortan unmöglich
war. Das war 1870. Volle zwanzig Jahre ließ er nun seiue Ideale reifen,
gab auf seinen Genius acht, wie der Lateiner sagt, kümmerte sich nicht um die
Außenwelt und wartete seine Zeit ab. Und sie kam. Er zog 1871 uach
München, zu einem Publikum, das durch keine Ungewöhnlichkeit aus der
Fassung zu bringen war, und blieb dort -- mit einer Unterbrechung durch
einen Auftrag, der ihn nach Frankfurt rief, und eine halbjährige italienische
Reise -- bis 1877, wo er endgiltig nach Frankfurt übersiedelte. Er hatte
Freunde gewonnen, die ihn verehrten, und allmählich wurde der zunächst nur
von wenigen Gekannte bekannt, berühmt gemacht kann man sagen, im Gefolge
Vöcklins, denn nachdem das deutsche Publikum für Böcklins Würdigung hin¬
reichend erzogen war, lernte es auch Thoma schützen, und zwar sehr. Eine
Allsstellung von dreißig Bildern in München 1890 hatte einen für alles
weitere entscheidenden Erfolg, und jetzt steht Thoma bei Franz Hermann
Meißner in einer "kleinen ausgewühlten Reihe" hinter Böcklin, Klinger und
Stuck als Vierter. (Das Künstlerbuch, Band IV, Berlin und Leipzig, Schuster
und Loeffler). Dieser Band hat alle Vorzüge der frühern, einen bessern
Jntrodukteur beim Publikum als Meißner kann sich die zeitgenössische Kunst
nicht wünschen, und wem von den Lesern der Ton zu hoch liegt, der darf ja
transponieren.

Thoma ist ein Mann von vielen Gedanken, der beinahe immer, auch bei
dem einfachsten Motiv, mit irgend etwas unsre Aufmerksamkeit gewinnt, und
ein Poet, der zu stimmen weiß, das ist keine Frage. Aber den Rang eines
Malers bestimmen nicht die Fülle der Gesichte und die Skizze, sondern das
fertiggemachte Bild, und wenn er nicht bloß Landschafter sein will, vor allem
die Figur. Es giebt Maler, die behaupten, Thoma zeichne keinen einzigen
Körper richtig, und wenn jemand zu solchem Urteil das Wissen fehlt, so wird
er sich doch wenigstens manchmal zweifelnd gefragt haben: Sind denn diese
Menschen wirklich lebendig? Eine feine Erfindung ist "der Hüter des Thales"
in der Dresdner Galerie, Sankt Georg geharnischt mit der roten Fahne, in
einen Thalgrund niedersehend, über den sich schon die Nacht gebreitet hat --
aber der Geharnischte steht da wie eine ausgestopfte Rüstung in einer fürst¬
lichen Waffenkammer. Noch mehr ergreift uns, beinahe faszinierend, der nachts
beim Mondenschein in seinem Hausgärtchen sitzende und ganz in sein Spiel
versunkue Geiger. Man kann da gern alles in Meißners begeisterter Schil¬
derung gelten lassen, aber der Haupttrick besteht doch in dem hellen Umriß,
den das Mondlicht um die Figur, die Geige und den Bogen zieht, und der
Mensch selbst ist krank, mindestens mondsüchtig. Der Künstler hat dieses früh
erfundne Motiv öfter verwandt, sowohl als Gemälde wie als Steindruck; in


Thoma

seiner akademischen Lehrer, und so ging er 1868 auf eigne Hand zunächst nach
Düsseldorf und von da nach Paris, wo Courbets breiter Realismus sein Ver¬
langen stillte. Nach Bernau zurückgekehrt, malte er in der freien Natur eine
Anzahl Bilder in der neuen Mache und schickte sie zur Ausstellring nach Karls¬
ruhe, wo sie eine solche Entrüstung hervorriefen, das; er dort fortan unmöglich
war. Das war 1870. Volle zwanzig Jahre ließ er nun seiue Ideale reifen,
gab auf seinen Genius acht, wie der Lateiner sagt, kümmerte sich nicht um die
Außenwelt und wartete seine Zeit ab. Und sie kam. Er zog 1871 uach
München, zu einem Publikum, das durch keine Ungewöhnlichkeit aus der
Fassung zu bringen war, und blieb dort — mit einer Unterbrechung durch
einen Auftrag, der ihn nach Frankfurt rief, und eine halbjährige italienische
Reise — bis 1877, wo er endgiltig nach Frankfurt übersiedelte. Er hatte
Freunde gewonnen, die ihn verehrten, und allmählich wurde der zunächst nur
von wenigen Gekannte bekannt, berühmt gemacht kann man sagen, im Gefolge
Vöcklins, denn nachdem das deutsche Publikum für Böcklins Würdigung hin¬
reichend erzogen war, lernte es auch Thoma schützen, und zwar sehr. Eine
Allsstellung von dreißig Bildern in München 1890 hatte einen für alles
weitere entscheidenden Erfolg, und jetzt steht Thoma bei Franz Hermann
Meißner in einer „kleinen ausgewühlten Reihe" hinter Böcklin, Klinger und
Stuck als Vierter. (Das Künstlerbuch, Band IV, Berlin und Leipzig, Schuster
und Loeffler). Dieser Band hat alle Vorzüge der frühern, einen bessern
Jntrodukteur beim Publikum als Meißner kann sich die zeitgenössische Kunst
nicht wünschen, und wem von den Lesern der Ton zu hoch liegt, der darf ja
transponieren.

Thoma ist ein Mann von vielen Gedanken, der beinahe immer, auch bei
dem einfachsten Motiv, mit irgend etwas unsre Aufmerksamkeit gewinnt, und
ein Poet, der zu stimmen weiß, das ist keine Frage. Aber den Rang eines
Malers bestimmen nicht die Fülle der Gesichte und die Skizze, sondern das
fertiggemachte Bild, und wenn er nicht bloß Landschafter sein will, vor allem
die Figur. Es giebt Maler, die behaupten, Thoma zeichne keinen einzigen
Körper richtig, und wenn jemand zu solchem Urteil das Wissen fehlt, so wird
er sich doch wenigstens manchmal zweifelnd gefragt haben: Sind denn diese
Menschen wirklich lebendig? Eine feine Erfindung ist „der Hüter des Thales"
in der Dresdner Galerie, Sankt Georg geharnischt mit der roten Fahne, in
einen Thalgrund niedersehend, über den sich schon die Nacht gebreitet hat —
aber der Geharnischte steht da wie eine ausgestopfte Rüstung in einer fürst¬
lichen Waffenkammer. Noch mehr ergreift uns, beinahe faszinierend, der nachts
beim Mondenschein in seinem Hausgärtchen sitzende und ganz in sein Spiel
versunkue Geiger. Man kann da gern alles in Meißners begeisterter Schil¬
derung gelten lassen, aber der Haupttrick besteht doch in dem hellen Umriß,
den das Mondlicht um die Figur, die Geige und den Bogen zieht, und der
Mensch selbst ist krank, mindestens mondsüchtig. Der Künstler hat dieses früh
erfundne Motiv öfter verwandt, sowohl als Gemälde wie als Steindruck; in


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[0352] Thoma seiner akademischen Lehrer, und so ging er 1868 auf eigne Hand zunächst nach Düsseldorf und von da nach Paris, wo Courbets breiter Realismus sein Ver¬ langen stillte. Nach Bernau zurückgekehrt, malte er in der freien Natur eine Anzahl Bilder in der neuen Mache und schickte sie zur Ausstellring nach Karls¬ ruhe, wo sie eine solche Entrüstung hervorriefen, das; er dort fortan unmöglich war. Das war 1870. Volle zwanzig Jahre ließ er nun seiue Ideale reifen, gab auf seinen Genius acht, wie der Lateiner sagt, kümmerte sich nicht um die Außenwelt und wartete seine Zeit ab. Und sie kam. Er zog 1871 uach München, zu einem Publikum, das durch keine Ungewöhnlichkeit aus der Fassung zu bringen war, und blieb dort — mit einer Unterbrechung durch einen Auftrag, der ihn nach Frankfurt rief, und eine halbjährige italienische Reise — bis 1877, wo er endgiltig nach Frankfurt übersiedelte. Er hatte Freunde gewonnen, die ihn verehrten, und allmählich wurde der zunächst nur von wenigen Gekannte bekannt, berühmt gemacht kann man sagen, im Gefolge Vöcklins, denn nachdem das deutsche Publikum für Böcklins Würdigung hin¬ reichend erzogen war, lernte es auch Thoma schützen, und zwar sehr. Eine Allsstellung von dreißig Bildern in München 1890 hatte einen für alles weitere entscheidenden Erfolg, und jetzt steht Thoma bei Franz Hermann Meißner in einer „kleinen ausgewühlten Reihe" hinter Böcklin, Klinger und Stuck als Vierter. (Das Künstlerbuch, Band IV, Berlin und Leipzig, Schuster und Loeffler). Dieser Band hat alle Vorzüge der frühern, einen bessern Jntrodukteur beim Publikum als Meißner kann sich die zeitgenössische Kunst nicht wünschen, und wem von den Lesern der Ton zu hoch liegt, der darf ja transponieren. Thoma ist ein Mann von vielen Gedanken, der beinahe immer, auch bei dem einfachsten Motiv, mit irgend etwas unsre Aufmerksamkeit gewinnt, und ein Poet, der zu stimmen weiß, das ist keine Frage. Aber den Rang eines Malers bestimmen nicht die Fülle der Gesichte und die Skizze, sondern das fertiggemachte Bild, und wenn er nicht bloß Landschafter sein will, vor allem die Figur. Es giebt Maler, die behaupten, Thoma zeichne keinen einzigen Körper richtig, und wenn jemand zu solchem Urteil das Wissen fehlt, so wird er sich doch wenigstens manchmal zweifelnd gefragt haben: Sind denn diese Menschen wirklich lebendig? Eine feine Erfindung ist „der Hüter des Thales" in der Dresdner Galerie, Sankt Georg geharnischt mit der roten Fahne, in einen Thalgrund niedersehend, über den sich schon die Nacht gebreitet hat — aber der Geharnischte steht da wie eine ausgestopfte Rüstung in einer fürst¬ lichen Waffenkammer. Noch mehr ergreift uns, beinahe faszinierend, der nachts beim Mondenschein in seinem Hausgärtchen sitzende und ganz in sein Spiel versunkue Geiger. Man kann da gern alles in Meißners begeisterter Schil¬ derung gelten lassen, aber der Haupttrick besteht doch in dem hellen Umriß, den das Mondlicht um die Figur, die Geige und den Bogen zieht, und der Mensch selbst ist krank, mindestens mondsüchtig. Der Künstler hat dieses früh erfundne Motiv öfter verwandt, sowohl als Gemälde wie als Steindruck; in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/352>, abgerufen am 01.07.2024.