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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Weltpolitik

Franzosen über das Deutschtum an der Spree und Donau herzufallen, eine
Friedenskonferenz berufen habe: "Die hohe Achtung vor fremden Rechten, die
sittliche Überzeugung von der gleichmäßigen Giltigkeit der legalen Daseins¬
ansprüche der Staaten veranlaßte Rußland zur Initiative der Konferenz. . . .
Die Herren mögen sichs merken: Wir haben nach der innersten Struktur unsers
Vaterlands ein eignes, ein rein russisches Interesse an der Erstnrkung der
Autorität überall, an der Festigkeit eines nah benachbarten, konservativ ver-
walteten großen Staats, dessen Individualität nur respektieren, wie er die
unsrige respektiert. Für die Schöpfung kleiner, aufgeregter westslawischer Demo¬
kratien an unsrer Grenze hat kein Mensch in Rußland Interesse" -- weil die
Trauben zu hoch hangen. Man versucht nun eben ein geeigneteres Mittel,
die Verhetzung Deutschlands mit England. So hofft man den Rücken frei zu
haben, wenn es zur Auseinandersetzung in Asien kommt. Zugleich erstrebt
Rußland eine freundschaftliche Stellung zu den Vereinigten Staaten von Nord¬
amerika, die über kurz oder lang zweifellos sowohl mit England wie mit
Deutschland aus weltwirtschaftlichen wie kolonialpolitischeu Gründen in Wider¬
streit geraten werden.

Bevor ein englisch-deutscher Gegensatz akut geworden ist, wird Rußland
die ultiins, rstio in Asien nicht wagen, und es vermeidet daher alles, was ein
frühzeitiges Losschlagen herbeiführen könnte: es weist die französischen Gelüste
auf Ägypten ub und erlaubt seinem Bundesgenossen, ein Faschoda einzustecken;
es vermeidet, aus der südafrikanischen Frage Kapital zu schlagen.

Als Gegenzug gegen diese russischen Künste, Deutschland als Stnrmbvck
zu benutzen, könnte in Frage kommen, ob man Rußland nicht seine Schach¬
figur, Frankreich, abspenstig machen und es so matt setzen konnte, damit Deutsch¬
land nach London und Petersburg in gleicher Weise freie Hand hätte. In
der That ist aus der persönlichen Initiative Kaiser Wilhelms II. heraus
manches geschehn, um die Franzosen von ihrem Nevancheeifer zu bekehren.
Aber diese Versuche können lediglich den persönlichen Haß des Franzosen gegen
den Deutschen dämpfen, die gesellschaftlichen Beziehungen auf das notwendige
Maß der Gesittung führen, der Feindschaft Frankreichs wieder einen ritterlichen
Anstrich geben. Die politische Gefahr aber läßt sich nicht beseitigen. Der
französische Volkscharakter birgt so viel Leidenschaft in sich, daß er aus sich
heraus eine Gefahr ist und bleiben wird, solange nicht eine andre Blutmischung
ein andres Temperament erzeugt. Dazu kommt die politische Unberechenbarkeit,
die jedem rein parlamentarischen Lande, besonders Republiken, anhaftet. Auch
wenn Frankreich Elsaß-Lothringen zurückerhielte, oder gerade dann, würde es
ein Herd der Beunruhigung für Europa bleiben. Wie Frankreichs innere Ge¬
schichte nur Zerfahrenheit kennt und kennen wird, so wird es auch immer der
Sitz der Prestigepolitik sein, gemäß dem Charakter seiner Bewohner, wie dem
deutschen Charakter die ruhige Realpolitik, die Kunst des Möglichen, die Friedens¬
politik angemessen ist. Auch wenn in einzelnen Fällen, z. B. in der Regelung
kolonialer Fragen, ein Einvernehme" erzielt wird, es bleibt der Spruch anch


Die deutsche Weltpolitik

Franzosen über das Deutschtum an der Spree und Donau herzufallen, eine
Friedenskonferenz berufen habe: „Die hohe Achtung vor fremden Rechten, die
sittliche Überzeugung von der gleichmäßigen Giltigkeit der legalen Daseins¬
ansprüche der Staaten veranlaßte Rußland zur Initiative der Konferenz. . . .
Die Herren mögen sichs merken: Wir haben nach der innersten Struktur unsers
Vaterlands ein eignes, ein rein russisches Interesse an der Erstnrkung der
Autorität überall, an der Festigkeit eines nah benachbarten, konservativ ver-
walteten großen Staats, dessen Individualität nur respektieren, wie er die
unsrige respektiert. Für die Schöpfung kleiner, aufgeregter westslawischer Demo¬
kratien an unsrer Grenze hat kein Mensch in Rußland Interesse" — weil die
Trauben zu hoch hangen. Man versucht nun eben ein geeigneteres Mittel,
die Verhetzung Deutschlands mit England. So hofft man den Rücken frei zu
haben, wenn es zur Auseinandersetzung in Asien kommt. Zugleich erstrebt
Rußland eine freundschaftliche Stellung zu den Vereinigten Staaten von Nord¬
amerika, die über kurz oder lang zweifellos sowohl mit England wie mit
Deutschland aus weltwirtschaftlichen wie kolonialpolitischeu Gründen in Wider¬
streit geraten werden.

Bevor ein englisch-deutscher Gegensatz akut geworden ist, wird Rußland
die ultiins, rstio in Asien nicht wagen, und es vermeidet daher alles, was ein
frühzeitiges Losschlagen herbeiführen könnte: es weist die französischen Gelüste
auf Ägypten ub und erlaubt seinem Bundesgenossen, ein Faschoda einzustecken;
es vermeidet, aus der südafrikanischen Frage Kapital zu schlagen.

Als Gegenzug gegen diese russischen Künste, Deutschland als Stnrmbvck
zu benutzen, könnte in Frage kommen, ob man Rußland nicht seine Schach¬
figur, Frankreich, abspenstig machen und es so matt setzen konnte, damit Deutsch¬
land nach London und Petersburg in gleicher Weise freie Hand hätte. In
der That ist aus der persönlichen Initiative Kaiser Wilhelms II. heraus
manches geschehn, um die Franzosen von ihrem Nevancheeifer zu bekehren.
Aber diese Versuche können lediglich den persönlichen Haß des Franzosen gegen
den Deutschen dämpfen, die gesellschaftlichen Beziehungen auf das notwendige
Maß der Gesittung führen, der Feindschaft Frankreichs wieder einen ritterlichen
Anstrich geben. Die politische Gefahr aber läßt sich nicht beseitigen. Der
französische Volkscharakter birgt so viel Leidenschaft in sich, daß er aus sich
heraus eine Gefahr ist und bleiben wird, solange nicht eine andre Blutmischung
ein andres Temperament erzeugt. Dazu kommt die politische Unberechenbarkeit,
die jedem rein parlamentarischen Lande, besonders Republiken, anhaftet. Auch
wenn Frankreich Elsaß-Lothringen zurückerhielte, oder gerade dann, würde es
ein Herd der Beunruhigung für Europa bleiben. Wie Frankreichs innere Ge¬
schichte nur Zerfahrenheit kennt und kennen wird, so wird es auch immer der
Sitz der Prestigepolitik sein, gemäß dem Charakter seiner Bewohner, wie dem
deutschen Charakter die ruhige Realpolitik, die Kunst des Möglichen, die Friedens¬
politik angemessen ist. Auch wenn in einzelnen Fällen, z. B. in der Regelung
kolonialer Fragen, ein Einvernehme» erzielt wird, es bleibt der Spruch anch


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[0132] Die deutsche Weltpolitik Franzosen über das Deutschtum an der Spree und Donau herzufallen, eine Friedenskonferenz berufen habe: „Die hohe Achtung vor fremden Rechten, die sittliche Überzeugung von der gleichmäßigen Giltigkeit der legalen Daseins¬ ansprüche der Staaten veranlaßte Rußland zur Initiative der Konferenz. . . . Die Herren mögen sichs merken: Wir haben nach der innersten Struktur unsers Vaterlands ein eignes, ein rein russisches Interesse an der Erstnrkung der Autorität überall, an der Festigkeit eines nah benachbarten, konservativ ver- walteten großen Staats, dessen Individualität nur respektieren, wie er die unsrige respektiert. Für die Schöpfung kleiner, aufgeregter westslawischer Demo¬ kratien an unsrer Grenze hat kein Mensch in Rußland Interesse" — weil die Trauben zu hoch hangen. Man versucht nun eben ein geeigneteres Mittel, die Verhetzung Deutschlands mit England. So hofft man den Rücken frei zu haben, wenn es zur Auseinandersetzung in Asien kommt. Zugleich erstrebt Rußland eine freundschaftliche Stellung zu den Vereinigten Staaten von Nord¬ amerika, die über kurz oder lang zweifellos sowohl mit England wie mit Deutschland aus weltwirtschaftlichen wie kolonialpolitischeu Gründen in Wider¬ streit geraten werden. Bevor ein englisch-deutscher Gegensatz akut geworden ist, wird Rußland die ultiins, rstio in Asien nicht wagen, und es vermeidet daher alles, was ein frühzeitiges Losschlagen herbeiführen könnte: es weist die französischen Gelüste auf Ägypten ub und erlaubt seinem Bundesgenossen, ein Faschoda einzustecken; es vermeidet, aus der südafrikanischen Frage Kapital zu schlagen. Als Gegenzug gegen diese russischen Künste, Deutschland als Stnrmbvck zu benutzen, könnte in Frage kommen, ob man Rußland nicht seine Schach¬ figur, Frankreich, abspenstig machen und es so matt setzen konnte, damit Deutsch¬ land nach London und Petersburg in gleicher Weise freie Hand hätte. In der That ist aus der persönlichen Initiative Kaiser Wilhelms II. heraus manches geschehn, um die Franzosen von ihrem Nevancheeifer zu bekehren. Aber diese Versuche können lediglich den persönlichen Haß des Franzosen gegen den Deutschen dämpfen, die gesellschaftlichen Beziehungen auf das notwendige Maß der Gesittung führen, der Feindschaft Frankreichs wieder einen ritterlichen Anstrich geben. Die politische Gefahr aber läßt sich nicht beseitigen. Der französische Volkscharakter birgt so viel Leidenschaft in sich, daß er aus sich heraus eine Gefahr ist und bleiben wird, solange nicht eine andre Blutmischung ein andres Temperament erzeugt. Dazu kommt die politische Unberechenbarkeit, die jedem rein parlamentarischen Lande, besonders Republiken, anhaftet. Auch wenn Frankreich Elsaß-Lothringen zurückerhielte, oder gerade dann, würde es ein Herd der Beunruhigung für Europa bleiben. Wie Frankreichs innere Ge¬ schichte nur Zerfahrenheit kennt und kennen wird, so wird es auch immer der Sitz der Prestigepolitik sein, gemäß dem Charakter seiner Bewohner, wie dem deutschen Charakter die ruhige Realpolitik, die Kunst des Möglichen, die Friedens¬ politik angemessen ist. Auch wenn in einzelnen Fällen, z. B. in der Regelung kolonialer Fragen, ein Einvernehme» erzielt wird, es bleibt der Spruch anch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/132>, abgerufen am 03.07.2024.