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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die Frau in der Fabrik

Minister sollte eine Statistik erheben darüber, wieviel Familienväter am Sonntag
Abend den Ertrag einer vierzehntägiger Arbeit im Wirtshaus verthan haben!
Man muß den Jammer kennen in Arbeiterfamilien, den das Bier verschuldet,
wenn man die Wichtigkeit einer Staatshilfe in dieser Richtung schätzen will.

Nun noch einen Punkt! Sind die Mütter in Arbeiterfamilien wirklich
für die Erziehung ihrer Kinder so wichtig und unersetzlich? Sehen Sie, da
scheint mir wieder so ein Stück Idealismus dahinter zu stecken, wie hinter der
Statistikensnmmlung über die verheiratete Fran. (Sonst bin ich sehr für
Idealismus, nur nicht bei Gesetzgebern, da wirkt er bedenklich.) Wie erziehn
Arbeiterfrauen ihre Kinder, gut oder schlecht? Ich meine, das ist ganz indi¬
viduell. So "venig ein jeder Mann dem Ideal eines Familienvaters nahe
kommt, so wenig jede Arbeiterfrau dem einer guten Mutter. Wie viel Frauen,
die nicht in die Fabrik gehn, haben eine unordentliche Haushaltung, schmutzige
und unerzogne Kinder! Wie viel Frauen, die fleißig in die Fabrik gehn und
tüchtig schaffen, haben fleißige, strebsame, wohlgeratne Kinder! Die Fabrik
thut es nicht, wohl aber der seelische Gehalt des einzelnen Menschen. -- Darf
ich Ihnen zum Schluß noch meine Wünsche über die "Arbeitermüttcrhilfe"
vortragen? Für alle Mütter, die beim Erwerb helfen müssen, ist es eine
Wohlthat, wenn sie ihre Kinder gut beaufsichtigt wissen, den Tag über; das
gilt nicht nur von der Arbeiterfrau. Es müssen viel Frauen den ganzen Tag
hinterm Ladentisch stehn und verkaufen, und gar manche Frau ist die Seele
des Erwerbs für die Familie, auch wenn sie "nur im Geschäft hilft." Diese
Wohl sehr große Anzahl würde von dem neuen Gesetz nicht berührt, und
dennoch sind anch sie der Familie zum Teil entzogen; die wenigsten von ihnen
sind in der Lage, sich als Vertreterin ein Kinderfräulein zu halten. Könnte
da der Staat nicht etwas sehr wesentliches zur Verbesserung der Volkserziehung
beitragen, indem er Kinderkrippen und Kindergärten errichtete? In unsrer
Nähe ist eine große Aktienfabrik; sie hat aus eignen Mitteln ihren Arbeitern
eine Krippe und Kinderschule errichtet und pflegt und erzieht die Kinder ihrer
Arbeiter gut und billig; ich hatte Gelegenheit, die Einrichtung kennen zu lernen,
und bekam den besten Eindruck vou der Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit. Gewiß
ist solche Erziehung nicht das Ideal; eine Mutter sollte wenigstens besser für
die Kleinen sein, aber seien wir ehrlich, in jenen Kreisen ist sie es nicht.
(Auch in unsern nur zu oft nicht!) Die Kinder werden in den Anstalten von
den Pflegeschwestern besser erzogen, mehr an Gehorsam und Reinlichkeit ge¬
wöhnt, als zu Hause. Man denke nur an die Affenliebe der Mutter aus
niederm Stande zu den Kleinen, die es nicht über das Herz bringt, zu strafen
oder zu verbieten, wo es höchst nötig ist;*) ich habe mancher von diesen Müttern
den dringenden Rat gegeben, beizeiten dem Jungen die Höschen zu spannen,
wenn ich sah, wie der Knirps nach seiner'Mutter schlug.



Dafür prügeln sie dann in Fällen, wo sie selbst die Prügel verdient hatten.
D. Red.
Die Frau in der Fabrik

Minister sollte eine Statistik erheben darüber, wieviel Familienväter am Sonntag
Abend den Ertrag einer vierzehntägiger Arbeit im Wirtshaus verthan haben!
Man muß den Jammer kennen in Arbeiterfamilien, den das Bier verschuldet,
wenn man die Wichtigkeit einer Staatshilfe in dieser Richtung schätzen will.

Nun noch einen Punkt! Sind die Mütter in Arbeiterfamilien wirklich
für die Erziehung ihrer Kinder so wichtig und unersetzlich? Sehen Sie, da
scheint mir wieder so ein Stück Idealismus dahinter zu stecken, wie hinter der
Statistikensnmmlung über die verheiratete Fran. (Sonst bin ich sehr für
Idealismus, nur nicht bei Gesetzgebern, da wirkt er bedenklich.) Wie erziehn
Arbeiterfrauen ihre Kinder, gut oder schlecht? Ich meine, das ist ganz indi¬
viduell. So »venig ein jeder Mann dem Ideal eines Familienvaters nahe
kommt, so wenig jede Arbeiterfrau dem einer guten Mutter. Wie viel Frauen,
die nicht in die Fabrik gehn, haben eine unordentliche Haushaltung, schmutzige
und unerzogne Kinder! Wie viel Frauen, die fleißig in die Fabrik gehn und
tüchtig schaffen, haben fleißige, strebsame, wohlgeratne Kinder! Die Fabrik
thut es nicht, wohl aber der seelische Gehalt des einzelnen Menschen. — Darf
ich Ihnen zum Schluß noch meine Wünsche über die „Arbeitermüttcrhilfe"
vortragen? Für alle Mütter, die beim Erwerb helfen müssen, ist es eine
Wohlthat, wenn sie ihre Kinder gut beaufsichtigt wissen, den Tag über; das
gilt nicht nur von der Arbeiterfrau. Es müssen viel Frauen den ganzen Tag
hinterm Ladentisch stehn und verkaufen, und gar manche Frau ist die Seele
des Erwerbs für die Familie, auch wenn sie „nur im Geschäft hilft." Diese
Wohl sehr große Anzahl würde von dem neuen Gesetz nicht berührt, und
dennoch sind anch sie der Familie zum Teil entzogen; die wenigsten von ihnen
sind in der Lage, sich als Vertreterin ein Kinderfräulein zu halten. Könnte
da der Staat nicht etwas sehr wesentliches zur Verbesserung der Volkserziehung
beitragen, indem er Kinderkrippen und Kindergärten errichtete? In unsrer
Nähe ist eine große Aktienfabrik; sie hat aus eignen Mitteln ihren Arbeitern
eine Krippe und Kinderschule errichtet und pflegt und erzieht die Kinder ihrer
Arbeiter gut und billig; ich hatte Gelegenheit, die Einrichtung kennen zu lernen,
und bekam den besten Eindruck vou der Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit. Gewiß
ist solche Erziehung nicht das Ideal; eine Mutter sollte wenigstens besser für
die Kleinen sein, aber seien wir ehrlich, in jenen Kreisen ist sie es nicht.
(Auch in unsern nur zu oft nicht!) Die Kinder werden in den Anstalten von
den Pflegeschwestern besser erzogen, mehr an Gehorsam und Reinlichkeit ge¬
wöhnt, als zu Hause. Man denke nur an die Affenliebe der Mutter aus
niederm Stande zu den Kleinen, die es nicht über das Herz bringt, zu strafen
oder zu verbieten, wo es höchst nötig ist;*) ich habe mancher von diesen Müttern
den dringenden Rat gegeben, beizeiten dem Jungen die Höschen zu spannen,
wenn ich sah, wie der Knirps nach seiner'Mutter schlug.



Dafür prügeln sie dann in Fällen, wo sie selbst die Prügel verdient hatten.
D. Red.
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[0339] Die Frau in der Fabrik Minister sollte eine Statistik erheben darüber, wieviel Familienväter am Sonntag Abend den Ertrag einer vierzehntägiger Arbeit im Wirtshaus verthan haben! Man muß den Jammer kennen in Arbeiterfamilien, den das Bier verschuldet, wenn man die Wichtigkeit einer Staatshilfe in dieser Richtung schätzen will. Nun noch einen Punkt! Sind die Mütter in Arbeiterfamilien wirklich für die Erziehung ihrer Kinder so wichtig und unersetzlich? Sehen Sie, da scheint mir wieder so ein Stück Idealismus dahinter zu stecken, wie hinter der Statistikensnmmlung über die verheiratete Fran. (Sonst bin ich sehr für Idealismus, nur nicht bei Gesetzgebern, da wirkt er bedenklich.) Wie erziehn Arbeiterfrauen ihre Kinder, gut oder schlecht? Ich meine, das ist ganz indi¬ viduell. So »venig ein jeder Mann dem Ideal eines Familienvaters nahe kommt, so wenig jede Arbeiterfrau dem einer guten Mutter. Wie viel Frauen, die nicht in die Fabrik gehn, haben eine unordentliche Haushaltung, schmutzige und unerzogne Kinder! Wie viel Frauen, die fleißig in die Fabrik gehn und tüchtig schaffen, haben fleißige, strebsame, wohlgeratne Kinder! Die Fabrik thut es nicht, wohl aber der seelische Gehalt des einzelnen Menschen. — Darf ich Ihnen zum Schluß noch meine Wünsche über die „Arbeitermüttcrhilfe" vortragen? Für alle Mütter, die beim Erwerb helfen müssen, ist es eine Wohlthat, wenn sie ihre Kinder gut beaufsichtigt wissen, den Tag über; das gilt nicht nur von der Arbeiterfrau. Es müssen viel Frauen den ganzen Tag hinterm Ladentisch stehn und verkaufen, und gar manche Frau ist die Seele des Erwerbs für die Familie, auch wenn sie „nur im Geschäft hilft." Diese Wohl sehr große Anzahl würde von dem neuen Gesetz nicht berührt, und dennoch sind anch sie der Familie zum Teil entzogen; die wenigsten von ihnen sind in der Lage, sich als Vertreterin ein Kinderfräulein zu halten. Könnte da der Staat nicht etwas sehr wesentliches zur Verbesserung der Volkserziehung beitragen, indem er Kinderkrippen und Kindergärten errichtete? In unsrer Nähe ist eine große Aktienfabrik; sie hat aus eignen Mitteln ihren Arbeitern eine Krippe und Kinderschule errichtet und pflegt und erzieht die Kinder ihrer Arbeiter gut und billig; ich hatte Gelegenheit, die Einrichtung kennen zu lernen, und bekam den besten Eindruck vou der Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit. Gewiß ist solche Erziehung nicht das Ideal; eine Mutter sollte wenigstens besser für die Kleinen sein, aber seien wir ehrlich, in jenen Kreisen ist sie es nicht. (Auch in unsern nur zu oft nicht!) Die Kinder werden in den Anstalten von den Pflegeschwestern besser erzogen, mehr an Gehorsam und Reinlichkeit ge¬ wöhnt, als zu Hause. Man denke nur an die Affenliebe der Mutter aus niederm Stande zu den Kleinen, die es nicht über das Herz bringt, zu strafen oder zu verbieten, wo es höchst nötig ist;*) ich habe mancher von diesen Müttern den dringenden Rat gegeben, beizeiten dem Jungen die Höschen zu spannen, wenn ich sah, wie der Knirps nach seiner'Mutter schlug. Dafür prügeln sie dann in Fällen, wo sie selbst die Prügel verdient hatten. D. Red.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/339>, abgerufen am 26.06.2024.