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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Der Ramxf zwischen Rom und den Germanen

aus demi Völkcrchaos. Die Schädigung, die der bigotte Fanatismus Frank¬
reich durch die Vertreibung der Hugenotten zugefügt hat, kann niemand leugnen,
aber es darf doch anch nicht unbeachtet bleiben, daß erst nachher, in den Revo¬
lutionskriegen, die größte Kraftentfaltung eingetreten ist, die die Geschichte des
Volks aufzuweisen hat. Freilich war die militärischer Art. Die ökonomischen
Anlagen der Franzosen hat Friedrich List für gering erklärt, und er hat die
Vermutung ausgesprochen, sie begehrten instinktiv die Rheingrenze, um sich
durch Einverleibung von einigen Millionen Germanen die Bedingungen dauer¬
hafter nationaler Größe zu sichern. Über Spanien urteilt Victor Amadeus
Huber, der Land und Leute genau kannte, daß der Kern des Volkes, worin
doch wohl das Gotenblut am reichlichsten vertreten sein wird, sozusagen von
Natur streng katholisch sei, und seine großen Dichter, Maler und Konquista¬
doren bezeugen das ja auch. Die Inquisition, die in Spanien bekanntlich
Landesprodukt und nicht aus Rom importiert war, sei dem Volksgeist ent¬
sprossen und ganz populär, ihre Thätigkeit aber eine heroische Kur gewesen,
der sich das Volk freiwillig unterworfen habe, um sich vor der ihm drohenden
Verderbnis durch Juden-, Mauren- und Negerblut und die in diesem Blut
steckenden Laster zu erretten. Die Inquisition sei zunächst nur "ein Kcmterium
gegen dieses entsetzliche Geschwür" gewesen. Mit dem Mißbrauch, meint er,
"zumal bei der weitern und spätern Anwendung auf alle Fälle ähnlicher und
auf manche ganz andrer Art, haben wir es hier nicht zu thun; ob aber dieses
Rettungsmittel in äußerster Not ein zu kräftiges Mittel war, und um wie viel
Grad es die richtige Mitte überschritt, das mögen die entscheiden, die selbst
thatenlos und ohne großes Mitleid bei der Not des Vaterlands, das allein-
giltige Maß für alle Not und alle Thaten der Rettung auf der Spitze ihrer
Zunge oder Feder zu tragen vermeinen." Und in einer Anmerkung fügt er
hinzu: "Jedenfalls aber dürfte der protestantischen Polemik gegen die Inqui¬
sition, wie weit sie auch sonst berechtigt sein mag, größere Vorsicht in der Be¬
urteilung der religiösen Physiognomie ihrer Opfer zu empfehlen sein. Es
waren darunter nur sehr wenige, die die evangelische Kirche als die ihrigen in
Anspruch zu nehmen Ursache haben dürfte."

Jedenfalls wird man für die Schattenseiten des spanischen National¬
charakters die Jahrhunderte währende maurische Okkupation als Entschuldi¬
gung gelten lassen müssen, und wenn man diese selbst wiederum mit Chamber-
lain durch die bei den Westgoten ans Rom eingeschleppte Kirchenpest ver¬
schuldet sein läßt, so liegt das Verderben so weit zurück, daß im sech¬
zehnten Jahrhundert von einer Entscheidung keine Rede mehr sein konnte;
gerade in diesen: Jahrhundert übrigens entwickelte Spanien aus seinem un¬
duldsamen katholischen Geiste heraus seine höchste Kraft und schwang sich zur
Weltmacht empor. Bekanntlich sind die Spanier die eigentlich katholische und
streng genommen die einzige katholische Nation, bei der Nationalität und
Katholizismus zur untrennbaren Einheit verschmolzen erscheinen, sodaß man
kaum genötigt ist, das Wesen des Jesuitenordens aus der unarischen Rasse


Der Ramxf zwischen Rom und den Germanen

aus demi Völkcrchaos. Die Schädigung, die der bigotte Fanatismus Frank¬
reich durch die Vertreibung der Hugenotten zugefügt hat, kann niemand leugnen,
aber es darf doch anch nicht unbeachtet bleiben, daß erst nachher, in den Revo¬
lutionskriegen, die größte Kraftentfaltung eingetreten ist, die die Geschichte des
Volks aufzuweisen hat. Freilich war die militärischer Art. Die ökonomischen
Anlagen der Franzosen hat Friedrich List für gering erklärt, und er hat die
Vermutung ausgesprochen, sie begehrten instinktiv die Rheingrenze, um sich
durch Einverleibung von einigen Millionen Germanen die Bedingungen dauer¬
hafter nationaler Größe zu sichern. Über Spanien urteilt Victor Amadeus
Huber, der Land und Leute genau kannte, daß der Kern des Volkes, worin
doch wohl das Gotenblut am reichlichsten vertreten sein wird, sozusagen von
Natur streng katholisch sei, und seine großen Dichter, Maler und Konquista¬
doren bezeugen das ja auch. Die Inquisition, die in Spanien bekanntlich
Landesprodukt und nicht aus Rom importiert war, sei dem Volksgeist ent¬
sprossen und ganz populär, ihre Thätigkeit aber eine heroische Kur gewesen,
der sich das Volk freiwillig unterworfen habe, um sich vor der ihm drohenden
Verderbnis durch Juden-, Mauren- und Negerblut und die in diesem Blut
steckenden Laster zu erretten. Die Inquisition sei zunächst nur „ein Kcmterium
gegen dieses entsetzliche Geschwür" gewesen. Mit dem Mißbrauch, meint er,
„zumal bei der weitern und spätern Anwendung auf alle Fälle ähnlicher und
auf manche ganz andrer Art, haben wir es hier nicht zu thun; ob aber dieses
Rettungsmittel in äußerster Not ein zu kräftiges Mittel war, und um wie viel
Grad es die richtige Mitte überschritt, das mögen die entscheiden, die selbst
thatenlos und ohne großes Mitleid bei der Not des Vaterlands, das allein-
giltige Maß für alle Not und alle Thaten der Rettung auf der Spitze ihrer
Zunge oder Feder zu tragen vermeinen." Und in einer Anmerkung fügt er
hinzu: „Jedenfalls aber dürfte der protestantischen Polemik gegen die Inqui¬
sition, wie weit sie auch sonst berechtigt sein mag, größere Vorsicht in der Be¬
urteilung der religiösen Physiognomie ihrer Opfer zu empfehlen sein. Es
waren darunter nur sehr wenige, die die evangelische Kirche als die ihrigen in
Anspruch zu nehmen Ursache haben dürfte."

Jedenfalls wird man für die Schattenseiten des spanischen National¬
charakters die Jahrhunderte währende maurische Okkupation als Entschuldi¬
gung gelten lassen müssen, und wenn man diese selbst wiederum mit Chamber-
lain durch die bei den Westgoten ans Rom eingeschleppte Kirchenpest ver¬
schuldet sein läßt, so liegt das Verderben so weit zurück, daß im sech¬
zehnten Jahrhundert von einer Entscheidung keine Rede mehr sein konnte;
gerade in diesen: Jahrhundert übrigens entwickelte Spanien aus seinem un¬
duldsamen katholischen Geiste heraus seine höchste Kraft und schwang sich zur
Weltmacht empor. Bekanntlich sind die Spanier die eigentlich katholische und
streng genommen die einzige katholische Nation, bei der Nationalität und
Katholizismus zur untrennbaren Einheit verschmolzen erscheinen, sodaß man
kaum genötigt ist, das Wesen des Jesuitenordens aus der unarischen Rasse


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[0156] Der Ramxf zwischen Rom und den Germanen aus demi Völkcrchaos. Die Schädigung, die der bigotte Fanatismus Frank¬ reich durch die Vertreibung der Hugenotten zugefügt hat, kann niemand leugnen, aber es darf doch anch nicht unbeachtet bleiben, daß erst nachher, in den Revo¬ lutionskriegen, die größte Kraftentfaltung eingetreten ist, die die Geschichte des Volks aufzuweisen hat. Freilich war die militärischer Art. Die ökonomischen Anlagen der Franzosen hat Friedrich List für gering erklärt, und er hat die Vermutung ausgesprochen, sie begehrten instinktiv die Rheingrenze, um sich durch Einverleibung von einigen Millionen Germanen die Bedingungen dauer¬ hafter nationaler Größe zu sichern. Über Spanien urteilt Victor Amadeus Huber, der Land und Leute genau kannte, daß der Kern des Volkes, worin doch wohl das Gotenblut am reichlichsten vertreten sein wird, sozusagen von Natur streng katholisch sei, und seine großen Dichter, Maler und Konquista¬ doren bezeugen das ja auch. Die Inquisition, die in Spanien bekanntlich Landesprodukt und nicht aus Rom importiert war, sei dem Volksgeist ent¬ sprossen und ganz populär, ihre Thätigkeit aber eine heroische Kur gewesen, der sich das Volk freiwillig unterworfen habe, um sich vor der ihm drohenden Verderbnis durch Juden-, Mauren- und Negerblut und die in diesem Blut steckenden Laster zu erretten. Die Inquisition sei zunächst nur „ein Kcmterium gegen dieses entsetzliche Geschwür" gewesen. Mit dem Mißbrauch, meint er, „zumal bei der weitern und spätern Anwendung auf alle Fälle ähnlicher und auf manche ganz andrer Art, haben wir es hier nicht zu thun; ob aber dieses Rettungsmittel in äußerster Not ein zu kräftiges Mittel war, und um wie viel Grad es die richtige Mitte überschritt, das mögen die entscheiden, die selbst thatenlos und ohne großes Mitleid bei der Not des Vaterlands, das allein- giltige Maß für alle Not und alle Thaten der Rettung auf der Spitze ihrer Zunge oder Feder zu tragen vermeinen." Und in einer Anmerkung fügt er hinzu: „Jedenfalls aber dürfte der protestantischen Polemik gegen die Inqui¬ sition, wie weit sie auch sonst berechtigt sein mag, größere Vorsicht in der Be¬ urteilung der religiösen Physiognomie ihrer Opfer zu empfehlen sein. Es waren darunter nur sehr wenige, die die evangelische Kirche als die ihrigen in Anspruch zu nehmen Ursache haben dürfte." Jedenfalls wird man für die Schattenseiten des spanischen National¬ charakters die Jahrhunderte währende maurische Okkupation als Entschuldi¬ gung gelten lassen müssen, und wenn man diese selbst wiederum mit Chamber- lain durch die bei den Westgoten ans Rom eingeschleppte Kirchenpest ver¬ schuldet sein läßt, so liegt das Verderben so weit zurück, daß im sech¬ zehnten Jahrhundert von einer Entscheidung keine Rede mehr sein konnte; gerade in diesen: Jahrhundert übrigens entwickelte Spanien aus seinem un¬ duldsamen katholischen Geiste heraus seine höchste Kraft und schwang sich zur Weltmacht empor. Bekanntlich sind die Spanier die eigentlich katholische und streng genommen die einzige katholische Nation, bei der Nationalität und Katholizismus zur untrennbaren Einheit verschmolzen erscheinen, sodaß man kaum genötigt ist, das Wesen des Jesuitenordens aus der unarischen Rasse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/156>, abgerufen am 03.07.2024.