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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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ein kleines Geschlecht zeigt, wie sie es leider schon mehrfach gethan hat, wofür
sie dann schwer zu büßen hatte, dafür haben auch wir in unserm engen
Kreise, soweit wir es mit unsern Mitteln und Kräften vermochten, zu sorgen
versucht. Nicht nur durch die unmittelbare Belebung des vaterländischen und
monarchischen Sinnes im historischen und litteraturgeschichtlichen Unterricht und
in unsern patriotischen Festen, sondern auch dadurch, daß wir uns bemüht
haben, unsern Schülern den Zusammenhang mit unsrer alten tiefen klassisch¬
humanistischen Bildung zu vermitteln, auf der unsre Stärke beruht, die jetzt
die Welt mit Erstaunen, Bewundrung und Neid erfüllt. Denn dieses unser
Bildungswesen können uns die Fremden nun einmal nicht nachmachen. Wenn
man einst gesagt hat, der preußische Schulmeister habe bei Königgrätz gesiegt,
so kann man jetzt mit demselben oder mit besserm Rechte sagen: Unsre neue
Weltstellung beruht zu einem guten Teile auf der deutschen Schule aller
Stufen und Arten. Ein Hindernis für diesen Aufschwung ist sie jedenfalls
nicht gewesen, ist selbst das vielverschriene humanistische Gymnasium nicht ge¬
wesen. Es liegt also offenbar kein Grund vor, etwas Wesentliches daran zu
ändern, nach unerprobten fremden Vorbildern mit neuen Experimenten daran
herumzubessern, indem man etwa abermals die Ziele in den klassischen Sprachen
formell bestehn läßt, aber die ihnen gewidmete Stundenzahl und Arbeitszeit
verkürzt, um für angeblich Notwendigeres Raum zu schaffen, und dann, wenn
die "Reform" an diesem innern Widerspruche scheitert, pathetisch erklärt,
daß das Gymnasium ja doch nichts mehr leiste, also wert sei, daß es zu
Grunde gehe. Die Sache steht doch ganz einfach so. Entweder haben die
klassischen Studien wirklich noch den hohen Wert, der ihnen zugeschrieben
wird -- dann verdienen sie die ihnen gewidmete Arbeit und Zeit; oder sie
haben ihn nicht mehr -- dann lasse sie die Gegenwart im stolzen Selbst¬
genügen ganz fallen. Aber ihren Wert bestreiten und sie doch festhalten wollen,
das ist unklare Halbheit. Auch kein nationaler Grund spricht für eine weitere
Einschränkung. Kein modernes Volk kann seine Bildungsmittel allein aus
seinem geistigen Eigentum nehmen, denn sie stehn alle beständig gebend und
empfangend nebeneinander, und ihre Kultur beruht auf der gemeinsamen an¬
tiken Grundlage. Auch wir Deutschen können uns nicht in unsre teutonischen
Urwälder zurückziehn, und die nordische Mythologie ist uns trotz Richard
Wagner nicht lebendig -- schon weil wir die eigentümliche Naturgrundlage, auf
der sie beruht, in Deutschland gar nicht haben --, denn eine hohe Kultur
kann ihr Bildungsideal ganz unmöglich aus einer barbarischen Urzeit, über¬
haupt nicht aus einer viel weniger entwickelten Vorzeit schöpfen, sondern nur
aus einer ihren: eignen Stande gemäßen oder überlegnen Geisteskultur. Darum
muß Goethes Ideal das unsre bleiben: die Verschmelzung des nationalen und
des klassischen Elements zu einer höhern Einheit. Lassen wir das fallen, dann
werden wir nicht einmal unsre eignen Klassiker mehr verstehn und den innern
Zusammenhang mit unsrer eignen Geisteskultur verlieren.

Allerdings: das Ziel des humanistischen Gymnasialunterrichts hat sich


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ein kleines Geschlecht zeigt, wie sie es leider schon mehrfach gethan hat, wofür
sie dann schwer zu büßen hatte, dafür haben auch wir in unserm engen
Kreise, soweit wir es mit unsern Mitteln und Kräften vermochten, zu sorgen
versucht. Nicht nur durch die unmittelbare Belebung des vaterländischen und
monarchischen Sinnes im historischen und litteraturgeschichtlichen Unterricht und
in unsern patriotischen Festen, sondern auch dadurch, daß wir uns bemüht
haben, unsern Schülern den Zusammenhang mit unsrer alten tiefen klassisch¬
humanistischen Bildung zu vermitteln, auf der unsre Stärke beruht, die jetzt
die Welt mit Erstaunen, Bewundrung und Neid erfüllt. Denn dieses unser
Bildungswesen können uns die Fremden nun einmal nicht nachmachen. Wenn
man einst gesagt hat, der preußische Schulmeister habe bei Königgrätz gesiegt,
so kann man jetzt mit demselben oder mit besserm Rechte sagen: Unsre neue
Weltstellung beruht zu einem guten Teile auf der deutschen Schule aller
Stufen und Arten. Ein Hindernis für diesen Aufschwung ist sie jedenfalls
nicht gewesen, ist selbst das vielverschriene humanistische Gymnasium nicht ge¬
wesen. Es liegt also offenbar kein Grund vor, etwas Wesentliches daran zu
ändern, nach unerprobten fremden Vorbildern mit neuen Experimenten daran
herumzubessern, indem man etwa abermals die Ziele in den klassischen Sprachen
formell bestehn läßt, aber die ihnen gewidmete Stundenzahl und Arbeitszeit
verkürzt, um für angeblich Notwendigeres Raum zu schaffen, und dann, wenn
die „Reform" an diesem innern Widerspruche scheitert, pathetisch erklärt,
daß das Gymnasium ja doch nichts mehr leiste, also wert sei, daß es zu
Grunde gehe. Die Sache steht doch ganz einfach so. Entweder haben die
klassischen Studien wirklich noch den hohen Wert, der ihnen zugeschrieben
wird — dann verdienen sie die ihnen gewidmete Arbeit und Zeit; oder sie
haben ihn nicht mehr — dann lasse sie die Gegenwart im stolzen Selbst¬
genügen ganz fallen. Aber ihren Wert bestreiten und sie doch festhalten wollen,
das ist unklare Halbheit. Auch kein nationaler Grund spricht für eine weitere
Einschränkung. Kein modernes Volk kann seine Bildungsmittel allein aus
seinem geistigen Eigentum nehmen, denn sie stehn alle beständig gebend und
empfangend nebeneinander, und ihre Kultur beruht auf der gemeinsamen an¬
tiken Grundlage. Auch wir Deutschen können uns nicht in unsre teutonischen
Urwälder zurückziehn, und die nordische Mythologie ist uns trotz Richard
Wagner nicht lebendig — schon weil wir die eigentümliche Naturgrundlage, auf
der sie beruht, in Deutschland gar nicht haben —, denn eine hohe Kultur
kann ihr Bildungsideal ganz unmöglich aus einer barbarischen Urzeit, über¬
haupt nicht aus einer viel weniger entwickelten Vorzeit schöpfen, sondern nur
aus einer ihren: eignen Stande gemäßen oder überlegnen Geisteskultur. Darum
muß Goethes Ideal das unsre bleiben: die Verschmelzung des nationalen und
des klassischen Elements zu einer höhern Einheit. Lassen wir das fallen, dann
werden wir nicht einmal unsre eignen Klassiker mehr verstehn und den innern
Zusammenhang mit unsrer eignen Geisteskultur verlieren.

Allerdings: das Ziel des humanistischen Gymnasialunterrichts hat sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/22>, abgerufen am 01.07.2024.