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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die Autotyxitis, eine moderne Illnstrationskmnkheit

Ungesundes, das als solches keine Aussicht auf Bestand hat. Man kann sich wohl
vorübergehend einmal darüber amüsieren, vorausgesetzt, daß diese rudimentäre Technik
von vortrefflichen Zeichnern gehandhabt wird, die Wert darauf legen, mit den
denkbar einfachsten Mitteln die denkbar stärksten Wirkungen zu erzeugen. Aber eine
dauernde Bedeutung kann sie nicht haben, da ja die Mittel zu einer reichern und
wirksamern Technik längst im Tonschnitt vorliegen. Ehe dieser erfunden war, konnte
man natürlich nur im Linienschnitt arbeiten und mußte suchen, in ihm die denkbar
höchste Illusion zu erreichen. Aber nach der Erfindung des Hirnholzes und Grab¬
stichels wieder zum Langholz und Schneidemesser zurückzukehren ist eine archaistische
Schrulle einiger hypermoderner Künstler, nichts weiter. Daß ihnen bei diesen Be¬
mühungen auch einige jüngere Kunsthistoriker gehorsam sekundieren, ist bedauerlich,
ändert aber an der Sache nichts.

I. I. Weber hat an einigen Beispielen das Unzulängliche dieser modernen
"Künstlerholzschnitte" nachgewiesen. Wir können uns ihm nur anschließen. Unsers
Erachtens ist der ganze Begriff des Künstlerholzschnitts ein Unding. Der Holz¬
schnitt ist eine viel zu schwierige und mühsame Technik, als daß ein gewöhnlicher
Maler oder Zeichner sie sich neben allem andern, was er zu leisten hat, und neben
seinem Interesse an der Erhaltung einer leichten Hand vollkommen zu eigen machen
könnte. Deshalb haben ja auch die alten Meister, wie wir jetzt längst wissen, in
der Regel nicht selbst in Holz geschnitten. Dürer und Holbein hatten ihre bevor¬
zugten Formschneider, die die von ihnen auf den Holzstock gezeichneten Kom¬
positionen ausführten. Menzel hat nicht entfernt daran gedacht, feine feinen Feder¬
zeichnungen selbst mit dem Stichel zu faksimilieren. Und die Technik des modernen
Tonschnitts ist dem, der ihr nicht seine ganze Kraft widmen kann, vollends un¬
erreichbar.

Was hat es nun für einen Zweck, wenn sich Maler oder Zeichner, die vielleicht
mit dem Pinsel oder mit der Feder ganz gut umzugehn wissen, plötzlich darauf
kaprizieren, selbst zum Messer zu greifen? Natürlich kann daraus nur Stümperei
entsteh". Der Archaismus ergiebt sich hier nicht nur aus der zeichnerischen Alter¬
tümelei, die gerade jetzt Mode ist, sondern mich aus der technischen Unfähigkeit
dieser "Originalholzschneider." Der Holzschnitt muß Linienholzschnitt sein und
grellen Gegensatz von schwarz und weiß bieten, weil der Holzschneider den feinern
Aufgaben nicht gewachsen ist. Da macht man denn aus der Not eine Tugend und
behauptet, daß diese unvollkommne, hie und da geradezu Stammelnde Formensprache
die spezifische Technik des Holzschnitts sei, die den Tonschnitt verdrängen müsse.

Man lasse dem Holzschnitt also seinen Charakter als unselbständige reprodu¬
zierende Technik, die er von jeher gehabt hat, und auf dem seine Stärke beruht.
Man lasse ihm seine Bedeutung als billiges Reprodnktionsmittel von Zeichnungen
und Gemälden, worin seine Popularität besteht, und worin er vor der Autotypie
ganz bestimmte Vorzüge voraus hat. Künstlertechniken, die dem Künstler ein Mittel
bieten, seine Gedanken eigenhändig auf die Platte zu bringen, giebt es ja genug,
als schönste von allen die Radierung und die Lithographie. Wozu nun auch dem
Holzschnitt diese Aufgabe oktroyieren, wozu dieser tüchtigen, soliden, aber nun einmal
unselbständigen Technik die Jkarusflügel eines höhern Künstlertums anbinden, die
doch beim ersten Flug zur Sonne schmelzen müssen?

Jedenfalls ist es höchst bezeichnend für die gegenwärtig herrschende Konfusion
der ästhetischen Begriffe, daß man sich gleichzeitig in weiten Kreisen die ledern¬
naturalistischen Autotypien ruhig gefallen läßt und in engern Kreisen das Heil des
Holzschnitts in dem Zurückgehn auf den primitiven Stil des fünfzehnten und sech¬
zehnten Jahrhunderts sieht. Auf der einen Seite also eine Technik, bei der das
"Kunstwerk" gewissermaßen ganz mit der Natur zusammenfällt, auf der andern
eine solche, bei der es sich möglichst weit von ihr entfernt. Natürlich sind solche


Die Autotyxitis, eine moderne Illnstrationskmnkheit

Ungesundes, das als solches keine Aussicht auf Bestand hat. Man kann sich wohl
vorübergehend einmal darüber amüsieren, vorausgesetzt, daß diese rudimentäre Technik
von vortrefflichen Zeichnern gehandhabt wird, die Wert darauf legen, mit den
denkbar einfachsten Mitteln die denkbar stärksten Wirkungen zu erzeugen. Aber eine
dauernde Bedeutung kann sie nicht haben, da ja die Mittel zu einer reichern und
wirksamern Technik längst im Tonschnitt vorliegen. Ehe dieser erfunden war, konnte
man natürlich nur im Linienschnitt arbeiten und mußte suchen, in ihm die denkbar
höchste Illusion zu erreichen. Aber nach der Erfindung des Hirnholzes und Grab¬
stichels wieder zum Langholz und Schneidemesser zurückzukehren ist eine archaistische
Schrulle einiger hypermoderner Künstler, nichts weiter. Daß ihnen bei diesen Be¬
mühungen auch einige jüngere Kunsthistoriker gehorsam sekundieren, ist bedauerlich,
ändert aber an der Sache nichts.

I. I. Weber hat an einigen Beispielen das Unzulängliche dieser modernen
„Künstlerholzschnitte" nachgewiesen. Wir können uns ihm nur anschließen. Unsers
Erachtens ist der ganze Begriff des Künstlerholzschnitts ein Unding. Der Holz¬
schnitt ist eine viel zu schwierige und mühsame Technik, als daß ein gewöhnlicher
Maler oder Zeichner sie sich neben allem andern, was er zu leisten hat, und neben
seinem Interesse an der Erhaltung einer leichten Hand vollkommen zu eigen machen
könnte. Deshalb haben ja auch die alten Meister, wie wir jetzt längst wissen, in
der Regel nicht selbst in Holz geschnitten. Dürer und Holbein hatten ihre bevor¬
zugten Formschneider, die die von ihnen auf den Holzstock gezeichneten Kom¬
positionen ausführten. Menzel hat nicht entfernt daran gedacht, feine feinen Feder¬
zeichnungen selbst mit dem Stichel zu faksimilieren. Und die Technik des modernen
Tonschnitts ist dem, der ihr nicht seine ganze Kraft widmen kann, vollends un¬
erreichbar.

Was hat es nun für einen Zweck, wenn sich Maler oder Zeichner, die vielleicht
mit dem Pinsel oder mit der Feder ganz gut umzugehn wissen, plötzlich darauf
kaprizieren, selbst zum Messer zu greifen? Natürlich kann daraus nur Stümperei
entsteh». Der Archaismus ergiebt sich hier nicht nur aus der zeichnerischen Alter¬
tümelei, die gerade jetzt Mode ist, sondern mich aus der technischen Unfähigkeit
dieser „Originalholzschneider." Der Holzschnitt muß Linienholzschnitt sein und
grellen Gegensatz von schwarz und weiß bieten, weil der Holzschneider den feinern
Aufgaben nicht gewachsen ist. Da macht man denn aus der Not eine Tugend und
behauptet, daß diese unvollkommne, hie und da geradezu Stammelnde Formensprache
die spezifische Technik des Holzschnitts sei, die den Tonschnitt verdrängen müsse.

Man lasse dem Holzschnitt also seinen Charakter als unselbständige reprodu¬
zierende Technik, die er von jeher gehabt hat, und auf dem seine Stärke beruht.
Man lasse ihm seine Bedeutung als billiges Reprodnktionsmittel von Zeichnungen
und Gemälden, worin seine Popularität besteht, und worin er vor der Autotypie
ganz bestimmte Vorzüge voraus hat. Künstlertechniken, die dem Künstler ein Mittel
bieten, seine Gedanken eigenhändig auf die Platte zu bringen, giebt es ja genug,
als schönste von allen die Radierung und die Lithographie. Wozu nun auch dem
Holzschnitt diese Aufgabe oktroyieren, wozu dieser tüchtigen, soliden, aber nun einmal
unselbständigen Technik die Jkarusflügel eines höhern Künstlertums anbinden, die
doch beim ersten Flug zur Sonne schmelzen müssen?

Jedenfalls ist es höchst bezeichnend für die gegenwärtig herrschende Konfusion
der ästhetischen Begriffe, daß man sich gleichzeitig in weiten Kreisen die ledern¬
naturalistischen Autotypien ruhig gefallen läßt und in engern Kreisen das Heil des
Holzschnitts in dem Zurückgehn auf den primitiven Stil des fünfzehnten und sech¬
zehnten Jahrhunderts sieht. Auf der einen Seite also eine Technik, bei der das
„Kunstwerk" gewissermaßen ganz mit der Natur zusammenfällt, auf der andern
eine solche, bei der es sich möglichst weit von ihr entfernt. Natürlich sind solche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/212>, abgerufen am 01.07.2024.