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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die Frau in der venezianischen Malerei

schlüpfrigen nach, und wo es keiner sieht, da machen sie uns glauben, es
Hütte sich in irgend einem Winkel versteckt, und nur ihren raffinierter Sinnen
sei es gegeben,' so etwas zu entdecken. Diese Litteratur hat unserm Verfasser
ausnehmend zugesagt. Er gedenkt der Radierungen Tiepolos als "jener kost¬
baren Blätter, die auch Baudelaire geliebt," als ob es jemand interessieren
könnte, was dieser ausgemergelte junge Krebs in seinem kurzen Leben alles
geliebt hat. Andremale fühlt er sich an Verlaine erinnert oder an Mäterlinck,
wo jeder andre Einfall ebenso passend gewesen wäre, zur Abwechslung auch
um Schopenhauer und Heine. Inzwischen marschieren die bekannten Kategorien
auf: das männermordende Weib, die mondaine Dame, die lockenden Kinder
der Sünde, die lilienhafte Frauenseele, und wie sie alle lauten. Auch ganze
Sätze bekommen wir aus dieser Fabrik. "Es ist ein weiter Pfad, aber wenn
ihn jemand wandern und an seinen Hauptstationen die Entwicklung des sexuellen
Problems (da hätten wirs!) in der christlichen Kunst zeigen wollte, möchte
dies kaum die undankbarste Studie sein, die einer schreiben könnte." Das
Hütte Pierre d'Aubecq sagen können. Und nun kommt der unverfälschte
Müterlinck: "Hat man die ganze feierliche Mystik dieses Gemäldes empfunden,
dann wird man jene tiefen Sätze Schopenhauers besser als vordem verstehn
und wird auch begreifen, daß John Ruskin die Frist von 1480 bis 1510 das
Zeitalter des Carpaccio nennen konnte." Der Respekt vor dem englischen
Orakelmann wird jetzt jedem Kunsthistoriker mit in die Wiege gelegt. Alles
Exotische ist ja Trumpf. Aber von Goethe, der zu allererst das, was wir
heute das Milieu nennen, in der venezianischen Malerei festgestellt hat, ist,
wenn ich recht gesehen habe, in diesem Buche nur einmal die Rede in einer
ganz indifferenten Bemerkung über den Gesichtsausdruck der Tizianischen
Frauen.

Ja. wenn kunstvoll gesetzte Worte nichts weiter wären als überflüssig!
Sie können aber auch dem, der sich mit ihnen einläßt, gefährlich werden nun
das münnermordende Weib, das sich nicht umsonst rufen läßt, oder wie die
grünlichen Nixen mit schillernden Augen, wenn sie ihn umstricken und ihm
seinen Gegenstand entwenden, um ihn im krausen Wirbel mit sich zu führen
und ihr Spiel mit ihm zu treiben. So umschlingen diese Wortnixen hier den
selbstzufriednem, seelenvergnügten Reliefmaler und Vergolder Crivelll, und aus
dem harmlosen Mann, der sich in seiner zurückgebliebnen Kunst gewiß so wohl
und gesund fühlte wie nur einer, wird ein müder um as sive-is Mensch und
perversen Neigungen, ein "5oherpriester jener schauerlichen und verruchten
Schönheit, vor der man an heiliges und unheiliges zugleich denken muß (wees
!e teils oogg imxnrch." Der Pfadfinder zu dieser Auffassung ist naturlich
wieder ein Fremdling gewesen, Gustave Moreau, "der große Meister von
Paris," diesmal kein Mann des Worts, sondern ein eigentlicher Künstler.
Ich möchte behaupten, daß die Charakteristik aller einzelnen venezramschen
Maler vermittels dieser fremdartigen Wortkunst überschraubt ist. Es werden
Gegensütze aufgebaut, die der einfachsten Beobachtung nicht stand halten. So


Die Frau in der venezianischen Malerei

schlüpfrigen nach, und wo es keiner sieht, da machen sie uns glauben, es
Hütte sich in irgend einem Winkel versteckt, und nur ihren raffinierter Sinnen
sei es gegeben,' so etwas zu entdecken. Diese Litteratur hat unserm Verfasser
ausnehmend zugesagt. Er gedenkt der Radierungen Tiepolos als „jener kost¬
baren Blätter, die auch Baudelaire geliebt," als ob es jemand interessieren
könnte, was dieser ausgemergelte junge Krebs in seinem kurzen Leben alles
geliebt hat. Andremale fühlt er sich an Verlaine erinnert oder an Mäterlinck,
wo jeder andre Einfall ebenso passend gewesen wäre, zur Abwechslung auch
um Schopenhauer und Heine. Inzwischen marschieren die bekannten Kategorien
auf: das männermordende Weib, die mondaine Dame, die lockenden Kinder
der Sünde, die lilienhafte Frauenseele, und wie sie alle lauten. Auch ganze
Sätze bekommen wir aus dieser Fabrik. „Es ist ein weiter Pfad, aber wenn
ihn jemand wandern und an seinen Hauptstationen die Entwicklung des sexuellen
Problems (da hätten wirs!) in der christlichen Kunst zeigen wollte, möchte
dies kaum die undankbarste Studie sein, die einer schreiben könnte." Das
Hütte Pierre d'Aubecq sagen können. Und nun kommt der unverfälschte
Müterlinck: „Hat man die ganze feierliche Mystik dieses Gemäldes empfunden,
dann wird man jene tiefen Sätze Schopenhauers besser als vordem verstehn
und wird auch begreifen, daß John Ruskin die Frist von 1480 bis 1510 das
Zeitalter des Carpaccio nennen konnte." Der Respekt vor dem englischen
Orakelmann wird jetzt jedem Kunsthistoriker mit in die Wiege gelegt. Alles
Exotische ist ja Trumpf. Aber von Goethe, der zu allererst das, was wir
heute das Milieu nennen, in der venezianischen Malerei festgestellt hat, ist,
wenn ich recht gesehen habe, in diesem Buche nur einmal die Rede in einer
ganz indifferenten Bemerkung über den Gesichtsausdruck der Tizianischen
Frauen.

Ja. wenn kunstvoll gesetzte Worte nichts weiter wären als überflüssig!
Sie können aber auch dem, der sich mit ihnen einläßt, gefährlich werden nun
das münnermordende Weib, das sich nicht umsonst rufen läßt, oder wie die
grünlichen Nixen mit schillernden Augen, wenn sie ihn umstricken und ihm
seinen Gegenstand entwenden, um ihn im krausen Wirbel mit sich zu führen
und ihr Spiel mit ihm zu treiben. So umschlingen diese Wortnixen hier den
selbstzufriednem, seelenvergnügten Reliefmaler und Vergolder Crivelll, und aus
dem harmlosen Mann, der sich in seiner zurückgebliebnen Kunst gewiß so wohl
und gesund fühlte wie nur einer, wird ein müder um as sive-is Mensch und
perversen Neigungen, ein „5oherpriester jener schauerlichen und verruchten
Schönheit, vor der man an heiliges und unheiliges zugleich denken muß (wees
!e teils oogg imxnrch." Der Pfadfinder zu dieser Auffassung ist naturlich
wieder ein Fremdling gewesen, Gustave Moreau, „der große Meister von
Paris," diesmal kein Mann des Worts, sondern ein eigentlicher Künstler.
Ich möchte behaupten, daß die Charakteristik aller einzelnen venezramschen
Maler vermittels dieser fremdartigen Wortkunst überschraubt ist. Es werden
Gegensütze aufgebaut, die der einfachsten Beobachtung nicht stand halten. So


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[0299] Die Frau in der venezianischen Malerei schlüpfrigen nach, und wo es keiner sieht, da machen sie uns glauben, es Hütte sich in irgend einem Winkel versteckt, und nur ihren raffinierter Sinnen sei es gegeben,' so etwas zu entdecken. Diese Litteratur hat unserm Verfasser ausnehmend zugesagt. Er gedenkt der Radierungen Tiepolos als „jener kost¬ baren Blätter, die auch Baudelaire geliebt," als ob es jemand interessieren könnte, was dieser ausgemergelte junge Krebs in seinem kurzen Leben alles geliebt hat. Andremale fühlt er sich an Verlaine erinnert oder an Mäterlinck, wo jeder andre Einfall ebenso passend gewesen wäre, zur Abwechslung auch um Schopenhauer und Heine. Inzwischen marschieren die bekannten Kategorien auf: das männermordende Weib, die mondaine Dame, die lockenden Kinder der Sünde, die lilienhafte Frauenseele, und wie sie alle lauten. Auch ganze Sätze bekommen wir aus dieser Fabrik. „Es ist ein weiter Pfad, aber wenn ihn jemand wandern und an seinen Hauptstationen die Entwicklung des sexuellen Problems (da hätten wirs!) in der christlichen Kunst zeigen wollte, möchte dies kaum die undankbarste Studie sein, die einer schreiben könnte." Das Hütte Pierre d'Aubecq sagen können. Und nun kommt der unverfälschte Müterlinck: „Hat man die ganze feierliche Mystik dieses Gemäldes empfunden, dann wird man jene tiefen Sätze Schopenhauers besser als vordem verstehn und wird auch begreifen, daß John Ruskin die Frist von 1480 bis 1510 das Zeitalter des Carpaccio nennen konnte." Der Respekt vor dem englischen Orakelmann wird jetzt jedem Kunsthistoriker mit in die Wiege gelegt. Alles Exotische ist ja Trumpf. Aber von Goethe, der zu allererst das, was wir heute das Milieu nennen, in der venezianischen Malerei festgestellt hat, ist, wenn ich recht gesehen habe, in diesem Buche nur einmal die Rede in einer ganz indifferenten Bemerkung über den Gesichtsausdruck der Tizianischen Frauen. Ja. wenn kunstvoll gesetzte Worte nichts weiter wären als überflüssig! Sie können aber auch dem, der sich mit ihnen einläßt, gefährlich werden nun das münnermordende Weib, das sich nicht umsonst rufen läßt, oder wie die grünlichen Nixen mit schillernden Augen, wenn sie ihn umstricken und ihm seinen Gegenstand entwenden, um ihn im krausen Wirbel mit sich zu führen und ihr Spiel mit ihm zu treiben. So umschlingen diese Wortnixen hier den selbstzufriednem, seelenvergnügten Reliefmaler und Vergolder Crivelll, und aus dem harmlosen Mann, der sich in seiner zurückgebliebnen Kunst gewiß so wohl und gesund fühlte wie nur einer, wird ein müder um as sive-is Mensch und perversen Neigungen, ein „5oherpriester jener schauerlichen und verruchten Schönheit, vor der man an heiliges und unheiliges zugleich denken muß (wees !e teils oogg imxnrch." Der Pfadfinder zu dieser Auffassung ist naturlich wieder ein Fremdling gewesen, Gustave Moreau, „der große Meister von Paris," diesmal kein Mann des Worts, sondern ein eigentlicher Künstler. Ich möchte behaupten, daß die Charakteristik aller einzelnen venezramschen Maler vermittels dieser fremdartigen Wortkunst überschraubt ist. Es werden Gegensütze aufgebaut, die der einfachsten Beobachtung nicht stand halten. So

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/299>, abgerufen am 03.07.2024.