Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.Die deutsche Weltpolitik reich nicht, um Deutschland freundschaftlichen Respekt einzuflößen. Mit dem Diese Bestrebungen, Feindschaft zwischen England und Deutschland zu Die deutsche Weltpolitik reich nicht, um Deutschland freundschaftlichen Respekt einzuflößen. Mit dem Diese Bestrebungen, Feindschaft zwischen England und Deutschland zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0131" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290542"/> <fw type="header" place="top"> Die deutsche Weltpolitik</fw><lb/> <p xml:id="ID_641" prev="#ID_640"> reich nicht, um Deutschland freundschaftlichen Respekt einzuflößen. Mit dem<lb/> finanziell schwachen und unkonzentrierten Nußland und dem in sich zerfnlluen<lb/> Frankreich allein kann es Deutschlands Stoßkraft, die durch die an Deutsch¬<lb/> lands Krnststelluug interessierten Staaten von Österreich, Rumänien und der<lb/> Türkei von Südosten her, von Südwesten her durch Italien unterstützt wird,<lb/> leicht aufnehmen, wenn nicht eine andre Macht in die Wagschale geworfen<lb/> wird, England, Im Interesse Rußlands liegt deshalb die Verfeiudung Deutsch¬<lb/> lands und seiner Verbündeten mit England, und russische Prcßagenten ver¬<lb/> folgen diese Aufgabe denn auch mit großem Eifer. Bei einem Kampfe zwischen<lb/> Zweibund und Dreibund würde bei einem Eingreifen Englands zu Gunsten<lb/> des Zweibunds zunächst Italien sehr bald mattgesetzt werden können, sodaß<lb/> dann Deutschland und Österreich den Kampf allein führen müßten. In dieser<lb/> Lage würde Deutschland der weitaus schwierigsten Prüfung ausgesetzt sein, weil<lb/> es nach drei Seiten zu kämpfen Hütte. Daß bei der andern Möglichkeit, dem<lb/> Zweikampf zwischen Deutschland und England, unser Nachbar jenseits der Vo-<lb/> gesen nicht zögern würde, gegen uns die Waffen zu ergreifen, haben die Ent¬<lb/> hüllungen über die französischen Anerbietungen nach der Jamesonschen Depesche<lb/> zur Genüge bewiesen. Rußland würde, selbst wenn es seine Neutralität bei¬<lb/> behielte, jedenfalls das mir für guten Lohn thun, wie 1871, indem es im<lb/> europäischen und asiatischen Orient sein Schäfchen ins Trockne brächte, und es<lb/> könnte zudem später noch, worauf es ihm um meisten ankäme, das jedenfalls<lb/> für diese Neutralität dankbare Deutschland gegen den dann einzigen russischen<lb/> Widersacher, England, nach Belieben ausspielen: kurz, es wäre die alleinige<lb/> Macht in Europa, und Deutschland sein politisches Anhängsel.</p><lb/> <p xml:id="ID_642" next="#ID_643"> Diese Bestrebungen, Feindschaft zwischen England und Deutschland zu<lb/> säen, scheine» der jetzigen russischen Diplomatie bei der verworrenen Haltung<lb/> der deutschen Privntpvlitiker das geeignetste Mittel zu sein, um Deutschland<lb/> an Rußland zu fesseln. Ein andres Lockmittel schwebt dem russischen Staats¬<lb/> mann Sherebzow vor, er hat es vor vier Jahren in einer Denkschrift über<lb/> Rußlands auswärtige Politik preisgegeben. Sherebzow hält es für nötig,<lb/> Osterreich zu vernichten und aus den übrig bleibenden Teilen Österreichs und<lb/> der Türkei deutsche und slawische Mittelstädten zu bilden, die einen unter<lb/> deutschem, die andern unter russischem Schutz. Da in Deutschland kein ver¬<lb/> nünftiger Mensch diesen Vorschlag des Treubruchs, ans moralischen Rücksichten<lb/> nicht minder wie aus politischen, acceptieren wird — der zudem nur Rußland<lb/> stärken und ihm die Dringlichkeit zur maßvollen Haltung abnehmen würde —,<lb/> so hat es Rußland vorgezogen, Österreich einstweilen möglichst zu beruhigen,<lb/> einerseits wegen der Balkanpolitik, und dann wegen der national slawischen<lb/> Kleinstaatsbestrebungen in der österreichischen Monarchie, die ja nur unter<lb/> russischem Nachdruck verwirklicht werden könnten. Das letzte geschah noch an¬<lb/> fangs März in dein russischen Regierungsblatt Se. Petersburger Herold. Da hieß<lb/> es gegenüber einer Anzapfung des jnugtschechisch-panslawistischeil Jguat Horica,<lb/> der den Zaren anrempelte, weil er, anstatt an der Spitze von Tschechen und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0131]
Die deutsche Weltpolitik
reich nicht, um Deutschland freundschaftlichen Respekt einzuflößen. Mit dem
finanziell schwachen und unkonzentrierten Nußland und dem in sich zerfnlluen
Frankreich allein kann es Deutschlands Stoßkraft, die durch die an Deutsch¬
lands Krnststelluug interessierten Staaten von Österreich, Rumänien und der
Türkei von Südosten her, von Südwesten her durch Italien unterstützt wird,
leicht aufnehmen, wenn nicht eine andre Macht in die Wagschale geworfen
wird, England, Im Interesse Rußlands liegt deshalb die Verfeiudung Deutsch¬
lands und seiner Verbündeten mit England, und russische Prcßagenten ver¬
folgen diese Aufgabe denn auch mit großem Eifer. Bei einem Kampfe zwischen
Zweibund und Dreibund würde bei einem Eingreifen Englands zu Gunsten
des Zweibunds zunächst Italien sehr bald mattgesetzt werden können, sodaß
dann Deutschland und Österreich den Kampf allein führen müßten. In dieser
Lage würde Deutschland der weitaus schwierigsten Prüfung ausgesetzt sein, weil
es nach drei Seiten zu kämpfen Hütte. Daß bei der andern Möglichkeit, dem
Zweikampf zwischen Deutschland und England, unser Nachbar jenseits der Vo-
gesen nicht zögern würde, gegen uns die Waffen zu ergreifen, haben die Ent¬
hüllungen über die französischen Anerbietungen nach der Jamesonschen Depesche
zur Genüge bewiesen. Rußland würde, selbst wenn es seine Neutralität bei¬
behielte, jedenfalls das mir für guten Lohn thun, wie 1871, indem es im
europäischen und asiatischen Orient sein Schäfchen ins Trockne brächte, und es
könnte zudem später noch, worauf es ihm um meisten ankäme, das jedenfalls
für diese Neutralität dankbare Deutschland gegen den dann einzigen russischen
Widersacher, England, nach Belieben ausspielen: kurz, es wäre die alleinige
Macht in Europa, und Deutschland sein politisches Anhängsel.
Diese Bestrebungen, Feindschaft zwischen England und Deutschland zu
säen, scheine» der jetzigen russischen Diplomatie bei der verworrenen Haltung
der deutschen Privntpvlitiker das geeignetste Mittel zu sein, um Deutschland
an Rußland zu fesseln. Ein andres Lockmittel schwebt dem russischen Staats¬
mann Sherebzow vor, er hat es vor vier Jahren in einer Denkschrift über
Rußlands auswärtige Politik preisgegeben. Sherebzow hält es für nötig,
Osterreich zu vernichten und aus den übrig bleibenden Teilen Österreichs und
der Türkei deutsche und slawische Mittelstädten zu bilden, die einen unter
deutschem, die andern unter russischem Schutz. Da in Deutschland kein ver¬
nünftiger Mensch diesen Vorschlag des Treubruchs, ans moralischen Rücksichten
nicht minder wie aus politischen, acceptieren wird — der zudem nur Rußland
stärken und ihm die Dringlichkeit zur maßvollen Haltung abnehmen würde —,
so hat es Rußland vorgezogen, Österreich einstweilen möglichst zu beruhigen,
einerseits wegen der Balkanpolitik, und dann wegen der national slawischen
Kleinstaatsbestrebungen in der österreichischen Monarchie, die ja nur unter
russischem Nachdruck verwirklicht werden könnten. Das letzte geschah noch an¬
fangs März in dein russischen Regierungsblatt Se. Petersburger Herold. Da hieß
es gegenüber einer Anzapfung des jnugtschechisch-panslawistischeil Jguat Horica,
der den Zaren anrempelte, weil er, anstatt an der Spitze von Tschechen und
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