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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf zwischen Rom und den Germanen

bewußt den feindliche" Mächten verdungen; nunmehr waren sie Stützen der
antigermanischen Bestrebungen, Wieder war ein Sieg über den germanischen
Geist errungen," Diese Darstellung ist ein reines Phantasiegebilde, Der
Fürstenabsolutismus ist erst nach der Reformation ausgebildet worden; im
Mittelalter beruhte die Fürstengewalt auf einem Vertrage des Fürsten mit den
Ständen. Von den beiden Vorgängen aber, die in Deutschland die Bauernfreiheit
vernichtet haben, fällt der eine vor die Zeit der päpstlichen Machtherrlichkeit
und der auf den Jmperatorenpurpur stolzen Hohenstaufen, der andre ins sech¬
zehnte und siebzehnte Jahrhundert und in Gegenden, in denen der Papst nichts
zu sagen hatte. Diese spätere Unterdrückung, die dnrch Knapps und seiner
Schüler Darstellungen bekannt geworden ist, wurde nicht von Königen verübt,
sondern von den Adlichen an der Ostseeküste, die erste dagegen war, wie schon
seit hundert Jahren in den Schulen gelehrt wird, nicht sowohl eine planmäßige
Unterjochung als die Wirkung der germanischen Heerbannverfassung, deren Druck
sich die Bauern dadurch entzogen, daß sie sich freiwillig in Hörigkeit begaben,
ein Vorgang, mit dem Rom nicht das geringste zu schassen hatte; das Christentum
aber nur insofern, als Kirchen und Kloster die Gutsherrschaften waren, in deren
Schutz sich die Bauer": am liebsten stellten. Römisches aber steckt so wenig
darin, daß vielmehr dieses Feudalismus genannte System verwickelter Besitz¬
rechts- und Freiheitsbeschränkungen allezeit für etwas spezifisch deutsches ge¬
halten worden ist. Die großen Grundherrschaften stammten allerdings gewisser¬
maßen aus Rom, aber sie waren den Deutschen Nieder von den alten Römern
noch von den Päpsten aufgezwungen worden, sondern die deutschen Eroberer
übernahmen diese Wirtschaftsform in Italien und Gallien, und nachdem die
fränkischen Könige das eigentliche Germanien unterjocht hatten, führten sie sie
auch hier ein. Und wie notwendig und welche Wohlthat das war, hätte
Chamberlain, der in Wien lebt, mir zuverlässigsten, und ausführlichsten von
Juana-Sternegg erfahren können. Er selbst pflichtet an einer ander:: Stelle
der Ansicht bei, daß die Vernichtung des englische,: Bauernstands von: sech¬
zehnten Jahrhundert ab, so unsägliches Elend sie über das englische Volk ge¬
bracht habe, doch eine Wohlthat, ja eine Notwendigkeit für die ganze zivili¬
sierte Menschheit gewesen sei, weil erst die gebildeten und kapitalkräftigen
Landwirte, die an die Stelle der Bauern traten, die rationelle Landwirtschaft
erzeugt hätten, die der Aufgabe, unsre heutigen Volksmassen zu ernähren, ge¬
wachsen ist. Nun, in den: Deutschland und wohl anch in dem England des
frühern Mittelalters handelte es sich um noch Größeres und Schwierigeres
als um die Verbesserung der landwirtschaftlichen Technik, nämlich um die
Rodung des Urwalds, der den bei weitem größten Teil des Landes bedeckte.
Juana-Sternegg zeigt nun, daß der Einzelne dem Urwald gegenüber ziemlich
ohnmächtig war -- anstatt zu roder, sind die alten Germanen ausgeschwärmt,
wenn ihr Acker- und Weidefleck nicht mehr zureichte --, die alte Markgenossen¬
schaft aber ein zu lockrer Verband war, als daß sie sich an Rodungen großen
Stils hätte wagen können, und daß es mit der Urbarmachung erst vom Flecke


Der Kampf zwischen Rom und den Germanen

bewußt den feindliche» Mächten verdungen; nunmehr waren sie Stützen der
antigermanischen Bestrebungen, Wieder war ein Sieg über den germanischen
Geist errungen," Diese Darstellung ist ein reines Phantasiegebilde, Der
Fürstenabsolutismus ist erst nach der Reformation ausgebildet worden; im
Mittelalter beruhte die Fürstengewalt auf einem Vertrage des Fürsten mit den
Ständen. Von den beiden Vorgängen aber, die in Deutschland die Bauernfreiheit
vernichtet haben, fällt der eine vor die Zeit der päpstlichen Machtherrlichkeit
und der auf den Jmperatorenpurpur stolzen Hohenstaufen, der andre ins sech¬
zehnte und siebzehnte Jahrhundert und in Gegenden, in denen der Papst nichts
zu sagen hatte. Diese spätere Unterdrückung, die dnrch Knapps und seiner
Schüler Darstellungen bekannt geworden ist, wurde nicht von Königen verübt,
sondern von den Adlichen an der Ostseeküste, die erste dagegen war, wie schon
seit hundert Jahren in den Schulen gelehrt wird, nicht sowohl eine planmäßige
Unterjochung als die Wirkung der germanischen Heerbannverfassung, deren Druck
sich die Bauern dadurch entzogen, daß sie sich freiwillig in Hörigkeit begaben,
ein Vorgang, mit dem Rom nicht das geringste zu schassen hatte; das Christentum
aber nur insofern, als Kirchen und Kloster die Gutsherrschaften waren, in deren
Schutz sich die Bauer»: am liebsten stellten. Römisches aber steckt so wenig
darin, daß vielmehr dieses Feudalismus genannte System verwickelter Besitz¬
rechts- und Freiheitsbeschränkungen allezeit für etwas spezifisch deutsches ge¬
halten worden ist. Die großen Grundherrschaften stammten allerdings gewisser¬
maßen aus Rom, aber sie waren den Deutschen Nieder von den alten Römern
noch von den Päpsten aufgezwungen worden, sondern die deutschen Eroberer
übernahmen diese Wirtschaftsform in Italien und Gallien, und nachdem die
fränkischen Könige das eigentliche Germanien unterjocht hatten, führten sie sie
auch hier ein. Und wie notwendig und welche Wohlthat das war, hätte
Chamberlain, der in Wien lebt, mir zuverlässigsten, und ausführlichsten von
Juana-Sternegg erfahren können. Er selbst pflichtet an einer ander:: Stelle
der Ansicht bei, daß die Vernichtung des englische,: Bauernstands von: sech¬
zehnten Jahrhundert ab, so unsägliches Elend sie über das englische Volk ge¬
bracht habe, doch eine Wohlthat, ja eine Notwendigkeit für die ganze zivili¬
sierte Menschheit gewesen sei, weil erst die gebildeten und kapitalkräftigen
Landwirte, die an die Stelle der Bauern traten, die rationelle Landwirtschaft
erzeugt hätten, die der Aufgabe, unsre heutigen Volksmassen zu ernähren, ge¬
wachsen ist. Nun, in den: Deutschland und wohl anch in dem England des
frühern Mittelalters handelte es sich um noch Größeres und Schwierigeres
als um die Verbesserung der landwirtschaftlichen Technik, nämlich um die
Rodung des Urwalds, der den bei weitem größten Teil des Landes bedeckte.
Juana-Sternegg zeigt nun, daß der Einzelne dem Urwald gegenüber ziemlich
ohnmächtig war — anstatt zu roder, sind die alten Germanen ausgeschwärmt,
wenn ihr Acker- und Weidefleck nicht mehr zureichte —, die alte Markgenossen¬
schaft aber ein zu lockrer Verband war, als daß sie sich an Rodungen großen
Stils hätte wagen können, und daß es mit der Urbarmachung erst vom Flecke


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[0152] Der Kampf zwischen Rom und den Germanen bewußt den feindliche» Mächten verdungen; nunmehr waren sie Stützen der antigermanischen Bestrebungen, Wieder war ein Sieg über den germanischen Geist errungen," Diese Darstellung ist ein reines Phantasiegebilde, Der Fürstenabsolutismus ist erst nach der Reformation ausgebildet worden; im Mittelalter beruhte die Fürstengewalt auf einem Vertrage des Fürsten mit den Ständen. Von den beiden Vorgängen aber, die in Deutschland die Bauernfreiheit vernichtet haben, fällt der eine vor die Zeit der päpstlichen Machtherrlichkeit und der auf den Jmperatorenpurpur stolzen Hohenstaufen, der andre ins sech¬ zehnte und siebzehnte Jahrhundert und in Gegenden, in denen der Papst nichts zu sagen hatte. Diese spätere Unterdrückung, die dnrch Knapps und seiner Schüler Darstellungen bekannt geworden ist, wurde nicht von Königen verübt, sondern von den Adlichen an der Ostseeküste, die erste dagegen war, wie schon seit hundert Jahren in den Schulen gelehrt wird, nicht sowohl eine planmäßige Unterjochung als die Wirkung der germanischen Heerbannverfassung, deren Druck sich die Bauern dadurch entzogen, daß sie sich freiwillig in Hörigkeit begaben, ein Vorgang, mit dem Rom nicht das geringste zu schassen hatte; das Christentum aber nur insofern, als Kirchen und Kloster die Gutsherrschaften waren, in deren Schutz sich die Bauer»: am liebsten stellten. Römisches aber steckt so wenig darin, daß vielmehr dieses Feudalismus genannte System verwickelter Besitz¬ rechts- und Freiheitsbeschränkungen allezeit für etwas spezifisch deutsches ge¬ halten worden ist. Die großen Grundherrschaften stammten allerdings gewisser¬ maßen aus Rom, aber sie waren den Deutschen Nieder von den alten Römern noch von den Päpsten aufgezwungen worden, sondern die deutschen Eroberer übernahmen diese Wirtschaftsform in Italien und Gallien, und nachdem die fränkischen Könige das eigentliche Germanien unterjocht hatten, führten sie sie auch hier ein. Und wie notwendig und welche Wohlthat das war, hätte Chamberlain, der in Wien lebt, mir zuverlässigsten, und ausführlichsten von Juana-Sternegg erfahren können. Er selbst pflichtet an einer ander:: Stelle der Ansicht bei, daß die Vernichtung des englische,: Bauernstands von: sech¬ zehnten Jahrhundert ab, so unsägliches Elend sie über das englische Volk ge¬ bracht habe, doch eine Wohlthat, ja eine Notwendigkeit für die ganze zivili¬ sierte Menschheit gewesen sei, weil erst die gebildeten und kapitalkräftigen Landwirte, die an die Stelle der Bauern traten, die rationelle Landwirtschaft erzeugt hätten, die der Aufgabe, unsre heutigen Volksmassen zu ernähren, ge¬ wachsen ist. Nun, in den: Deutschland und wohl anch in dem England des frühern Mittelalters handelte es sich um noch Größeres und Schwierigeres als um die Verbesserung der landwirtschaftlichen Technik, nämlich um die Rodung des Urwalds, der den bei weitem größten Teil des Landes bedeckte. Juana-Sternegg zeigt nun, daß der Einzelne dem Urwald gegenüber ziemlich ohnmächtig war — anstatt zu roder, sind die alten Germanen ausgeschwärmt, wenn ihr Acker- und Weidefleck nicht mehr zureichte —, die alte Markgenossen¬ schaft aber ein zu lockrer Verband war, als daß sie sich an Rodungen großen Stils hätte wagen können, und daß es mit der Urbarmachung erst vom Flecke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/152>, abgerufen am 01.10.2024.