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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Lhamberlains Religions- und Rassenxhilosoxhie

was über diese Dinge schon gesagt worden ist, nichts völlig neues offenbaren,
wenn er auch genug neue Ansichten und Aussichten eröffnet, bisher übersehene
Feinheiten aufdeckt und packende Charakteristiken liefert. Der Angelpunkt seiner
Religions- und Rassenphilosophie ist sein Antisemitismus, den er freilich nicht
so plump begründet wie die Antisemiten gewöhnlichen Schlags. Aus der mit
einem großen Aufgebot von ethnologischer Gelehrsamkeit aufgebauten Ent¬
stehungsgeschichte der Juden weist er nach, daß sie notwendig schlecht sein
müssen. Er behauptet nämlich, Mischungen verwandter Nassen bildeten neue
gute Rassen, dagegen taugten die Bastarde nichts, die entstünden, wenn
sich Menschen grundverschiedner Rassen paaren. Die Juden seien solche Ba¬
starde, er^o . . .

Den Obersatz halten wir für richtig. Der Charakter von Kindern, die
weiße Männer mit Negerinnen oder Mongolinnen zeugen, kann schon darum
nichts taugen, weil der Vater nichts taugt, denn hätte er die guten Charakter¬
eigenschaften seiner Rasse, so würde es ihm physisch unmöglich sein, einem
Wesen beizuwohnen, das ihm ästhetischen und moralischen Widerwillen ein¬
flößen müßte. Was dagegen den Untersatz anlangt, so müssen wir uns für
ganz unfähig erklären, seine Richtigkeit zu prüfen. Seite 408 schreibt Cham-
berlain: "Paninis Grammatik der Sanskritsprache, vor 2500 Jahren ge¬
schrieben . . ., ist bekanntlich die größte philologische Leistung der Menschheit."
Ohne auch nur eine Spur von Scham zu empfinden, bekennen wir, daß wir,
ehe wir diesen Satz gelesen hatten, nicht einmal den Namen dieser Grammatik
gewußt haben. Aber selbst wenn wir Benfey gelesen Hütten, auf dessen Urteil
dieses "bekanntlich" beruht, so würden wir immer noch nicht wissen, ob Paninis
Grammatik wirklich die größte philologische Leistung der Menschheit ist, sondern
nur, daß sie Benfey dafür hält, denn so wenig wir von den asiatischen Sprachen
und der Sprachwissenschaft im allgemeinen verstehn mögen, soviel wenigstens
wissen wir, daß in allen Wissenschaften, die sich der Kontrolle durch das Pu¬
blikum entziehn, der Fachmann von morgen umstößt, was der Fachmann von
heute als unbezweifelbares Ergebnis der Forschung verkündigt.

Auf einer Menge von solchen "bekanntlich" beruht nun die Ansicht
Chamberlains, daß die Juden Bastarde von echten Semiten, d. h. Wüsten-'
arabern, arischen Amoritern und syrischen Hethitern seien; die Syrer find
nämlich nach ihm keine Semiten. Selbst wenn diese Entstehungsweise zweifel¬
los erwiesen wäre, müßte man immer noch fragen, ob denn die verschiednen
Zweige der kaukasischen Rasse so weit voneinander abstehn, daß ihre Ver-
nnschung ein so schlechtes Produkt liefert wie die von Weißen und Schwarzen
und als Bastardierung gebrandmarkt zu werden verdient. Chamberlain aber
sieht in dieser Bastardierung die weltgeschichtliche Schuld der Juden und die
Wurzel des bei ihnen so stark und lebendig gewordnen Sündenbewußtseins:
das Dasein dieser Rasse "ist Sünde, ihr Dasein ist Verbrechen gegen die
heiligen Gesetze des Lebens; so wenigstens wird sie hoc Vorstellung von der
Sundes vom Juden selber in den Augenblicken, wo das Schicksal hart an seine


Lhamberlains Religions- und Rassenxhilosoxhie

was über diese Dinge schon gesagt worden ist, nichts völlig neues offenbaren,
wenn er auch genug neue Ansichten und Aussichten eröffnet, bisher übersehene
Feinheiten aufdeckt und packende Charakteristiken liefert. Der Angelpunkt seiner
Religions- und Rassenphilosophie ist sein Antisemitismus, den er freilich nicht
so plump begründet wie die Antisemiten gewöhnlichen Schlags. Aus der mit
einem großen Aufgebot von ethnologischer Gelehrsamkeit aufgebauten Ent¬
stehungsgeschichte der Juden weist er nach, daß sie notwendig schlecht sein
müssen. Er behauptet nämlich, Mischungen verwandter Nassen bildeten neue
gute Rassen, dagegen taugten die Bastarde nichts, die entstünden, wenn
sich Menschen grundverschiedner Rassen paaren. Die Juden seien solche Ba¬
starde, er^o . . .

Den Obersatz halten wir für richtig. Der Charakter von Kindern, die
weiße Männer mit Negerinnen oder Mongolinnen zeugen, kann schon darum
nichts taugen, weil der Vater nichts taugt, denn hätte er die guten Charakter¬
eigenschaften seiner Rasse, so würde es ihm physisch unmöglich sein, einem
Wesen beizuwohnen, das ihm ästhetischen und moralischen Widerwillen ein¬
flößen müßte. Was dagegen den Untersatz anlangt, so müssen wir uns für
ganz unfähig erklären, seine Richtigkeit zu prüfen. Seite 408 schreibt Cham-
berlain: „Paninis Grammatik der Sanskritsprache, vor 2500 Jahren ge¬
schrieben . . ., ist bekanntlich die größte philologische Leistung der Menschheit."
Ohne auch nur eine Spur von Scham zu empfinden, bekennen wir, daß wir,
ehe wir diesen Satz gelesen hatten, nicht einmal den Namen dieser Grammatik
gewußt haben. Aber selbst wenn wir Benfey gelesen Hütten, auf dessen Urteil
dieses „bekanntlich" beruht, so würden wir immer noch nicht wissen, ob Paninis
Grammatik wirklich die größte philologische Leistung der Menschheit ist, sondern
nur, daß sie Benfey dafür hält, denn so wenig wir von den asiatischen Sprachen
und der Sprachwissenschaft im allgemeinen verstehn mögen, soviel wenigstens
wissen wir, daß in allen Wissenschaften, die sich der Kontrolle durch das Pu¬
blikum entziehn, der Fachmann von morgen umstößt, was der Fachmann von
heute als unbezweifelbares Ergebnis der Forschung verkündigt.

Auf einer Menge von solchen „bekanntlich" beruht nun die Ansicht
Chamberlains, daß die Juden Bastarde von echten Semiten, d. h. Wüsten-'
arabern, arischen Amoritern und syrischen Hethitern seien; die Syrer find
nämlich nach ihm keine Semiten. Selbst wenn diese Entstehungsweise zweifel¬
los erwiesen wäre, müßte man immer noch fragen, ob denn die verschiednen
Zweige der kaukasischen Rasse so weit voneinander abstehn, daß ihre Ver-
nnschung ein so schlechtes Produkt liefert wie die von Weißen und Schwarzen
und als Bastardierung gebrandmarkt zu werden verdient. Chamberlain aber
sieht in dieser Bastardierung die weltgeschichtliche Schuld der Juden und die
Wurzel des bei ihnen so stark und lebendig gewordnen Sündenbewußtseins:
das Dasein dieser Rasse „ist Sünde, ihr Dasein ist Verbrechen gegen die
heiligen Gesetze des Lebens; so wenigstens wird sie hoc Vorstellung von der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/31>, abgerufen am 01.07.2024.