Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
wohin gehen wir?

auch alle Annäherung mit ihr sorgsam vermeidet. Der Nutzen Englands, be¬
sonders der vielen in Indien ihr Glück suchenden Engländer, ist das Grund¬
motiv der indischen Verwaltung, und bei der Verfolgung dieses Nutzens sind
die Engländer nirgend wühlerisch in den Mitteln. Sie haben dort eine alte und
hochentwickelte Industrie durch Zölle zu Gunsten englischer Fabriken zerstört;
der Boden des Landes ist meist zu Staatseigentum erklärt, der Inder zu einem
abhängigen und armen Pächter herabgedrückt worden. Der Inder wird von der
Verwaltung, zu der er alle Befähigung hat, ausgeschlossen, die fetten Ämter
werden den herbeiströmenden jungem Söhnen Englands vorbehalten.*)

In Ägypten wird das Land in englischem Sinne und auch Interesse trefflich
organisiert, aber die eingebornen Fellachen sind das Arbeitsvieh geblieben, das
sie unter den Türken waren. In einem Bericht der österreichisch-ungarischen
Handelskammer in Alexandrien heißt es: "Die Negiernngskassen füllen sich
immer mehr mit Geld an, aber die Bevölkerung leidet und verzweifelt." Der
englische Resident Sir Evelyn Baring selbst berichtete im Jahre 1890: "Die
materielle Lage der steuerzahlenden ägyptischen Landbevölkerung hat sich nicht
gebessert."*) In Australien ist man oder war man doch vor wenig Jahren
noch auf dem Standpunkt, den schwarzen Eingebornen nicht als Menschen
gelten zu lassen, denn man schoß ihn nieder, ohne daß der Thäter dafür
bestraft oder auch nur verfolgt wurde. Durchweg zeigt es sich, daß der
Engländer unfähig ist, die ihm in der Kultur fern stehenden oder in der Kultur
tief stehenden fremden Völker zu verstehn, und daß er gnr nicht die Absicht
dazu hat. Der heillose Dünkel ist daran noch mehr schuld als der intellektuelle
Mangel. Er will die Kluft, die den Engländer von dem Farbigen trennt,
gar nicht ausfüllen; er will Herr sein und nur Herr, und der Hindu wie der
Fellcch sollen gehorchen; was sie übrigens sind oder thun, ist ihm trotz aller
Missionsgesellschaften recht gleichgiltig. Man darf aber auch hinzufügen, daß
sich ohne diese große Kluft der Rasse die 290 Millionen Inder schwerlich so
leicht von 200000 Herren leiten ließen, so viel diese zur Ruhe und Entwick¬
lung des Landes auch beigetragen haben. Steffen sagt in dem genannten
Buche: "Wenn die Engländer davon reden, das schon mit einer hohen uralten
Zivilisation versehene Indien zu "zivilisieren", so findet man, daß sie damit
sagen wollen: es zu büreaulratisieren und zu kommerzialisieren." Eine inner¬
liche, humane Annäherung an so tief stehende Nassen wie afrikanische oder
australische Neger mag jedem von alter und hoher Kultur durchtränkten
Europäer schwer werden; aber der Hindu steht auf einer andern Stufe als der
Neger. Er steht auf dem Boden uralter geistiger Kultur, er ist dem Engländer
an Tiefe und Feinheit der Phantasie und des Geistes überlegen, und er ragt
unter allen Rassen durch sein elementar sittliches Gemüt hervor, dessen Aus¬
druck der Buddhismus ist mit seinem Dogma des Mitleids, auf dem im letzten




*) Dult, Kng'wiä -ma IiilUa, 1785--188S,
Nach Karl Hron, Ägypten und die ägyptische Frage. Leipzig, 1895.
wohin gehen wir?

auch alle Annäherung mit ihr sorgsam vermeidet. Der Nutzen Englands, be¬
sonders der vielen in Indien ihr Glück suchenden Engländer, ist das Grund¬
motiv der indischen Verwaltung, und bei der Verfolgung dieses Nutzens sind
die Engländer nirgend wühlerisch in den Mitteln. Sie haben dort eine alte und
hochentwickelte Industrie durch Zölle zu Gunsten englischer Fabriken zerstört;
der Boden des Landes ist meist zu Staatseigentum erklärt, der Inder zu einem
abhängigen und armen Pächter herabgedrückt worden. Der Inder wird von der
Verwaltung, zu der er alle Befähigung hat, ausgeschlossen, die fetten Ämter
werden den herbeiströmenden jungem Söhnen Englands vorbehalten.*)

In Ägypten wird das Land in englischem Sinne und auch Interesse trefflich
organisiert, aber die eingebornen Fellachen sind das Arbeitsvieh geblieben, das
sie unter den Türken waren. In einem Bericht der österreichisch-ungarischen
Handelskammer in Alexandrien heißt es: „Die Negiernngskassen füllen sich
immer mehr mit Geld an, aber die Bevölkerung leidet und verzweifelt." Der
englische Resident Sir Evelyn Baring selbst berichtete im Jahre 1890: „Die
materielle Lage der steuerzahlenden ägyptischen Landbevölkerung hat sich nicht
gebessert."*) In Australien ist man oder war man doch vor wenig Jahren
noch auf dem Standpunkt, den schwarzen Eingebornen nicht als Menschen
gelten zu lassen, denn man schoß ihn nieder, ohne daß der Thäter dafür
bestraft oder auch nur verfolgt wurde. Durchweg zeigt es sich, daß der
Engländer unfähig ist, die ihm in der Kultur fern stehenden oder in der Kultur
tief stehenden fremden Völker zu verstehn, und daß er gnr nicht die Absicht
dazu hat. Der heillose Dünkel ist daran noch mehr schuld als der intellektuelle
Mangel. Er will die Kluft, die den Engländer von dem Farbigen trennt,
gar nicht ausfüllen; er will Herr sein und nur Herr, und der Hindu wie der
Fellcch sollen gehorchen; was sie übrigens sind oder thun, ist ihm trotz aller
Missionsgesellschaften recht gleichgiltig. Man darf aber auch hinzufügen, daß
sich ohne diese große Kluft der Rasse die 290 Millionen Inder schwerlich so
leicht von 200000 Herren leiten ließen, so viel diese zur Ruhe und Entwick¬
lung des Landes auch beigetragen haben. Steffen sagt in dem genannten
Buche: „Wenn die Engländer davon reden, das schon mit einer hohen uralten
Zivilisation versehene Indien zu »zivilisieren«, so findet man, daß sie damit
sagen wollen: es zu büreaulratisieren und zu kommerzialisieren." Eine inner¬
liche, humane Annäherung an so tief stehende Nassen wie afrikanische oder
australische Neger mag jedem von alter und hoher Kultur durchtränkten
Europäer schwer werden; aber der Hindu steht auf einer andern Stufe als der
Neger. Er steht auf dem Boden uralter geistiger Kultur, er ist dem Engländer
an Tiefe und Feinheit der Phantasie und des Geistes überlegen, und er ragt
unter allen Rassen durch sein elementar sittliches Gemüt hervor, dessen Aus¬
druck der Buddhismus ist mit seinem Dogma des Mitleids, auf dem im letzten




*) Dult, Kng'wiä -ma IiilUa, 1785—188S,
Nach Karl Hron, Ägypten und die ägyptische Frage. Leipzig, 1895.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290589"/>
          <fw type="header" place="top"> wohin gehen wir?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_748" prev="#ID_747"> auch alle Annäherung mit ihr sorgsam vermeidet. Der Nutzen Englands, be¬<lb/>
sonders der vielen in Indien ihr Glück suchenden Engländer, ist das Grund¬<lb/>
motiv der indischen Verwaltung, und bei der Verfolgung dieses Nutzens sind<lb/>
die Engländer nirgend wühlerisch in den Mitteln. Sie haben dort eine alte und<lb/>
hochentwickelte Industrie durch Zölle zu Gunsten englischer Fabriken zerstört;<lb/>
der Boden des Landes ist meist zu Staatseigentum erklärt, der Inder zu einem<lb/>
abhängigen und armen Pächter herabgedrückt worden. Der Inder wird von der<lb/>
Verwaltung, zu der er alle Befähigung hat, ausgeschlossen, die fetten Ämter<lb/>
werden den herbeiströmenden jungem Söhnen Englands vorbehalten.*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_749" next="#ID_750"> In Ägypten wird das Land in englischem Sinne und auch Interesse trefflich<lb/>
organisiert, aber die eingebornen Fellachen sind das Arbeitsvieh geblieben, das<lb/>
sie unter den Türken waren. In einem Bericht der österreichisch-ungarischen<lb/>
Handelskammer in Alexandrien heißt es: &#x201E;Die Negiernngskassen füllen sich<lb/>
immer mehr mit Geld an, aber die Bevölkerung leidet und verzweifelt." Der<lb/>
englische Resident Sir Evelyn Baring selbst berichtete im Jahre 1890: &#x201E;Die<lb/>
materielle Lage der steuerzahlenden ägyptischen Landbevölkerung hat sich nicht<lb/>
gebessert."*) In Australien ist man oder war man doch vor wenig Jahren<lb/>
noch auf dem Standpunkt, den schwarzen Eingebornen nicht als Menschen<lb/>
gelten zu lassen, denn man schoß ihn nieder, ohne daß der Thäter dafür<lb/>
bestraft oder auch nur verfolgt wurde. Durchweg zeigt es sich, daß der<lb/>
Engländer unfähig ist, die ihm in der Kultur fern stehenden oder in der Kultur<lb/>
tief stehenden fremden Völker zu verstehn, und daß er gnr nicht die Absicht<lb/>
dazu hat. Der heillose Dünkel ist daran noch mehr schuld als der intellektuelle<lb/>
Mangel. Er will die Kluft, die den Engländer von dem Farbigen trennt,<lb/>
gar nicht ausfüllen; er will Herr sein und nur Herr, und der Hindu wie der<lb/>
Fellcch sollen gehorchen; was sie übrigens sind oder thun, ist ihm trotz aller<lb/>
Missionsgesellschaften recht gleichgiltig. Man darf aber auch hinzufügen, daß<lb/>
sich ohne diese große Kluft der Rasse die 290 Millionen Inder schwerlich so<lb/>
leicht von 200000 Herren leiten ließen, so viel diese zur Ruhe und Entwick¬<lb/>
lung des Landes auch beigetragen haben. Steffen sagt in dem genannten<lb/>
Buche: &#x201E;Wenn die Engländer davon reden, das schon mit einer hohen uralten<lb/>
Zivilisation versehene Indien zu »zivilisieren«, so findet man, daß sie damit<lb/>
sagen wollen: es zu büreaulratisieren und zu kommerzialisieren." Eine inner¬<lb/>
liche, humane Annäherung an so tief stehende Nassen wie afrikanische oder<lb/>
australische Neger mag jedem von alter und hoher Kultur durchtränkten<lb/>
Europäer schwer werden; aber der Hindu steht auf einer andern Stufe als der<lb/>
Neger. Er steht auf dem Boden uralter geistiger Kultur, er ist dem Engländer<lb/>
an Tiefe und Feinheit der Phantasie und des Geistes überlegen, und er ragt<lb/>
unter allen Rassen durch sein elementar sittliches Gemüt hervor, dessen Aus¬<lb/>
druck der Buddhismus ist mit seinem Dogma des Mitleids, auf dem im letzten</p><lb/>
          <note xml:id="FID_22" place="foot"> *) Dult, Kng'wiä -ma IiilUa, 1785&#x2014;188S,</note><lb/>
          <note xml:id="FID_23" place="foot"> Nach Karl Hron, Ägypten und die ägyptische Frage. Leipzig, 1895.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0178] wohin gehen wir? auch alle Annäherung mit ihr sorgsam vermeidet. Der Nutzen Englands, be¬ sonders der vielen in Indien ihr Glück suchenden Engländer, ist das Grund¬ motiv der indischen Verwaltung, und bei der Verfolgung dieses Nutzens sind die Engländer nirgend wühlerisch in den Mitteln. Sie haben dort eine alte und hochentwickelte Industrie durch Zölle zu Gunsten englischer Fabriken zerstört; der Boden des Landes ist meist zu Staatseigentum erklärt, der Inder zu einem abhängigen und armen Pächter herabgedrückt worden. Der Inder wird von der Verwaltung, zu der er alle Befähigung hat, ausgeschlossen, die fetten Ämter werden den herbeiströmenden jungem Söhnen Englands vorbehalten.*) In Ägypten wird das Land in englischem Sinne und auch Interesse trefflich organisiert, aber die eingebornen Fellachen sind das Arbeitsvieh geblieben, das sie unter den Türken waren. In einem Bericht der österreichisch-ungarischen Handelskammer in Alexandrien heißt es: „Die Negiernngskassen füllen sich immer mehr mit Geld an, aber die Bevölkerung leidet und verzweifelt." Der englische Resident Sir Evelyn Baring selbst berichtete im Jahre 1890: „Die materielle Lage der steuerzahlenden ägyptischen Landbevölkerung hat sich nicht gebessert."*) In Australien ist man oder war man doch vor wenig Jahren noch auf dem Standpunkt, den schwarzen Eingebornen nicht als Menschen gelten zu lassen, denn man schoß ihn nieder, ohne daß der Thäter dafür bestraft oder auch nur verfolgt wurde. Durchweg zeigt es sich, daß der Engländer unfähig ist, die ihm in der Kultur fern stehenden oder in der Kultur tief stehenden fremden Völker zu verstehn, und daß er gnr nicht die Absicht dazu hat. Der heillose Dünkel ist daran noch mehr schuld als der intellektuelle Mangel. Er will die Kluft, die den Engländer von dem Farbigen trennt, gar nicht ausfüllen; er will Herr sein und nur Herr, und der Hindu wie der Fellcch sollen gehorchen; was sie übrigens sind oder thun, ist ihm trotz aller Missionsgesellschaften recht gleichgiltig. Man darf aber auch hinzufügen, daß sich ohne diese große Kluft der Rasse die 290 Millionen Inder schwerlich so leicht von 200000 Herren leiten ließen, so viel diese zur Ruhe und Entwick¬ lung des Landes auch beigetragen haben. Steffen sagt in dem genannten Buche: „Wenn die Engländer davon reden, das schon mit einer hohen uralten Zivilisation versehene Indien zu »zivilisieren«, so findet man, daß sie damit sagen wollen: es zu büreaulratisieren und zu kommerzialisieren." Eine inner¬ liche, humane Annäherung an so tief stehende Nassen wie afrikanische oder australische Neger mag jedem von alter und hoher Kultur durchtränkten Europäer schwer werden; aber der Hindu steht auf einer andern Stufe als der Neger. Er steht auf dem Boden uralter geistiger Kultur, er ist dem Engländer an Tiefe und Feinheit der Phantasie und des Geistes überlegen, und er ragt unter allen Rassen durch sein elementar sittliches Gemüt hervor, dessen Aus¬ druck der Buddhismus ist mit seinem Dogma des Mitleids, auf dem im letzten *) Dult, Kng'wiä -ma IiilUa, 1785—188S, Nach Karl Hron, Ägypten und die ägyptische Frage. Leipzig, 1895.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/178
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/178>, abgerufen am 01.07.2024.