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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Arbeiterinnen zu schützen, zu beUmhren, zu sichern und zu heben (Wohnungen,
Schutzmaßnahmen, Konsumvereinsbestrebungen mit Unterstützung von den Be-
triebsnnternehmern u. a.), oder daß der Staat sie nötigt, sich im Interesse
nicht bloß der männlichen, sondern auch der weiblichen Arbeiter an den großen
Organisationen des Staats zum Schutze und zur Hebung der Arbeiter zu be¬
teiligen. Hierher gehören nicht nur die Vorschriften zum Schutze der arbeitenden
Frauen gegen Betriebsgefahren, die Vorschriften im Sinne der Gewerbehygiene,
die gesetzlichen Normen über die Arbeitszeit und ähnliches, sondern hierher
gehört namentlich die gesetzlich geordnete und geförderte Teilnahme der Arbeite¬
rinnen an der reichsgesetzlich organisierten Kranken-, Unfall-, Alters- und
Jnvaliditätsversicherung. Hierdurch ist diesem weiblichen Arbeitspersonal eine
-- wenn auch zum Teil niedrig bemessene -- soziale Fürsorge gesichert, die
auch von den Arbeiterinnen allmählich mehr und mehr wohlthätig empfunden
und gewürdigt zu werden scheint, während diese anfänglich ihrer Einbeziehung
in diese staatlichen Organisationen fast durchweg gleichgiltig, ja mißtrauisch,
hoffnungslos und ablehnend gegenüberstanden. Der Staat und die Gemeinden
haben ein auf der Hand liegendes Interesse daran, daß auch diese Arbeiterinnen
der Großindustrie und des Hausgewerbes in wirtschaftlich wenigstens erträgliche
und sozial befriedigendere Zustände gelangen und dadurch den Einflüssen der
wilden, revolutionären Gleichheitsprvpaganda entzogen und einem möglichst
befriedigenden, wirtschaftlich und sittlich gesicherten Dasein entgegengeführt
werden. Diese Andeutungen werden an dieser Stelle ausreichen, um den
tiefen Zusammenhang der Zustände der Fabrikarbeiterinnen mit der Frauen¬
frage hervorzuheben. Treitschke mag Recht haben, wenn er es als Aufgabe
der Sozialpolitik bezeichnet, soviel wie möglich dafür zu sorgen, daß keine
Frauen mehr in den Fabriken thätig sind. Es müßte bei normaler Entwick-
lung dahin kommen, daß der Fabrikarbeiter durch seine Arbeit allein genug
erwirbt, daß er seine Familie erhalten kann. Allein einstweilen bleibt diese
Perspektive noch ein ziemlich optimistisches Ideal, dem wir uns wohl nähern
können, das wir aber in absehbarer Zeit schwerlich verwirklicht sehen werden.

Dienstboten, Fabrikarbeiterinnen und hausgewerblich thätige Frauen sind
hiernach sicherlich weit enger mit der Frauenfrage verflochten, als man in der
Regel zu wissen und anzunehmen pflegt. Aber der Kern, der eigentliche
Mittelpunkt der modernen Frauenfrage sind sie nicht. Dieser liegt vielmehr
in den mittlern und höhern Schichten der Gesellschaft, und die Frauen dieser
Gesellschaftsschichten pflegt man vorzugsweise im Auge zu haben, wenn man
von der Frauenfrage spricht.

(Fortsetzung folgt)




Zur Frcmcnfrcige

Arbeiterinnen zu schützen, zu beUmhren, zu sichern und zu heben (Wohnungen,
Schutzmaßnahmen, Konsumvereinsbestrebungen mit Unterstützung von den Be-
triebsnnternehmern u. a.), oder daß der Staat sie nötigt, sich im Interesse
nicht bloß der männlichen, sondern auch der weiblichen Arbeiter an den großen
Organisationen des Staats zum Schutze und zur Hebung der Arbeiter zu be¬
teiligen. Hierher gehören nicht nur die Vorschriften zum Schutze der arbeitenden
Frauen gegen Betriebsgefahren, die Vorschriften im Sinne der Gewerbehygiene,
die gesetzlichen Normen über die Arbeitszeit und ähnliches, sondern hierher
gehört namentlich die gesetzlich geordnete und geförderte Teilnahme der Arbeite¬
rinnen an der reichsgesetzlich organisierten Kranken-, Unfall-, Alters- und
Jnvaliditätsversicherung. Hierdurch ist diesem weiblichen Arbeitspersonal eine
— wenn auch zum Teil niedrig bemessene — soziale Fürsorge gesichert, die
auch von den Arbeiterinnen allmählich mehr und mehr wohlthätig empfunden
und gewürdigt zu werden scheint, während diese anfänglich ihrer Einbeziehung
in diese staatlichen Organisationen fast durchweg gleichgiltig, ja mißtrauisch,
hoffnungslos und ablehnend gegenüberstanden. Der Staat und die Gemeinden
haben ein auf der Hand liegendes Interesse daran, daß auch diese Arbeiterinnen
der Großindustrie und des Hausgewerbes in wirtschaftlich wenigstens erträgliche
und sozial befriedigendere Zustände gelangen und dadurch den Einflüssen der
wilden, revolutionären Gleichheitsprvpaganda entzogen und einem möglichst
befriedigenden, wirtschaftlich und sittlich gesicherten Dasein entgegengeführt
werden. Diese Andeutungen werden an dieser Stelle ausreichen, um den
tiefen Zusammenhang der Zustände der Fabrikarbeiterinnen mit der Frauen¬
frage hervorzuheben. Treitschke mag Recht haben, wenn er es als Aufgabe
der Sozialpolitik bezeichnet, soviel wie möglich dafür zu sorgen, daß keine
Frauen mehr in den Fabriken thätig sind. Es müßte bei normaler Entwick-
lung dahin kommen, daß der Fabrikarbeiter durch seine Arbeit allein genug
erwirbt, daß er seine Familie erhalten kann. Allein einstweilen bleibt diese
Perspektive noch ein ziemlich optimistisches Ideal, dem wir uns wohl nähern
können, das wir aber in absehbarer Zeit schwerlich verwirklicht sehen werden.

Dienstboten, Fabrikarbeiterinnen und hausgewerblich thätige Frauen sind
hiernach sicherlich weit enger mit der Frauenfrage verflochten, als man in der
Regel zu wissen und anzunehmen pflegt. Aber der Kern, der eigentliche
Mittelpunkt der modernen Frauenfrage sind sie nicht. Dieser liegt vielmehr
in den mittlern und höhern Schichten der Gesellschaft, und die Frauen dieser
Gesellschaftsschichten pflegt man vorzugsweise im Auge zu haben, wenn man
von der Frauenfrage spricht.

(Fortsetzung folgt)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/20>, abgerufen am 01.07.2024.