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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Entwicklung und Fortschritt, Zivilisation und Kultur

Seele seines Hundes und der Hund von der seines Herrn mehr als dieser selbe
Herr von der Seele des Chinesen, mit dem er auf die Jagd geht. (Sogar
dieses Bild hinkt, denn der Chinese geht gar nicht auf die Jagd). Alles Faseln
über "Menschheit" hilft über derlei nüchterne sichere Thatsachen nicht hinweg."
Die hellenische, die germanische Kultur seien jede etwas ganz für sich be¬
stehendes, nicht allgemein menschliches, die zweite etwas neues, vordem nie
dagewesenes, denn mich die griechische Kunst, das römische Recht hätten die
Germanen nur als Anregungen auf sich wirken lassen, und so angeregt hätten
sie völlig neues geschaffen. Diese Auffassung können wir uun allerdings
wieder nicht ohne drei Einschränkungen gelten lassen. Wir nehmen ein all¬
gemein Menschliches an, wie könnten sonst jüdische Psalmen und griechische
Trauerspiele des Deutschen Herz ergreifen? Nur nehmen wir zugleich an, daß
die Idee der Menschheit in den verschiednen Rassen und Völkern nur grad¬
weise und teilweise verwirklicht ist, sodaß es Viertelsmenschen, Halbmenschen
und Vollmenscheu und unter diesen wiederum verschiedne Spielarten giebt.
Die Mongolen stehn uns in der That so fern, wie Chamberlain beschreibt;
die Neger und die Malayen schon nicht mehr so fern; die Neger werden von
denen, die sie genau kennen, als große Kinder beschrieben; die nicht arischen
Zweige der Knukasierfamilie aber werden wir als Menschen anerkennen müssen,
die des Menschlichen im eigentlichen und höchsten Sinne des Wortes teilhaftig
sind, und mit denen eine Verständigung über die höchsten Fragen und die
heiligsten Interessen möglich ist, sodaß wir mit ihnen gemeinsame Kulturgüter
haben können. Daß sich keins dieser Völker, auch der germanischen und halb¬
germanischen, einer solchen Fülle von edeln Anlagen erfreut wie das deutsche,
bleibt dabei bestehn. Eine andre Einschränkung liegt in dem, was wir früher
über deu Kampf der Germanen gegen das Judentum und das Römertum ge¬
sagt haben. Wir halten es für kein Unglück, daß es nicht bei bloßen An¬
regungen durch die alten Kulturen geblieben ist, sondern daß die Germanen
jüdische, griechische, römische Ideen, Empfindungsweisen, Gesetze und Einrich¬
tungen in ihr Leben aufgenommen haben. Es ist zwar wahr, was Chamber¬
lain sagt, daß alle Entwicklung nur eine Entfaltung von schon vorhandnen sei,
aber die Natur eines Volkes, eines Individuums wird dadurch uicht gefälscht
und verdorben, daß es fremde Knlturerrungenschaften in sich aufnimmt, sondern
vielmehr bereichert. Und so ist es zwar auch richtig, daß natürlich jedes Volk
und jedes Individuum sein eignes, nicht ein allgemein menschliches Leben lebt,
aber so wenig wie die Personen leben die Völker vereinzelt, und ein göttlicher
Erziehungsplan, der allerdings nicht die ganze Menschheit, sondern nur die
Völker unsers Kulturkreises umfaßt, ist nicht zu verkennen. Zu diesem Er¬
ziehungsplan gehört -- das ist eine dritte Einschränkung --, daß die frühern
Völker dieses Kreises den spätern vorarbeiten, und daß ihm sogar Völker, die
außerhalb standen, die des vorderasiatischen Kulturkreises, die erste Zivilisation
haben liefern müssen. Nicht allein würden die Germanen Jahrtausende ge¬
braucht haben, wenn sie die ihnen durch Rom überlieferten technischen Fertig¬
keiten des Altertums ganz allein aus sich selbst noch einmal hätten erfinden


Entwicklung und Fortschritt, Zivilisation und Kultur

Seele seines Hundes und der Hund von der seines Herrn mehr als dieser selbe
Herr von der Seele des Chinesen, mit dem er auf die Jagd geht. (Sogar
dieses Bild hinkt, denn der Chinese geht gar nicht auf die Jagd). Alles Faseln
über »Menschheit« hilft über derlei nüchterne sichere Thatsachen nicht hinweg."
Die hellenische, die germanische Kultur seien jede etwas ganz für sich be¬
stehendes, nicht allgemein menschliches, die zweite etwas neues, vordem nie
dagewesenes, denn mich die griechische Kunst, das römische Recht hätten die
Germanen nur als Anregungen auf sich wirken lassen, und so angeregt hätten
sie völlig neues geschaffen. Diese Auffassung können wir uun allerdings
wieder nicht ohne drei Einschränkungen gelten lassen. Wir nehmen ein all¬
gemein Menschliches an, wie könnten sonst jüdische Psalmen und griechische
Trauerspiele des Deutschen Herz ergreifen? Nur nehmen wir zugleich an, daß
die Idee der Menschheit in den verschiednen Rassen und Völkern nur grad¬
weise und teilweise verwirklicht ist, sodaß es Viertelsmenschen, Halbmenschen
und Vollmenscheu und unter diesen wiederum verschiedne Spielarten giebt.
Die Mongolen stehn uns in der That so fern, wie Chamberlain beschreibt;
die Neger und die Malayen schon nicht mehr so fern; die Neger werden von
denen, die sie genau kennen, als große Kinder beschrieben; die nicht arischen
Zweige der Knukasierfamilie aber werden wir als Menschen anerkennen müssen,
die des Menschlichen im eigentlichen und höchsten Sinne des Wortes teilhaftig
sind, und mit denen eine Verständigung über die höchsten Fragen und die
heiligsten Interessen möglich ist, sodaß wir mit ihnen gemeinsame Kulturgüter
haben können. Daß sich keins dieser Völker, auch der germanischen und halb¬
germanischen, einer solchen Fülle von edeln Anlagen erfreut wie das deutsche,
bleibt dabei bestehn. Eine andre Einschränkung liegt in dem, was wir früher
über deu Kampf der Germanen gegen das Judentum und das Römertum ge¬
sagt haben. Wir halten es für kein Unglück, daß es nicht bei bloßen An¬
regungen durch die alten Kulturen geblieben ist, sondern daß die Germanen
jüdische, griechische, römische Ideen, Empfindungsweisen, Gesetze und Einrich¬
tungen in ihr Leben aufgenommen haben. Es ist zwar wahr, was Chamber¬
lain sagt, daß alle Entwicklung nur eine Entfaltung von schon vorhandnen sei,
aber die Natur eines Volkes, eines Individuums wird dadurch uicht gefälscht
und verdorben, daß es fremde Knlturerrungenschaften in sich aufnimmt, sondern
vielmehr bereichert. Und so ist es zwar auch richtig, daß natürlich jedes Volk
und jedes Individuum sein eignes, nicht ein allgemein menschliches Leben lebt,
aber so wenig wie die Personen leben die Völker vereinzelt, und ein göttlicher
Erziehungsplan, der allerdings nicht die ganze Menschheit, sondern nur die
Völker unsers Kulturkreises umfaßt, ist nicht zu verkennen. Zu diesem Er¬
ziehungsplan gehört — das ist eine dritte Einschränkung —, daß die frühern
Völker dieses Kreises den spätern vorarbeiten, und daß ihm sogar Völker, die
außerhalb standen, die des vorderasiatischen Kulturkreises, die erste Zivilisation
haben liefern müssen. Nicht allein würden die Germanen Jahrtausende ge¬
braucht haben, wenn sie die ihnen durch Rom überlieferten technischen Fertig¬
keiten des Altertums ganz allein aus sich selbst noch einmal hätten erfinden


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[0247] Entwicklung und Fortschritt, Zivilisation und Kultur Seele seines Hundes und der Hund von der seines Herrn mehr als dieser selbe Herr von der Seele des Chinesen, mit dem er auf die Jagd geht. (Sogar dieses Bild hinkt, denn der Chinese geht gar nicht auf die Jagd). Alles Faseln über »Menschheit« hilft über derlei nüchterne sichere Thatsachen nicht hinweg." Die hellenische, die germanische Kultur seien jede etwas ganz für sich be¬ stehendes, nicht allgemein menschliches, die zweite etwas neues, vordem nie dagewesenes, denn mich die griechische Kunst, das römische Recht hätten die Germanen nur als Anregungen auf sich wirken lassen, und so angeregt hätten sie völlig neues geschaffen. Diese Auffassung können wir uun allerdings wieder nicht ohne drei Einschränkungen gelten lassen. Wir nehmen ein all¬ gemein Menschliches an, wie könnten sonst jüdische Psalmen und griechische Trauerspiele des Deutschen Herz ergreifen? Nur nehmen wir zugleich an, daß die Idee der Menschheit in den verschiednen Rassen und Völkern nur grad¬ weise und teilweise verwirklicht ist, sodaß es Viertelsmenschen, Halbmenschen und Vollmenscheu und unter diesen wiederum verschiedne Spielarten giebt. Die Mongolen stehn uns in der That so fern, wie Chamberlain beschreibt; die Neger und die Malayen schon nicht mehr so fern; die Neger werden von denen, die sie genau kennen, als große Kinder beschrieben; die nicht arischen Zweige der Knukasierfamilie aber werden wir als Menschen anerkennen müssen, die des Menschlichen im eigentlichen und höchsten Sinne des Wortes teilhaftig sind, und mit denen eine Verständigung über die höchsten Fragen und die heiligsten Interessen möglich ist, sodaß wir mit ihnen gemeinsame Kulturgüter haben können. Daß sich keins dieser Völker, auch der germanischen und halb¬ germanischen, einer solchen Fülle von edeln Anlagen erfreut wie das deutsche, bleibt dabei bestehn. Eine andre Einschränkung liegt in dem, was wir früher über deu Kampf der Germanen gegen das Judentum und das Römertum ge¬ sagt haben. Wir halten es für kein Unglück, daß es nicht bei bloßen An¬ regungen durch die alten Kulturen geblieben ist, sondern daß die Germanen jüdische, griechische, römische Ideen, Empfindungsweisen, Gesetze und Einrich¬ tungen in ihr Leben aufgenommen haben. Es ist zwar wahr, was Chamber¬ lain sagt, daß alle Entwicklung nur eine Entfaltung von schon vorhandnen sei, aber die Natur eines Volkes, eines Individuums wird dadurch uicht gefälscht und verdorben, daß es fremde Knlturerrungenschaften in sich aufnimmt, sondern vielmehr bereichert. Und so ist es zwar auch richtig, daß natürlich jedes Volk und jedes Individuum sein eignes, nicht ein allgemein menschliches Leben lebt, aber so wenig wie die Personen leben die Völker vereinzelt, und ein göttlicher Erziehungsplan, der allerdings nicht die ganze Menschheit, sondern nur die Völker unsers Kulturkreises umfaßt, ist nicht zu verkennen. Zu diesem Er¬ ziehungsplan gehört — das ist eine dritte Einschränkung —, daß die frühern Völker dieses Kreises den spätern vorarbeiten, und daß ihm sogar Völker, die außerhalb standen, die des vorderasiatischen Kulturkreises, die erste Zivilisation haben liefern müssen. Nicht allein würden die Germanen Jahrtausende ge¬ braucht haben, wenn sie die ihnen durch Rom überlieferten technischen Fertig¬ keiten des Altertums ganz allein aus sich selbst noch einmal hätten erfinden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/247>, abgerufen am 01.07.2024.