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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf zwischen Rom und den Germanen

hübsch ein einem Beispiel. "Als im Jahre 1232 der mächtigste aller Päpste*)
den Feind des römischen Einflusses in England, den Oberrichter Hubert de Burgh,
durch Vermittlung des Königs hatte gefangen nehmen lassen, fand sich im
ganzen Lande kein Schmied, der ihm Handschellen hätte anschmieden "vollen;
trotzig antwortete der Geselle, dem man mit der Folter drohte: Lieber jeden
Tod sterben, als daß ich je Eisen anlegen sollte dem Manne, der England vor
dem Fremden verteidigt hat." Ehe die Nationen vorhanden waren, konnten
sie sich Rom gegenüber nicht selbständig machen; es gab daher nur Kämpfe
von Fürsten, Städten und Korporationen mit Rom um die Grenzen der welt¬
lichen Macht. Sobald jedoch die Nationen fertig waren, war ihre politische
Selbständigkeit, die unter Umstünden die kirchliche einschloß, nur eine Frage
der Zeit, und ihre Emanzipation verstand sich ebenso von selbst, wie die
natürlich erfolglos bleibenden Bemühungen der Päpste, diese Emanzipation zu
hindern, Bemühungen, die sich nicht gegen die Nationalität, sondern gegen die
Insubordination richteten, deren Träger gewechselt hatten. Es handelt sich
also nicht eigentlich um einen Kampf zwischen Rom und dem Germanentum,
denn die katholischen Nationen haben ihre politische Selbständigkeit Rom gegen¬
über nicht weniger eifersüchtig gewahrt als die später protestantisch gewordnen
Germanen. Die Franzosen sind unter Philipp dem Schönen vorangegangen,
Philipp II. von Spanien, der katholische Fanatiker, sah sich gezwungen, seine
Regierung mit einer Kriegserklärung gegen den Papst zu beginnen, und dessen
Ohnmacht ging im vorigen Jahrhundert so weit, daß er in Portugal, in Frank¬
reich, in Österreich, ja sogar in dem kleinen italienischen Staate Toskana nicht
einmal in kirchlichen, geschweige denn in politischen Dingen etwas zu sagen
hatte. Die Thatsache, daß Roms Feinde im allgemeinen weniger ausgerichtet
haben als ihre Zahl, Macht und die Heftigkeit ihrer Angriffe erwarten ließ,
führt Chcunberlain richtig auf ihre Uneinigkeit und Inkonsequenz und die Ver¬
schiedenheit ihrer Beweggründe und Ziele zurück. So z. B. griffen die einen
die religiösen Grundlagen der .Kirche an, ohne sich um Politik zu kümmern,
während andre die weltliche Macht des Papsttums bekämpften, ohne von seiner
Glaubenslehre abzuweichen, und noch andre wollten diese Glaubenslehre refor¬
mieren, ohne sie grundsätzlich anzutasten. Die Stärke des Papsttums lag in
seiner Folgerichtigkeit, die sich auch darin bewährte, daß es die höchste poli¬
tische Macht in Anspruch "ahn; denn da -- immer nach Chamberlain -- die
Kirche weiter nichts war als das römische Imperium in religiöser Verkleidung,
so konnte dieses Reich nicht zweiköpfig sein, und wenn ein zweites Haupt ge¬
duldet wurde, diesem nur eine delegierte Gewalt zugestanden werden.

Einen unvollständigen Sieg erfocht das Germanentum endlich in der
Reformation, deren Bedeutung auf dem politischen Gebiet liegt und das reli¬
giöse nur insofern berührt, als die politische Befreiung den Germanen zugleich



Der eigensinnige und nicht sehr erfolgreiche Poltcrgreis Gregor IX. gilt nicht als der
mächtigste aller Päpste; soll aber Innocenz III- gemeint sein, so ist dieser 1216 gestorben.
Der Kampf zwischen Rom und den Germanen

hübsch ein einem Beispiel. „Als im Jahre 1232 der mächtigste aller Päpste*)
den Feind des römischen Einflusses in England, den Oberrichter Hubert de Burgh,
durch Vermittlung des Königs hatte gefangen nehmen lassen, fand sich im
ganzen Lande kein Schmied, der ihm Handschellen hätte anschmieden »vollen;
trotzig antwortete der Geselle, dem man mit der Folter drohte: Lieber jeden
Tod sterben, als daß ich je Eisen anlegen sollte dem Manne, der England vor
dem Fremden verteidigt hat." Ehe die Nationen vorhanden waren, konnten
sie sich Rom gegenüber nicht selbständig machen; es gab daher nur Kämpfe
von Fürsten, Städten und Korporationen mit Rom um die Grenzen der welt¬
lichen Macht. Sobald jedoch die Nationen fertig waren, war ihre politische
Selbständigkeit, die unter Umstünden die kirchliche einschloß, nur eine Frage
der Zeit, und ihre Emanzipation verstand sich ebenso von selbst, wie die
natürlich erfolglos bleibenden Bemühungen der Päpste, diese Emanzipation zu
hindern, Bemühungen, die sich nicht gegen die Nationalität, sondern gegen die
Insubordination richteten, deren Träger gewechselt hatten. Es handelt sich
also nicht eigentlich um einen Kampf zwischen Rom und dem Germanentum,
denn die katholischen Nationen haben ihre politische Selbständigkeit Rom gegen¬
über nicht weniger eifersüchtig gewahrt als die später protestantisch gewordnen
Germanen. Die Franzosen sind unter Philipp dem Schönen vorangegangen,
Philipp II. von Spanien, der katholische Fanatiker, sah sich gezwungen, seine
Regierung mit einer Kriegserklärung gegen den Papst zu beginnen, und dessen
Ohnmacht ging im vorigen Jahrhundert so weit, daß er in Portugal, in Frank¬
reich, in Österreich, ja sogar in dem kleinen italienischen Staate Toskana nicht
einmal in kirchlichen, geschweige denn in politischen Dingen etwas zu sagen
hatte. Die Thatsache, daß Roms Feinde im allgemeinen weniger ausgerichtet
haben als ihre Zahl, Macht und die Heftigkeit ihrer Angriffe erwarten ließ,
führt Chcunberlain richtig auf ihre Uneinigkeit und Inkonsequenz und die Ver¬
schiedenheit ihrer Beweggründe und Ziele zurück. So z. B. griffen die einen
die religiösen Grundlagen der .Kirche an, ohne sich um Politik zu kümmern,
während andre die weltliche Macht des Papsttums bekämpften, ohne von seiner
Glaubenslehre abzuweichen, und noch andre wollten diese Glaubenslehre refor¬
mieren, ohne sie grundsätzlich anzutasten. Die Stärke des Papsttums lag in
seiner Folgerichtigkeit, die sich auch darin bewährte, daß es die höchste poli¬
tische Macht in Anspruch »ahn; denn da — immer nach Chamberlain — die
Kirche weiter nichts war als das römische Imperium in religiöser Verkleidung,
so konnte dieses Reich nicht zweiköpfig sein, und wenn ein zweites Haupt ge¬
duldet wurde, diesem nur eine delegierte Gewalt zugestanden werden.

Einen unvollständigen Sieg erfocht das Germanentum endlich in der
Reformation, deren Bedeutung auf dem politischen Gebiet liegt und das reli¬
giöse nur insofern berührt, als die politische Befreiung den Germanen zugleich



Der eigensinnige und nicht sehr erfolgreiche Poltcrgreis Gregor IX. gilt nicht als der
mächtigste aller Päpste; soll aber Innocenz III- gemeint sein, so ist dieser 1216 gestorben.
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[0154] Der Kampf zwischen Rom und den Germanen hübsch ein einem Beispiel. „Als im Jahre 1232 der mächtigste aller Päpste*) den Feind des römischen Einflusses in England, den Oberrichter Hubert de Burgh, durch Vermittlung des Königs hatte gefangen nehmen lassen, fand sich im ganzen Lande kein Schmied, der ihm Handschellen hätte anschmieden »vollen; trotzig antwortete der Geselle, dem man mit der Folter drohte: Lieber jeden Tod sterben, als daß ich je Eisen anlegen sollte dem Manne, der England vor dem Fremden verteidigt hat." Ehe die Nationen vorhanden waren, konnten sie sich Rom gegenüber nicht selbständig machen; es gab daher nur Kämpfe von Fürsten, Städten und Korporationen mit Rom um die Grenzen der welt¬ lichen Macht. Sobald jedoch die Nationen fertig waren, war ihre politische Selbständigkeit, die unter Umstünden die kirchliche einschloß, nur eine Frage der Zeit, und ihre Emanzipation verstand sich ebenso von selbst, wie die natürlich erfolglos bleibenden Bemühungen der Päpste, diese Emanzipation zu hindern, Bemühungen, die sich nicht gegen die Nationalität, sondern gegen die Insubordination richteten, deren Träger gewechselt hatten. Es handelt sich also nicht eigentlich um einen Kampf zwischen Rom und dem Germanentum, denn die katholischen Nationen haben ihre politische Selbständigkeit Rom gegen¬ über nicht weniger eifersüchtig gewahrt als die später protestantisch gewordnen Germanen. Die Franzosen sind unter Philipp dem Schönen vorangegangen, Philipp II. von Spanien, der katholische Fanatiker, sah sich gezwungen, seine Regierung mit einer Kriegserklärung gegen den Papst zu beginnen, und dessen Ohnmacht ging im vorigen Jahrhundert so weit, daß er in Portugal, in Frank¬ reich, in Österreich, ja sogar in dem kleinen italienischen Staate Toskana nicht einmal in kirchlichen, geschweige denn in politischen Dingen etwas zu sagen hatte. Die Thatsache, daß Roms Feinde im allgemeinen weniger ausgerichtet haben als ihre Zahl, Macht und die Heftigkeit ihrer Angriffe erwarten ließ, führt Chcunberlain richtig auf ihre Uneinigkeit und Inkonsequenz und die Ver¬ schiedenheit ihrer Beweggründe und Ziele zurück. So z. B. griffen die einen die religiösen Grundlagen der .Kirche an, ohne sich um Politik zu kümmern, während andre die weltliche Macht des Papsttums bekämpften, ohne von seiner Glaubenslehre abzuweichen, und noch andre wollten diese Glaubenslehre refor¬ mieren, ohne sie grundsätzlich anzutasten. Die Stärke des Papsttums lag in seiner Folgerichtigkeit, die sich auch darin bewährte, daß es die höchste poli¬ tische Macht in Anspruch »ahn; denn da — immer nach Chamberlain — die Kirche weiter nichts war als das römische Imperium in religiöser Verkleidung, so konnte dieses Reich nicht zweiköpfig sein, und wenn ein zweites Haupt ge¬ duldet wurde, diesem nur eine delegierte Gewalt zugestanden werden. Einen unvollständigen Sieg erfocht das Germanentum endlich in der Reformation, deren Bedeutung auf dem politischen Gebiet liegt und das reli¬ giöse nur insofern berührt, als die politische Befreiung den Germanen zugleich Der eigensinnige und nicht sehr erfolgreiche Poltcrgreis Gregor IX. gilt nicht als der mächtigste aller Päpste; soll aber Innocenz III- gemeint sein, so ist dieser 1216 gestorben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/154>, abgerufen am 03.07.2024.