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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche weltxolitik

lassen, Deal am Goldner Horn stoßen sich die Wünsche fast aller andern
Staaten gegen Rußland, und dieses würde sich ernsten Schwierigkeiten be¬
sonders bei Osterreich gegen übersehen. In Persien dagegen war Rußland mit
England allein, und so würde denn, falls jene Nachricht richtig wäre, Eng¬
land nun wieder einmal den russischen Bären von Mittelnsien abgelenkt haben.
Aber auch in der Lösung der persischen Frage hat die russische Politik wohl
denselben Fehler machen wollen, wie seiner Zeit in der Orientpolitik; sie greift
zu weit und überschätzt ihre Machtmittel, Wie in der Dardanellenfrage, so
kann auch hier der endgiltige Erfolg höchstens sein bis zum Meere, aber nicht
auf das Meer, denn die Thürklinke ist in der Hand der Seemacht England,
und ohne eine ernsthafte Auseinandersetzung ist nicht daran zu denken, daß
dieses seine Hund von der Klinke abziehn wird. Ob aber die Osfensivkraft
Rußlands hinreicht, einen erfolgreichen Vorstoß nach Indien zu machen, wird
selbst von russischen Militärs bezweifelt. Nur besondre Umstände können den
für ein so schwerfälliges und finanziell unentwickeltes Volk übergroßen Unter¬
nehmungen Glück bringen -- und diese besondern Umstünde scheint es sich von
Deutschland schaffen lassen zu wollen. Für seine ostsibirischen Besitzungen hat
Rußland seinen Meerausgang und damit sein natürliches Ziel erreicht. Aber
es scheint, daß es auch hier darüber hinauszugehn gedenkt und seine Hand
nach China ausstrecken will. Es zeigt sich immer mehr, daß es geneigt ist,
einem ländergierigen Imperialismus zu huldigen und so alle die Nationen zu
schädige", die auf neutrale Haudelsgebiete augewiesen sind. Wenn das Streben
Rußlands, sich der Eisenbahnen von Kleinasien und Persien zu bemächtigen und
auch in China die Vormachtstellung zu erringen, aufrecht erhalten werden sollte
nach den Ausführungen der Nvwoje Wremja vom 10. Februar dieses Jahres:
"Es ist die uralte elementar-mächtige Strömung Rußlands, die Stellung
zwischen Europa und Asien einzunehmen als geistiger und geographischer Ver¬
mittler, ein historischer Anspruch, für den es sich stark genug fühlt, und den
es als historische Pflicht auffaßt" -- wenn das hier niedergelegte Programm
Praktisch durchgeführt werden sollte, dann müssen alle Völker dagegen Stellung
nehmen, die nicht auf die handelspolitische Gnade Rußlands angewiesen sein
wollen, und auch Deutschland, das eine Zukunft sucht in Kleinasien und China,
wird sich nicht ausschließen dürfen, sondern in einem neuen Berliner Kongreß
wie Bismnrck damals in der europäischen Orientfrage, so in dieser asiatischen
Rußland seine Grenzen abstecken müssen. Solange Deutschland reine Konti-
uentnlmacht war, konnte es ruhig mit ansehen, was die andern Völker in
Asien trieben, vorausgesetzt, daß nicht der österreichische Bundesgenosse in seiner
Existenz gefährdet wurde. Aber seitdem Deutschland eine nationale Außen¬
politik zum Schutze seiner wirtschaftlichen Zukunft treibt, hat es genau darauf
zu achten, daß ihm sein Anteil an deu bisher neutralen Märkte,: nicht ge¬
schmälert wird, nud darum darf es jetzt der russischen Expansion nicht mehr
so interesselos gegenüber stehn, wie das noch zu Bismarcks Zeiten möglich
war. Das sollten die bedenken, die dauernd predigen, Deutschland solle sich


Gronzboten 11 1M0 16
Die deutsche weltxolitik

lassen, Deal am Goldner Horn stoßen sich die Wünsche fast aller andern
Staaten gegen Rußland, und dieses würde sich ernsten Schwierigkeiten be¬
sonders bei Osterreich gegen übersehen. In Persien dagegen war Rußland mit
England allein, und so würde denn, falls jene Nachricht richtig wäre, Eng¬
land nun wieder einmal den russischen Bären von Mittelnsien abgelenkt haben.
Aber auch in der Lösung der persischen Frage hat die russische Politik wohl
denselben Fehler machen wollen, wie seiner Zeit in der Orientpolitik; sie greift
zu weit und überschätzt ihre Machtmittel, Wie in der Dardanellenfrage, so
kann auch hier der endgiltige Erfolg höchstens sein bis zum Meere, aber nicht
auf das Meer, denn die Thürklinke ist in der Hand der Seemacht England,
und ohne eine ernsthafte Auseinandersetzung ist nicht daran zu denken, daß
dieses seine Hund von der Klinke abziehn wird. Ob aber die Osfensivkraft
Rußlands hinreicht, einen erfolgreichen Vorstoß nach Indien zu machen, wird
selbst von russischen Militärs bezweifelt. Nur besondre Umstände können den
für ein so schwerfälliges und finanziell unentwickeltes Volk übergroßen Unter¬
nehmungen Glück bringen — und diese besondern Umstünde scheint es sich von
Deutschland schaffen lassen zu wollen. Für seine ostsibirischen Besitzungen hat
Rußland seinen Meerausgang und damit sein natürliches Ziel erreicht. Aber
es scheint, daß es auch hier darüber hinauszugehn gedenkt und seine Hand
nach China ausstrecken will. Es zeigt sich immer mehr, daß es geneigt ist,
einem ländergierigen Imperialismus zu huldigen und so alle die Nationen zu
schädige», die auf neutrale Haudelsgebiete augewiesen sind. Wenn das Streben
Rußlands, sich der Eisenbahnen von Kleinasien und Persien zu bemächtigen und
auch in China die Vormachtstellung zu erringen, aufrecht erhalten werden sollte
nach den Ausführungen der Nvwoje Wremja vom 10. Februar dieses Jahres:
„Es ist die uralte elementar-mächtige Strömung Rußlands, die Stellung
zwischen Europa und Asien einzunehmen als geistiger und geographischer Ver¬
mittler, ein historischer Anspruch, für den es sich stark genug fühlt, und den
es als historische Pflicht auffaßt" — wenn das hier niedergelegte Programm
Praktisch durchgeführt werden sollte, dann müssen alle Völker dagegen Stellung
nehmen, die nicht auf die handelspolitische Gnade Rußlands angewiesen sein
wollen, und auch Deutschland, das eine Zukunft sucht in Kleinasien und China,
wird sich nicht ausschließen dürfen, sondern in einem neuen Berliner Kongreß
wie Bismnrck damals in der europäischen Orientfrage, so in dieser asiatischen
Rußland seine Grenzen abstecken müssen. Solange Deutschland reine Konti-
uentnlmacht war, konnte es ruhig mit ansehen, was die andern Völker in
Asien trieben, vorausgesetzt, daß nicht der österreichische Bundesgenosse in seiner
Existenz gefährdet wurde. Aber seitdem Deutschland eine nationale Außen¬
politik zum Schutze seiner wirtschaftlichen Zukunft treibt, hat es genau darauf
zu achten, daß ihm sein Anteil an deu bisher neutralen Märkte,: nicht ge¬
schmälert wird, nud darum darf es jetzt der russischen Expansion nicht mehr
so interesselos gegenüber stehn, wie das noch zu Bismarcks Zeiten möglich
war. Das sollten die bedenken, die dauernd predigen, Deutschland solle sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/129>, abgerufen am 03.07.2024.