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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Europa und England

oder für den Frieden Europas? Diese Abrüstungsfrage geht eben nur die
großen Kriegsmächte an, die allein die großen Rüstungen veranlassen, und von
denen allein deren Verringerung oder eine Begrenzung für die Zukunft abhängt.
Die kleinern Staaten, Spanien, Schweden, Rumänien nicht ausgenommen,
werden sich gewiß nicht mit Kriegsheeren überlasten, wenn die großen Nachbarn
abrüsten. Diese Frage gehörte nicht vor ein Forum, das etwas von einer
Volksversammlung hatte, sondern vor eine Konferenz von Vertretern der Gro߬
mächte, und eine solche Konferenz Hütte vorher diplomatisch sorgfältig eingeleitet
sein müssen, dann hätte sie vielleicht zu einem praktischen Ziele gelangen können.
Oder Rußland hätte einfach mit gutem Beispiel vorangehn und abrüsten sollen,
wozu es, falls es keine aggressive, sondern bloß friedlich defensive Politik treiben
will, sehr wohl in der Lage ist. Ein friedlich-freudiges "Uff!" Hütte ihm ge¬
antwortet, und seine getreuen Unterthanen Hütten ihm gedankt. Oder endlich,
die kontinentalen Mächte, um deren Abrüstung es sich doch allein handelte,
hätten sich vor allem zu einer eventuellen bewaffneten Neutralität zur See
nach dem Muster von 1780 zusammenthun und endlich einem geordneten
Seerecht zum Leben verhelfen können, woraus sich dann vielleicht eine Erleich¬
terung der Rüstungen zu Lande als Korrelat ergeben hätte. Die andern Dinge,
die im Haag vorlagen, haben auch nicht eben dadurch gewonnen, daß sie mehr
in parlamentarischer als in staatsmünnischer Weise behandelt wurden. Und
wollte man sich der schönen Hoffnung hingeben, daß im Haag der Grund gelegt
wurde für ein künftiges europäisches Staatenpalaver, so ist man doch zu der
Einschränkung genötigt, daß auch hierfür der Kreis zu weit gezogen war.

Wenn es sich um die Einstellung der Weltrüstungen handelt, so sind bisher
immer die Landheere gemeint gewesen mit ihren Millionenziffern. Überlastet
können erscheinen Nußland, Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich. Es
war von Hause aus nicht verständlich, was England mit dieser Frage zu schaffen
hat, das von seinem Landheer doch sicher nicht überlastet wird, und dem es
ohne Zweifel weit lieber ist, wenn sich die Kontinentalmächte in Landheeren
erschöpfen, als wenn sie statt dessen Mittel gewinnen, ihre Flotten zu ver¬
mehren. In dieser Frage der Abrüstung oder Einstellung weiterer Rüstungen
waren die Mittel- und Kleinstaaten Europas -- vou nichteuropüischen Staaten
ganz abgesehen -- auf einer Konferenz unnütz und hinderlich, England aber
trotz aller schönen Worte prinzipiell feindlich. Es kann in dieser Sache nicht
mit dem Kontinent gehn und kann noch weniger mit ihm gehn, wenn es sich
etwa um internationale Regelung zur See, um Zügelung der maritimen Kriegs¬
rüstungen handelte. Und was hat denn England auch von den übrigen Gegen¬
stünden der Haager Abrüstungskonferenz, die sich in eine Friedenskonferenz
umwandelte, da niemand abrüsten wollte, angenommen? Nachdem die Unter¬
schriften der beteiligten Staaten im Haag eingelaufen waren, stellte sich nach
den Berichten der Tagespresse folgendes heraus: Den Vertrag über die
Schlichtung internationaler Verwicklungen auf friedlichem Wege hat unter den
sechsundzwanzig beteiligten Staaten auch England ohne Vorbehalt angenommen.


Europa und England

oder für den Frieden Europas? Diese Abrüstungsfrage geht eben nur die
großen Kriegsmächte an, die allein die großen Rüstungen veranlassen, und von
denen allein deren Verringerung oder eine Begrenzung für die Zukunft abhängt.
Die kleinern Staaten, Spanien, Schweden, Rumänien nicht ausgenommen,
werden sich gewiß nicht mit Kriegsheeren überlasten, wenn die großen Nachbarn
abrüsten. Diese Frage gehörte nicht vor ein Forum, das etwas von einer
Volksversammlung hatte, sondern vor eine Konferenz von Vertretern der Gro߬
mächte, und eine solche Konferenz Hütte vorher diplomatisch sorgfältig eingeleitet
sein müssen, dann hätte sie vielleicht zu einem praktischen Ziele gelangen können.
Oder Rußland hätte einfach mit gutem Beispiel vorangehn und abrüsten sollen,
wozu es, falls es keine aggressive, sondern bloß friedlich defensive Politik treiben
will, sehr wohl in der Lage ist. Ein friedlich-freudiges „Uff!" Hütte ihm ge¬
antwortet, und seine getreuen Unterthanen Hütten ihm gedankt. Oder endlich,
die kontinentalen Mächte, um deren Abrüstung es sich doch allein handelte,
hätten sich vor allem zu einer eventuellen bewaffneten Neutralität zur See
nach dem Muster von 1780 zusammenthun und endlich einem geordneten
Seerecht zum Leben verhelfen können, woraus sich dann vielleicht eine Erleich¬
terung der Rüstungen zu Lande als Korrelat ergeben hätte. Die andern Dinge,
die im Haag vorlagen, haben auch nicht eben dadurch gewonnen, daß sie mehr
in parlamentarischer als in staatsmünnischer Weise behandelt wurden. Und
wollte man sich der schönen Hoffnung hingeben, daß im Haag der Grund gelegt
wurde für ein künftiges europäisches Staatenpalaver, so ist man doch zu der
Einschränkung genötigt, daß auch hierfür der Kreis zu weit gezogen war.

Wenn es sich um die Einstellung der Weltrüstungen handelt, so sind bisher
immer die Landheere gemeint gewesen mit ihren Millionenziffern. Überlastet
können erscheinen Nußland, Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich. Es
war von Hause aus nicht verständlich, was England mit dieser Frage zu schaffen
hat, das von seinem Landheer doch sicher nicht überlastet wird, und dem es
ohne Zweifel weit lieber ist, wenn sich die Kontinentalmächte in Landheeren
erschöpfen, als wenn sie statt dessen Mittel gewinnen, ihre Flotten zu ver¬
mehren. In dieser Frage der Abrüstung oder Einstellung weiterer Rüstungen
waren die Mittel- und Kleinstaaten Europas — vou nichteuropüischen Staaten
ganz abgesehen — auf einer Konferenz unnütz und hinderlich, England aber
trotz aller schönen Worte prinzipiell feindlich. Es kann in dieser Sache nicht
mit dem Kontinent gehn und kann noch weniger mit ihm gehn, wenn es sich
etwa um internationale Regelung zur See, um Zügelung der maritimen Kriegs¬
rüstungen handelte. Und was hat denn England auch von den übrigen Gegen¬
stünden der Haager Abrüstungskonferenz, die sich in eine Friedenskonferenz
umwandelte, da niemand abrüsten wollte, angenommen? Nachdem die Unter¬
schriften der beteiligten Staaten im Haag eingelaufen waren, stellte sich nach
den Berichten der Tagespresse folgendes heraus: Den Vertrag über die
Schlichtung internationaler Verwicklungen auf friedlichem Wege hat unter den
sechsundzwanzig beteiligten Staaten auch England ohne Vorbehalt angenommen.


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[0322] Europa und England oder für den Frieden Europas? Diese Abrüstungsfrage geht eben nur die großen Kriegsmächte an, die allein die großen Rüstungen veranlassen, und von denen allein deren Verringerung oder eine Begrenzung für die Zukunft abhängt. Die kleinern Staaten, Spanien, Schweden, Rumänien nicht ausgenommen, werden sich gewiß nicht mit Kriegsheeren überlasten, wenn die großen Nachbarn abrüsten. Diese Frage gehörte nicht vor ein Forum, das etwas von einer Volksversammlung hatte, sondern vor eine Konferenz von Vertretern der Gro߬ mächte, und eine solche Konferenz Hütte vorher diplomatisch sorgfältig eingeleitet sein müssen, dann hätte sie vielleicht zu einem praktischen Ziele gelangen können. Oder Rußland hätte einfach mit gutem Beispiel vorangehn und abrüsten sollen, wozu es, falls es keine aggressive, sondern bloß friedlich defensive Politik treiben will, sehr wohl in der Lage ist. Ein friedlich-freudiges „Uff!" Hütte ihm ge¬ antwortet, und seine getreuen Unterthanen Hütten ihm gedankt. Oder endlich, die kontinentalen Mächte, um deren Abrüstung es sich doch allein handelte, hätten sich vor allem zu einer eventuellen bewaffneten Neutralität zur See nach dem Muster von 1780 zusammenthun und endlich einem geordneten Seerecht zum Leben verhelfen können, woraus sich dann vielleicht eine Erleich¬ terung der Rüstungen zu Lande als Korrelat ergeben hätte. Die andern Dinge, die im Haag vorlagen, haben auch nicht eben dadurch gewonnen, daß sie mehr in parlamentarischer als in staatsmünnischer Weise behandelt wurden. Und wollte man sich der schönen Hoffnung hingeben, daß im Haag der Grund gelegt wurde für ein künftiges europäisches Staatenpalaver, so ist man doch zu der Einschränkung genötigt, daß auch hierfür der Kreis zu weit gezogen war. Wenn es sich um die Einstellung der Weltrüstungen handelt, so sind bisher immer die Landheere gemeint gewesen mit ihren Millionenziffern. Überlastet können erscheinen Nußland, Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich. Es war von Hause aus nicht verständlich, was England mit dieser Frage zu schaffen hat, das von seinem Landheer doch sicher nicht überlastet wird, und dem es ohne Zweifel weit lieber ist, wenn sich die Kontinentalmächte in Landheeren erschöpfen, als wenn sie statt dessen Mittel gewinnen, ihre Flotten zu ver¬ mehren. In dieser Frage der Abrüstung oder Einstellung weiterer Rüstungen waren die Mittel- und Kleinstaaten Europas — vou nichteuropüischen Staaten ganz abgesehen — auf einer Konferenz unnütz und hinderlich, England aber trotz aller schönen Worte prinzipiell feindlich. Es kann in dieser Sache nicht mit dem Kontinent gehn und kann noch weniger mit ihm gehn, wenn es sich etwa um internationale Regelung zur See, um Zügelung der maritimen Kriegs¬ rüstungen handelte. Und was hat denn England auch von den übrigen Gegen¬ stünden der Haager Abrüstungskonferenz, die sich in eine Friedenskonferenz umwandelte, da niemand abrüsten wollte, angenommen? Nachdem die Unter¬ schriften der beteiligten Staaten im Haag eingelaufen waren, stellte sich nach den Berichten der Tagespresse folgendes heraus: Den Vertrag über die Schlichtung internationaler Verwicklungen auf friedlichem Wege hat unter den sechsundzwanzig beteiligten Staaten auch England ohne Vorbehalt angenommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/322>, abgerufen am 01.07.2024.