Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Flottenvorlage

lichen Vaterlandsfreunde die Augen dafür geöffnet. Auch der Mehrheit des
Reichstags, oder doch vorläufig seiner Budgetkommission, wie man versichert,
und wie wir nur zu gern glauben möchten. Die Wehrkraft des Reichs gilt
es aufrecht zu erhalten zum Schutz des ganzen Vaterlands in allen seinen
Gauen und des ganzen Volks in allen seinen Ständen und Schichten. Da
darf von keiner Einteilung und Sonderung nach der Örtlichkeit und nach
dem Beruf die Rede sein, da ist keine Unterscheidung von Landinteresfenten
und Seeintcresseuten berechtigt, wie sie die frühem Jahrhunderte dem deutschen
Namen zur Schmach und der deutschen Nation in allen Gliedern zum furcht¬
baren Schaden erlebt haben. Wer heute die starke Flotte nicht will, der will
ein schwaches, ohnmächtiges Reich, ganz ebenso wie der, der kein starkes Heer
will. Deshalb mache man sich endlich bei der Behandlung der Deckungsfrage
von dem Unsinn der Seeinteresfen und der Landinteressen frei. Am rechten
Ort mag man den Unterschied geltend machen, aber nicht wo es sich um die
eine, unteilbare große Aufgabe handelt, Deutschlands Wehrkraft auf der Höhe
zu erhalten, die zur Wahrung unsrer unteilbaren nationalen Interessen nicht
entbehrt werden kann. Die Verteidigung des Ganzen gilt es, nicht Eroberungen
und Profite zu Gunsten einzelner.

Damit haben wir uns schon einer weitern Frage, die nächst der leidigen
Deckungsfrage die glatte Bewilligung der Flottenvermehrnng dnrch die Reichs¬
tagsmehrheit stören will, genähert, der Kvmpensationsfrage, wie wir sie höf¬
licherweise nennen wollen.

Wer die ganze Entartung, zu der unsre Parteiwirtschaft gediehen ist, nicht
kannte, der konnte eigentlich seinen Augen uicht trauen, wenn er schwarz auf
weiß gedruckt las, daß unter den durch die Mehrheitsparteien formulierten, in
der Budgetkommission an die Regierungsvertreter zu richtenden Fragen die
folgenden waren:

"13. In welcher Weise gedenken die verbündeten Regierungen den Nach¬
teilen zu begegnen, welche aus der Verstärkung der Flotte für die Landwirt¬
schaft zu besuchten sind?"

"14. Sind die verbündeten Regierungen geneigt, im Interesse der Land¬
wirtschaft: s,) eine Maxiinalprüsenzziffer, für Heer und Flotte zusammen
berechnet, zu gewährleisten, welche die Zahl der zu beiden Zwecken auf-
zuhebenden Mannschaften auf ein erträgliches Maß beschränkt? b) Für eine
Erhöhung der Schutzzölle auf landwirtschaftliche Erzeugnisse bei den bevor¬
stehenden Handelsverträgen energisch einzutreten?"

schamlos, nackt und öffentlich wird hier der sogenannte "Kuhhandel"
eingeleitet. Unhöfliche Leute könnten in Anbetracht der Notlage des Reichs von
Erpressung reden. Aber so etwas ist nichts überraschendes, nichts neues mehr.
Wir wollen hier uur darauf als auf ein Symptom dafür hinweise", wie weit wir
in der Art, solche Fragen wie die Flottenfrage zu behandeln, schon gekommen
sind. Auch auf die Forderung erhöhter Agrarzölle wollen wir nicht weiter
eingehn. Diese Frage ist wiederholt in den Grenzboten besprochen worden,


Die Flottenvorlage

lichen Vaterlandsfreunde die Augen dafür geöffnet. Auch der Mehrheit des
Reichstags, oder doch vorläufig seiner Budgetkommission, wie man versichert,
und wie wir nur zu gern glauben möchten. Die Wehrkraft des Reichs gilt
es aufrecht zu erhalten zum Schutz des ganzen Vaterlands in allen seinen
Gauen und des ganzen Volks in allen seinen Ständen und Schichten. Da
darf von keiner Einteilung und Sonderung nach der Örtlichkeit und nach
dem Beruf die Rede sein, da ist keine Unterscheidung von Landinteresfenten
und Seeintcresseuten berechtigt, wie sie die frühem Jahrhunderte dem deutschen
Namen zur Schmach und der deutschen Nation in allen Gliedern zum furcht¬
baren Schaden erlebt haben. Wer heute die starke Flotte nicht will, der will
ein schwaches, ohnmächtiges Reich, ganz ebenso wie der, der kein starkes Heer
will. Deshalb mache man sich endlich bei der Behandlung der Deckungsfrage
von dem Unsinn der Seeinteresfen und der Landinteressen frei. Am rechten
Ort mag man den Unterschied geltend machen, aber nicht wo es sich um die
eine, unteilbare große Aufgabe handelt, Deutschlands Wehrkraft auf der Höhe
zu erhalten, die zur Wahrung unsrer unteilbaren nationalen Interessen nicht
entbehrt werden kann. Die Verteidigung des Ganzen gilt es, nicht Eroberungen
und Profite zu Gunsten einzelner.

Damit haben wir uns schon einer weitern Frage, die nächst der leidigen
Deckungsfrage die glatte Bewilligung der Flottenvermehrnng dnrch die Reichs¬
tagsmehrheit stören will, genähert, der Kvmpensationsfrage, wie wir sie höf¬
licherweise nennen wollen.

Wer die ganze Entartung, zu der unsre Parteiwirtschaft gediehen ist, nicht
kannte, der konnte eigentlich seinen Augen uicht trauen, wenn er schwarz auf
weiß gedruckt las, daß unter den durch die Mehrheitsparteien formulierten, in
der Budgetkommission an die Regierungsvertreter zu richtenden Fragen die
folgenden waren:

„13. In welcher Weise gedenken die verbündeten Regierungen den Nach¬
teilen zu begegnen, welche aus der Verstärkung der Flotte für die Landwirt¬
schaft zu besuchten sind?"

„14. Sind die verbündeten Regierungen geneigt, im Interesse der Land¬
wirtschaft: s,) eine Maxiinalprüsenzziffer, für Heer und Flotte zusammen
berechnet, zu gewährleisten, welche die Zahl der zu beiden Zwecken auf-
zuhebenden Mannschaften auf ein erträgliches Maß beschränkt? b) Für eine
Erhöhung der Schutzzölle auf landwirtschaftliche Erzeugnisse bei den bevor¬
stehenden Handelsverträgen energisch einzutreten?"

schamlos, nackt und öffentlich wird hier der sogenannte „Kuhhandel"
eingeleitet. Unhöfliche Leute könnten in Anbetracht der Notlage des Reichs von
Erpressung reden. Aber so etwas ist nichts überraschendes, nichts neues mehr.
Wir wollen hier uur darauf als auf ein Symptom dafür hinweise«, wie weit wir
in der Art, solche Fragen wie die Flottenfrage zu behandeln, schon gekommen
sind. Auch auf die Forderung erhöhter Agrarzölle wollen wir nicht weiter
eingehn. Diese Frage ist wiederholt in den Grenzboten besprochen worden,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0126" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290537"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Flottenvorlage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_627" prev="#ID_626"> lichen Vaterlandsfreunde die Augen dafür geöffnet. Auch der Mehrheit des<lb/>
Reichstags, oder doch vorläufig seiner Budgetkommission, wie man versichert,<lb/>
und wie wir nur zu gern glauben möchten. Die Wehrkraft des Reichs gilt<lb/>
es aufrecht zu erhalten zum Schutz des ganzen Vaterlands in allen seinen<lb/>
Gauen und des ganzen Volks in allen seinen Ständen und Schichten. Da<lb/>
darf von keiner Einteilung und Sonderung nach der Örtlichkeit und nach<lb/>
dem Beruf die Rede sein, da ist keine Unterscheidung von Landinteresfenten<lb/>
und Seeintcresseuten berechtigt, wie sie die frühem Jahrhunderte dem deutschen<lb/>
Namen zur Schmach und der deutschen Nation in allen Gliedern zum furcht¬<lb/>
baren Schaden erlebt haben. Wer heute die starke Flotte nicht will, der will<lb/>
ein schwaches, ohnmächtiges Reich, ganz ebenso wie der, der kein starkes Heer<lb/>
will. Deshalb mache man sich endlich bei der Behandlung der Deckungsfrage<lb/>
von dem Unsinn der Seeinteresfen und der Landinteressen frei. Am rechten<lb/>
Ort mag man den Unterschied geltend machen, aber nicht wo es sich um die<lb/>
eine, unteilbare große Aufgabe handelt, Deutschlands Wehrkraft auf der Höhe<lb/>
zu erhalten, die zur Wahrung unsrer unteilbaren nationalen Interessen nicht<lb/>
entbehrt werden kann. Die Verteidigung des Ganzen gilt es, nicht Eroberungen<lb/>
und Profite zu Gunsten einzelner.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_628"> Damit haben wir uns schon einer weitern Frage, die nächst der leidigen<lb/>
Deckungsfrage die glatte Bewilligung der Flottenvermehrnng dnrch die Reichs¬<lb/>
tagsmehrheit stören will, genähert, der Kvmpensationsfrage, wie wir sie höf¬<lb/>
licherweise nennen wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_629"> Wer die ganze Entartung, zu der unsre Parteiwirtschaft gediehen ist, nicht<lb/>
kannte, der konnte eigentlich seinen Augen uicht trauen, wenn er schwarz auf<lb/>
weiß gedruckt las, daß unter den durch die Mehrheitsparteien formulierten, in<lb/>
der Budgetkommission an die Regierungsvertreter zu richtenden Fragen die<lb/>
folgenden waren:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_630"> &#x201E;13. In welcher Weise gedenken die verbündeten Regierungen den Nach¬<lb/>
teilen zu begegnen, welche aus der Verstärkung der Flotte für die Landwirt¬<lb/>
schaft zu besuchten sind?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_631"> &#x201E;14. Sind die verbündeten Regierungen geneigt, im Interesse der Land¬<lb/>
wirtschaft: s,) eine Maxiinalprüsenzziffer, für Heer und Flotte zusammen<lb/>
berechnet, zu gewährleisten, welche die Zahl der zu beiden Zwecken auf-<lb/>
zuhebenden Mannschaften auf ein erträgliches Maß beschränkt? b) Für eine<lb/>
Erhöhung der Schutzzölle auf landwirtschaftliche Erzeugnisse bei den bevor¬<lb/>
stehenden Handelsverträgen energisch einzutreten?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_632" next="#ID_633"> schamlos, nackt und öffentlich wird hier der sogenannte &#x201E;Kuhhandel"<lb/>
eingeleitet. Unhöfliche Leute könnten in Anbetracht der Notlage des Reichs von<lb/>
Erpressung reden. Aber so etwas ist nichts überraschendes, nichts neues mehr.<lb/>
Wir wollen hier uur darauf als auf ein Symptom dafür hinweise«, wie weit wir<lb/>
in der Art, solche Fragen wie die Flottenfrage zu behandeln, schon gekommen<lb/>
sind. Auch auf die Forderung erhöhter Agrarzölle wollen wir nicht weiter<lb/>
eingehn.  Diese Frage ist wiederholt in den Grenzboten besprochen worden,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0126] Die Flottenvorlage lichen Vaterlandsfreunde die Augen dafür geöffnet. Auch der Mehrheit des Reichstags, oder doch vorläufig seiner Budgetkommission, wie man versichert, und wie wir nur zu gern glauben möchten. Die Wehrkraft des Reichs gilt es aufrecht zu erhalten zum Schutz des ganzen Vaterlands in allen seinen Gauen und des ganzen Volks in allen seinen Ständen und Schichten. Da darf von keiner Einteilung und Sonderung nach der Örtlichkeit und nach dem Beruf die Rede sein, da ist keine Unterscheidung von Landinteresfenten und Seeintcresseuten berechtigt, wie sie die frühem Jahrhunderte dem deutschen Namen zur Schmach und der deutschen Nation in allen Gliedern zum furcht¬ baren Schaden erlebt haben. Wer heute die starke Flotte nicht will, der will ein schwaches, ohnmächtiges Reich, ganz ebenso wie der, der kein starkes Heer will. Deshalb mache man sich endlich bei der Behandlung der Deckungsfrage von dem Unsinn der Seeinteresfen und der Landinteressen frei. Am rechten Ort mag man den Unterschied geltend machen, aber nicht wo es sich um die eine, unteilbare große Aufgabe handelt, Deutschlands Wehrkraft auf der Höhe zu erhalten, die zur Wahrung unsrer unteilbaren nationalen Interessen nicht entbehrt werden kann. Die Verteidigung des Ganzen gilt es, nicht Eroberungen und Profite zu Gunsten einzelner. Damit haben wir uns schon einer weitern Frage, die nächst der leidigen Deckungsfrage die glatte Bewilligung der Flottenvermehrnng dnrch die Reichs¬ tagsmehrheit stören will, genähert, der Kvmpensationsfrage, wie wir sie höf¬ licherweise nennen wollen. Wer die ganze Entartung, zu der unsre Parteiwirtschaft gediehen ist, nicht kannte, der konnte eigentlich seinen Augen uicht trauen, wenn er schwarz auf weiß gedruckt las, daß unter den durch die Mehrheitsparteien formulierten, in der Budgetkommission an die Regierungsvertreter zu richtenden Fragen die folgenden waren: „13. In welcher Weise gedenken die verbündeten Regierungen den Nach¬ teilen zu begegnen, welche aus der Verstärkung der Flotte für die Landwirt¬ schaft zu besuchten sind?" „14. Sind die verbündeten Regierungen geneigt, im Interesse der Land¬ wirtschaft: s,) eine Maxiinalprüsenzziffer, für Heer und Flotte zusammen berechnet, zu gewährleisten, welche die Zahl der zu beiden Zwecken auf- zuhebenden Mannschaften auf ein erträgliches Maß beschränkt? b) Für eine Erhöhung der Schutzzölle auf landwirtschaftliche Erzeugnisse bei den bevor¬ stehenden Handelsverträgen energisch einzutreten?" schamlos, nackt und öffentlich wird hier der sogenannte „Kuhhandel" eingeleitet. Unhöfliche Leute könnten in Anbetracht der Notlage des Reichs von Erpressung reden. Aber so etwas ist nichts überraschendes, nichts neues mehr. Wir wollen hier uur darauf als auf ein Symptom dafür hinweise«, wie weit wir in der Art, solche Fragen wie die Flottenfrage zu behandeln, schon gekommen sind. Auch auf die Forderung erhöhter Agrarzölle wollen wir nicht weiter eingehn. Diese Frage ist wiederholt in den Grenzboten besprochen worden,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/126
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/126>, abgerufen am 01.07.2024.