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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Luxus, der schließlich weder die Gastgeber noch die GAste befriedigt? Bei Licht
besehen niemand, außer etwa der Koch, die Lohndiener und das Dienstmädchen mit
ihrem Trinkgeld. Und welche Umstände macht ein Gastmahl dieser Art im Hause!
Es ist eigentlich gar keine rechte Gastlichkeit, es ist ein bezahlter Luxus. Wer es
dazu hat, der mag ja leicht ein freundliches Gesicht dazu machen. Wo aber das
Geld ohnehin knapp ist, da wird die Sache doch zu einer empfindlich drückenden
Last. Zur rechten Gastlichkeit gehört, daß die Gäste etwas von der Art des Hauses,
in das sie geladen werden, zu spüren bekommen. Das ist bei dieser Art Geselligkeit
kaum möglich. Denn ein Mittag- oder Abendessen dieser Art weicht ja von allen
Gewohnheiten des Hauses völlig ab. Es ist eine künstlich gemachte Nachahmung
der Gewohnheiten ganz reicher Leute. Schott darin liegt eine gewisse Unwahrheit,
ein Stück Renonnuage mit Gütern, die man zeigt, im Grnnde aber gar nicht be¬
sitzt. Wie sich die Menschen dazu die Dienerschaft mieten, so leihen sie sich auch
vielleicht noch das Geschirr zusammen, von dem und mit dem sie ihre Gaste essen
lassen. Ist das eines freien und charaktervoller Mannes, einer ordentlichen, ge¬
diegnen Hansfrau, eines soliden, nicht auf Sand und Schein gebauten Haushalts
würdig? Diese formellen Gesellschaften kommen eigentlich nnr darauf hinnus. daß
man sich so und so viel Leute einlädt, um von ihnen wieder eingeladen zu werden.
Unsre Eltern und Großeltern hätten das nicht einmal für anständig gehalten, auch
wenn die Mittel reichlich dazu vorhanden gewesen wären. Sie feierten ihre Familien¬
feste, den Geburtstag des Hausvaters und der Hausmutter, ihren Hochzeitstag und
Verlobuugstag, auch wohl die Geburtstage der Kinder, und dazu luden sie die
Freunde des Hauses ein, die im weitern Sinne zur Familie gehörten. Das hatte
Sinn und Verstand. Unser heutiger formeller Verkehr, dieses Besuchemachen,
Knrtenabgeben, Kartenerwidern, nach der Liste Einladen und Sicheinladenlassen ist
im Grnnde eine ihres Inhalts entleerte bloße Form, eine Art Kulisse, hinter der
sich das eigentliche Wesen und der Kern der Menschen und ihres Hauses möglichst
bersteckt. Ich gebe zu, daß es nicht bei allen Leuten, die sich an diesem Schem¬
wesen beteiligen, gleich schlimm damit steht. Manche haben ein Bewußtsein der
Verkehrtheit, die sie mitmachen, manche -- die meisten -- denken überhaupt acht
darüber nach. Sie fügen sich der Unsitte, weil sie Mode ist. Für manche Leute
M"g sie auch bequem sein, und die Fügsamkeit gegen Modethorheiten ist immer
bequem. Aber ein Stück leeren und falschen Scheins sitzt überall dahinter. Gerade
die Gedankenlosigkeit, mit der man sich der falschen Mode fügt, zeigt, wie tief das
sittliche Niveau bei uns gesunken ist. Hier liegt ein Schaden, der tief blicken läßt,
eine ganz ernste Gefahr unsers heutigen sozialen Lebens, ein Symptom des Nieder¬
gangs, gegen den man Front machen muß. Unsre Minister und ähnliche Spitzen
der Gesellschaft mögen sich nicht anders zu helfen wissen. Sie müssen um ihres
Amts Wille" gesellschaftliche Beziehungen zu einer großen Zahl von Menschen nnter-
hnlten, die ihnen persönlich fern stehn. Da sind solche Gastmahle oder mich große
Routs oder Bälle allenfalls ein Auskunftsmittel. um den Parlamentariern und
""dern im öffentlichen Leben stehenden Leuten einen neutralen Boden zu schaffen,
""f dem sie sich auch einmal als Menschen und mit einer Art ungezwungner Harm¬
losigkeit begegnen können. Aber wenn die mittlern Klassen das durchaus nach-
""chen wollen, so giebt das künstliche, geschraubte und ungesunde Zustände, die für
unsereiner uicht Passen, und die geradezu demoralisierend wirken. Das können <s:e
Ernsthaft gar nicht bestreiten. Philiströsität ist es sicher nicht, wenn man die Götzen,
denen die große Menge unsrer lieben Nächsten nachläuft, beim rechten Namen
nennt. J" meinen Angen sind die Engherzigen und Kurzsichtigen die, die acht
den Mut oder die Einsicht haben, die herrschenden Modethorheiten auf ihre" wahren
Gehalt zu prüfen und dem Ergebnisse der Prüfung anch ehrlich gerecht zu werden.
Und dann, Sie haben sich gestern gut unterhalten, sagen Sie. Zugegeben. Aber wie


Luxus, der schließlich weder die Gastgeber noch die GAste befriedigt? Bei Licht
besehen niemand, außer etwa der Koch, die Lohndiener und das Dienstmädchen mit
ihrem Trinkgeld. Und welche Umstände macht ein Gastmahl dieser Art im Hause!
Es ist eigentlich gar keine rechte Gastlichkeit, es ist ein bezahlter Luxus. Wer es
dazu hat, der mag ja leicht ein freundliches Gesicht dazu machen. Wo aber das
Geld ohnehin knapp ist, da wird die Sache doch zu einer empfindlich drückenden
Last. Zur rechten Gastlichkeit gehört, daß die Gäste etwas von der Art des Hauses,
in das sie geladen werden, zu spüren bekommen. Das ist bei dieser Art Geselligkeit
kaum möglich. Denn ein Mittag- oder Abendessen dieser Art weicht ja von allen
Gewohnheiten des Hauses völlig ab. Es ist eine künstlich gemachte Nachahmung
der Gewohnheiten ganz reicher Leute. Schott darin liegt eine gewisse Unwahrheit,
ein Stück Renonnuage mit Gütern, die man zeigt, im Grnnde aber gar nicht be¬
sitzt. Wie sich die Menschen dazu die Dienerschaft mieten, so leihen sie sich auch
vielleicht noch das Geschirr zusammen, von dem und mit dem sie ihre Gaste essen
lassen. Ist das eines freien und charaktervoller Mannes, einer ordentlichen, ge¬
diegnen Hansfrau, eines soliden, nicht auf Sand und Schein gebauten Haushalts
würdig? Diese formellen Gesellschaften kommen eigentlich nnr darauf hinnus. daß
man sich so und so viel Leute einlädt, um von ihnen wieder eingeladen zu werden.
Unsre Eltern und Großeltern hätten das nicht einmal für anständig gehalten, auch
wenn die Mittel reichlich dazu vorhanden gewesen wären. Sie feierten ihre Familien¬
feste, den Geburtstag des Hausvaters und der Hausmutter, ihren Hochzeitstag und
Verlobuugstag, auch wohl die Geburtstage der Kinder, und dazu luden sie die
Freunde des Hauses ein, die im weitern Sinne zur Familie gehörten. Das hatte
Sinn und Verstand. Unser heutiger formeller Verkehr, dieses Besuchemachen,
Knrtenabgeben, Kartenerwidern, nach der Liste Einladen und Sicheinladenlassen ist
im Grnnde eine ihres Inhalts entleerte bloße Form, eine Art Kulisse, hinter der
sich das eigentliche Wesen und der Kern der Menschen und ihres Hauses möglichst
bersteckt. Ich gebe zu, daß es nicht bei allen Leuten, die sich an diesem Schem¬
wesen beteiligen, gleich schlimm damit steht. Manche haben ein Bewußtsein der
Verkehrtheit, die sie mitmachen, manche — die meisten — denken überhaupt acht
darüber nach. Sie fügen sich der Unsitte, weil sie Mode ist. Für manche Leute
M"g sie auch bequem sein, und die Fügsamkeit gegen Modethorheiten ist immer
bequem. Aber ein Stück leeren und falschen Scheins sitzt überall dahinter. Gerade
die Gedankenlosigkeit, mit der man sich der falschen Mode fügt, zeigt, wie tief das
sittliche Niveau bei uns gesunken ist. Hier liegt ein Schaden, der tief blicken läßt,
eine ganz ernste Gefahr unsers heutigen sozialen Lebens, ein Symptom des Nieder¬
gangs, gegen den man Front machen muß. Unsre Minister und ähnliche Spitzen
der Gesellschaft mögen sich nicht anders zu helfen wissen. Sie müssen um ihres
Amts Wille» gesellschaftliche Beziehungen zu einer großen Zahl von Menschen nnter-
hnlten, die ihnen persönlich fern stehn. Da sind solche Gastmahle oder mich große
Routs oder Bälle allenfalls ein Auskunftsmittel. um den Parlamentariern und
""dern im öffentlichen Leben stehenden Leuten einen neutralen Boden zu schaffen,
""f dem sie sich auch einmal als Menschen und mit einer Art ungezwungner Harm¬
losigkeit begegnen können. Aber wenn die mittlern Klassen das durchaus nach-
""chen wollen, so giebt das künstliche, geschraubte und ungesunde Zustände, die für
unsereiner uicht Passen, und die geradezu demoralisierend wirken. Das können <s:e
Ernsthaft gar nicht bestreiten. Philiströsität ist es sicher nicht, wenn man die Götzen,
denen die große Menge unsrer lieben Nächsten nachläuft, beim rechten Namen
nennt. J„ meinen Angen sind die Engherzigen und Kurzsichtigen die, die acht
den Mut oder die Einsicht haben, die herrschenden Modethorheiten auf ihre» wahren
Gehalt zu prüfen und dem Ergebnisse der Prüfung anch ehrlich gerecht zu werden.
Und dann, Sie haben sich gestern gut unterhalten, sagen Sie. Zugegeben. Aber wie


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[0319] Luxus, der schließlich weder die Gastgeber noch die GAste befriedigt? Bei Licht besehen niemand, außer etwa der Koch, die Lohndiener und das Dienstmädchen mit ihrem Trinkgeld. Und welche Umstände macht ein Gastmahl dieser Art im Hause! Es ist eigentlich gar keine rechte Gastlichkeit, es ist ein bezahlter Luxus. Wer es dazu hat, der mag ja leicht ein freundliches Gesicht dazu machen. Wo aber das Geld ohnehin knapp ist, da wird die Sache doch zu einer empfindlich drückenden Last. Zur rechten Gastlichkeit gehört, daß die Gäste etwas von der Art des Hauses, in das sie geladen werden, zu spüren bekommen. Das ist bei dieser Art Geselligkeit kaum möglich. Denn ein Mittag- oder Abendessen dieser Art weicht ja von allen Gewohnheiten des Hauses völlig ab. Es ist eine künstlich gemachte Nachahmung der Gewohnheiten ganz reicher Leute. Schott darin liegt eine gewisse Unwahrheit, ein Stück Renonnuage mit Gütern, die man zeigt, im Grnnde aber gar nicht be¬ sitzt. Wie sich die Menschen dazu die Dienerschaft mieten, so leihen sie sich auch vielleicht noch das Geschirr zusammen, von dem und mit dem sie ihre Gaste essen lassen. Ist das eines freien und charaktervoller Mannes, einer ordentlichen, ge¬ diegnen Hansfrau, eines soliden, nicht auf Sand und Schein gebauten Haushalts würdig? Diese formellen Gesellschaften kommen eigentlich nnr darauf hinnus. daß man sich so und so viel Leute einlädt, um von ihnen wieder eingeladen zu werden. Unsre Eltern und Großeltern hätten das nicht einmal für anständig gehalten, auch wenn die Mittel reichlich dazu vorhanden gewesen wären. Sie feierten ihre Familien¬ feste, den Geburtstag des Hausvaters und der Hausmutter, ihren Hochzeitstag und Verlobuugstag, auch wohl die Geburtstage der Kinder, und dazu luden sie die Freunde des Hauses ein, die im weitern Sinne zur Familie gehörten. Das hatte Sinn und Verstand. Unser heutiger formeller Verkehr, dieses Besuchemachen, Knrtenabgeben, Kartenerwidern, nach der Liste Einladen und Sicheinladenlassen ist im Grnnde eine ihres Inhalts entleerte bloße Form, eine Art Kulisse, hinter der sich das eigentliche Wesen und der Kern der Menschen und ihres Hauses möglichst bersteckt. Ich gebe zu, daß es nicht bei allen Leuten, die sich an diesem Schem¬ wesen beteiligen, gleich schlimm damit steht. Manche haben ein Bewußtsein der Verkehrtheit, die sie mitmachen, manche — die meisten — denken überhaupt acht darüber nach. Sie fügen sich der Unsitte, weil sie Mode ist. Für manche Leute M"g sie auch bequem sein, und die Fügsamkeit gegen Modethorheiten ist immer bequem. Aber ein Stück leeren und falschen Scheins sitzt überall dahinter. Gerade die Gedankenlosigkeit, mit der man sich der falschen Mode fügt, zeigt, wie tief das sittliche Niveau bei uns gesunken ist. Hier liegt ein Schaden, der tief blicken läßt, eine ganz ernste Gefahr unsers heutigen sozialen Lebens, ein Symptom des Nieder¬ gangs, gegen den man Front machen muß. Unsre Minister und ähnliche Spitzen der Gesellschaft mögen sich nicht anders zu helfen wissen. Sie müssen um ihres Amts Wille» gesellschaftliche Beziehungen zu einer großen Zahl von Menschen nnter- hnlten, die ihnen persönlich fern stehn. Da sind solche Gastmahle oder mich große Routs oder Bälle allenfalls ein Auskunftsmittel. um den Parlamentariern und ""dern im öffentlichen Leben stehenden Leuten einen neutralen Boden zu schaffen, ""f dem sie sich auch einmal als Menschen und mit einer Art ungezwungner Harm¬ losigkeit begegnen können. Aber wenn die mittlern Klassen das durchaus nach- ""chen wollen, so giebt das künstliche, geschraubte und ungesunde Zustände, die für unsereiner uicht Passen, und die geradezu demoralisierend wirken. Das können <s:e Ernsthaft gar nicht bestreiten. Philiströsität ist es sicher nicht, wenn man die Götzen, denen die große Menge unsrer lieben Nächsten nachläuft, beim rechten Namen nennt. J„ meinen Angen sind die Engherzigen und Kurzsichtigen die, die acht den Mut oder die Einsicht haben, die herrschenden Modethorheiten auf ihre» wahren Gehalt zu prüfen und dem Ergebnisse der Prüfung anch ehrlich gerecht zu werden. Und dann, Sie haben sich gestern gut unterhalten, sagen Sie. Zugegeben. Aber wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/319>, abgerufen am 03.07.2024.