Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9

Dann kam der entscheidende Augenblick, Graf Rüdiger mit seiner Suite
rückte ein wenig vor, machte Halt und veranlaßte dadurch Görgei mit seinem
bunten Gefolge an ihn heranzureiten, was anscheinend mit großer Bereitwillig¬
keit geschah. Er salutierte, überreichte seinen Säbel und konnte kein Wort
sprechen. Graf Rüdiger seinerseits gab ihm die Hand; da kam Görgei zu sich
und begann zu reden. Der Graf ließ ihm und allen übrigen Offizieren den
Säbel. Dann erhob sich ein Ruf: Graf Rüdiger, Hurra! Mützen flogen in
die Luft, und alles mischte sich durcheinander, als wäre man nie verfeindet
gewesen; da riefen auch Leute mit, die nicht miteinander befreundet waren
und sehr wohl an die jüngste Vergangenheit dachten, aber dabei die Bedeutuug
des gegenwärtigen Augenblicks erkannten. Das Schauspiel im ganzen dagegen
hatte einen Anstrich nicht von Fröhlichkeit lind Lustigkeit, sondern von erhabner
Trauer, die jeder einzelne Soldat empfand. Man wird auch ohne meine
schwache Schilderung begreifen, was im Innern der Soldatenherzen vorging.
Ganz besonders gefiel mir der Gesichtsausdruck meines verehrten Vorgesetzten.
Er hatte nicht die drohende Miene eines Siegers, sondern erschien in richtiger
Erkenntnis der Bedeutung des Augenblicks ruhig und erhaben und ganz von
dem Gedanken durchdrungen, daß ihn die göttliche Vorsehung zum Werkzeug
neuen Ruhms für Rußland ausersehen habe.

Nach kurzer Unterhaltung wandte Görgei sein Pferd zu den Seinen,
sprengte hin, ließ die Teten der Kolonnen mit den 142 Geschützen in Reih
und Glied vorrücken und befahl, die Waffen niederzulegen. Als die Linien
aufgestellt waren, ritt Graf Rüdiger, hier wie auf dem Schlachtfelde ohne
jede Furcht, ganz allein mit Görgei an sie heran und begrüßte die Mannschaften;
ich wiederhole: allein, weil in der Masse nicht alle gleich waren, und man
Gesinnung und Gedanken jedes Einzelnen unmöglich kennen konnte. Er wurde
mit Hurrarufen empfangen. Die Anordnung war derart getroffen, daß sich
jede unsrer Schwadronen rechts und links zwei Glieder tief aufstellte und so
zwei Reihen formierte mit einem Zwischenraum in der Mitte. Die ungarischen
Bataillone legten die Waffen rechts und links zusammen, traten in diesen
Zwischenraum, und dann schlössen sich die Reihen. Man konnte unmöglich
gleichgiltig bleiben beim Anblick dieser Krieger, die mit tödlicher Verzweiflung
im Gesicht ihre mehr als einmal siegreichen Waffen zusammenlegten, ihre
Fahnen küßten und sich auf immer von ihnen trennten. Die Husaren saßen
ab, hängten Säbel und Pistolen an die Sättel, umarmten dann ihre Pferde
als treue Gefährten, nahmen schluchzend von ihnen Abschied und übergaben
sie unsern Soldaten. Ein Infanterist zögerte lange, seine Flinte abzuliefern,
und als er Görgei stumm mit Thränen in den Augen erblickte, da fragte er
ihn: Muß ich mich wirklich von meiner Flinte trennen?

Görgei antwortete leise, daß er das müsse.

Da spannte der Soldat den Hahn, setzte das Gewehr mit dem Kolben
auf die Erde und schoß sich mitten durch die Brust. Ich selbst war Zeuge
dieses Vorfalls. -- Als alle Waffen abgeliefert waren, bat Görgei den Grafen


Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9

Dann kam der entscheidende Augenblick, Graf Rüdiger mit seiner Suite
rückte ein wenig vor, machte Halt und veranlaßte dadurch Görgei mit seinem
bunten Gefolge an ihn heranzureiten, was anscheinend mit großer Bereitwillig¬
keit geschah. Er salutierte, überreichte seinen Säbel und konnte kein Wort
sprechen. Graf Rüdiger seinerseits gab ihm die Hand; da kam Görgei zu sich
und begann zu reden. Der Graf ließ ihm und allen übrigen Offizieren den
Säbel. Dann erhob sich ein Ruf: Graf Rüdiger, Hurra! Mützen flogen in
die Luft, und alles mischte sich durcheinander, als wäre man nie verfeindet
gewesen; da riefen auch Leute mit, die nicht miteinander befreundet waren
und sehr wohl an die jüngste Vergangenheit dachten, aber dabei die Bedeutuug
des gegenwärtigen Augenblicks erkannten. Das Schauspiel im ganzen dagegen
hatte einen Anstrich nicht von Fröhlichkeit lind Lustigkeit, sondern von erhabner
Trauer, die jeder einzelne Soldat empfand. Man wird auch ohne meine
schwache Schilderung begreifen, was im Innern der Soldatenherzen vorging.
Ganz besonders gefiel mir der Gesichtsausdruck meines verehrten Vorgesetzten.
Er hatte nicht die drohende Miene eines Siegers, sondern erschien in richtiger
Erkenntnis der Bedeutung des Augenblicks ruhig und erhaben und ganz von
dem Gedanken durchdrungen, daß ihn die göttliche Vorsehung zum Werkzeug
neuen Ruhms für Rußland ausersehen habe.

Nach kurzer Unterhaltung wandte Görgei sein Pferd zu den Seinen,
sprengte hin, ließ die Teten der Kolonnen mit den 142 Geschützen in Reih
und Glied vorrücken und befahl, die Waffen niederzulegen. Als die Linien
aufgestellt waren, ritt Graf Rüdiger, hier wie auf dem Schlachtfelde ohne
jede Furcht, ganz allein mit Görgei an sie heran und begrüßte die Mannschaften;
ich wiederhole: allein, weil in der Masse nicht alle gleich waren, und man
Gesinnung und Gedanken jedes Einzelnen unmöglich kennen konnte. Er wurde
mit Hurrarufen empfangen. Die Anordnung war derart getroffen, daß sich
jede unsrer Schwadronen rechts und links zwei Glieder tief aufstellte und so
zwei Reihen formierte mit einem Zwischenraum in der Mitte. Die ungarischen
Bataillone legten die Waffen rechts und links zusammen, traten in diesen
Zwischenraum, und dann schlössen sich die Reihen. Man konnte unmöglich
gleichgiltig bleiben beim Anblick dieser Krieger, die mit tödlicher Verzweiflung
im Gesicht ihre mehr als einmal siegreichen Waffen zusammenlegten, ihre
Fahnen küßten und sich auf immer von ihnen trennten. Die Husaren saßen
ab, hängten Säbel und Pistolen an die Sättel, umarmten dann ihre Pferde
als treue Gefährten, nahmen schluchzend von ihnen Abschied und übergaben
sie unsern Soldaten. Ein Infanterist zögerte lange, seine Flinte abzuliefern,
und als er Görgei stumm mit Thränen in den Augen erblickte, da fragte er
ihn: Muß ich mich wirklich von meiner Flinte trennen?

Görgei antwortete leise, daß er das müsse.

Da spannte der Soldat den Hahn, setzte das Gewehr mit dem Kolben
auf die Erde und schoß sich mitten durch die Brust. Ich selbst war Zeuge
dieses Vorfalls. — Als alle Waffen abgeliefert waren, bat Görgei den Grafen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290591"/>
            <fw type="header" place="top"> Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_753"> Dann kam der entscheidende Augenblick, Graf Rüdiger mit seiner Suite<lb/>
rückte ein wenig vor, machte Halt und veranlaßte dadurch Görgei mit seinem<lb/>
bunten Gefolge an ihn heranzureiten, was anscheinend mit großer Bereitwillig¬<lb/>
keit geschah. Er salutierte, überreichte seinen Säbel und konnte kein Wort<lb/>
sprechen. Graf Rüdiger seinerseits gab ihm die Hand; da kam Görgei zu sich<lb/>
und begann zu reden. Der Graf ließ ihm und allen übrigen Offizieren den<lb/>
Säbel. Dann erhob sich ein Ruf: Graf Rüdiger, Hurra! Mützen flogen in<lb/>
die Luft, und alles mischte sich durcheinander, als wäre man nie verfeindet<lb/>
gewesen; da riefen auch Leute mit, die nicht miteinander befreundet waren<lb/>
und sehr wohl an die jüngste Vergangenheit dachten, aber dabei die Bedeutuug<lb/>
des gegenwärtigen Augenblicks erkannten. Das Schauspiel im ganzen dagegen<lb/>
hatte einen Anstrich nicht von Fröhlichkeit lind Lustigkeit, sondern von erhabner<lb/>
Trauer, die jeder einzelne Soldat empfand. Man wird auch ohne meine<lb/>
schwache Schilderung begreifen, was im Innern der Soldatenherzen vorging.<lb/>
Ganz besonders gefiel mir der Gesichtsausdruck meines verehrten Vorgesetzten.<lb/>
Er hatte nicht die drohende Miene eines Siegers, sondern erschien in richtiger<lb/>
Erkenntnis der Bedeutung des Augenblicks ruhig und erhaben und ganz von<lb/>
dem Gedanken durchdrungen, daß ihn die göttliche Vorsehung zum Werkzeug<lb/>
neuen Ruhms für Rußland ausersehen habe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_754"> Nach kurzer Unterhaltung wandte Görgei sein Pferd zu den Seinen,<lb/>
sprengte hin, ließ die Teten der Kolonnen mit den 142 Geschützen in Reih<lb/>
und Glied vorrücken und befahl, die Waffen niederzulegen. Als die Linien<lb/>
aufgestellt waren, ritt Graf Rüdiger, hier wie auf dem Schlachtfelde ohne<lb/>
jede Furcht, ganz allein mit Görgei an sie heran und begrüßte die Mannschaften;<lb/>
ich wiederhole: allein, weil in der Masse nicht alle gleich waren, und man<lb/>
Gesinnung und Gedanken jedes Einzelnen unmöglich kennen konnte. Er wurde<lb/>
mit Hurrarufen empfangen. Die Anordnung war derart getroffen, daß sich<lb/>
jede unsrer Schwadronen rechts und links zwei Glieder tief aufstellte und so<lb/>
zwei Reihen formierte mit einem Zwischenraum in der Mitte. Die ungarischen<lb/>
Bataillone legten die Waffen rechts und links zusammen, traten in diesen<lb/>
Zwischenraum, und dann schlössen sich die Reihen. Man konnte unmöglich<lb/>
gleichgiltig bleiben beim Anblick dieser Krieger, die mit tödlicher Verzweiflung<lb/>
im Gesicht ihre mehr als einmal siegreichen Waffen zusammenlegten, ihre<lb/>
Fahnen küßten und sich auf immer von ihnen trennten. Die Husaren saßen<lb/>
ab, hängten Säbel und Pistolen an die Sättel, umarmten dann ihre Pferde<lb/>
als treue Gefährten, nahmen schluchzend von ihnen Abschied und übergaben<lb/>
sie unsern Soldaten. Ein Infanterist zögerte lange, seine Flinte abzuliefern,<lb/>
und als er Görgei stumm mit Thränen in den Augen erblickte, da fragte er<lb/>
ihn: Muß ich mich wirklich von meiner Flinte trennen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_755"> Görgei antwortete leise, daß er das müsse.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_756" next="#ID_757"> Da spannte der Soldat den Hahn, setzte das Gewehr mit dem Kolben<lb/>
auf die Erde und schoß sich mitten durch die Brust. Ich selbst war Zeuge<lb/>
dieses Vorfalls. &#x2014; Als alle Waffen abgeliefert waren, bat Görgei den Grafen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0180] Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9 Dann kam der entscheidende Augenblick, Graf Rüdiger mit seiner Suite rückte ein wenig vor, machte Halt und veranlaßte dadurch Görgei mit seinem bunten Gefolge an ihn heranzureiten, was anscheinend mit großer Bereitwillig¬ keit geschah. Er salutierte, überreichte seinen Säbel und konnte kein Wort sprechen. Graf Rüdiger seinerseits gab ihm die Hand; da kam Görgei zu sich und begann zu reden. Der Graf ließ ihm und allen übrigen Offizieren den Säbel. Dann erhob sich ein Ruf: Graf Rüdiger, Hurra! Mützen flogen in die Luft, und alles mischte sich durcheinander, als wäre man nie verfeindet gewesen; da riefen auch Leute mit, die nicht miteinander befreundet waren und sehr wohl an die jüngste Vergangenheit dachten, aber dabei die Bedeutuug des gegenwärtigen Augenblicks erkannten. Das Schauspiel im ganzen dagegen hatte einen Anstrich nicht von Fröhlichkeit lind Lustigkeit, sondern von erhabner Trauer, die jeder einzelne Soldat empfand. Man wird auch ohne meine schwache Schilderung begreifen, was im Innern der Soldatenherzen vorging. Ganz besonders gefiel mir der Gesichtsausdruck meines verehrten Vorgesetzten. Er hatte nicht die drohende Miene eines Siegers, sondern erschien in richtiger Erkenntnis der Bedeutung des Augenblicks ruhig und erhaben und ganz von dem Gedanken durchdrungen, daß ihn die göttliche Vorsehung zum Werkzeug neuen Ruhms für Rußland ausersehen habe. Nach kurzer Unterhaltung wandte Görgei sein Pferd zu den Seinen, sprengte hin, ließ die Teten der Kolonnen mit den 142 Geschützen in Reih und Glied vorrücken und befahl, die Waffen niederzulegen. Als die Linien aufgestellt waren, ritt Graf Rüdiger, hier wie auf dem Schlachtfelde ohne jede Furcht, ganz allein mit Görgei an sie heran und begrüßte die Mannschaften; ich wiederhole: allein, weil in der Masse nicht alle gleich waren, und man Gesinnung und Gedanken jedes Einzelnen unmöglich kennen konnte. Er wurde mit Hurrarufen empfangen. Die Anordnung war derart getroffen, daß sich jede unsrer Schwadronen rechts und links zwei Glieder tief aufstellte und so zwei Reihen formierte mit einem Zwischenraum in der Mitte. Die ungarischen Bataillone legten die Waffen rechts und links zusammen, traten in diesen Zwischenraum, und dann schlössen sich die Reihen. Man konnte unmöglich gleichgiltig bleiben beim Anblick dieser Krieger, die mit tödlicher Verzweiflung im Gesicht ihre mehr als einmal siegreichen Waffen zusammenlegten, ihre Fahnen küßten und sich auf immer von ihnen trennten. Die Husaren saßen ab, hängten Säbel und Pistolen an die Sättel, umarmten dann ihre Pferde als treue Gefährten, nahmen schluchzend von ihnen Abschied und übergaben sie unsern Soldaten. Ein Infanterist zögerte lange, seine Flinte abzuliefern, und als er Görgei stumm mit Thränen in den Augen erblickte, da fragte er ihn: Muß ich mich wirklich von meiner Flinte trennen? Görgei antwortete leise, daß er das müsse. Da spannte der Soldat den Hahn, setzte das Gewehr mit dem Kolben auf die Erde und schoß sich mitten durch die Brust. Ich selbst war Zeuge dieses Vorfalls. — Als alle Waffen abgeliefert waren, bat Görgei den Grafen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/180
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/180>, abgerufen am 01.07.2024.